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Catherine Parr Band 1 – Kapitel 7 Teil 2

Luise Mühlbach
Catherine Parr
Erstes Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851

VII.

Vater und Tochter Teil 2

Lass uns also zuerst von seinen Frauen sprechen. Ihr Leben und Sterben bietet durchaus herrliche Fingerzeige für dich dar; denn ich leugne dir nicht, es ist nicht ohne Schwierigkeit und ohne Gefahr, Heinrichs Gemahlin zu sein! Es bedarf dazu sehr viel persönlichen Mutes und einer sehr großen Kalt­blütigkeit! Weißt du, wer diese von allen seinen Frauen zumeist besaß? Das war seine erste Gemahlin, Katharina von Aragon! Das war bei Gott eine kluge Frau und eine geborene Königin! Heinrich würde, so geizig er immer ist, mit Freuden den besten Edelstein aus seiner Krone dafür gegeben haben, wenn er irgendeinen Schatten, die leiseste Spur einer Untreue an ihr hätte entdecken können! Aber es gab durchaus kein Mittel, diese Frau auf das Schafott zu führen und sie durch Gift zu besei­tigen, dazu war er zu feige und zu tugendhaft! Er ertrug sie daher so lange, als sie noch nicht zu alt war, um seinen lüsternen Augen Freude machen zu können. Aber nachdem er siebenzehn Jahre mit ihr verheiratet gewesen war, wandelten den guten, frommen König plötzlich die Gewissensskrupel an, und weil er in der Bibel gelesen hatte, du sollst deine Schwester nicht heiraten, überkam diesen erhabenen und schlauen Monarchen eine fürchterliche Gewissensangst! Er fiel nieder auf seine Knie und zerschlug sich die Brust und schrie: ›Ich habe eine große Sünde begangen; denn ich habe das Weib meines Bruders, also meine Schwester, geheiratet! Aber ich will wiedergutmachen! Ich will diese verbrecherische Ehe lösen!‹ Weißt du, Kind, weshalb er sie lösen wollte?«

»Weil er Lady Anne Boleyn liebte!«, sagte Jane lächelnd.

