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Die Virginier Erster Band – 10. Kapitel

William Makepeace Thackeray
Die Virginier
Erster Band
Wurzen, Verlags-Kontor, 1858
10. Kapitel

Ein heißer Nachmittag

Nachdem General Braddock und die anderen Gäste auf Castlewood geziemend in ihre Nachtquartiere geleitet waren, zogen sich die Jungen in ihr eigenes Zimmer zurück und schütteten einander ihr Herz aus über das große Ereig­nis des Tages. Sie würden eine solche Heirat nicht dulden – nein! Durfte die Nachfahrin der Marquis von Esmond den jüngsten Sohn aus einer Kolonistenfamilie heiraten, der zum Landvermesser ausgebildet war? Castlewood und die neunzehn Jahre alten Brüder sollten der gnädigen Willkür eines Stiefvaters von dreiundzwanzig ausgeliefert werden?

Oh, es war ungeheuerlich! Harry schlug vor, geradeswegs zu seiner Mutter ins Schlafzimmer zu gehen – wo ihre schwarzen Zofen der Lady eben den einfachen Schmuck und Putz abnahmen, den sie zu Ehren des Festes getragen hatte – und dort gegen die abscheuliche Verbindung zu protestieren. Man müsste ihr ankündigen, dass sie beide heim nach England gehen, von ihrem kleinen Besitztum dort leben und die Mutter für ewig verlassen würden, wenn diese unnatürliche Eheschließung zustande käme.

George aber schlug ein anderes Verfahren vor, um sie daran zu hindern, und erklärte dem staunenden Bruder seinen Plan. »Unsere Mutter«, sagte er, »kann einen Mann nicht heiraten, mit dem wir uns duelliert haben, der uns ver­wundet oder tötet oder den wir verwunden oder töten. Wir müssen ihn fordern, Harry.«

Harry erkannte die tiefgründige Wahrheit in Georges Behauptung und bewunderte seines Bruders ungeheure Weisheit.

»Ja, George«, versetzte er, »du hast recht. Unseren Mörder kann Mutter nicht heiraten; so schlecht kann sie nicht sein. Und wenn wir ihn erstechen, ist er erledigt. Cadit quaestio, wie Mr. Dempster zu sagen pflegte. Soll ich jetzt meinen Diener mit einer Forderung zu Oberst Washington schicken?«

»Mein lieber Harry«, erwiderte der Ältere, der mit einiger Selbstgefälligkeit an seinen Ehrenhandel in Quebeck dachte, »du bist an Affären dieser Art noch nicht gewöhnt.« »Nein«, gab Harry seufzend zu und blickte mit neidischer Bewunderung auf den Bruder.

»Wir können einen Gentleman nicht in unserem eigenen Hause beleidigen«, fuhr George mit großer Würde fort, »die Gesetze der Ehre verbieten solch ungastliche Behand­lung. Aber, du, wir können mit ihm ausreiten, und sobald sich die Parktore geschlossen haben, können wir ihm unsere Meinung sagen.«

»Das können wir, beim heiligen Georg!«, rief Harry, seines Bruders Hand ergreifend, »und das wollen wir auch. Ich sage dir, Georgy …« Hier wurde der Bursche sehr rot, und sein Bruder fragte ihn, was er denn sagen wolle?

»Jetzt bin ich an der Reihe, Bruder«, bat Harry. »Wenn du den Feldzug mitmachst, sollte ich die andere Sache ausfechten. Wirklich und wahrhaftig, das sollte ich.« Und er bat flehentlich um diese kleine Vergünstigung.

»Wieder muss das Haupt des Hauses die Führung haben, mein Lieber«, sagte George mit erhabener Miene. »Wenn ich falle, wird mein Harry mich rächen. Aber gegen George Washington muss ich fechten, Hal, und es ist auch das Beste, denn ich hasse ihn am bittersten. Hat er nicht meiner Mutter geraten, jenem Schurken Ward zu befehlen, dass er Hand an mich legt?«

»Ach George«, vermittelte der versöhnlichere jüngere Bru­der, »du solltest vergeben und vergessen!«

