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Aus den Geheimakten des Welt-Detektivs – Band 7 – 6. Kapitel

Aus den Geheimakten des Weltdetektivs
Band 7
Die Spürnase des Oberkellners
6. Kapitel

Ein rachsüchtiges Weib

Harry Taxon hatte einige Stunden bleiernen Schla­fes genossen, als er plötzlich erschrocken auffuhr. Das Telefon hatte, wie es ihm im Schlaf schien, in der ihm bekannten Meise geklingelt – er wusste, dass sein Meister mit ihm sprechen wollte.

»Hier Harry!«, rief er, noch mit etwas schlaftrunkener Stimme. »Sind Sie es, Meister?«

»Ist Mr. Sherlock Holmes zu Hause?«, fragte eine fremde Stimme zurück.

»Nein!«, brummte Harry ärgerlich, dass er für den erstbesten Fremden so aus den Federn gestürzt war.

»Nun, wann wird er denn zu Hause sein? Ich muss ihn unbedingt sprechen.«

»Wer ist das: Ich?«

»Der Name tut ja nichts zur Sache. Genug, dass es sich um einen wichtigen Fall handelt.«

»Sherlock Holmes ist selbst mit einem so wichtigen Fall beschäftigt, dass er zurzeit schwerlich irgendeinen anderen übernehmen wird.«

»O, ich weiß«, sagte die fremde Stimme, die plötzlich Harry nicht mehr so ganz unbekannt schien, »er arbeitet ja wohl in der Malcolm’schen Affäre. Die Mühe könnte er sich eigentlich sparen, denn alle Welt ist doch davon überzeugt, dass niemand anderes als der Diener Peter die Tat begangen haben kann.«

»Schluss!«, rief Harry Taxon wütend über den Klugsprecher am Telefon.

Er hängte den Hörer auf und machte in fieberhafter Eile Toilette.

Es war ihm eingefallen, wem die Stimme, die da gesprochen hatte, gehörte – kein anderer als der kleine Herr mit dem blonden Schnurrbart von gestern Abend hatte soeben erfahren wollen, ob Sherlock Holmes in der Tat in der Malcolm’schen Sache tätig war.

»Wenn die Hunde dies merken, werden sie noch mehr als vorher auf der Hut sein!«, flüsterte Harry zu sich selbst. »Ich werde machen, dass ich wieder in das Hotel komme, sonst fliegt mir der Vogel noch aus, ehe-wir ihn haben!«

Eine halbe Stunde später trat der schlanke Page wieder seinen Dienst in der Halle des Hotels an.

Er hörte, dass Mr. Lovell allerdings für heute seine Rechnung bestellt habe, dass er aber vorläufig noch an­wesend sei.

»Halten Sie ihn denn für den Mörder?«, fragte der Direktor Harry.

Dieser zuckte die Achseln.

»Ich kenne Mr. Sherlock Holmes’ Meinung nicht.«

»Aber ich bitte Sie, wenn auch nur ein dringender Verdacht auf ihm ruht, warum lassen Sie ihn nicht vor allem festnehmen?«

Harry schüttelte den Kopf.

»Weil mehrere Schuldige hier im Spiel sind. Wenn wir den einen verhaften, entkommt vielleicht sogleich der zweite, da er gewarnt wäre. Lassen Sie nur Mr. Holmes ungestört. Sein Spiel ist oft undurchdringlich, aber stets unfehlbar.«

Gegen neun Uhr trat auch der Herr Oberkellner wieder seine Dienste an. In seiner Begleitung befand sich ein Stab von Beamten, die er alle dem Hoteldirektor vorstellte mit dem Verlangen, dass man ihnen in jeder Beziehung freie Hand lassen solle.

Einer von ihnen wurde beim Lift, je ein anderer bei den Ausgängen angestellt. Ein Dritter kam vor die Türen von Zimmer 27 und 28 als Wache, die indessen auch misstrauischen Beobachtern nicht auffallen konnten, denn alle waren sie in unscheinbares Zivil gekleidet und glichen einfachen Reisenden.

