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Femegerichte und Hexenprozesse in Deutschland – Teil 1

Oskar Wächter
Femegerichte und Hexenprozesse in Deutschland
Stuttgart, Verlag von W. Spemann, 1882

Vorwort

Femegerichte und Hexenprozesse gehören einer längst entschwundenen Zeit an. Aber, von weittragen­der Bedeutung für ganz Deutschland, werfen sie Licht und Schatten über vier Jahrhunderte unserer Ge­schichte. Und sind sie nicht heute noch von allgemei­nem Interesse? Wer hätte nicht schon von Feme und von Hexen gehört und gelesen? In Romanen und Dramen, in allerlei Erzählungen der Fremden­führer, in Sagen und Beschreibungen tauchen sie immer wieder auf. Und in der Tat haben diese mittelalterlichen Erscheinungen etwas ungemein Fesseln­des bei aller unheimlichen Macht, welche sie auf das Gemüt des Hörers üben. Aber die Wenigsten wissen, wie es damit wirklich sich verhielt. Unkenntnis und Mangel an historischem Sinn ließen ein Gestrüpp irriger Vorstellungen aufwuchern, durch welche der wahre Sachverhalt vielfach entstellt und getrübt wurde.

Während die Femegerichte eine der großartig­sten und ehrwürdigsten Gestaltungen des deutschen Volksgeistes mit Recht genannt worden sind, führen die Hexenprozesse tief in die Nachtseite der Mensch­heit und zeigen die finsterste Entartung eines gehei­men Inquisitionsverfahrens, welchem Hunderttausende unglücklicher Menschen zum Opfer gefallen sind.

Die Bedeutung und das Wesen der Femegerichte lässt sich nur im Zusammenhang anderer Zustände des Mittelalters richtig erfassen. Die Rohheit des Faustrechts, die Grausamkeit der Strafen, sie bilden die Folie, auf welcher eine Darstellung der Feme im rechten Licht sich abheben muss.

Weit tiefer noch liegen die Wurzeln des Hexenwesens. Alle Zeiten, alle Völker wissen davon zu erzählen, als ob etwas allgemein Menschliches darin anklingen müsste. Aber wie ein schleichendes Gift zur verzehrenden Krankheit ausbricht, weil äußere Ver­hältnisse diesen Ausbruch begünstigten, so mussten auch für die verheerenden Hexenprozesse in Deutschland die Zustände aus der allgemeinen Rechtslage sich herausbilden und jene furchtbare Erscheinung möglich machen.

Populäre Darstellungen solcher Stoffe verfallen leicht in den Fehler der Oberflächlichkeit und Trivia­lität, während doch der gebildete Leser beanspruchen kann, dass ihm nur quellenmäßige Wahrheit, aber freilich nicht in unverdaulicher Form geboten werde. Dieser Anforderung suchen die folgenden Blätter ge­recht zu werden.

Stuttgart, April 1882, Dr. Oskar Wächter

Einleitung

Ohne Zweifel hat es seine Berechtigung, wenn man von der Herrlichkeit des Mittelalters, seinen erhabenen Werken der Kunst und seinen kraftvollen Männern und ihren Taten mit Bewunderung spricht. Wir staunen über die Bauten, die Kirchen und Klöster, die Burgen und den Schmuck der alten Städte, welche jene Zeit hervorgebracht, während sie doch an technischen Hilfsmitteln sehr arm gewesen und keine Ahnung hatte von den Maschinen und Erfindungen aller Art, womit wir heutzutage so leicht arbeiten. Wir fragen: Wie ist es möglich gewesen, damals und auf jener Stufe der Bildung, auf die wir herabzusehen gewohnt sind, solche Schöpfungen zu erstellen? Der große Künstler, welcher den gotischen Dom entwarf, der Maler, welcher unvergängliche Werke schuf, der Bildhauer, sie alle wurden damals wie heutzu­tage mit ihren hohen Anlagen geboren und suchten die Wege, sie auszubilden. Aber wie fanden sich die Tausende emsiger Hände, mit denen auch nur diese Steinmassen, deren es bedurfte, herbeigeschafft werden mussten? Schon diese Frage führt uns in eine Nachtseite des Mittelalters: die Leibeigenschaft, die Hörigkeit, die Frondienste, mit deren Aufgebot die stolzen Ritterburgen und manch andere Bauten unter tausendfachen Bedrückungen des armen Volkes sich erhoben.

Und doch war das nur ein kleiner Teil des Drucks, unter welchem unsere Vorfahren vielfach ge­halten wurden. Da und dort werden uns alte Türme gezeigt, Foltertürme, ausgestattet mit den ent­setzlichsten Werkzeugen, um den menschlichen Leib lang­sam zu zerfleischen. Dann wieder: Drudentürme, d. h. Hexentürme, in deren schauerlichen Verließen die unschuldigen Opfer des Aberglaubens schmachteten, Folter und Tod erwartend.

Aber verweilen wir zunächst noch bei den Ritter­burgen.