»Vergeben? Niemals, du, solange ich denken kann. Du kannst die Erinnerung nicht aus eines Mannes Geist fortbefehlen, und ein Unrecht, das gestern eines war, bleibt es auch morgen. Ich fügte meines Wissens keinem Mann ein Unrecht zu, und ich will auch keines dulden, wenn ich es verhindern kann. Ich denke sehr schlecht von Mr. Ward, aber doch nicht so gering, dass ich glauben könnte, er würde dir jeden Schlag mit dem Lineal vergeben. Oberst Washing­ton ist unser Feind, besonders der meine. Er hat zu einer Kränkung gegen mich geraten, und er sinnt auf eine noch schlimmere. Ich sage dir, Bruder, wir müssen ihn strafen.«

Des Ahnherrn alter Bordeaux hatte Georges gewöhnlich so bleiches Gesicht entflammt. Harry, seines Bruders ergeben­ster Verehrer, konnte Georges hochmütiges Gebaren und hinreißende Rede nur bewundern und bereitete sich mit gewohnter Fügsamkeit vor, seinem Häuptling zu folgen. So gingen die Jungen zu Bett, indes der Ältere dem Bruder noch nachdrücklich einschärfte, allen Gästen höflich zu begegnen, solange sie am nächsten Morgen unter dem mütterlichen Dach weilten.

Gute Erziehung und ein Widerwille, aus der Schule zu plau­dern, verbieten uns zu berichten, welcher von Madame Esmonds Gästen zuerst unter dem Gewicht ihrer Bewirtung zu Boden fiel. Die ehrenwerten Nachkommen der Herren Talmadge und Danvers, Adjutanten Seiner Exzellenz, hören es vielleicht nicht gern, wie sich vor hundert Jahren ihre Vorfahren berauschten; und doch schämten sich diese Gentlemen selbst des Faktums gar nicht, und es besteht kaum ein Zweifel, dass sie und ihre Kameraden zwei- oder dreimal in der Woche betrunken waren. Stellen wir uns vor, wie sie zu Bett torkelten, von mitfühlenden Schwarzen gestützt, und wie ihr weinseliger General – ein zu standhafter Säufer, um einem halben Dutzend Flaschen Bordeaux zu erliegen – von den beiden jungen Herren des Hauses in sein Zimmer geleitet wurde und eilig in einen Schlummer versank, wie ihn der freundliche Bacchus schenkt. Die fromme Lady von Castlewood sah den Zustand ihrer Gäste ohne die geringste Überraschung und ohne Abscheu. Sie war früh am Morgen auf und hielt für die heißen Schädel kühlende Getränke bereit, die ihre Diener in die betreffenden Fremdenzimmer trugen. Beim Frühstück verspottete einer der englischen Offiziere Mr. Franklin, der überhaupt keinen Wein trank und darum den erfrischenden Schluck Toddy ablehnte. Er bewies, dass der Herr aus Philadelphia zwei Genüsse ver­säumte, die Zecherei und den Toddy. Der junge Bursche behauptete, das Leiden sei vergnüglich und das Heilmittel köstlich und schlug lachend vor, beides noch einmal zu ver­suchen. Des Generals neuer amerikanischer Adjutant war völlig nüchtern und ruhig. Die britischen Offiziere schworen, sie müssten sich seiner annehmen und ihn lehren, was in der englischen Armee Sitte sei; aber der virginische Herr erwiderte würdevoll, dass ihm nichts daran liege, diesen Teil der englischen militärischen Ausbildung zu erlernen.

Da die Witwe mit der Vorsorge für ein großes Dinner und für ein großes Frühstück am folgenden Morgen dauernd sehr beschäftigt war, hatte sie kaum Muße, das Benehmen ihrer Söhne genau zu beobachten, sah aber wenigstens, dass George sich zu ihrem Günstling Oberst Washington genau­so peinlich höflich verhielt, wie zu allen anderen Gästen des Hauses.

