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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel IX, Teil 3

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel IX, Teil 3

Einige Minuten später ließen sich die infernalischen Reisenden in den Umgebungen von Al-Quitschi-Ouatschi nieder und begaben sich in diese Stadt. Bevor sie jedoch dieselbe betraten, teilte Asmodi seinem Schützling noch einiges über die Regierung, Verwal­tung und Verfassung dieses sonderbaren Staates mit.

»Soweit Sonne und Mond die ewig rollende Erde bescheinen«, sprach er, »ist noch nie ein kurioseres Machwerk, dafür bestimmt, Staaten zu regieren, als wie die Konstitution von Al-Quitschi-Ouatschi an das Tageslicht gekommen. Unter jahrelangen Wehen und Bauch­grummeln kam diese tolle Missgeburt eines klassischen Unsinns, die­ses Monstrum der Untauglichkeit und Nichtswürdigkeit endlich durch den Kaiserschnitt eines verschmitzten Advokaten, wobei ein Priester Hebammen- und ein weiser Ratsmann Helfersdienste versahen, zur Welt und lieferte neun Zehntteile der ganzen Bevölkerung dem letzten herrsch- und ämtersüchtigen Zehntteil, meistens aus sehr einsichtsvollen Ignoranten bestehend, in die Hände. Ja, neun Zehnteile der edlen Quitschi-Quatscher sind durch dieses konstitutionelle Meisterwerk des Unsinns, der Willkür und Tyrannei im Kleinen, einer unwissenden Familienaristokratie, deren Vettern, Basen und sonstigem Anhang auf das Unverantwortlichste preisgegeben. Ich sage auf das Unverantwortlichste, denn wer hier einmal in Amt und Würde (?) steht, weiß von keiner Verantwor­tung mehr, und vom ersten Regierenden bis zum letzten Rats- oder Gerichtsdiener herab wäscht recht fleißig eine Hand die an­dere. Diese Musterrepublik wird durch drei Kammern oder Beratungskörper regiert und verwaltet; aus der ersten Kammer, die wieder in drei Abteilungen zerfällt, von denen die Beisitzer der ersten die Schmuli, die der zweiten die Schumli und die der dritten Abteilung die Schawellen genannt werden, und alle drei zusammen eine Art Souveränität oder Rat formieren, dessen Mitglieder auf Lebenszeit ernannt und wohlgemästet sind, werden aus den beiden ersten Abteilungen der Schmuli und Schumli alljährlich zwei hochweise Männer zu Bimbus erwählt, eine Art Parodie punischer Suffeten oder römischer Consuln, die, da sie keine Heere zu befehligen haben, aus demselben Grund aus dem eine gewisse Stadt keine Kanonen bei der Ankunft ihres Souveräns lösen konnte, häufig dem Säckel der löblichen Bürgerschaft den Krieg erklären und den Dank ihrer Kollegen, die sich alle Hoff­nung auf eine einjährige einträgliche Bimbusstelle machen, auf große Nachsicht bei ihrem einjährigen Regiment zählen können. Die Republik liefert ihnen sogar eine kostenfreie Equipage, die sie jedoch nach dem abgelaufenen Bimbusjahr zu ihrem großen Leid­wesen wieder an ihre Nachfolger abliefern müssen, ebenso wie Schildwache und Schilderhaus mit dem Glockenschlag Mitternacht des abgelaufenen Jahres von dem Haus des jetzt abgesetzten zu dem des neuen Bimbus wandern müssen; nur ein Paar blinde ge­löschte Laternen, welche ebenfalls der Staat auf seine Kosten dem neuen Bimbus an das Haus befestigen lässt, wahrscheinlich damit er heller sehen möge, die aber wenn Mondschein ist oder dem Kalender nach doch sein sollte, niemals angezündet werden, blei­ben zum ewigen Andenken an die einjährige, aber meistens wohl benutzte, sei es auch nur dem Repotismus zu Gefallen, Bimbusherrlichkeit übrig, und mit Stolz erinnern sich Enkel und Urenkel noch daran, dass einer ihrer Vorfahren hochgebietender Bimbus war, und zeigen dabei auf die rostigen Laternen.