Wenn heutzutage dem Reisenden von kühnen Bergesgipfeln malerische Burgruinen winken und er sich in die Romantik der Ritterzeiten zurückträumt, so hat er meist keine Ahnung von dem Jam­mer und Elend, womit die übermütigen Adelsgeschlechter, welche auf jenen Burgen gehaust, Land und Volk umher in den Jahrhunderten des Faustrechts und der willkürlichen Fehden gequält haben. Ein kundiger Führer zu diesen Ruinen (Usener, Beiträge zu der Geschichte der Ritterburgen und Berg­schlösser in der Umgegend von Frankfurt a. M.) hat aus den Frankfurter Archiven über die Taten und Schicksale jener Geschlechter und Gauen anschauliche Mitteilungen gemacht. Da ist z. B. die Burg Eppstein, seit dem 12. Jahrhundert der Sitz mächtiger Dynasten. Die Eppsteiner hatten im Jahr 1410 eine Fehde mit dem Grafen Adolf von Nassau. Dieser verbrannte die Dörfer Delkenheim, Breckenheim, Oberweilbach, Niederweilbach und die Höfe Mechtelnshausen und Harzach. Die Eppsteiner vergalten es reichlich; sie verbrannten alle Orte um Wiesbaden, Kale, Mosbach, Schirstein, Bibrich, Neurade, Kloppheim, Erbenheim, Niederhaus, Michelbach, Breidhard, Strintz und andere.

Von den Schlossruinen in Vilbel (eine Meile von Frankfurt a. M.) wird berichtet, dass dort seit Anfang des 13. Jahrhunderts ein Rittergeschlecht blühte. Im Jahr 1399 hatten die Ritter von Vilbel ihre Burg befestigt und wussten von da aus Zoll und Weggeld zu erpressen und die Gegend unsicher zu machen, bis die Stadt Frankfurt mit ihren Verbündeten das Schloss eroberte und zer­störte. Doch wurde es wieder aufgebaut, und nun erscheinen die Herren von Vilbel als gefürchtete Wege­lagerer, die bald da, bald dort einen wehrlosen Kauf­mann berauben. Ein Bechtram von Vilbel, ein kühner, unruhiger Mann, wurde wegen seiner Räubereien, die er auf offener Straße verübte, von den Söldnern der Stadt Frankfurt endlich mit seinen zwei Knappen gefangen genommen and folgenden Tages, am 27. August 1420, hingerichtet. Auf der sogenannten Schütt vor dem Bockenheimer Tor war ein schwarzes Tuch hingebreitet, ein Kruzifix, zwei Lichter, Totenbahre und Sarg standen zur Seite. Dieses betrachtend und ohne sich die Augen verbinden zu lassen, wird Bechtram enthauptet. Die beiden Knappen wurden an gewöhnlicher Richtstätte hingerichtet. Aber die Fehden und Gewalttaten hatten ihren Fortgang. In einer solchen Fehde eines Hans Walbrunn gegen die Stadt Friedberg im Jahr 1448 wurden in dieser Stadt 600 Häuser niedergebrannt.

Eine andere in jener Reihe der fehdelustigen ist die Burg Reiffenberg in der Nähe des Feldbergs, des höchsten Gipfels am Höhegebirge (Taunus). Die Reiffenberger gehörten zu den ältesten und ange­sehensten Rittergeschlechtern der Gegend. Mit drei­fachen Mauern war die Burg umgeben und ihr Turm ragte wohl 30 Meter über den Fels em­por. Aber was erzählen diese Ruinen? Auch sie waren Zeuge von vielen Fehden, Wegelagerung und dergleichen. Namentlich haben die Ritter in ihren Fehden der Stadt Frankfurt manches Leid zugefügt. So wird berichtet: Walther von Reiffenberg trieb am 7. Juli 1406 den Frankfurtern 22 Hammel weg und beraubte die Messkaufleute; Philipp von Reiffenberg wurde am 24. Oktober 1410 der Stadt Feind und überfiel im Jahr 1411 zwei Bür­ger aus Frankfurt, die in eigenen Geschäften ritten, bei Kloppenheim und nahm ihnen das ihre. Zu gleicher Zeit nahm er zwischen Dortelweil und Gronau zwei Einwohner aus ersterem Ort gefangen, beraubte und brandschatzte sie. In Gronau verbrannte er das Frankfurter Eigentum usw. Erst im Jahr 1419 gelang es dem Erzbischof von Mainz, diese Fehde zu begleichen. Aber bald brachen die Zwistigkeiten von Neuem los. Die Ritter trieben der Stadt das Vieh weg, fingen Bürger und Knechte, plünder­ten, verbrannten ein Dorf. Dies alles geschah aus dem Schloss Reiffenberg.