Ehe Mr. Braddock sich empfahl, hatte er eine Privataudienz bei Madame Esmond, in der seine Exzellenz ihr in aller Form anbot, ihren Sohn in sein persönliches Gefolge aufzunehmen. Und als die Verabredungen für Georges Aufbruch zwischen seiner Mutter und seinem künftigen Vorgesetzten getroffen wurden, zeigte Madame Esmond keinen zimper­lichen Schrecken – obwohl sie solchen fühlen mochte – vor den Gefahren der Flasche, die offensichtlich zu den schwersten gehörten, und denen ihr Sohn ganz gewiss ins Auge zu blicken hatte. Sie wusste, ihr Junge musste seine Kolle in der Welt spielen und seinem Teil von Gut und Böse begegnen. »Mr. Braddock ist morgens ein vollkommen wohlerzogener Herr«, behauptete sie standhaft gegenüber ihrem Adjutanten, Mrs. Mountain. »Und wenn auch mein Papa nicht trank, steht es doch fest, dass viele aus der besten Gesellschaft in England trinken.« Der muntere General schüttelte George, der sich ihm nach dem mütterlichen Interview präsentierte, gutmütig die Hand, hieß ihn will­kommen und bat ihn, sich drei Tage später in Frederick bereitzuhalten; denn kurz darauf sollte der Feldzug beginnen.

Und nun wurde die große Kutsche wieder requiriert, des Generals Eskorte paradierte rund um sie her, die anderen Gäste und ihre Diener stiegen zu Pferde. Die Herrin von Castlewood geleitete Seine Exzellenz zu den Stufen der Veranda vor ihrem Haus; die jungen Herren folgten und standen zu beiden Seiten des Kutschenschlages. Der Garde­trompeter blies ein gellendes Signal und die Schwarzen schrien Hurra und God save the King, während Mr. Brad­dock höchst huldvoll von seinen liebenswürdigen Wirten Abschied nahm und dem Hauptquartier zurollte.

Als die Jungen die Stufen wieder hinaufstiegen, nahm der Oberst eben noch einmal Abschied von ihrer Mutter. Ohne Zweifel hatte sie ihren George nochmals der Obhut seines Namensvetters empfohlen, denn Oberst Washington sagte gerade: »Mit meinem Leben. Ihr könnt Euch auf mich ver­lassen«, während die Söhne zu ihrer Mutter und den weni­gen Gästen zurückkehrten, die noch in der Vorhalle standen. Der Oberst war gestiefelt und gespornt. »Lebewohl, mein lieber Harry«, sagte er. »Zwischen uns, George, braucht es kein Adieu; wir treffen uns ja nach drei Tagen im Lager.«

Die beiden jungen Männer gingen der Gefahr entgegen, vielleicht sogar dem Tod. Oberst Washington nahm Abschied von der Witwe, die ihn nun vor dem Feldzug nicht mehr sehen sollte. Kein Wunder, dass sie tief bewegt war.

George Warrington beobachtete seiner Mutter Rührung und deutete sie sich mit einem Stich boshafter Verachtung. »Bleibt noch einen Augenblick und tröstet unsere Mama«, sagte er mit undurchsichtiger Miene. »Nur so lange bis wir gestiefelt sind, dann wollen mein Bruder und ich ein kleines Stück mit Euch reiten, George.«

Die Pferde hatte George schon bestellt, und bald waren die drei jungen Leute unter­wegs, ihre schwarzen Reitknechte hinter sich. Mrs. Mountain, die wusste, dass sie Unfrieden zwischen ihnen gestiftet hatte und vor den Folgen zitterte, fühlte ungeheure Erleichterung, weil Mr. Washington ohne Streit mit den Brüdern gegangen war und auf jeden Fall ohne eine offene Liebeserklärung an die Mutter.

Kein Mensch konnte sich artiger betragen als George War­rington gegen seinen Nachbarn und Namensvetter. Der Oberst war erfreut und erstaunt über seines jungen Freun­des veränderte Haltung. Die Gemeinsamkeit der Gefahr, die Notwendigkeit künftiger Kameradschaft, der sänftigende Einfluss der langjährigen Freundschaft, die ihn mit der Familie Esmond verband, die gefühlvollen Abschieds­worte, die er eben mit der Herrin von Castlewood gewech­selt hatte, das alles bewog den Obersten, die Verstimmung der letzten Tage zu vergessen und freundlicher denn je zu seinem jungen Gefährten zu sein.

George gab sich ganz heiter und vergnügt, Harry war nun der Melancholische. Er ritt schweigend und sorgenvoll neben seinem Bruder und hielt sich fern von Oberst Washington, dem er sonst dicht zur Seite zu reiten pflegte. Sofern der ehrliche Oberst das Verhalten seines jungen Freundes bemerkte, schrieb er es ohne Zweifel Harrys wohlbekannter Liebe zu seinem Bruder zu und seinem natürlichen Verlangen, bei George zu sein, da der Tag ihrer Trennung so nahe war.