In dieser ersten Kammer sitzt ein Dutzend jener Herren, welche das Holz sind, aus denen man die Bimbus zuschnitzt, auf brei­ten hochgepolsterten, zum Ruhen recht bequemen Armsesseln. Auch das zweite Dutzend hat nicht minder bequeme Faulstühle, aber das dritte, das außer seiner Ratswürde auch noch sonst allerlei ehr­liches Gewerbe wie die Nähnadel, das Schlachtmesser, den Back­trog etc. in Bewegung setzt, hat nur gut gepolsterte Bänke, und wird deshalb auch häufig El-Babis, id est Drittbänker genannt; andere legen ihnen etwas maliziös den Namen Schmi-Schmar, d. h. Jaherrn bei, eine Benennung, die ihren Ursprung von dem häufigen Gebrauch, den die guten Leute von der Silbe Ja machen, haben soll; außer dieser und den Worten: ›Ganz wie der regierende Herr Bimbus‹, die sie regelmäßig bei Abstimmungen ertönen las­sen, hört man selten ein Wort in dem Heiligtum des Ratssaals aus ihrem Mund gehen, dagegen läuft es ihnen desto besser außer­halb desselben vom Maul, besonders in den Erholungsstunden bei den Schoppen, wo man über die Wundertaten, welche diese erste Kammer des Staates nach den Aussagen der Schawellen fortwäh­rend verrichtet, erstaunen muss, wenn sich schon von den Wirkun­gen derselben nichts verspüren lässt.«

In diesem Augenblick kamen die beiden Kumpane an dem Bockstor von Quitschi-Quatschi an, wo sie sahen und hörten, wie ein sich gewaltig in die Brust werfendes Männlein eine arme Schild­wache der Quitschi-Quatscher Stadtmiliz herunterhunzte, und zwar mit folgenden Worten:

»Kerl, warum hat er nicht das Gewehr präsentiert und die Wacht herausgerufen? Weiß er nicht, dass ich der zweite regierende Bimbus bin?«

»Ich weiß halt kein Wort davon.«

»Was, das untersteht er sich mir unter die hochbimbusische Nase zu sagen, seinen hohen Souverän nicht zu kennen, ihn soll ja der Teufel! Ruf er seinen Sergenten heraus!«

»Sergent heraus!«

Der Sergent stürzt zur Wache heraus, stolpert und fällt den langen Weg vor den Bimbus hin.

»No no, das ist zu viel Respekt, soviel verlange Ich nicht, steh er auf!«, ließ sich nun der Bimbus vernehmen.

Der Sergent raffte sich auf und stotterte: »Verzeihen Ewr. Magnifizenz der Herr Bimbus, der große Eifer Ewr. Magnifizenz dienstwilligst zu … zu … zu …«

»Schon gut, er hat aber seine Wacht schlecht instruiert. Der Kerl, der da Schildwacht hält, hat die Wacht nicht bei meiner Er­scheinung herausgerufen, sogar nicht das Gewehr vor mir präsentiert, ja er weiß nicht einmal, dass ich sein wohlregierender Bimbus bin.«

»Verzeihen Ewr. Magnifizenz, der Bursche ist erst seit drei Tagen bei unserer 300 Mann starken Armee angeworben, und da hat er noch nicht das Glück gehabt, die regierenden Herrn Bim­bus zu sehen und kennenzulernen. Indessen habe ich ihm doch die verehrungswürdigen, hoch ansehnlichen Personalitäten unserer wohlregierenden Herrn deutlich beschrieben, und er hätte sich die Ausgezeichnetheit derselben merken können.«

»Ja, das hätte er gekonnt, da Er sie ihm gehörig beschrie­ben hat; damit der Kerl künftig besser aufpassen und seine Schul­digkeit tun lernt, lass er ihm fünfundzwanzig aufzählen, wenn er abgelöst ist.«

Der Sergent nahm den Bimbus beiseite und sagte: »Ich fürchte nur, Herr Bimbus, dass der Kerl dann desertiert. Sie wis­sen, sie laufen oft im Dutzend bei uns davon, wenn sie ihr Hand­geld und ihre Kleidungsstücke empfangen haben.«

»Das tut nichts«, erwiderte der Bimbus, »besser so ein Kerl desertiert, als dass er den uns schuldigen Respekt aus den Augen setzt.«

»Wie Ewr. Magnifizenz befiehlt.«

Der Soldat musste aber etwas von dieser geheimen Unterhal­tung gemerkt haben, denn er desertierte, noch bevor die Wache abgelöst wurde, ging über die Grenze in das dreihundert Schritte entfernte Bocksheim und leerte einen Schoppen auf das Wohl der Republik Quitschi-Quatschi.