Nicht weit von Reiffenberg erheben sich die Trümmer der Burg Hattstein. Schon im Jahr 1379 musste wegen der Übergriffe und Missetat, die aus der Festen Hatzstein und darin geschehen die Burg von den Städten Mainz, Frankfurt, Friedberg und mehreren Reichsfürsten von Landfriedens wegen belagert werden. Sie wurde erobert und die Hattsteiner verpflichteten sich, ihre Erben und Nach­kommen, dass aus Hattstein oder darin, auf Straßen, auf Wasser oder an Land kein geistlicher Mann, Pilgrim, Kaufmannschaft, Juden noch andere un­schädliche Leute nimmer sollen angegriffen oder geschädigt werden. Wer dagegen handelt, soll damit treulos, ehrlos, meineidig und in des Reichs Acht sein. Allein die Ritter setzten sich über alle Ver­träge und Landfrieden weg, versuchten fortan in Fehden ihr Heil, und kein Jahr verging mit ihnen in Ruhe. Aus der Burg Hattstein wurden ungescheut die gewohnten Räubereien fortgetrieben. Wieder­holt und im Jahr 1399 auf Befehl des Landvogts am Rhein wurde die Burg belagert. Während einer dieser Belagerungen wurde das Dorf Arnoldsheim geplündert, Kirche und Schule verbrannt. Steine Mittel, auch der Landfrieden nicht, waren hinreichend, dem Unwesen zu steuern. Besonders Frankfurt war den fortgesetzten Gewalttätigkeiten der Ritter aussetzt, die mit ihrer Raubsucht oft die ausgesuchtesten Grausamkeiten gegen wehrlose Gefangene verbanden. Wegen der fortgesetzten große viel und mancherlei Räuberei, Schinderei, Mord und Brände, von den Hattsteinern begangen, schritt der Rat der Stadt Frankfurt abermals zu Fehde und Belagerung, im Jahr 1429, doch ohne Erfolg. Das Unwesen wurde immerhin fortgetrieben: Klöster, Dörfer, Land und Leute empfanden die Raubsucht der Hattsteiner. Im Jahr 1430 fing Konrad von Hattstein einen wehr­losen Mann, brandschatzte ihn und warf ihn ins Gefängnis, wo er wahnsinnig wurde und starb. Einen Bürger von Assenheim misshandelte er auf gleiche Weise: Lebenslang blieb derselbe lahm. Einen anderen Mann, den Konrad der Junge fing, ließ er unter nichtigem Vorwand ermorden. Glaube, Recht und Treue schien in dem Geschlecht erloschen. Abermals verbündeten sich die benachbarten Fürsten und Städte im Jahr 1432 und sandten am 2. August bei Sonnenschein und schönem lichtem Tag die Fehdebriefe in die Feste, die sie am folgenden Morgen berennen und stürmen ließen und noch desselben Tages eroberten.

Diese Beispiele ritterlichen Treibens, welche Usener aus dem Umkreis weniger Meilen zusammenstellt, ließen sich durch zahllose ähnliche aus der Ge­schichte der Ritterburgen in allen deutschen Gauen vermehren, und welch unermessliche Last von Gewalt­tat und Elend ist von ihnen auf Tausende wehrloser Menschen gehäuft worden!

Während der arme Mann, wenn er auch nur einen kleinen Diebstahl verübte, am Galgen büßen musste und seine Verbrechen mit den grausamsten Strafen verfolgt wurden, wusste sich der mächtige Räuber, der Ritter, welcher, wie man es nannte, sich auf Reuterei verlegte oder vom Sattel oder vom Stegreif lebte, jeder gerichtlichen Ahndung zu entziehen. Da musste hie und da der Kaiser selbst einschreiten. So hat einst Rudolf I. auf einem Zug nach Thüringen 29 ritterliche Landfriedensbrecher aufknüpfen und 66 Raub­schlösser zerstören lassen und ebenso auf einem Zug nach Schwaben bei Calw fünf Raubschlösser zerstört. Aber im ganzen wurden nur selten solche Exempel statuiert. Denn der deutsche Kaiser, sehr häufig selbst in Kriegszüge oder Fehden verflochten, fand wenig Zeit und hatte meist nicht einmal die Macht, den Frieden im Land gegen solche Übergriffe des Ritterwesens zu wahren.

Dazu kam, dass die Fehde im Mittelalter auf einem allgemein anerkannten Recht beruhte, dessen Grenzen nur sehr vielfach weit überschritten wurden. Um dieses Fehderecht in seinem Wesen richtig aufzufassen, ist es nötig, auf die altgermanischen Rechtszustände zurückzublicken. Hier war der Staatsverband im Sinne des heutigen Staatsrechts noch gar nicht vorhanden, oder doch nur ein sehr mangelhafter. Es war zumeist dem Einzelnen überlassen, sich wegen erlittener Verletzung Genug­tuung zu verschaffen. Nur die Sitte, gestützt auf ihre Handhabung durch die Volksgenossen, schuf ge­wisse Ordnungen, welche späterhin auch dem geschrie­benen Recht, den Gesetzen, einverleibt wurden.

Nach dieser altgermanischen Auffassung hatte derjenige, welcher böswillig einen anderen verletzte, mit diesem den Frieden gebrochen, sich mit ihm in einen Kriegsstand gesetzt. Dabei hatte der Verletzte seine Familie und seine Freunde und Genossen zur Seite und sie hatten seiner sich anzunehmen. Sie konnten nun gegen den Friedbrecher Fehde erheben und in seinem Blut Genugtuung suchen und damit dem Verletzten wieder Frieden verschaffen. Doch galt dies Fehderecht nur bei wissentlicher Verletzung; wer bloß durch fahrlässige Handlung eines anderen ge­schädigt war, konnte in der Regel lediglich eine Geldbuße beanspruchen. Überdies war die Ausübung des Fehderechts noch an gewisse Schran­ken gebunden, so z. B. durfte in seinem Haus kein Befehdeter angegriffen oder verfolgt werden. Auch konnte der König dem Befehdeten seinen Königs­frieden erteilen und dadurch ihn gegen die Fehde schützen.

Verschieden von diesem altgermanischen ist das mittelalterliche Fehderecht, welches späterhin in seinen Ausartungen zum Faustrecht, zur Herrschaft roher Gewalt, geführt hat.

Als nämlich seit Karl dem Großen der Staatsverband überall ein festerer wurde, musste die Staatsgewalt sich auch als Strafgewalt entschiedener ausprägen. War doch die gesamte Rechtsordnung, die öffentliche Sicherheit und der allgemeine Frieden (im germanischen Sinn) durch ein schweres Ver­brechen, durch Brand, Raub, Mord, offene Gewalt­tat verletzt und daher nicht bloß der verletzte Ein­zelne, sondern der Staat selbst in der Lage, Genug­tuung zu fordern, eine Genugtuung, welche in öffentlicher körperlicher Strafe an Leib oder Leben des Missetäters bestehen musste. Dass der Staat gegen Verbrecher mit Strafe einzuschreiten habe, war zugleich eine Anforderung der Kirche, welche immer größere Macht auch in weltlichen Dingen erreichte; sie aber lehrte, dass die Obrigkeit das Schwert führen und damit Strafe gegen die Bösen vollziehen solle. Stets aber war das Einschreiten des Gerichts durch Klage vonseiten des Verletzten oder seiner Angehörigen bedingt.

