Band 18 der Serie »Der Detektiv« als Download erhältlich!


Fantômas-Trailer

Archive

Die Sage des Billy the Kid Kapitel 7

Die Sage des Billy the Kid
Kapitel 1

Auge um Auge

Die Bitterkeit jahrelanger Spannungen entlud sich im Mord an Tunstall in einem Krieg. Der grundlose Mord war Murphys Herausforderung sowohl an Chisum als auch an McSween. Trotz seiner Einfachheit und Sanftmut muss McSween geahnt haben, dass weitere Gewalt unvermeidlich war. Aber er schien mehr an Gerechtigkeit als an Vergeltung zu denken.

Sein Problem war heikel und gefährlich zugleich. Gerechtigkeit schien in diesem wilden Moment eine Chimäre zu sein. Die Situation war explosiv, die Stimmung seiner Männer gesetzlos. Sie scherten sich ebenso wenig um das Gesetz wie Murphys Gefolgsleute. Sie brannten auf Rache, ihre Finger zuckten, um die Rechnung mit ihren Feinden blutig zu begleichen. Von Sheriff Brady war offenbar keine Hilfe bei der Aufrechterhaltung des Gesetzes zu erwarten. Seine Bande hatte den Mord begangen; es war unwahrscheinlich, dass er die Mörder fassen würde. Wenn sie das Gesetz für ihre Tat verantwortlich machen wollten, musste McSween sie selbst zur Rechenschaft ziehen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

In einer Krise, in der das Gesetz ein toter Buchstabe war, blieb McSween dennoch der Anwalt, für den das Gesetz sowohl Theorie als auch Praxis war. Seine Feinde handelten unter dem Deckmantel des Gesetzes, und er wollte nicht, dass sein eigenes Handeln ohne den Schein einer rechtlichen Autorität auskam. Erleichtert wurde ihm sein Weg durch den Friedensrichter John P. Wilson aus Lincoln, der es verstand, seine Segel nach den parteipolitischen Winden zu richten und mit diplomatischem Geschick einen sicheren und neutralen Kurs zwischen Skylla und Charybdis zu steuern. Dank seines Einflusses gelang es McSween, Dick Brewer, den Anführer der Feldtruppen, zum Special Constable zu ernennen, und Brewer brach, nachdem er eine rechtmäßige Truppe von Hilfssheriffs versammelt und rechtmäßige Haftbefehle zur Verhaftung von Tunstalls Mördern erwirkt hatte, in das Seven-Rivers-Gebiet auf, um seinen rechtmäßigen Auftrag zu erfüllen.

McSweens ausdrücklicher Befehl lautete, die Haftbefehle ohne Blutvergießen zu vollstrecken und die Gefangenen vor Gericht zu stellen. Möglicherweise glaubte McSween an das Gute im Menschen und erwartete, dass die Truppe seinen Befehlen gehorchen würde. Vielleicht kann man ihm das zugutehalten. Aber was auch immer seine Absichten gewesen sein mögen, es steht fest, dass die Mitglieder des Trupps nicht von solch friedlichen Zielen beseelt waren. Sie ritten aus Lincoln nicht als Verteidiger des Gesetzes, sondern als persönliche Rächer; ihre Haftbefehle waren nichts als Papierfetzen, und ihr sehnlichster Wunsch war es, sie aus den Mündungen ihrer Waffen zu schießen.

Mit Special Constable Brewer auf seinem Feldzug waren Billy the Kid, Charlie Bowdre, Doc Skurlock, Hendry Brown, Jim French, John Middleton, Fred Wayt, Sam Smith, Frank McNab und ein Mann namens McCloskey. Allein die Zusammensetzung der Truppe sprach Bände über ihre Absichten. Selbst in diesem Land wäre es schwierig gewesen, eine Gruppe von verzweifelteren und gesetzloseren Männern zusammenzubringen. Aber sie waren tapfere Kerle, was immer man sonst über sie sagen mag, und sie ritten direkt ins Herz des Feindeslandes, zweifellos bereit, weder Gnade zu geben noch zu nehmen. Die Region der Sieben Flüsse war eine Murphy-Hochburg; in ihrem Zentrum lag die Murphy-Ranch mit ihrer »Wunderherde«; sie hatte als Basis für Raubzüge gegen Chisums Vieh gedient; ihre Bewohner waren entweder Murphy-Sympathisanten oder aktive Murphy-Anhänger.