»Das geht ja ganz kurios hier zu«, meinte Michel.

»O Geduld, du wirst noch dein blaues Wunder erleben«, versetzte Asmodi.

Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, als man auf einmal den Bimbus ganz gewaltig schreien und einen großen Hund noch gewaltiger bellen hörte.

»Zu Hilfe, ei so kommt mir doch zu Hilfe!«, rief Erste­rer mit überlauter Stimme, und der Hund bellte mit ihm um die Wette.

Michel sah sich um und erblickte einen Hund, der an dem Vorderteil eines Milchschiebkarrens zog, den ein Landmann nachschob, und den Bimbus so anbellte.

»So helft doch«, rief dieser wiederholt, »das infame Biest wird euren geehrten Bimbus noch zerreißen!«

Endlich sprangen einige Quitschi-Quatscher hinzu und brach­ten den Hund mithilfe seines Herrn zur Ruhe und zum Schweigen.

Nun erholte sich der geängstigte Bimbus von seinem Schrecken wieder, der nach und nach in einen sich immer steigernden Zorn überging. Endlich donnerte der entrüstete Wohlregierende: »Ins Loch mit Hund und Bauer! Beide müssen exemplarisch bestraft werden den; Ersteren kann man ohne Weiteres totstechen, der andere soll mir die Majestätsverletzung teuer bezahlen.«

Beide Delinquenten wurden sofort von einigen herbeigeeilten Quatscher-Schergen abgeführt.

Bald nach dieser Begebenheit erschien eine Verordnung, die befahl, dass jeder einem Karren vorgespannte Hund, sobald er das Quatscher-Gebiet betrete, ohne weiteres gespießt werden solle, sowie dass dessen Herrn fünfundzwanzig erhalten und sämtliche Kosten tragen sollen.

»Das geht ja hier recht lustig zu«, bemerkte Michel abermals.

»Das sind Kindereien«, meinte Asmodi, »du wirst noch ganz andere Dinge hier sehen. Heute ist gerade eine große Sitzung der zweiten Kammer, in welcher höchst merkwürdige Motionen vor­kommen und Anträge gemacht werden. Dieser müssen wir beiwoh­nen, doch hat es noch ein paar Stunden Zeit, und ich kann dir einstweilen einige andere Merkwürdigkeiten von Al-Quitschi -Quatschi zeigen, die, wenn auch nicht gerade sehenswert, doch wenigstens wissenswert sind.«