Nun wäre es allerdings konsequent gewesen, das Fehderecht völlig abzuschaffen und jede Selbst­hilfe des Verletzten und seiner Genossen gesetzlich zu verbieten. Allein dem standen zwei Umstände ent­gegen. Noch war die altgermanische Anschauung im Volk mächtig, welche es zu den wichtigsten Rechten des freien Mannes zählte, sich wegen erlittener Ver­letzung selbst die Genugtuung zu nehmen. Sodann wäre ein Verbot der Fehde nur unter der Vor­aussetzung durchführbar gewesen, dass die Strafgewalt des Staats bei allen Verbrechen hätte einschreiten können. Dazu aber fühlte sich der Staat nach den damaligen Verhältnissen zu schwach. Häufig konnte der Verbrecher im Vertrauen auf seine und seiner Verbündeten Macht jeder richterlichen Ladung Trotz bieten und sich dem Vollzug des Urteils entziehen.

Es konnte sich also nur um Einschränkung und gesetzliche Regelung des Fehderechts handeln, zunächst in der Richtung, dass nur noch wegen schwerer Rechtsverletzungen Fehde erhoben werden durfte; solche Verbrechen hießen fortan Friedensbruchsachen. Die Reichsgesetze, in welchen bezüg­lichen Normen gegeben wurden, sind die sogenannten Landfrieden.

Aber die Gesetzgebung ging im Verlauf der Zeit noch weiter, und damit wurde die entscheidende Wendung vollzogen, an die Stelle des altgermanischen ein ganz anderer Grundsatz gestellt. Der Verletzte sollte zunächst den ordentlichen Richter angehen und auf dem Weg der Klage die Bestrafung des Verbrechers und eben damit seine Genugtuung für die erlittene Verletzung suchen. Die Strafen, welche in Anwendung kamen, waren meist überaus hart und grausam. Aber sie konnten in vielen Fällen nicht erkannt oder nicht vollzogen werden, weil das Ge­richt des Angeklagten nicht habhaft zu werden ver­mochte. Für solche Fälle nun mussten auch Kaiser und Reich ein Recht zur Selbsthilfe anerkennen und die Fehde zulassen. Konnte der Richter dem Ver­letzten nicht Recht schaffen, so durfte dieser sich selbst Genugtuung nehmen, und zwar auf dem Weg der Fehde. In diesem Fall, und nur in diesem Fall, war die Fehde eine rechtmäßige, ohne dass übri­gens fernerhin zwischen groben und leichten Rechts­verletzungen unterschieden worden wäre. Aber auch die rechtmäßige Fehde wurde an gewisse Formen und Beschränkungen gebunden, um teils die Lage des dadurch Bedrohten zu erleichtern, teils die öffent­liche Ruhe zu sichern. Es sollte dem Gegner – so forderte es ja schon der Grundsatz ritterlicher Ehre – Zeit gelassen werden, sich auf Gegenwehr zu rüsten, und Bedenkzeit, ob er nicht dem Verletzten Abfindung und anderweitige Genugtuung geben möchte. Es musste also der wirklichen Fehde eine Ansage vorhergehen. Diese geschah in einem Fehdebrief, den ein Bote bei Tag in die Wohnung des zu Befehdenden bringt. In dem Fehdebrief benennt der Fehdelustige seinen Gegner und sich und in der Regel auch den Grund der Fehde, erklärt, dass er des an­deren Feind sein wolle, und verwahrt seine Ehre wegen aller Folgen durch den offenen Absagebrief.

So bestimmt schon der Reichsabschied von Nürn­berg vom Jahr 1187: »Wir setzen auch und bestim­men durch dieses Edikt, dass, wer einem anderen Schaden zuzufügen und ihn zu verletzen beabsichtigt, ihm mindestens drei Tage vorher durch eine sichere Botschaft absagen soll. Würde der Verletzte in Ab­rede ziehen, dass ihm vorher abgesagt worden sei, so soll der Bote, wenn er noch lebt, schwören, dass er vonseiten seines Herrn zu bestimmter Stelle und Zeit abgesagt habe; ist der Bote tot, so soll der Herr in Verbindung mit zwei wahrhaften Männern schwö­ren, dass er ihm abgesagt habe.«

Der kaiserliche Landfriede von 1235 sagt: »Was auch jemanden widerfahre – dass er das nicht räche! Er klage es seinem Richter, es sei denn, dass er sich zur Not muss wehren seines Leibes und seines Gutes. Wer seine Klage aber anbringt, wird ihm nicht gerichtet, und muss er durch Not seinen Feinden widersagen, – das soll er tun bei Tage, und von dem Tage an bis an den vierten Tag soll er ihm keinen Schaden tun, weder an Leib noch an Gut; so hat er drei Tage Frieden.«

Endlich schrieb der Reichsabschied von 1442 vor: »Niemand soll dem anderen Schaden tun oder zufügen, er habe ihn denn zuvor zu gleichen billigen landläufigen Rechten (d. h. vor Gericht) erfordert (im Weg der Klage), und wenn ihm solches Recht vielleicht nicht so bald, wie er wollte oder begehrte, gedeihen oder widerfahren möchte, so soll er dennoch seinen Gegner nicht angreifen oder beschädigen, er habe denn vorher alles das völlig und ganz getan und vollbracht, was Kaiser Karls IV. goldene Bulle enthält und ausweist.«

