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Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 1 – Der letzte Höhlenmensch – 7. Kapitel

Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 1
Der letzte Höhlenmensch
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901

Der Kampf mit den Farken

Ruhig ließ Richard die Farken herankommen, bis sie nur noch zwanzig Meter von dem Wasserbau entfernt waren. Dann trat er kurz entschlossen auf die Galerie und rief mit schallender Stimme: »Halt!«

Augenblicklich hielten die Boote, und auf den Gesichtern der Herannahenden konnte Richard lesen, von welcher Bestürzung sie ergriffen wurden, als sie aus der Wohnung der Toten solch eine fremdartige, unbekannte Erscheinung treten sahen.

»Maka – es ist die entflohene Maka!«, erklang da eine Stimme.

Das Mädchen mochte sich wohl am Fenster gezeigt haben.

»Ja, Maka ist bei mir«, nahm jetzt Richard das Wort, »Ich habe sie gerettet, denn ich will nicht, dass sie auf dem Opferaltar getötet wird, sie steht unter meinem Schutz.«

»Wer bist du?«, erscholl es zurück.

»Ich bin ein Gott«, entgegnete Richard unverzagt.

»Beweise es.«

Da schoss Richard sein Gewehr in die Luft ab. Doch der Schreck, den der Knall verursachte, war keineswegs bedeutend.

Sehr schnell hatten die Farken sich von ihm erholt und steckten nun die Köpfe zusammen und flüsterten.

»Welcher Gott bist du?«, fragte endlich der im ersten Boot stehende Krieger, der durch ein besonders langes Schwert ausgezeichnet war.

»Ich bin der Gott des Donners und des Blitzes.«

Das war sicher die beste Antwort gewesen.

»Und was verlangst du von uns?«

»Dass ihr sofort zurückkehrt, damit ich bis morgen Nacht ungestört mit Maka, die ich zu meiner Braut erkoren habe, hier verweilen kann.«

Wieder entstand ein Flüstern. Dann erhob sich in einem hinteren Boot ein in Purpur gekleideter Mann, mit einer spitzen Mütze auf dem Kopf, der wahrscheinlich ein Priester war, und rief laut: »Glaubt ihm nicht! Er ist ein Lügner! Wäre er auch der Gott des Blitzes, so ist er doch dem Sonnengott untergeordnet, und dieser will, dass Maka ihm geopfert wird. Doch er ist gar nicht ein Gott. Er ist ein Mensch wie wir, der nur …«

Da wurde der Priester plötzlich unterbrochen, denn ein Pfeil war ihm durch die Kehle gefahren, und gleichzeitig wurde Richard zurück ins Innere der Hütte gerissen, während unter einem allgemeinen Wutschrei ein Hagel von Pfeilen gegen die Hütte schwirrte.

Die Krieger hatten zu den Rudern gegriffen, das erste Boot schoss auf den Pfahlbau zu.

»Nun keine Schonung mehr«, schrie Richard, noch einmal kühn in die offene Tür springend, dann feuerte er zunächst die beiden Läufe des Gewehres nacheinander, und darauf den Revolver sechs Mal in das nächste Boot ab.

Das wirkte allerdings anders als die Behauptung, ein allmächtiger Gott zu sein. Fünf Männer stürzten tödlich getroffen auf den Boden des Kahnes nieder, und die anderen, die ihre Kameraden wimmernd und blutend liegen sahen, warfen sich entweder ins Wasser oder ruderten mit verzweifelter Anstrengung zurück, sodass die Boote sich aneinanderdrängten, zwei von ihnen umschlugen, und ein unbeschreibliches Durcheinander entstand.

Schnell hatte Richard Gewehr und Revolver wieder geladen. Er stand noch immer auf der Galerie, doch er hatte nichts mehr zu fürchten. Niemand spannte mehr den Bogen nach ihm, während Maka in die Reihen der Vernichter ihres Gottes Pfeil auf Pfeil mit tödlicher Sicherheit absandte.

Doch da legte jener hochgewachsene Häuptling einen Pfeil auf ihn an. Sofort berührte Richard den Stecher, ein Feuerstrom drang aus dem Gewehr und mit zerschmetterter Stirn brach der Mann zusammen.

Nun gab es kein Halten mehr, bis alle Farken wieder das Ufer erreicht hatten. Aber wenn auch die Bestürzung eine große war, so wurden doch auch nun noch drohende Fäuste zu dem Pfahlbau geschüttelt.

Mit gespannter Aufmerksamkeit beobachten Richard und Maka die Vorgänge am Ufer. Bald wurde ihnen klar, was man dort beabsichtigte; man bereitete einen regelrechten Angriff vor, und zwar hielten diesmal alle Krieger, die in die Boote stiegen, große Schilde vor sich.

»Oho, ihr glaubt wohl, ich habe euch vorhin nur treffen können, weil ihr euch nicht mit Schilden decktet?«, sagte Richard, das Gewehr in Anschlag bringend. »Nein, ich glaube nicht, dass der Bronzeschild, der gar nicht so schwer zu sein scheint, einer Spitzkugel widersteht, und Ihr braucht nicht erst heranzurudern, damit ich euch das beweisen kann.«

Er zielte auf einen noch am Ufer stehenden Mann, der am Arm einen Schild trug, und sofort nach dem Knall brach dieser zusammen. Wieder entstand eine unbeschreibliche Aufregung, die schon abgesandten Boote ruderten eiligst zurück, und auch die anderen entfernten sich hastig vom Ufer, um erst in einiger Entfernung wieder Halt zu machen. Die weite Tragkraft dieser unsichtbaren Pfeile musste diese Naturmenschen in furchtbare Bestürzung versetzen.