Die Posse ritt die Bonito- und Hondo-Schluchten hinunter und wandte sich nach Süden zum Pecos Valley. Am Unterlauf des Penasco, sechs Meilen von seiner Mündung in den Pecos entfernt, sahen sie fünf Reiter, die unter einem Baumhaufen in der Nähe der Furt rasteten. Sobald sie das Herannahen der Gruppe bemerkten, sprangen sie eilig in ihre Sättel, drückten ihre Sporen in die Ponys und galoppierten in einer Staubwolke davon. Brewers Männer jagten ihnen hinterher und schossen bei jedem Sprung. Nach mehreren Meilen wilder Verfolgungsjagd trennten sich zwei der Flüchtlinge von den drei anderen und ritten auf die Hügel im Westen zu. Billy the Kid erkannte die beiden als seine alten Freunde aus Mesilla, Billy Morton und Frank Baker; Morton als Anführer der Tunstall-Mörderbande und Baker als Mitglied, das an Tunstalls Tod und den Ausschweifungen über seine Leiche beteiligt war. Der Kid hatte sich geschworen, diese beiden und alle anderen Mitglieder der Mörderbande, denen er begegnen würde, zu töten.

Der Kid wendete sein Pferd und folgte Morton und Baker, und der Rest der Bande folgte seinem Beispiel. Die Verfolger holten allmählich auf, ihre Kugeln pfiffen den Flüchtlingen um die Ohren und wirbelten Staubwolken auf. Morton und Baker erwiderten das Feuer, während sie im Sattel wendeten. Eine plötzliche Kursänderung führte sie quer durch die Gruppe, und beide verloren ihre Pferde. Zu Fuß schien ihre Lage aussichtslos. Zufällig befand sich in der Nähe eine verlassene Grube mit niedrigen Erdwänden und einem Erddach, das Schutz bot. Sie liefen dorthin und fanden im Inneren der Grube Zuflucht.

Die Grube lag auf freiem Feld, und hinter ihren kugelsicheren Mauern waren Morton und Baker relativ sicher, solange sie noch Munition hatten, denn ihre Feinde wagten es nicht, sich ihrer primitiven Festung zu nähern. Der Kampf entwickelte sich zu einer Belagerung mit nur sporadischem Feuerwechsel auf beiden Seiten. Zwei Tage und Nächte lang hielt die Gruppe die beiden Männer in der Grube fest, und als sie schließlich vor Hunger und Durst zu sterben schienen und ihre Munition fast aufgebraucht war, steckten Morton und Baker ein weißes Tuch an einen Gewehrlauf, um ihren Wunsch nach einem Waffenstillstand zu signalisieren. Die Männer der Gruppe kamen näher und man begann zu reden.

»Wir ergeben uns«, rief Morton, »wenn Sie uns Ihr Wort geben, dass wir nicht getötet werden.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen.

»Also gut«, sagte Brewer schließlich. »Kommt heraus. Wir garantieren, dass euch nichts passiert.«

»Nicht jetzt und nicht später«, argumentierte Morton.

»Wir versprechen euch Schutz«, antwortete Brewer.

Dann marschierten die beiden Männer mit erhobenen Händen hinaus. Nachdem ihnen die Waffen abgenommen worden waren, sahen sie Billy the Kid, der sich auf sein Gewehr stützte.

»Hallo, Billy«, sagte Morton.

»Hallo, Kid«, entgegnete Baker.

Sie streckten ihm die Hände entgegen. Der Junge hatte mit ihnen in Mesilla am Lagerfeuer gesessen.

Billy sah sie mit einem Ausdruck kalter Todesverachtung an.

»Ich kenne euch nicht und will euch auch nicht kennen«, sagte er mit einem Fluch und wandte sich ab.