»Ich werde nur beim Servieren des Frühstücks noch zu­gegen sein«, flüsterte Sherlock Holmes Harry zu, »und dann muss ich fort. Heute müsste ich eigentlich an drei Orten zugleich arbeiten, aber da das nicht angeht, hoffe ich, dass wir beide, du und ich, die Verbrecher dennoch allein entlarven werden.«

»Sagen Sie mir nur eines, Mr. Holmes, wen hal­ten Sie für den Schuldigen?«

»Einen vorläufig noch Unbekannten, mein Sohn. Ich glaube, dass ich ihn unter den fahrenden Leuten ent­decken werde, denn in diesen Bereich weisen alle Spuren hin. Es handelt sich darum, einen Athleten, Jongleur, kurz, einen Artisten irgendwelcher Art aufzufinden, der schmale, spitze Finger hat – noch dazu Finger, die an jeder der beiden Hände verschieden sind. Wüsste ich nur erst, wer der sogenannte Graf ist, mit dem gestern unsere verehrten Herrschaften zusammen waren.«

»Ich glaube, sie werden heute wieder zusammen sein, denn ich hörte, dass Lovell beim Abschied zu dem Blonden sagte: Auf morgen!«

»Desto besser. Nun halte die Augen offen, Harry. Du weißt, wie viel mir gerade diesmal an erfolgreicher Arbeit gelegen ist.«

»Jawohl«, dachte Harry, »das weiß ich, lieber Mei­ster. So ist es ja immer, wenn du ohne Lohn arbeitest, wenn dein Herz oder dein wissenschaftliches Interesse allein beteiligt sind, dann bist du am eifrigsten. Aber sieh da – was will denn Lord Malcolm hier?«

In der Tat erschien soeben der Lord in der Halle und begab sich in das Büro. Harry folgte ihm un­auffällig.

Lord Malcolm fragte, ob Miss Brewer von Paris ein Zimmer bestellt habe, und wann die Dame eintreffe.

»Von Paris aus«, antwortete man ihm, »sind nur von einem Baron Balliéres Zimmer bestellt.«

»Schon recht, das sind sie. Baron Balliéres ist ein Verwandter der Dame.«

»Über die Zeit der Ankunft wissen wir leider gar nichts. Die Zimmer sind schon seit drei Tagen reserviert.«

»Miss Brewer kommt heute wohl noch«, sagte der Lord. »Ich habe Nachrichten darüber. Wenn sie eintrifft, so geben Sie ihr bitte diesen Brief und bestellen Sie, dass ich augenblicklich nicht in der Lage sei, persönlich herzukommen.«

Raum hatte der Lord das Hotel verlassen, als der Oberkellner in das Büro trat.

»Bitte, überlassen Sie mir für zehn Minuten den Brief, den soeben Lord Malcolm abgegeben hat, Herr Direktor!«

»Aber Mr. Holmes, das geht wohl nicht an. Ich darf doch nicht das Briefgeheimnis verletzen lassen – der Lord kommt wohl bei Ihren Forschungen kaum in Betracht!«

»Wie können Sie das wissen, Herr Direktor?«, fragte sehr ruhig der Detektiv. Und seine klaren Augen brannten so bedeutsam, dass der andere den Brief zögernd aus dem Glasschrank herausnahm und ihn ihm hinreichte.

»Ich brauche nicht einmal zehn Minuten«, sagte Sherlock Holmes. »Kann ich einige Augenblicke allein in Ihrem Privatkontor bleiben?«

»Bitte sehr. Alles steht Ihnen zur Verfügung.«

Gleich darauf saß der Detektiv vor dem Schreibtisch des Direktors; aus der Tasche holte er eine winzige Spritze, die eine nadelfeine Röhre hatte, und die er unter den Umschlag des Briefkuverts schob.

Ein seitlicher Druck trieb einen haarfeinen Luftstrom unter die gummierten Streifen und löste sie mit wunderbarer Leichtigkeit los.

Das Kuvert öffnete sich und der Brief wurde entfaltet.

Liebe Freundin, lautete er, wie du gehört haben wirst, ist meine Gattin auf eine fürchterliche Weise ums Leben gekommen. Man hat sie erwürgt! Ich bin nicht imstande, dich bei deiner diesmaligen Anwesenheit in London zu sehen. Du kannst dir denken, wie er schüttert ich bin. Ich bitte dich aber, wenn du mir irgend­einen Aufschluss geben kannst, wer die schändliche Tatvollbracht haben mag, es so schnell wie möglich zu tun. Du weißt, dass du die Erste und Einzige warst, die mich aufklärte über den Verrat, den mir Mary antat – über die Tote lass uns aber jetzt nicht reden. Steht der Schurke, der ihr jene Briefe schrieb, vielleicht in Verbindung mit der Tat, so will ich es wissen – es wird dann immer noch bei mir stehen, ob ich ihn verfolgen und dadurch meine Schande offenbaren lassen oder ob ich den Schleier des Geheimnisses über alles Geschehene fallen lassen will.