Damit in Ausübung des Fehderechts nicht Aus­schreitungen zum Schaden von dritten Unbeteiligten und Störungen des allgemeinen Verkehrs vorkommen möchten, hatten gewisse Personen, Orte und Gegen­stände ihren besonderen Frieden und durften in keiner Weise aus Anlass einer Fehde geschädigt wer­den. Solchen Frieden hatten Geistliche, Pilger, Schwerkranke, Kaufleute und Fuhrleute, Winzer und Bauern mit ihren Geräten, Kirchen und Kirchhöfe.

Eine weitere Schranke in Ausübung des Fehderechts lag in dem von der Kirche eingeführten Gottesfrieden. Kraft desselben musste an gewissen Fest­tagen und in jeder Woche von Mittwochabend bis Montagfrüh jede Fehde ruhen. Dieser Gottesfrieden wurde allwöchentlich besonders eingeläutet. Wer ihn verletzte, fiel in den Kirchenbann, und wenn er sich aus diesem nicht in gewisser Frist lösen konnte, in die Reichsacht.

Wer nun gegen diese gesetzlichen Normen han­delte, wer Fehde begann, statt seine Sache vor Ge­richt zu bringen, oder in Ausübung des Fehderechts jene Schranken übertrat, der hatte den Frieden ge­brochen; er war Landfriedensbrecher und mit der Strafe des Stranges bedroht.

So lautete die gesetzliche Vorschrift. Aber ganz anders sah es im wirklichen Leben aus. Den deutschen Adel des Mittelalters beseelte eine unbän­dige Rauflust und die vielen Kriege nährten auch in anderen Kreisen die Neigung zu allerlei Gewalttat. Sehr oft diente das Fehderecht zum Vorwand, räuberische Absichten zu verfolgen. Viele Fehdebriefe aus jener Zeit erwähnen gar nicht eines besonderen Grundes der Fehde, sondern enthalten eben die nackte Erklärung, dass man des anderen Feind sein wolle. Selbst gegen wohldisziplinierte Reichsstädte, in denen doch gewiss Justiz zu erlangen war, wurden noch im 15. Jahrhundert Fehden begonnen. So lautet z. B. ein Fehdebrief an die Reichsstädte Ulm und Esslingen vom Jahr 1452 so: »Wisset Ihr Reichsstädte, dass ich Claus Dur von Sulz und ich Waidmann von Deckenpfronn, genannt Ganser, und ich Lienhard von Bercken, genannt Spring ins Feld, Euer und aller der Eurigen Feind sein wollen, von wegen des Junker Heinrich von Isenburg. Und wie sich die Feindschaft fürder macht, es sei Raub, Brand oder Totschlag, so wollen wir unsere Ehr mit diesem unserem offenen besiegelten Brief bewahrt han.«

Selbst wenn die Fehde einen rechtmäßigen An­fang hatte, musste sie bei der Rohheit der Zeiten leicht zu den gröbsten Gewalttaten führen. Denn nun wurden die Güter des Gegners verwüstet, seine Gutsangehörigen und Hintersassen vergewaltigt, und der arme Landmann musste mit seiner Haut die Händel seines Gutsherrn bezahlen. Dieser Letztere freilich nahm wieder Rache an den Besitzungen des Befehdenden – allein was gewannen dadurch seine armen Leute? Ein Markgraf rühmte sich einst, er habe in seinen Fehden 170 Dörfer verbrannt!

Besonders ein Umstand war es, wodurch die Fehden der allgemeinen Sicherheit höchst gefährlich wurden. Es galt für erlaubt, sich der rechtmäßigen Fehde eines anderen anzuschließen. Da gab es nun viele Raubritter von Handwerk und viele verdorbene Leute, welche sich stets bereitfinden ließen, auch die unge­rechteste Fehde zu unterstützen und bei dieser Ge­legenheit überall zu rauben und alle Gewalttat zu üben.

Diese Zustände eines allem Recht Hohn sprechen­den Faustrechts wurden in ganz Deutschland als eine wahre Landplage empfunden. Und doch währte solche Herrschaft roher Gewalt und kräftiger Fäuste bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts, nur wenig gezügelt durch den ritterlichen Sinn, durch einzelne energische Kaiser, durch den Einfluss der Kirche und durch die Entwicklung der Städte.

So war es einem Verbrecher nur gar zu leicht möglich, den Gerichten sich zu entziehen und sogar auch ihnen offen zu trotzen im Vertrauen auf seine Burg und auf seine und seiner Genossen Fäuste. Der Schwache und Wehrlose wurde unterdrückt und musste alle Unbill über sich ergehen lassen.

Inmitten dieser anscheinend unentwirrbaren Rechtlosigkeit und gegenüber der Ohnmacht fast aller Gerichte sehen wir in Westfalen einfache Volksgerichte, von Ungelehrten, meist Bauern besetzt, sich erheben, einen Hort des Rechts für jeden durch Verbrechen Geschädigten. Es sind dies die Femegerichte, welche bald mit unwiderstehlicher Macht ihrer Ladung und ihrem Richterspruch bis an die fernsten Grenzen des deutschen Reichs Geltung zu verschaffen wussten.

Immerhin aber war es ein ungesunder Zustand, wenn wegen Machtlosigkeit der einheimischen Gerichte der Freistuhl auf roter Erde auch von dem in an­deren Gauen des Reichs Verletzten angerufen werden musste. Es galt daher, das entartete Fehderecht völlig zu beseitigen. Dies geschah, zunächst noch auf dem Papier, auf wiederholtes Andringen der Reichsstände und Kaiser Maximilians I. im Jahr 1495 durch den sogenannten ewigen Land­frieden. Durch dieses Reichsgesetz wurde das Reichskammergericht, welches für Ordnung und Frieden im Reich sorgen sollte, neu organisiert, das Fehderecht ganz aufgehoben und jede Fehde bei Strafe des Landfriedensbruchs verboten. Aber noch lange Zeit wurde das Verbot übertreten, so dass es Sprichwort war: Man traue dem Landfrieden nicht.

Die Gerichte gelangten allmählich zu größerem Ansehen und ausreichender Machtstellung. Aber im Strafverfahren selbst vollzog sich eine tief ein­schneidende Änderung. Anstelle des alten Anklageverfahrens schritt man mehr und mehr von Amtswegen ein. Für diesen inquisitorischen Prozess bildete sich ein geheimes und schriftliches Ver­fahren. Den Beweis der Schuld suchte man vor­zugsweise durch Geständnis des Verdächtigen zu erbringen. Und hierbei geriet man auf die folgen­schwerste Beharrung, nämlich darauf, das Geständnis durch die Folter zu erpressen. In ihrer grauen­haftesten Ausbildung sehen wir die Folter Jahrhun­derte hindurch — in den Hexenprozessen gehandhabt.

Charakteristisch für die mittelalterlichen Zustände sind auch die schon oben berührten Strafarten in ihrer furchtbaren Mannigfaltigkeit. Auf eine sehr große Anzahl von Verbrechen war Todesstrafe gesetzt, und zwar nicht nur die einfache, durch Strang, Ertränken, Enthauptung, sondern in vielen Fällen eine geschärfte Todesstrafe: Rädern, Vierteilen, Pfählen, Verbrennen, Totsieden in Öl oder Wasser, lebendiges Begraben, Aushungern; ferner Todesstrafe mit vorhergehenden Schärfungen, wie Abhauen der Hand, Reißen mit glühenden Zangen. Vielfach fan­den Anwendung verstümmelnde Strafen der grau­samsten Art: Abhauen von Hand, Fuß, Abschneiden von Nase, Ohren, Lippen, Zunge; sodann Kerker in abscheulichen Löchern, mitunter lebenslang. Auf leichten Vergehen stand der sogenannte Staupenschlag d. h. Aushauen mit Ruten durch den Henker oder Züchtigung mit Stockstreichen. Als beschimpfende Strafe war der Pranger in Übung. Dabei herrschte bei den Gerichten, in Ermanglung eingehender Ge­setze, die größte Willkür in Erkennung und Vollzug der Strafen. Namentlich die Städte übten, um die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten, die grausamste Justiz, damit abschreckende Exempel statuiert würden und weil man meinte, gegen einen Verbrecher, als Feind des Gemeinwesens, sich alles erlauben zu dürfen.

Als endlich im Jahr 1532 ein Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich zustande kam, die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karl V., die sogenannte Carolina, fanden sich zwar die Gerichte in ihrer Willkür einigermaßen beschränkt, aber die grausamen Strafen und die Folter waren, wie es der Charakter jener Zeit mit sich brachte, auch in die Carolina übergegangen. Erst gegen Ende des 18. Jahrhun­derts trat in dieser Beziehung eine durchgreifende Reform ein.

In welcher Weise die mittelalterliche Justiz zu verfahren pflegte, darüber geben namentlich die schwarzen Register, Achtbücher und Blutbücher, welche in den meisten Städten ge­führt wurden, Auskunft. Das Achtbuch bezieht sich auf die Ausgewiesenen und Flüchtlinge. Es musste nämlich den Städten ganz besonders darum zu tun sein, schädlicher und unruhiger Leute loszuwerden. Sie wiesen sie deshalb aus, auf Zeit oder für immer; Letzteres entweder geradezu oder in der Form einer Zeit, welche der Ausgewiesene nicht über­leben konnte, z. B. auf 101 Jahre; und kamen Ausgewiesene vor der Zeit zurück, so wartete ihrer ohne Weiteres harte Strafe, gewöhnlich die Todesstrafe. Oft begnügten sich die Gerichte selbst bei schweren Verbrechen mit der Ausweisung; man war doch des Menschen los. Kam der Ausgewiesene unbefugt zurück, so konnte ihm schon deshalb wieder kurzer Prozess gemacht werden: Es ging ihm dann an den Hals. So sagt ein Statut der Stadt Köln vom Jahr 1437 von einem solchen, der aus der Stadt verwiesen wird: Kommt er wieder und ist es ein Mann, dem soll man sein Haupt abschlagen; ist es eine Frauens­person, die soll man lebendig begraben. Von einem solchen Verbrecher sagte man, er sei auf seinen Hals verzellt, d. h. er wurde ausgewiesen und, kam er zurück, hingerichtet. Um nun aber dem Ausgewiesenen, wenn er zurückkam, zu beweisen, dass er verzellt sei, legte man besondere Achtbücher an. In diese Achtbücher wurden die Ausgewiesenen, aber auch sonst Geächtete und Anrüchige eingetragen. In Koblenz wurde im Jahr 1317 ein Buch angelegt, in welches gröbere Verbrecher eingetragen werden sollten, um sie, wie es im Buch heißt, »vom guten Bürger unterscheiden und ihnen das, was sie ver­dienen, seinerzeit zukommen lassen zu können.« In diesem Buch wird nun der Verbrecher und sein Verbrechen kurz angeführt und bei denen, welche, wenn man sie ergreifen würde, der Todesstrafe gewärtig sein sollten, bloß ein Kreuz gemacht.

In dem Blutbuch von Basel steht unter dem Jahre 1353: »Zöpfler soll fünf Meilen von der Stadt nimmermehr sein wegen des bösen Leumunds, der auf ihm ist, und breche er es, so soll man ihn ohne Gnade ertränken.« Ferner: »Der Salzschreiber Konrad von Ulm soll ewiglich leisten (d. h. verbannt sein), und wenn er sich dennoch betreten lässt, so soll man ihm ohne Urteil das Haupt abschlagen.« Ferner: »Niklas soll ewiglich für eine Meile leisten (d. h. eine Meile weit verbannt sein), weil er falsche Gulden in die Stadt gebracht hat: Breche er das, so soll man ihn in einem Kessel sieden.«

Häufig führte man in den Blutbüchern ein fortlaufendes Verzeichnis aller vom Gericht gefällten Urteile, ein Verzeichnis, welches man wohl das schwarze Register nannte. Selbst für die­jenigen, die nur ein geringeres Verbrechen begangen hatten und mit leichter Strafe davonkamen, war es misslich, in einem solchen Register zu stehen, weil jeden, der in dem Register stand, oder der, wie man es auch ausdrückte, an den Brief gesetzt war, die Nachteile des Übelberüchtigten trafen, und es erklärt sich daraus wohl unser sprichwörtlicher Ausdruck: im schwarzen Register stehen. Mit diesem schwarzen Register wurde nicht selten grober Missbrauch getrieben, indem man wegen sehr geringer Vergehen leicht in dasselbe kommen konnte, und die Urkunden jener Zeit haben uns manche bittere Klagen einzelner Bürger darüber, dass sie wegen unbedeuten­der Veranlassung ins schwarze Register gesetzt und dadurch in Unglück gestürzt worden, aufbehalten.

In manchen Orten wurden besondere Register über besondere Verbrechen geführt, so z. B. in Basel im Jahr 1416 ein sogenanntes Totenbuch an­gelegt, in welcher jeder Meineidige und Eidbrüchige eingeschrieben werden sollte, »dass er ewiglich ein ver­worfener Mensch sei, aller Ehre und Ämter entsetzt, zu keinem Zeugen genommen und ein Jahr verwiesen sein soll.«

Jene Blutbücher nun geben über die Strafen, welche vom 13. bis zum 16. Jahrhundert in An­wendung kamen, sehr interessante Aufschlüsse. So findet sich in einem derartigen Buch, welches die Stadt Freiberg im Jahr 1423 anlegte, ein schwarzes Register von solchen, die auf ihren Hals verzellt wurden, d. h. in der Art in die Acht erklärt, dass, wenn man ihrer habhaft würde, sie unbedingt hingerichtet werden sollten, und dieses Verzellen auf den Hals kommt bei den verschiedensten Verbrechen vor, selbst bei sehr geringfügigen, bei solchen Übertretungen und Vergehen, die man heutzutage bloß polizeilich ahnden würde. So heißt es z. B. in jenem Buch: »Die Richter haben lassen verzellen Opatz Vogeler auf seinen Hals, darum, dass er freventlich Bier geschenkt hat, und da die Richter nach ihm sandten, da wollte er nicht kommen. Item die Richter lassen verzellen Himmelblau darum, dass zwei Messer bei ihm begriffen, und die doch verboten sind, auf seinen Hals.« Ferner: »Die Richter haben lassen verzellen Hans Rodenstock auf seinen Hals, darum, dass er bei Nacht auf der Gasse geschrien habe: ›Wasser her!‹, dass die Leute deswegen erschrocken sind und wollten meinen, es wäre Feuer.« Ferner: »Unsere Herren lassen verzellen Burkhardt Nickel darum, dass er ein brennendes Fass auf seinem Haupt vom Markt bis in die Weingasse getragen hat. Item meine Herren lassen verzellen den jungen Stroll darum, dass er am Karfreitag zu Wein gesessen und un­ziemliche Worte dort getrieben, auf seinen Hals.«

Die Blutbücher geben in schauerlicher Kürze Kunde von den erkannten und vollzogenen harten Strafen. Namentlich wurde die Todesstrafe sehr häufig mit grausamen Schärfungen in Anwendung gebracht. So finden wir die Strafe des Siedens (bei lebendigem Leib) bald in Öl, bald in Wein, bald in Wasser nicht selten erkannt und vollzogen; ebenso eine der härtesten Strafen: das Lebendig begraben und das Pfählen (wobei dem Ver­urteilten ein spitzer Pfahl ins Herz gestoßen wurde), oft noch mit Schärfungen, z. B. dass dem Gepfählten glühende Kohlen unter den Leib gelegt wurden. Be­sonders häufig finden sich diese Strafen, namentlich das Lebendig begraben, gegen Frauen angewendet, (auch mit der Schärfung, dass der Delinquentin eine Dornhecke auf ihren Leib gelegt und sie nun mit Erde be­schüttet werden soll) bei Verbrechen, auf welchen für Männer der Strang oder das Schwert gesetzt war. So setzt z. B. das Lübecker Recht vom Jahr 1266 fest, dass jede Frauensperson, welche einen mit dem Strang bedrohten Diebstahl begeht, lebendig begraben werde; und dass dieses Recht Jahrhunderte lang streng angewendet wurde, beweisen die Blutbücher von Lübeck. Urteile, wie folgendes, sind in denselben sehr häufig: »Anna Pipers, gebürtig von Wittenberg, hat bekannt, dass sie stahl einen Frauenrock, darum ist sie lebendig begraben unter dem Galgen.« Sogar nachdem im 16. Jahrhundert ein neues Lübecker Stadtrecht das Lebendig begraben überging und bestimmte, dass Weibspersonen wegen Diebstahls mit dem Schwert gerichtet werden sollen, findet es sich doch noch später in dem Blutbuch aus dem Jahre 1575 bis 1502, dass Weibspersonen lebendig begraben wurden.

Aus anderen Blutbüchern sieht man, wie diese Strafen allmählich abkamen. So heißt es in einem Nürnberger Blutbuch: »Als 1513 Meister Diepolt, der Henker, des Schellenklausen Tochter, eine Diebin, unter dem Galgen lebendig begraben sollte, hat sie sich so sehr gesträubt, dass sie sich die Haut an den Armen, Händen und Füßen so sehr aufgerissen habe, dass es den Henker sehr erbarmt und er den Rat gebeten, keine Weibsperson mehr also lebendig begraben zu lassen«; und wirklich wurde auch beschlossen, künftig die Weiber wegen Dieberei zu ertränken und ihnen etwa vorher die Ohren abzuschneiden, statt lebendig zu begraben. Bei diesem Ertränken der Weiber hat man es verschieden ge­halten. Gewöhnlich wurden sie in einen leinenen Sack gebunden und in diesem ins Wasser geworfen; an manchen Orten aber warf man sie frei ins Wasser und dies gab dann nicht selten Veranlassung, sie zu begnadigen, wenn sie sich aus dem Wasser wieder herauszubringen wussten. So wurde z. B. nach dem Blutbuch von Basel im Jahre 1602 eine Kinds­mörderin zum Ertränken verurteilt und in den Rhein geworfen. Sie kam aber lebendig bei dem Thomastor aus dem Wasser heraus und die Juristenfakultät erklärte nun, dass sie ihre Probe bestanden habe, und so wurde sie mit der Vermahnung, sich ehrlich zu halten, heimgeschickt. Nach demselben Blutbuch von 1634 ging es wieder ebenso bei einer Kindsmörderin, welche, als sie lebendig aus dem Wasser gezogen worden war, bei Strafe des Schwerts verwiesen wurde. Allein bei diesem Anlass gab der Rat die Verordnung, dass künftig dergleichen malefizische Weibspersonen nicht mehr mit dem Wasser, sondern mit dem Schwert hingerichtet werden sollten.

Die Blutbücher des 15. Jahrhunderts zeigen, wie man geringe Vergehen oft mit den härtesten Strafen zu ahnden pflegte. So wurden z. B. im Jahre 1456 in Nürnberg zwei Krämer, weil sie den Safran, den sie verkauften, gefälscht hatten, mit ihrer Ware lebendig verbrannt und ein Weib, das ihnen geholfen hatte, lebendig begraben.

Auch von den verstümmelnden Strafen, Hand abschlagen, Ohren abschneiden u. dergl., sind die Blutbücher jener Zeit voll. Oft wurden sie in ganz besonderer Weise erkannt. So verurteilte ein Hol­steinisches Gericht im Jahr 1466 einen Mann, der die Jungfrau Maria gelästert habe, dahin, dass man ihm seine Zunge auf den Block annageln soll, bis er sich selbst freimache. Ein ähnliches Urteil ent­hält das Blutbuch von Lübeck aus dem Jahre 1566. Es wurden zwei Männer, welche auf einen anderen bei Händeln das Messer gezückt hatten, verurteilt, dass ihnen durch ihre linke Hand ein Messer geschlagen werden soll, welches sie selbst ausreißen mögen, und sie dann aus der Stadt verwiesen werden sollen, nicht wiederzukommen, ohne der Obrigkeit Erlaub­nis, bei Strafe des Strangs.

Noch grauenvoller wird das Bild, wenn wir zugleich die peinliche Frage wirken sehen; z. B. eine Frau wird auf falschen Verdacht, ein Stück Silberzeug einem Kaufmann entwendet zu haben, hervorgerufen durch eine übelwollende Nachbarin und andere böse Zungen, in Haft genommen. Sie weiß nichts zu gestehen. Die Anwendung der Folter wird zulässig erkannt. Im Bewusstsein ihrer Unschuld übersteht sie die ersten Grade. Das Gericht will ein Resultat. Der Henker wird angewiesen, dass er der Verdächtigen schärfer zusetze. Endlich mit zerbrochenen Gliedern, ihrer nicht mehr mächtig, gesteht sie alles, was man von ihr wissen will: Sie kann nicht mehr. Das Urteil lautet: sie soll nach drei Tagen lebendig begraben werden. Wer kann die Schrecken dieser Todesart würdigen? Und welch entsetzliche Angst muss die Arme ausstehen! Es ist keine Rettung. Sie wird bei vollem Bewusstsein ohne Erbarmen lebendig begraben.

Dergleichen Beispiele von der Härte und Grau­samkeit mittelalterlicher Justiz ließen sich viele an­führen. Sie werden nun überboten durch die Schrecken der Hexenprozesse. Wie ganz anders, ein leuchtendes Vorbild echter Volksjustiz, erscheinen ihnen gegenüber die Femegerichte. Von beiden reden die folgenden Blätter.

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