Sie sprachen weiter über den Krieg und den wahrschein­lichen Ausgang des Feldzuges. Keiner von den drei zwei­felte an seinem erfolgreichen Ende. Zweitausend kampf­erprobte britische Truppen mit ihrem Kommandeur mussten ja jede Streitmacht, die Frankreich gegen sie aufstellen konnte, überwinden, wenn sie nur recht bald vorrückten. Der eifrige junge Soldat Virginias hatte einen unendlichen Respekt vor der Erfahrung und Kriegskunst der regulären Armee. König Georg II. besaß keinen loyaleren Untertan als Mr. Braddocks neuen Adjutanten.

So ritt die Gesellschaft ganz freundschaftlich zusammen, bis sie ein gewisses rohes Blockhaus erreichte, Benson’s Schenke genannt, dessen Besitzer, gemäß damaligem Landesbrauch, nicht verschmähte, von seinen Gästen Geld für die gebotene Gastfreundschaft anzunehmen. Man hatte ein Werbebüro dort eingerichtet, und einige Offiziere und Mannschaften von Halketts Regiment waren versammelt; und hier, so glaubte Oberst Washington, gedachten seine jungen Freunde sich von ihm zu verabschieden.

Während ihre Pferde gefüttert und getränkt wurden, gingen sie in die öffentliche Gaststube, wo für jeden, der daran teilnehmen wollte, eine einfache Mahlzeit bereitstand. George Warrington betrat den Raum mit besonders heiterem und lebhaftem Gebaren, während des armen Harry Gesicht ganz weiß und kummervoll aussah.

»Man sollte meinen, Junker Harry, Ihr wäret es, der die Heimat verlassen soll, um gegen die Franzosen und Indianer zu kämpfen, und nicht Euer Bruder, Mr. George«, bemerkte Benson.

»Ich mag Gefahr für meinen Bruder fürchten«, versetzte Harry, »obgleich ich mein eigenes Päckchen leicht genug tragen würde. Es ist nicht meine Schuld, dass ich zu Hause bleibe.«

»Nein, wahrhaftig nicht, Bruder«, rief George.

»Harry Warringtons Mut braucht keine Probe!«, rief Mr. Washington.

»Ihr erweist der Familie Ehre, indem Ihr so gut von uns sprecht, Oberst«, sagte Mr. George mit tiefer Verbeugung. »Ich darf wohl sagen, wir können selbst dafür einstehen, wenn es Not tut.«

Während der Freund seinen Mut rühmte, sah Harry – die Wahrheit zu gestehen – keineswegs mutig aus. Als sein Blick dem des Bruders begegnete, las er in Georges Augen eine Drohung, die den treuen, anhänglichen Burschen be­unruhigte. »Du willst es doch nicht jetzt tun?«, flüsterte er seinem Bruder zu.

»Ja, jetzt«, versetzte Mr. George sehr gelassen.

»Um Gottes willen, lass mich doch an die Reihe. Du gehst in den Feldzug, du musst nicht alles haben – und es mag auch eine Erklärung geben, George. Wir mögen uns alle irren.«

»Pah, wie könnten wir? Es muss jetzt geschehen – sei unbesorgt. Kein Name wird erwähnt werden – ich finde leicht einen Anlass.«

Ein paar von Halketts Offizieren, die unsere jungen Herren kannten, saßen unter dem Vordach, die virginische Toddybowle vor sich.

»Was plant Ihr da, meine Herren?«, rief der eine von ihnen. »Ist es ein Umtrunk?«

Der Klang ihrer Stimmen und ihre geröteten Wangen zeig­ten deutlich, dass diese Gentlemen seit dem Morgen schon mit Trinken beschäftigt waren.