Die Posse erreichte noch am selben Tag John Chisums South Spring Ranch, wo sie die Nacht verbrachten.

Sallie Roberts, damals Miss Chisum, erinnerte sich an den Vorfall und sagte: »In dieser Nacht überließ ich den beiden Gefangenen mein eigenes Schlafzimmer. Ich glaube nicht, dass einer von ihnen viel Schlaf fand. Mehrere bewaffnete Mitglieder des Suchtrupps bewachten sie die ganze Nacht, um jede Möglichkeit einer Flucht zu verhindern. Diese armen Jungen – beide gutaussehend – wussten, dass sie verloren waren und keine Chance mehr hatten. Niemand sagte es mir, aber ich wusste es so gut wie alle anderen auf der Ranch. Wir spürten es in den grimmigen Blicken und im Schweigen der Männer des Suchtrupps.«

»Morton und Baker waren leichenblass, als sie am Morgen zum Frühstück aus der Zelle kamen. Nachdem sie gegessen hatten, kam Baker zu mir und gab mir seine goldene Uhr, seine Pferdehaarbremse und einen Brief, den er in der Nacht an seine Geliebte geschrieben hatte.

»Ich möchte Ihnen, Miss Chisum, meine letzte Bitte auf Erden vortragen’, sagte er. Ich werde Lincoln nicht mehr lebend erreichen. Wenn Sie von meinem Tod hören, möchte ich, dass Sie meiner Geliebten meine Uhr und die Bremse, die ich geflochten habe, sowie diesen Brief schicken.«

Der Brief war an Miss Lizzie N. Lester in Syracuse, New York, adressiert. Ich schickte ihn ihr kurze Zeit später zusammen mit der Uhr und der Bremse, und wir blieben noch eine Weile in brieflichem Kontakt. Ich habe sie nie gesehen und nicht viel über sie erfahren, aber aus ihren Briefen ging hervor, dass sie ein liebevolles, feines und gebildetes Mädchen war. Als Morton sich von mir verabschiedete, drückte er nur fest meine Hand, sprechen konnte er nicht.

An diesem Morgen machte sich der Suchtrupp mit seinen Gefangenen auf den Weg nach Lincoln. Sie hielten in Roswell an, einem damals fünf Meilen entfernten abgelegenen Dorf, um Morton die Gelegenheit zu geben, einen Brief an seinen Cousin H. H. Marshall aus Richmond, Virginia, zu schreiben, einen wohlhabenden Anwalt aus einer alten aristokratischen Familie, deren schwarzes Schaf Morton geworden war. In diesem Brief, so wurde später bekannt, teilte Morton seinem Verwandten mit, dass er auf dem Weg in den Tod sei und verabschiedete sich für immer.

Ash Upson, der einige Jahre zuvor in der Pension von Billy the Kids Mutter in Silver City gelebt hatte, war zu dieser Zeit Postmeister in Roswell.

»Ich wünsche«, sagte Morton zu Postmeister Upson, als er ihm den Brief überreichte, »dass Sie meinem Cousin die vollständigen Umstände meines Todes schreiben, wenn Sie davon hören.«

McCloskey, ein Teilnehmer der Posse, ein ehemaliger Büffeljäger und allen Berichten zufolge ein mutiger und anständiger Mann, stand in der Nähe.

»Wenn sie euch beide töten«, sagte er zu Morton, für mehrere andere Mitglieder des Suchtrupps hörbar, »dann müssen sie mich zuerst töten.«

Als der Suchtrupp Roswell verließ, nahm er die Hauptstraße nach Lincoln, die westwärts durch das Pecos Valley führte, über den Pecacho Hill und auf dem Weg dorthin durch die Hondo und Bonito Canyons. Martin Chavez aus Pecacho, später Händler und Politiker in Santa Fé, sah sie von der vielbefahrenen Straße auf einen kaum benutzten Pfad nach Agua Negra abbiegen.

