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Deutsche Märchen und Sagen 195

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

267. Muschelfang mit Abgaben belegt

Im Jahre 1441 hat sich zu Sluys das Folgende begeben. Da ernährte sich eine Menge armer Leute von dem Muschelfang und die zogen davon ihren Lebensun­terhalt. Die Regierung belegte den Muschelfang aber plötzlich mit einer Abgabe, sodass all die armen Leute sozusagen ihr Brot verloren. Seit der Zeit fand man an der Stelle keine Muscheln mehr und erst, als die Ab­gabe wieder abgeschafft wurde, zeigten sich die Muscheln wieder.

268. Noch vom Mummelsee

Es wird viel Wunderbares von dem Mummelsee erzählt; so soll er keine Fische in sich leiden und die man hineinsetzt, alsbald auswerfen. Es wohnen nur Tiere darin, die in etwas dem Salamander gleichen und Brüste und andere Glieder gleich den Frauen haben. Fasst man sie an, dann entsenden sie eine weiße Materie. Man sagt von ihnen, dass es verwünschte Mädchen seien, was auch von den Hagedissen und dem Fischlein Gründling (Grondeling) erzählt wird.

Der Mummelsee wird für heilig gehalten, weil er so ganz und gar keine Berührung oder Schmutz leidet; wirft man einen Stein hinein, so entsteht Donner und Unwetter.

Einmal ist ein Markgraf von Baden mit mehreren geistlichen Herren und in Begleitung des ganzen Hofes zum Mummelsee gegangen und hat einige geweihte Ku­geln hineingeschossen, auch anderes Heiligtum hinein­werfen lassen. Da ist aber ein schreckliches Ungetüm aus dem See gestiegen und hat den Markgrafen mit all sei­nen Begleitern, sowohl geistlichen als auch weltlichen, weggejagt.

Im nahegelegenen Kloster Allerheiligen bewahrte man ehedem ein Buch, worin alle merkwürdigen Ge­schichten, die sich mit und an dem Mummelsee begeben, aufgezeichnet waren.

269. Wildsee

Der Wildsee liegt in der Umgegend des Mummelsees und hat dieselben Eigenschaften wie dieser. Es gehen viele Sagen von ihm rund. Die Leute sagen, an seiner Stelle habe ehedem eine Kirche gestanden, aber die sei versunken und liege auf dem Grund des Sees.

270. Sagen vom Pilatusberg und Pilatussee

Der Pilatussee liegt auf dem Pilatusberg bei Luzern und hat, wie der Mummelsee die Eigenschaft, dass, wirft man etwas hinein, es Unwetter gibt. Auch sa­gen die Hirten, es gäbe Unwetter, wenn man bloß rufe: »Pilatus, wirf deinen Schlamm aus!«

Sie zeigen in den umliegenden Felsen einige Fußtapfen und erzählen, die kämen von den Klauen des Teufels; denn der führe alle Jahre am Karfreitag Pilatus, in eisernen Ketten gefesselt, zu dem See und zu einem Thron, auf den er sich setze und die Hände wasche; auch soll der See das Gefängnis und der Ort sein, wo Pilatus die Strafe der Verdammnis leidet.

In dem Pilatusberg sind viele Höhlen und Löcher, von denen man sagt, dass Erdmännchen darin wohnten, die sich oft sehen ließen, den Guten Gutes und den Bö­sen alles Üble täten. So haben sie einigen Bergleu­ten viel Gold geschenkt, andere dagegen ungemein gequält und wieder andere in Abgründe geworfen. Aus verschie­dene an sie gerichtete Fragen haben die Erdmännchen Ant­wort gegeben, woraus manchem großes Glück erwachsen sei.

Ein Mann ist einmal in eine der Höhlen hinein­gegangen und hat dort in feuchtem Sand Fußtapfen, wie von einem dreijährigen Kind, gefunden.

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