»Genau das ist es, Sir«, erwiderte George munter. »Frische Gläser, Mr. Benson! Was, es gibt keine Gläser mehr? Dann müssen wir aus der Bowle trinken.«

»Manch ein guter Mann hat daraus getrunken«, sagte Mr. Benson, und die Burschen, mit einer Verbeugung gegen ihre militärischen Bekannten, setzten einer nach dem anderen das Gefäß an die Lippen. Die Flüssigkeit schien nicht viel weniger geworden durch das Trinken der Jungen, obgleich besonders George den Säufer spielte und schwor, der Wein sei ein Genuss nach dem Ritt. Er rief Oberst Washington zu, er möge sich seinen Freunden anschließen und auch trinken. Georges Ton war unangenehm und ähnelte der kürzlich von ihm angenommenen Manier, die Mr. Washing­ton so sehr geärgert hatte. Der Oberst verbeugte sich und sagte, er sei nicht durstig.

»Aber der Wein ist nicht teuer«, rief George. »Keine Sorge, Oberst.«

»Ich sagte, ich sei nicht durstig. Ich sagte nicht, der Wein sei teuer«, erwiderte der junge Oberst und trommelte mit dem Fuß.

»Wenn auf den König getrunken wird, kann ein Offizier kaum Nein sagen. Ich trinke auf das Wohl Seiner Majestät, meine Herren«, rief George. »Oberst Washington mag dar­auf trinken oder es bleiben lassen. Der König!«

Dies war eine soldatische Ehrensache. Die zwei britischen Offiziere von Halketts Regiment, Hauptmann Grace und Mr. Waring tranken beide auf den König. Harry Warrington trank auf den König. Oberst Washington, mit zornfunkeln­den Augen, würgte auch einen kleinen Schluck aus der Bowle hinunter.

Dann schlug Hauptmann Grace vor: »Auf den Herzog und die Armee«, welchen Trinkspruch man gleicherweise nicht ablehnen konnte. Oberst Washington musste den Herzog und die Armee schlucken.

»Ihr scheint den Trinkspruch übelzunehmen, Oberst«, bemerkte George.

»Ich sage Euch nochmals, ich will nicht trinken«, erwiderte der Oberst. »Mir scheint, dem Herzog und der Armee wäre bedeutend besser gedient, wenn nicht so oft auf ihre Ge­sundheit getrunken würde.«

»Ihr seid noch nicht vertraut mit den Sitten der regulären Armee«, sagte Hauptmann Grace mit ziemlich schwerer Zunge.

»Mag sein, Sir.«

»Ein britischer Offizier«, fuhr Hauptmann Grace mit großer Energie, aber mangelnder Deutlichkeit fort, »versäumt einen Trinkspruch dieser Art so wenig wie irgendeine andere seiner Pflichten. Ein Mann, der sich weigert, auf das Wohl des Herzogs zu trinken – zum Henker, solch ein Mann gehört vors Kriegsgericht!«

»Was soll mir diese Sprache? Ihr seid betrunken, Sir!«, brüllte Oberst Washington, sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Ein verdammter Provinzoffizier sagt, ich bin betrunken!«, schrie Hauptmann Grace auf. »Waring, hört Ihr das?«

»Ich habe es gehört, Sir«, rief George Warrington. »Wir alle haben es gehört. Er kam auf meine Einladung, das Getränk war meines, es war mein Tisch, und ich bin empört, Hauptmann Waring, eine so ungeheuerliche Sprache daran zu hören, wie sie Oberst Washington eben gegen meinen geschätzten Gast führte.«

»Verwünschte Unverschämtheit, teuflischer junger Affe!«, bellte Oberst Washington. »Ihr habt gewagt, mich vor britischen Offizieren zu beleidigen und wollt jetzt meine Rede tadeln? Seit Monaten habe ich solche Frechheiten von Euch ertrugen, dass, wenn ich nicht Eure Mutter geliebt hätte, ja, Sir, und Euren guten Großvater und Euren Bruder … Ich würde … ich würde …« Hier versagten ihm die Worte, und der gereizte Oberst, purpurrot, mit funkelnden Augen und wutbebenden Gliedern stand einen Moment sprachlos vor seinem jungen Feind.

»Was würdet Ihr, Sir?«, entgegnete George, sehr ruhig, »wenn Ihr nicht meinen Großvater und meinen Bruder und meine Mutter liebtet? Ihr braucht ihren Unterrock zum Vorwand für Euer Verhalten. Was würdet Ihr tun, Sir? Darf ich nochmals fragen?«

»Ich würde dich übers Knie legen und verprügeln, du bis­siger junger Hund, das würde ich tun!«, schrie der Oberst, der wieder Atem geschöpft hatte und einem neuen Wutausbruch Luft machte.