»Siehst du, Maka, wir sind doch Herren der Situation«, triumphierte Richard. »Nun bin ich gespannt, was sie weiter unternehmen werden. Oder wollen wir jetzt an unseren Rückzug durch das Wasser nach der anderen Seite hin denken? Die Farken werden uns nicht mehr zu hindern wagen.«

»Du vergisst die Wölfe, Richard.«

In der Tat, eben jetzt wurde ein Rudel der wilden Hunde an Stricken herbeigeführt. Was hatte man mit diesen vor? Auf den Pfahlbau konnten sie doch nicht klettern.

»Aha, da kommt ein Abgesandter des Friedens, er will unterhandeln«, rief Richard plötzlich.

Und so schien es wirklich. Ein Priester in roter Kleidung bestieg ein von zwei Sklaven gerudertes Boot und schwang einen grünen Zweig, der auch schon damals als ein Zeichen des Friedens galt.

»Hüte dich vor ihm«, warnte Maka. »Die Rundköpfe sind listig und betrügerisch.«

»Ich werde mich nicht täuschen lassen, bleibe du in der Hütte und beobachte ihn mit einem Pfeil auf dem Bogen.«

Richard stellte das Gewehr in die Hütte, behielt aber den leicht zu verbergenden Revolver bei sich und trat wieder auf die Galerie.

»Halt!«, gebot er. »Was willst du?«

»Ich bin der Oberpriester der Kolonie Farkolitz und komme, dich zu fragen, ob du ein Gott bist, der dem Blitz befiehlt, oder ein Mensch, der mit einer wunderbaren Schleuder unter Feuer Sterne zu schleudern versteht.«

»Ich bin ein Mensch«, erwiderte Richard nach kurzer Überlegung, denn es gefiel ihm wenig, sich für einen Gott auszugeben.

»So biete ich dir die Gastfreundschaft unserer Kolonie an und sichere dir und deiner Begleiterin vollständige Freiheit zu, wenn du uns lehrst, wie man solche feuerspeienden Schleudern herstellt und sie benutzt.«

»Traue ihm nicht«, raunte da Maka Richard zu, »was ein Rundkopf verspricht, ist Lug und Trug.«

Doch der Priester fuhr fort: »Glaube dem Mädchen nicht. Du kannst dir denken, wie wertvoll uns solch eine Schleuder wäre. Wir werden nicht so unklug sein, dich zu töten, wenn wir von dir ihre Anwendung erlernen könnten.«

»Aber hinterher!«

»Wir stellen Geiseln. Karak ist entkommen, rufe ihn, er soll mich als Geisel mitnehmen.«

Wahrhaftig, das musste überlegt werden, und schon hörte Richard nicht mehr auf die unausgesetzte Warnung und das Flehen Makas.

»Verrat! Verrat!«, schrie da mit einem Mal eine Stimme in weiter Ferne. »Wendet euch um! Wendet euch um!«

Richard warf einen Blick zur Seite – dort kam Karak über die Felder gestürmt. Doch dann sprang Richard zurück, von hinten näherten sich nämlich zwei Boote dem Pfahlbau, deren eines mit Kriegern besetzt war, während in dem anderen auf einer Bronzeplatte ein großes Feuer brannte.

Einige Schuss genügten, um das erste Boot mit mehreren Toten eilig zurückrudern zu lassen; das mit dem Feuer wurde durchlöchert und sank schnell, und ein Pfeilschuss Makas tötete den hinterlistigen Priester, der ihre und Richards Aufmerksamkeit von der anderen Seite hatte ablenken wollen.

In wenigen Sekunden waren sie wieder von ihren Bedrängern befreit und wandten sich der Richtung zu, von der Karak aus dem Wald kam. Sein Schicksal schien besiegelt zu sein. Die Farken hielten es gar nicht einmal für nötig, auf ihn zuzueilen, sie ließen nur die Wölfe los.

Aber Karak, der nur noch hundert Meter vom Teich entfernt war, kehrte nicht um, mäßigte nicht seinen Lauf, sondern erweiterte noch seine mächtigen Sätze. Was sollte das bedeuten? Warum lief er den Wölfen, die vielleicht fünfzig Stück an der Zahl waren, direkt entgegen? Er suchte offenbar seinen Tod. Er schwang nicht einmal die Steinaxt. Nun stieß er mit den Vordersten zusammen. Da – duckte er sich im Lauf, flog wie ein Ball in ungeheurem Satz über das ganze Rudel hinweg, und ehe noch die erste der wilden Bestien ihren Lauf hemmen und umkehren konnte, hatte Karak schon das Wasser erreicht.

Ein Hurra nach dem anderen jubelnd, schoss Richard nun teils nach den Farken, die Miene machten, in die Nähe des Flüchtlings zu kommen, um ihn mit Pfeilen zu spicken, teils nach den schwimmenden Köpfen der Wölfe. Karak aber floh nicht weiter; bis an die Brust im Wasser stehend, drückte er, wenn ihn ein Wolf erreichte, diesen gemächlich unter und ließ ihn ersaufen, und erst als die Wölfe, die von ihren Herren zurückgerufen wurden, in Reihen ankamen, schwamm er auf den Pfahlbau zu.

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