Gib mir Nachricht, sobald du angelangt bist.

Henry.

Sherlock Holmes stieß einen langen, leisen Pfiff aus.

»So!«, murmelte er. »Also die schöne Ellen Brewer steckt doch dahinter! Nun wollen wir sehen, was sie antworten wird!«

Bei diesen Worten befeuchtete er vorsichtig mit einem Schwämmchen vom Schreibtisch des Direktors das Kuvert und klebte es wieder zu.

»Es ist doch besser«, sprach er sarkastisch, »wenn weder der Herr Direktor noch sonst jemand sieht, wie leicht mein selbsterfundenes Instrumentchen Briefe öff­net. Es könnte sonst leicht kommen, dass auch noch andere Fremde ihre Briefe voreilig durchflogen bekämen – jeder dürfte nicht einen so unpersönlichen Zweck dabei verfolgen wie ich!«

Er händigte den Brief im Büro wieder aus und sagte: »Ich werde, sobald Miss Brewer eingetroffen ist, eine andere Funktion übernehmen müssen, wahrschein­lich werde ich Zimmerkellner werden – die Nummern 26, 27 und 28 zu bedienen, wird mir ein ganz besonderes Vergnügen sein.«

Noch während er sprach, wurde draußen die große Empfangsglocke geläutet. Miss Brewer war angekommen.

Eine junonische Erscheinung mit einem auffallend schönen Kopf, der von rabenschwarzem Haar umrahmt war, trat in etwas hochmütiger Haltung in die Halle.

Sie ging am Arm eines älteren, unscheinbar aussehenden Herrn, der sich als Baron Balliéres vorstellte.

»Ich habe ein Zimmer mit Badezimmer für diese Dame bestellt«, sagte er. »Ist es bereit?«

»Gewiss, Herr Baron. Im ersten Stock haben wir es seit drei Tagen reserviert.«

Im Lift fuhren die Neuangekommenen hinauf, während der bisherige Oberkellner sich schnell in seinem Zimmer in einen jugendlichen Ganymed mit braunem Schnurrbärtchen und kleinem Seitenbärtchen verwandelte. Es störte durchaus nicht, dass dieser junge Zimmerkellner quer über der Nase eine Narbe hatte, die eben dieses edle Organ ein wenig entstellte – dafür aber auch jede auch nur annähernde Ähnlichkeit mit dem Herrn Oberkellner gänzlich verwischte.

»Ich bin müde von der Reise, Onkel«, sprach Ellen Brewer zu ihrem Begleiter. »Es war sehr freundlich von dir, mich von der Bahn abzuholen, aber nun möchte ich wirklich bis zum Abend ganz allein bleiben.«

»Ganz wie du willst, liebes Kind«, erwiderte der Baron fast demütig.

Er verabschiedete sich, und der mit kleinem Hand­gepäck im Zimmer anwesende Kellner notierte sich in Ge­danken, dass soeben die Nichte gesagt hatte, der Baron habe sie vom Bahnhof abgeholt. Demnach war dieser schon in London anwesend, während sie noch in Paris war.

Hatte er selbst das Telegramm noch von dort abgeschickt oder war es von Ellen abgeschickt worden? Wenn dies, warum hatte sie nicht mit ihrem eigenen Namen unterzeichnet?«

Er hatte keine Zeit, lange zu überlegen, denn die junge Dame setzte ihn sofort für sich in Bewegung.

»Bringen Sie mir Whiskey, aber den besten, den Sie haben«, befahl sie. »Dazu Zigaretten. Und fragen Sie, ob Briefe oder Bestellungen für mich eingegangen sind.«

Wenige Minuten darauf überreichte ihr Sherlock Holmes den Brief des Lords. Er stellte den Whiskey und die Zigaretten auf dem Tisch bereit und beobachtete dabei ihre Miene.

Sie riss hastig den Brief auf und überflog ihn.

Da sie inzwischen längst aus den Zeitungen von dem Mord gewusst hatte, so verriet sich keine besondere Überraschung in ihren Zügen.

Sie ließ das Blatt in den Schoß sinken und starrte eine Weile vor sich nieder.