Agua Negra ist eine Quelle am östlichen Fuß des Mount Capitan in einem unbewohnten Gebiet, das nur von wenigen Reisenden durchquert wird. Sie entspringt aus einer Felswand im breiten Eingang des Agua Negra Canyons. Darüber erheben sich steile, mit Pinien bewachsene Hügel und dahinter erhebt sich der große Gipfel. Die Quelle fließt durch bemooste Felsen in ein weites Becken, in dem manchmal Rinder und Schafe trinken und das stille, klare Wasser so dunkel im Schatten der Bäume liegt, dass es Agua Negra – Schwarzes Wasser – genannt wird. Ein unheimlicher, einsamer Ort, wie geschaffen für ein Verbrechen. Als Chavez in Roswell ankam, erzählte er Ash Upson von der seltsamen Abzweigung von der Hauptstraße, die eine dunkle Bedeutung hatte.

»Es ist vorbei mit diesen armen Jungs«, sagte Upson.

»Billy the Kid hat sie an diesen verlassenen Ort gebracht, um sie zu ermorden.«

Wie sich herausstellte, hatte Ash Upson Recht. Morton und Baker wurden in Agua Negra ermordet, aber die Einzelheiten dieser Tragödie bleiben ein Rätsel. Eine damals weit verbreitete Geschichte, die auch heute noch geglaubt wird, besagt, dass Billy the Kid, als die Gruppe Agua Negra erreichte, Morton und Baker ein Stück von der Gruppe wegführte und sie am Rande der Wasserstelle erschoss, als sie um ihr Leben flehten. Billy the Kid und die Mitglieder der Gruppe bestritten dies jedoch vehement und gaben ihre eigene Darstellung des Geschehens, die zumindest plausibel erscheint und möglicherweise der Wahrheit entspricht.

Als sich die Gruppe der Black Water Spring näherte, so Billy the Kid, ritten er und Charlie Bowdre voraus, McCloskey und Middleton ritten neben den beiden Gefangenen und die anderen Mitglieder der Gruppe weiter hinten. Plötzlich trieben Frank McNab und Hendry Brown ihre Pferde an und reihten sich neben McCloskey und Middleton ein.

»Du bist also der tapfere Held«, rief McNab McCloskey zu, »der lieber stirbt, als zuzusehen, wie diese beiden Kerle getötet werden. Also gut. Wir werden dich mit ihnen in die Hölle schicken.«

Er richtete den Revolver auf McCloskey und drückte ab. Die Flamme, die aus dem Lauf schoss, versengte McCloskeys Augenbrauen und schwärzte seine Haut mit Pulververbrennungen, und er fiel tot aus dem Sattel.

Als Billy the Kid den Schuss hörte, drehte er sich um und sah, wie Morton und Baker ihre Ponys in einem wilden Ritt in die Freiheit trieben. Er versuchte nicht, sie zu verfolgen, sondern schoss zweimal, still auf seinem Pferd sitzend. Morton und Baker hoben die Hände und fielen leblos rücklings ins Gras.

Wieder auf dem Weg nach Lincoln, ritt Billy the Kid schweigend und seine Gefährten hingen seinen Gedanken nach.

»Sag mal, Hendry«, sagte er schließlich zu Hendry Brown, der neben ihm ritt.

»Ja, Billy.«

»Weißt du was?«

»Was denn, Billy?«

Brown ahnte, dass das Kid immer noch mit seinen Gedanken bei den Morden und den zurückgelassenen Leichen war, die in den Himmel starrten.

»Ich sag dir was«, sagte Billy. »Das Bier von Juan Patron ist so gut wie jedes andere, das in diesen Bergen je über den Tresen gegangen ist, und ich habe vor, zwei oder drei kalte Gläser zu trinken, sobald ich wieder in Lincoln bin.«

Eine Woche später fanden Hirten, die ihre Herde zur Wasserstelle trieben, die drei Leichen und begruben sie. Doch wo ihre Gräber sind, weiß heute niemand mehr; wie sie starben und wo sie ruhen, bleibt das Geheimnis von Black Water. Die Quelle, die zwischen den Felsen plätschert, singt ihr Requiem. Der Capitan Mountain ist ihr alleiniger Grabstein.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert