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Oliver Kalkofe – Sieg der Blödigkeit

Oliver Kalkofe
Sieg der Blödigkeit
Ist die Vernunft noch zu retten?
Bitterböse Gesellschaftskritik von Satiriker und Comedian Oliver Kalkofe

Parodie, Hardcover, Knaur HC, München, 04. November 2024, 240 Seiten, 22,00 EUR, ISBN: 9783426560563, E-Book 18.99 EUR, ASIN: B0D191DR3Q

»Ein Hirn zu haben und es auch zu benutzen, ist keine Schande und schadet nicht einmal dem Klima.«

Wann genau hat sich der Verstand eigentlich in den Urlaub verabschiedet? Und wieso ist unser schönes Gehirn so eine verdammt faule Sau geworden? Wenn man das am rechten Rand immer lauter werdende politische Geschehen verfolgt, sich in sozialen Netzwerken bewegt oder die belanglos bumsbanalen Reality-Formate im TV anschaut, könnte einen die blanke Verzweiflung packen. Es scheint, als hätte die kollektive Blödigkeit endgültig gewonnen und der spießigen Vernunft lachend die Beine weggetreten.

Deutschland, Beginn der 1990er Jahre: Allerorten steht den meisten Menschen der Sinn nach Wandel, nach einem Aufbruch in bessere, friedlichere Zeiten, nach Progress und Einigkeit; dem Abschneiden veralteter Zöpfe. Wäre da nicht dieser unerwartete und unerwartet lebensechte Alptraum, den ausgerechnet einer der in Bälde beliebtesten und bekanntesten Vertreter aus dem Bereich Satire, Parodie und Komik erleidet. Eine Dystopie, auf die selbst ein Hieronymus Bosch neidisch wäre, bestehend aus kompakten Geräten, die ihre Besitzer mit bunten Bildern und Filmchen gleichermaßen hypnotisieren wie abhängig machen, einem Fernsehprogramm, das sich aus primitiven Begattungs-Shows generiert, einer sich in Rekordtempo verdoppelnden Weltbevölkerung, der es trotz allem an Fachkräften mangelt, den Resultaten blindwütiger Rohstoffausbeutung, der Rückkehr von Diktatoren und Autokraten … Sogar eine globale Pandemie findet ein hübsches Plätzchen. Ach, und über den amerikanischen Soziopathen mit peinlich falscher Bräune und Präsidentschaftsambitionen legen wir besser direkt den Mantel des Schweigens. Glaubt eh kein Mensch.

Leider blieb es nicht dabei. Ob Vision oder nicht, wahr oder unwahr – knapp drei Jahrzehnte später ist der Mist allzu wahr geworden und nicht nur Oliver Kalkhofe stellt sich in beängstigender Regelmäßigkeit die Frage: »Ist die Vernunft noch zu retten?«

Ein zu gewichtiges Thema, um es hilflos einem Sumpf aus debilen Dumpfbackenhumor auszuliefern. Würde ein Oliver Kalkhofe auch nie wagen. Dafür ist sein Humor zu smart-spitzzüngig und das frisch gewetzte Satire-Messer zu präzise. Zweifelsfrei, der Mann ist dieses Mal auf Kampf gebürstet und auf Gegenwehr eingestellt, doch anders als jene, die er in seinen neuesten Essays im Fadenkreuz hat, verliert er zwei Dinge nie: die eigene Menschlichkeit und eine treffsichere Schlagfertigkeit; womöglich die beiden effektivsten Waffen im – einsamen? – Windmühlenkampf gegen Verrohung und Verblödung. Sieg der Blödigkeit ist aber mehr als eine Aufzählung von Offensichtlichkeiten Marke Trump, Putin, Corona-Leugner, AfD-Wutbürger und Co. Es ist ein Rundumschlag, ein sich-Luft-verschaffen, weil einem die komplette Scheiße die Luft zum Atmen raubt und darum die ewig gestrigen Hassbratzen von rechts freilich was vor den Latz bekommen, allerdings auch so mancher übereifrige und künstlich aufgeblasen-übersensible Moralapostel, was für die selbsternannte linke Mediennutte und als Systemhure gescholtenen Autor in beiden Lagern keine Pluspunkte bescheren dürfte. Gleichwohl macht Kalkhofe deutlich, dass man nicht bei jeder erhobenen Faust direkt in den Ring steigen sollte. Sagen darf man ja sowieso nix mehr. Oder …? Waren halt bessere Zeiten, damals. Als es nur drei Fernsehkanäle gab, einmal wöchentlich Ein Colt für alle Fälle lief und jeder im Überfluss konsumierte, ohne dabei an Morgen oder die Enkelkinder zu denken. Die Folgen erlebt und erleidet man gegenwärtig stündlich: talentfreie Promis mit ausgeprägten Gottkomplexen, zweistelligen Intelligenzquotienten und ohne Rückgrate, eine Plage namens Influencer, die neue Lust an stumpfsinnig-sinnbefreitem Hass ohne Sachverhalt, da wissenschaftliche Erkenntnis und die schlichte Wahrheit von den alternativen Fakten in den Abgrund geschubst werden. Klimawandel? Umweltzerstörung? Lächerlich. Selbstredend vergisst Kalkofe bei dem massiven Dampf ablassen auch seinen alten Spielplatz nicht, auf dem er nach wie vor einer der Platzhirsche ist: die Flimmerkiste. Ob Werbung oder Sonntagabend-Krimi, ungeschoren bleiben auch die nicht. Mag Oliver Kalkofes neuntes Buch auch gelegentlich unter einer gewissen Einseitigkeit leiden, die die Lektüre bisweilen etwas erschwert, so ist Sieg der Blödigkeit dennoch alles andere als beliebig, zeigt es uns allen unterm Strich schließlich, dass wir nicht allein sind und bereits eine Person den Unterschied herstellen kann. In diesem Sinne: Hirne einschalten und benutzen!

(tsch)

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