Der Teufel und Michel verloren sich nun in das Innere der seltsamen Stadt, deren Häuser nicht, wie es in den anderen Städten von ganz Thumbindschin gebräuchlich ist, mit Nummern be­zeichnet sind, die in jeder Straße mit 1 beginnen und so der Reihe nach fortlaufend mit der Nummer enden, welche die Häuserzahl erfordert, sondern alle Häuser sind mit Buchstaben und Num­mern nach den 24 Quartieren dieser Stadt bezeichnet, die aber wie Kraut und Rüben, d. h. die Quartiere durcheinander geworfen sind, sodass man aus dem Quartier A sich auf einmal mitten ins Quartier Z versetzt findet, dann kommt wieder ein Stück vom Quartier A, dann eins von M, dann zehn Häuser, die zu L ge­hören, dann zwanzig von E usw., sodass kein kleines Stu­dium dazu gehört, sich in dieser chaotisch-architektonischen Verwir­rung zurechtzufinden, wodurch nicht selten sonderbare Irrungen entstehen, die besonders dem Fremden viel zu schaffen machen, der große Mühe hat, sich zurechtzufinden. Auch haben schon mehr­mals vernünftigere Quitschi-Quatscher daraus angetragen, berich­tete Asmodi, diesem Unwesen abzuhelfen und die Häuser wie allenthalben per Straße fortlaufend zu nummerieren; aber das war in den Wind und zu tauben Ohren gesprochen. Man entgegnete in den hochweisen Kammern: Dies alles sei so ganz in der Ordnung, dass die Großväter, Ur- und Ururgroßväter sich bei dieser Hausnummerordnung vollkommen wohl befunden hätten, es also keiner solchen Neuerung bedürfe, dass sich die Quatscher-Kinder sehr vor­trefflich zurechtzufinden wüssten und die Fremden zusehen möch­ten, wie sie zurechtkämen, dass eine solche Umschreibung eine un­geheure Mühe, Arbeit und Kosten verursachen würde; und dabei blieb es. »Man gefällt sich zu wohl in dem alten Mist«, sagte Asmodi, »als dass man ihn fegen möchte, und dann hat es auch sonst so allerlei Bewandtnis nebenbei. Wenn indessen ein Napoleon oder Dschingis-Khan käme und den Schmuli, Schumli und Schawellen samt den beiden Bimbus das Lebenslicht auszublasen oder auch nur den Herrn die Säckel zu leeren oder fünfundzwanzig aufzählen zu lassen drohte, wenn keine zweckmäßigere Häusernummerierung in dreimal 24 Stunden eingeführt wäre, so würde das schwere, ja nach der Versicherung einiger Schmuli und Schumli ganz unmögliche Geschäft wohl schon in zweimal 24 Stunden beendet sein, denn es fehlt in dieser Republik wahrhaftig weder an Schreibergesellen noch auf Kosten des Staates gutgemästete Tagediebe. Es sind so viel Angestellte und Beamte vorhanden, dass man ein ganzes Königreich damit versehen könnte, wenn sie anders dazu tauglich wären und auch außer dem Schoppen leeren und spazieren schlenkern etwas verstünden. So ein Tyrann und ab­soluter Despot hat doch auch manchmal sein Gutes«, meinte der Teufel.

»Aber du hast mir ja noch nichts von den beiden anderen Kammern dieser Republik gesagt, was hat es denn damit für eine Bewandtnis?«

»In der zweiten Kammer sitzen wieder die Hälfte der Mit­glieder der ersten Kammer sowie beinahe die Hälfte der Mitglie­der der dritten! Und der Rest dieser Kammer besteht größtenteils aus Vettern, Freunden, lieben Bekannten und nahen Anverwandten der Schmuli, Schumli und Schawellen, sodass es eine wahrhaft rührende Freude ist, die herzinnige Eintracht dieser drei Kammern zu sehen, die nur selten einmal durch einen unartigen ausgearteten Quatscher, dem Gott weiß was für ein Zufall in dieser zweiten Kammer, die Kammer der Schlimmiehle genannt, Sitz und Stimme verlieh, unterbrochen wird. Ihre Bestimmung ist hauptsächlich über das Gesetzwesen zu wachen sowie alle von der ersten Kammer an sie gelangende Anträge gutzuheißen usw. Die dritte Kammer, die, wie gesagt, fast aus der Hälfte der Schlimmiehlen und zur größeren Hälfte aus mit diesen und den Mitgliedern der ersten Kammer befreundeten Bürgern besteht, soll eine Art Prüfungskammer repräsentieren, ihre Mitglieder werden Pentachorden ge­nannt, und manche derselben sind hauptsächlich wegen der Virtuo­sität, die sie im Weinprüfen besitzen, berühmt und berüchtigt. Sie sollen aber hauptsächlich die Rechte und Gerechtsame der ehrwürdi­gen Bürgerschaft wahren, und haben das Recht, Anträge, welche zum Heil derselben ersprießlich sind, zu machen, die jedoch auf die unendlich lange Bank hinauszuschieben oder gar als ungeschehen zu betrachten die erste Kammer mithilfe ihrer in der zweiten sitzenden Mitglieder alle Mittel in Händen hat, und so all diese Rechte und Gerechtsame illusorisch machen kann, da ohnehin die ganze Verwaltung und Justiz des Staates von ihr geleitet wird.

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