»Weil Ihr uns das ganze Leben lang gekannt und unser Haus zu Eurem eigenen gemacht habt, darum dürft Ihr uns noch nicht beschimpfen!«, schrie nun Harry auffahrend. »Was Ihr gesagt habt, George Washington, beleidigt mich ebenso wie meinen Bruder. Ihr werdet um Verzeihung bitten, Sir!«

»Verzeihung?«, fauchte der Oberst.

»Oder uns die Genugtuung geben, die man Gentlemen schuldet«, fuhr Harry fort.

Des mannhaften Obersten Herz stockte bei dem Gedanken, dass er in einen tödlichen Zwist verstrickt und heraus­gefordert sei, das Blut eines der Burschen zu vergießen, die er liebte. Als Harry ihm gegenüberstand, mit seinem blonden Haar, glühenden Wangen und bebender Stimme, erfüllte unendliche Zärtlichkeit und Güte die Brust des älteren Mannes. »Ich … ich bin bestürzt«, sagte er. »Meine Worte waren vielleicht sehr übereilt. Was aber bedeutet Georges Benehmen gegen mich, schon seit Monaten? Erklärt mir das nur, und vielleicht …«

Aber der böse Geist war wach und siegreich in dem jungen George Warrington. Seine schwarzen Augen schossen Hass und Verachtung gegen den einfältigen und arglosen Herrn vor ihm. »Ihr schreckt vor der Forderung zurück, Sir, wie eben vor dem Trinkspruch«, versetzte er. »Ich bin nicht gewillt, Eure Anmaßung zu dulden. Ihr habt mich vor anderen beleidigt an öffentlichem Ort, und ich verlange Genugtuung.«

»In Gottes Namen denn!«, sagte Mr. Washington mit tiefem Gram in den Zügen.

»Und mich habt Ihr auch beschimpft«, rief Hauptmann Grace, auf ihn zu torkelnd. »Was habt Ihr doch noch gesagt? Verdammter Milizhauptmann – oder Oberst, was ist er? Ihr habt mich beschimpft! Ach, Waring, wenn man denkt, dass mich ein Hauptmann der Miliz beleidigt!« Und Tränen betauten des edlen Hauptmanns Wangen, als dieser schreck­liche Gedanke ihm durch den Kopf ging.

»Ich dich beleidigen, du Schwein!«, schrie der Oberst wieder, denn er hatte wenig Sinn für Humor und war nicht fähig, bei dieser Szene zu lachen, wie es die anderen getan hätten. Und sieh da, im selben Augenblick hatte er einen vierten Widersacher gegen sich.

»Großer Gott, Sir«, sagte Hauptmann Waring, »sind drei Duelle Euch nicht genug, und muss ich auch noch ins Gefecht kommen? Ihr habt Streit mit diesen beiden jungen Herren.«

»Unbedachte Worte nur, Sir«, versuchte der arme Harry noch einmal zu vermitteln.

»Unbedachte Worte, Sir?«, schrie Hauptmann Waring empört. »Ein Gentleman sagt einem anderen, dass er ihn übers Knie legen und prügeln will, und das nennt Ihr unbedachte Worte? Ich sage Euch, wenn irgendwer zu mir sagen sollte, Charles Waring oder Hauptmann Waring, ich will Euch übers Knie legen und verprügeln, dann würde ich sagen: Ich renne ihm mein Käsemesser durch den Leib, und wenn er ein Goliath wäre, ich täte es. Das ist die eine Affäre mit dem jungen Mr. George Warrington. Mr. Harry natürlich, als Mann von Ehre, wird seinem Bruder zur Seite stehen. Das ist Nummer Zwei. Zwischen Grace und dem Obersten ist eine Entschuldigung unmöglich. Und jetzt – da soll mich doch einer durchbohren! – nennt Ihr einen Offizier von meinem Regiment – von Halketts, Sir! – vor meinen Augen ein Schwein! Großer Gott, Sir! Mr. Washington! Seid ihr alle so, hier in Virginia? Um Vergebung, ich wollte keine persönlichen Anzüglichkeiten aussprechen, wie ich sie auch, beim heiligen Georg von niemand dulden würde; aber bei Gott, Oberst, erlaubt mir, Euch zu sagen, dass Ihr der streitsüchtigste Mann seid, den ich je im Leben sah! Nennt einen invaliden Offizier von meinem Regiment – denn du bist Invalide, nicht wahr, Grace? –Nennt ihn ein Schwein, wenn ich dabeistehe! Ihr nehmt das zurück, Sir – Ihr nehmt es zurück?«

»Ist dies denn ein höllisches Komplott, in dem ihr euch alle gegen mich verschworen habt?«, schrie der Oberst laut. »Es sieht ja aus, als ob ich betrunken wäre und nicht ihr, wir es sich doch in Wahrheit verhält. Ich nehme nichts zurück. Ich entschuldige mich für nichts. Beim Himmel! Ich will einem oder einem halben Dutzend von Eurer Sorte, jung oder alt, betrunken oder nüchtern, gegenübertreten!«

»Ich wünsche nicht, mich weiterhin beschimpft zu hören«, rief Mr. George Warrington. »Dieses Duell kann stattfinden, auch ohne fernere Beleidigung von Eurer Seite. Wann beliebt es Euch, sich mir zu stellen?«

»Je eher, desto besser, Sir!«, sagte der Oberst, kochend vor Wut.

»Je eher, desto besser«, rülpste Hauptmann Grace mit vielen Flüchen, die zu drucken überflüssig ist (in jenen Tagen zierten sie die Unterhaltung aller Gentlemen), und er erhob sich schwankend von seinem Sitz, taumelte auf einen Degen zu, den er an der Tür abgelegt hatte, und fiel hin, als er die Waffe erreichte. »Je eher, desto besser!«, schrie der arme betrunkene Tropf noch einmal vom Boden her, schwenkte den Degen und hieb sich den Hut bis über die Augen.

»Dieses Herrn Geschäft wird jedenfalls bis morgen warten können«, sagte der Oberst der Miliz und wandte sich an den anderen Offizier des Königs. »Ihr werdet Euren Mann heute kaum ins Treffen bringen können, Hauptmann Waring?«

»Ich gestehe, dass weder seine Hand noch meine besonders sicher ist.«

»Aber meine ist es!«, rief Mr. Warrington und schoss Blitze gegen seinen Feind.

So wild und hitzig war sein Kamerad aus früheren Tagen. »Sei es also – auf welche Waffe, Sir?«, fragte Washington rau.

»Nicht auf Stoßdegen, Oberst. Damit können wir Euch leicht schlagen, das wisst Ihr aus unseren alten Kämpfen. Besser würden die Pistolen sprechen.«

»Wie es Euch beliebt, George Warrington – und Gott ver­zeihe dir, George! Gott verzeihe dir, Harry, dass ihr mich in diesen Streit verwickelt habt«, sagte der Oberst mit düsterer, trauervoller Miene.

Harry senkte den Kopf, aber George fuhr mit vollendeter Gelassenheit fort: »Ich, Sir? Nicht ich war es, der schimpfte, der vom Stock sprach, der einen Gentleman an öffentlichem Ort vor Herren der Armee beleidigte. Es ist nicht das erste Mal, dass Ihr mich für einen Schwarzen haltet und von Prügeln für mich sprecht.«

Der Oberst fuhr zurück; er errötete tief, wie von einer plötzlichen Erinnerung getroffen.

»Großer Gott, George! An diesen kindischen Streit denkst du immer noch?«

»Wer hat Euch zum Aufseher von Castlewood gemacht?«, erwiderte der Junge zähneknirschend. »Ich bin nicht Euer Sklave, George Washington, und will es auch nie sein. Ich hasste Euch damals, und ich hasse Euch jetzt. Und Ihr habt mich beleidigt, ich bin ein Gentleman, und Ihr auch. Ist das nicht genug?«

»Zu viel, nur zu viel«, rief der Oberst mit echtem Gram in den Zügen und im Herzen. »Hegst auch du alten Groll gegen mich, Harry? Von dir hätte ich dies nicht gedacht.«

»Ich halte zu meinem Bruder«, sagte Harry, wandte sich von des Obersten Blick ab und ergriff Georges Hand. Die Trauer wich nicht von dem Gesicht ihres Gegners. »Der Himmel sei uns gnädig! Jetzt ist mir alles klar«, murmelte er vor sich hin. »Nur die Zeit, um ein paar Briefe zu schreiben, und ich stehe Euch zu Diensten, Mr. Warrington«, sagte er dann.

»Ihr habt Eure Pistolen im Sattel. Ich bin ohne sie ausgeritten, aber ich will Sady danach zurückschicken. Das lässt Euch Zeit genug, Oberst Washington?«

»Reichlich Zeit, Sir.«

Die Herren machten sich gegenseitig eine tiefe Verbeugung, und den Arm in den des Bruders legend, ging George davon. Der Oberst sah sich nach den beiden unseligen Hauptleuten um, die inzwischen hilflos betrunken waren. Hauptmann Benson, der Besitzer des Gasthauses, drückte einem von ihnen eben den Hut auf den Kopf.

»Es ist nicht ganz ihre Schuld«, sagte der Wirt mit grimmigem Humor. »Jack Firebrace und Tom Humbold von Spotsylvania waren morgens hier, um Pferde mit ihnen zu tauschen. Und Jack und Tom verführten sie zum Kartenspiel, und sie gewannen nicht – ich meine, die britischen Hauptleute gewannen nicht. Und Jack und Tom forderten sie heraus, zu trinken, um der Ehre Altenglands willen, und bei diesem Spiel haben sie nun auch nicht viel gewonnen. Es sind freundliche, freigebige Burschen, wenn sie nüchtern sind, aber es sind dennoch rechte Narren – wahrhaftig.«

»Hauptmann Benson, Ihr seid ein alter Grenzer und ein früherer Offizier unserer Miliz, ehe Ihr Bauer und Gastwirt wurdet. Werdet Ihr mir in der Sache mit den jungen Herren helfen?«, fragte der Oberst.

»Ich will dabeistehen und auf ehrliches Spiel achten, Oberst. Ich möchte meine Hand nicht in der Sache haben, außer um auf fair play zu sehen. Madame Esmond hat mir so manches Mal geholfen, meine arme Frau im Kindbett gepflegt und unsere Betty vom Fieber kuriert. Ihr werdet doch nicht zu hart mit den armen Jungen sein? Obgleich ich beide habe schießen sehen – der Blonde ist ein guter Jäger, wie Ihr wisst, aber der Ältere ist ein Wunder darin, das Pik-As zu treffen.«

»Wollt Ihr mir bitte meinen Diener mit dem Mantelsack in einen privaten Raum schicken, wenn Ihr einen für mich übrig habt? Ich muss ein paar Briefe schreiben, ehe diese Sache ausgetragen wird. Gott gebe, es wäre glücklich vor­über!«

Der Hauptmann führte den Oberst in den fast einzig freien Raum des Hauses, er befahl einem Haufen schwarzer Diener, die laut miteinander schwatzten und offenbar den eben beobachteten Streit diskutierten, sich daraus zu ent­fernen. Edwin, des Obersten Reitknecht, kam mit seines Herrn Felleisen, und als der aus dem Fenster blickte, sah er Sady in der Richtung Castlewood davongaloppieren, zweifel­los mit dem bewussten Auftrag. Der Oberst, jung und von Natur heißblütig, aber der höflichste und korrekteste Mensch, der seine starken Leidenschaften stets im Zaum hielt, konnte nur mit Bestürzung an die Lage denken, in der er sich befand, und an die drei, vielleicht vier Feinde, die so plötzlich vor ihm aufgetaucht waren und sein Leben bedrohten. Wie war diese seltsame Folge von Streitigkeiten entstanden? Er war ein paar Stunden zuvor mit seinen jungen Gefährten von Castlewood fortgeritten, und allem Anschein nach in vollkommenem Einvernehmen. Ein Regen­schauer scheuchte sie in die Schenke, wo sie ein paar Werbe­offiziere trafen, und sie saßen noch keine halbe Stunde gemeinsam am Tisch, da hatte er schon mit der ganzen Gesellschaft gestritten, den einen beschimpft, mit dem anderen einen Kampf vereinbart und dem dritten Züchti­gung angedroht, dem Sohn seiner vertrautesten Freundin!

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