Da der Kellner sich merkwürdig lange bei seinen Handreichungen aufhielt, fuhr sie endlich ungeduldig auf: »Kellner, so sputen Sie sich doch endlich! Ich wünsche ungestört zu bleiben – bitte, bestellen Sie auch unten, dass ich unter keinen Umständen irgendwelchen Besuch annehme.«

»Sehr wohl, gnädiges Fräulein!«

Sherlock Holmes verschwand. Draußen im Gang blieb er eine Weile horchend stehen; allein, nichts rührte sich, und er musste annehmen, dass in der Tat die schöne Miss Ellen sich zur Ruhe niedergelegt habe. Wie erstaunt war er daher, als er plötzlich hörte, wie drinnen in Nummer 27 Möbel gerückt wurden, und bald darauf zwei Stimmen miteinander sprachen.

»Aha! Schön Ellen konferiert mit jemand – mir war es doch gleich, als ob ihre große Müdigkeit nur eine Ausflucht wäre! Aber nun will ich dafür sorgen, dass sie keine Geheimnisse miteinander besprechen kön­nen – wenigstens keine, die nicht Sherlock Holmes teilt!«

Mit einer katzenartigen Bewegung verschwand er in einem winzigen, dunklen Kabinett, wo nur Besen und der­gleichen aufbewahrt wurden.

Hier hatte er im Laufe des gestrigen Tages ein so großes Loch in die Wand gebohrt, dass er das ganze Zimmer Nummer 26 genau überblicken und auch hören konnte, was darin vorging.

Er hatte richtig spekuliert. Die beiden Menschen dort drinnen glaubten sich völlig sicher und unbeobachtet, denn sie wussten ja, dass dieses Zimmer das letzte im Gange war. Die Nummer 28 auf der anderen Seite war von Elvira bewohnt, und diese erfreute sich eines so gesunden Schlafes, dass sie auch jetzt noch nicht von ihrem Morgenschlummer erwacht war.

»Nun, Kleiner«, sprach Ellen in einem vertraulichen Ton zu Lovell, der gewaltig abstach gegen den vor­nehmen, kühlen Klang ihrer sonstigen Sprechweise, »ich muss sagen, ihr habt ja sehr gründlich gearbeitet! Wie ist denn die Sache zugegangen?«

»Da fragst du mich zu viel!«, rief Lovell, der soeben die prachtvolle Gestalt Ellens in seine Arme nahm. »Ich weiß nur, dass Tiny sie erwürgte …«

»Tiny allein? Hat ihm nicht Elvira dabei geholfen?«

»O nein, was denkst du! Elvira war es zwar, die uns stets das Geld von der törichten Marie verschaffte, hat das Letzte besorgt. Er allein hatte ja auch die Kräfte und die Ursache dazu!«

»Wieso? Ursache hätte keiner von euch dazu, sollte ich meinen! Und keiner hat auch den Auftrag dazu er­halten.«

Lovell lachte spöttisch auf.

»So – pfeifst du jetzt aus dem Loch? Das ist dumm von dir, Ellen! Du hast es deutlich genug aus­gesprochen, dass du froh und dankbar wärst, wenn Lord Mal…«

»Still! Sprich keine Namen aus! Man kann nie­mals wissen, ob nicht doch Lauscher in der Nähe sind.«

Und Ellen öffnete ihre Tür und steckte den Kopf in den Gang hinaus. Da sie aber dort alles still und leer fand, zog sie sich beruhigt wieder zurück.

»Ich will dir ein für alle Mal meine Meinung sa­gen«, sprach sie mit harter Stimme. »Ich leugne nicht, dass ich Mary gehasst habe …, wie sollte ich nicht, da sie mir den Geliebten geraubt hatte – Henry war mein, bevor er sich in Mary Tamanio vernarrte! Diese blonde Heuchlerin nahm ihn mir fort – niemals habe ich das vergessen und verwunden. Hätte sie ihn nicht gefangen, so würde er mich geheiratet haben!«

Finster blitzten noch in der Erinnerung an jene ver­gangenen Zeiten Ellens Augen. Lovell streichelte ihre Wangen und sprach: »Denke doch nicht mehr daran, Kindchen! Du bist sie ja nun los …«

»Und denkst du, ich würde je mein Ziel erreichen? Ich sage dir, ich bin ferner als je davon – vorhin erst erhielt ich einen Brief von Henry, in dem er mir ganz gelassen mitteilt, dass er jetzt nicht für mich zu haben sei! Und dabei muss doch dieser Mann überzeugt von der Untreue seiner Frau sein! Die Briefe …«

Lovell lachte laut auf.

»Ja, diese Briefe!« rief er. »Sie waren genug, um jedem Mann den Kopf heiß zu machen!«

Auch Ellen lachte, es war ein wahrhaft dä­monisches, leises Lachen, mit dem sie murmelte: »Waren sie etwa nicht echt, die Briefe?«

»Wer sagt das? Natürlich waren sie echt!«

Und beide lachten nun zusammen, sodass der Lauscher in dem kleinen Kabinett am liebsten hineingestürzt wäre und den beiden an den Hals zu springen.

Er verhielt sich indessen mit angehaltenem Atem still, in der Hoffnung, dass er nun gleich die Lösung des Briefrätsels hören werde.

Darin täuschte er sich.

Ellen fuhr plötzlich in die Höhe und rief: »In deinem Zimmer rührt sich etwas. Ist vielleicht Elvira drinnen?«

Lovell sah nach und kehrte dann zurück.

»Du hast dich geirrt, niemand ist dort, Elvira schläft wohl noch. Sie ist so selig über ihre Perlen gewesen. Du weißt, sie waren der versprochene Lohn für die letzte Abzapfung, die sie an Lady Mary vornehmen sollte und auch wirklich vorgenommen hat.«

»Bah, Elvira ist ebenfalls furchtbar dumm!«, rief Ellen verächtlich. »Sie hätte ja mit dem ganzen Geld durchbrennen können, anstatt es euch auszuliefern! Und stattdessen begnügt sie sich mit einer Perlenschnur! Übrigens, wie ich dich kenne, mein Lieber, wirst du deine Kasse nicht allzu sehr angestrengt haben, he?«

Bei diesen Worten nahm sie Lovell beim Kinn und hob sein Gesicht in die Höhe.

»Nein, du kluges, entzückendes Wunderweib!« rief er. »Das habe ich allerdings nicht getan, was soll Elvira mit echten Perlen, von denen sie doch nichts versteht! Auf deinen königlichen Nacken allein gehören solche …«

Er konnte nicht weiterreden.

Ein Wutschrei erscholl aus dem anderen Zimmer, und Elvira, die sich dort hinter einem Vorhang verborgen gehalten hatte, stürzte wie eine Wahnsinnige herein.

Ihre Haare umflatterten sie, sie trug ein loses Ge­wand, mit dem sie sich offenbar eben erst aus dem Bett erhoben hatte, und ihr Gesicht war entstellt von rasen­dem Zorn.

»Schuft!«, schrie sie, indem sie mit erhobenen Fäusten auf Lovell zustürzte. »Ich habe alles gehört. In­famer Betrüger, elender Verräter – das sollst du büßen!«

In ihrer blinden Wut verwickelte sie sich in eine Falte ihres Gewandes und stolperte darüber.

Das war Lovells Glück.

Er flüchtete – in diesem Augenblick nichts weniger als ein Held – aus dem Zimmer auf den Gang hinaus.

Elvira, besinnungslos vor Rachedurst, folgte ihm, und Ellen benutzte den Augenblick, um ihre beiden Türen fest zu verriegeln und zu verschließen.

Dann sank sie halb erschrocken und halb lachend auf einen Stuhl und rief: »O weh, Lovell, wie wird es dir jetzt ergehen!«

Dasselbe dachte auch Sherlock Holmes in seinem Versteck. Und da er für den Augenblick hier nicht mehr erspähen konnte, so verließ er das Kabinett und kam ge­rade in dem Moment auf den Gang hinaus, in welchem Elvira vergebens versuchte, Einlass in Nummer 27 zu be­kommen.

Lovell hatte sein schützendes Zimmer erreicht und es ebenfalls von innen verschlossen, natürlich auch gegen Elviras Zimmer hin.

Diese, die in ihrem sonderbaren Aufzug nicht länger im Gang verweilen konnte, musste wohl oder übel ihr eigenes Gemach aufsuchen, und man hörte draußen, wie sie vergeblich gegen Lovells Tür klopfte und schließlich donnerte.

»So!«, murmelte Sherlock Holmes. »Dies ist das Beste, was mir begegnen konnte! Jetzt sind die Gauner unter sich entzweit, und mein Weizen blüht! Wenn mich nicht alles täuscht, so wird der tapfere Lovell nun so schleunig wie möglich die Flucht ergreifen. Ihm soll Harry folgen, und inzwischen werde ich die beiden Damen im Auge behalten. Vielleicht gelingt es mir, durch sie auf die Spur jenes Tiny zu kommen, von dem ich nun bestimmt weiß, dass er allein der Mörder war. Und vielleicht findet man dann endlich auch eine Spur von dem so unbegreiflich verschwundenen Peter!«

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