»Ganz richtig! Katharina war alt geworden, und der König war immer noch ein junger Mann, und sein Blut schoss wie Feuerströme durch seine Adern! Aber er war noch ein wenig tugendhaft, und schüchtern, und die Haupteigenschaft seines ganzen Charakters war noch unentwickelt! Er war noch nicht blut­gierig, das macht, er hatte noch kein Blut geleckt! Aber du sollst sehen, wie bei jeder neuen Königin seine Blutgier sich steigerte, bis sie endlich nun zu einer verzehrenden Krankheit geworden ist! Wäre er da­mals schon gewesen, was er heute ist, so würde er irgendeinen Verleumder gedungen haben, welcher ausgesagt hätte, er sei Katharinas Liebhaber gewesen! Aber er war noch so unschuldig, er wollte noch auf ganz legale Weise seine verliebten Gelüste befriedigen. Anne Boleyn musste also seine Gemahlin werden, da­mit er sie lieben könne! Und um dies zu erreichen, warf er der ganzen Welt den Fehdehandschuh bin, wurde er der Feind des Papstes und lehnte sich in offenem Widerstand gegen das heilige Oberhaupt der Kirche auf! Weil der Heilige Vater seine Ehe nicht trennen wollte, wurde König Heinrich zu einem Ab­trünnigen und Gottesleugner! Er machte sich selbst zum Oberhaupt seiner Kirche, und kraft dieser Eigen­schaft erklärte er seine Ehe mit Katharina von Aragon für ungültig! Er sagte, er habe nicht innerlich seine Einwilligung zu dieser Vermählung gegeben, und sie sei deshalb eigentlich gar nicht vollzogen worden! Es ist wahr, Katharina hatte in der Prinzessin Mary einen lebenden Zeugen ihrer vollzogenen Ehe! Aber was kümmerte das den verliebten und eigensin­nigen König! Prinzessin Mary wurde für einen Bastard erklärt, und die Königin sollte nun weiter nichts mehr sein als die Witwe des Prinzen von Wales! Es war jedermann streng verboten, diese Frau, welche während siebenzehn Jahren seine Königin gewesen, noch länger mit diesem Titel zu bezeichnen oder ihr die einer Königin gebührenden Ehren zu bezeigen! Nie­mand durfte sie anders nennen als Prinzessin von Wales, und damit nichts das gute Volk und die edle Königin selbst in dieser Illusion störe, wurde Katharina vom Hof verbannt und in das Schloss exiliert, welches sie einst als Gemahlin des Prinzen Arthur von Wales bewohnt hatte. Auch gab ihr Heinrich nur den Hof­staat und das Jahrgeld, welches das Gesetz der Witwe des Prinzen von Wales bestimmt! Ich habe dies immer für eine der klügsten und feinsten Taten unseres erhabenen Königs gehalten, und in dieser ganzen Ehescheidungsgeschichte hat sich der König mit einer bewunderungswürdigen Konsequenz und Entschlossenheit benommen. Aber das macht: Er war durch Widerstand gereizt worden! Merke dir also dies, mein Kind, denn dies ist der Grund, warum ich mit dir so ausführlich von diesen Dingen gesprochen habe, merke dir also: König Heinrich ist durchaus nicht fähig, irgendeinen Widerspruch zu ertragen oder einem Zwang sich zu unterwerfen! Wenn man ihn also für eine Sache gewinnen will, so muss man ihm dieselbe zu entziehen suchen; so muss man sie mit Schwierigkeiten und Hindernissen umgeben! Zeige dich also spröde und gleichgültig, das wird ihn reizen, suche nie seine Blicke, dann wird er wünschen, den deinen zu begegnen, und wenn er dich endlich liebt, sprich solange von deiner Tugend und deinem Gewissen, bis Heinrich endlich, um dein Gewissen zu beruhigen, diese lästige Catherine Parr auf das Blutgerüst schickt, oder es macht, wie er es mit Katharina von Aragon gemacht hatte, indem er erklärt, dass er innerlich nicht seine Zustimmung zu dieser Vermählung gegeben, und Catherine daher nicht Königin, sondern nur die Witwe des Lord Revilles sei! Ah, seit er sich zum Oberpriester seiner Kirche gemacht hat, gibt es für ihn in solchen Dingen gar kein Hindernis mehr, denn nur Gott ist mächtiger als er!

Das beweist diese schöne Anne Boleyn, Heinrichs zweite Gemahlin! Ich habe sie oft gesehen, und ich sage dir, Jane, sie war von einer wunderbaren Schön­heit, und wer sie ansah, der musste sie lieben, und wem sie lächelte, der fühlte sich wie bezaubert und verklärt! Als sie dem König die Prinzessin Elisabeth gebar, hörte ich ihn sagen: Jetzt stehe er auf dem Gipfel seines Glückes, am Ziel seiner Wünsche, denn die Königin habe ihn eine Tochter geboren und damit sei seinem Thron eine rechtmäßige und legitime Nach­folgerin gegeben! Aber dieses Glück dauerte indessen nur kurze Zeit!

Der König, welcher geglaubt hatte, dass Anne Boleyn die schönste Frau sei, musste, als die Leiden­schaft ihm nicht mehr die Augen verblendete, doch er­kennen, dass es noch schönere Frauen an seinem Hof gäbe, die also noch mehr berufen seien, Königin von England zu werden! Er hatte Jane Seymour gesehen, und Jane war ohne Zweifel schöner als Anna Boleyn, denn sie war noch nicht des Königs Gemahlin, und es setzte sich ihrem Besitz ein Hindernis entgegen, die Königin Anne Boleyn!

Dieses Hindernis musste beseitigt werden! Heinrich hätte sich nun, kraft seiner Machtvollkommenheit wieder von seiner Gemahlin scheiden lassen können, aber er wollte sich nicht wiederholen, er wollte immer Origi­nal sein; und niemand sollte sagen dürfen, dass seine Ehescheidungen nur der Deckmantel seiner wankelmütigen Liebesgelüste seien!

Von Katharina von Aragon hatte er sich scheiden lassen aus Gewissensskrupeln, für Anne Boleyn musste daher ein anderes Mittel ersonnen werden!

Der kürzeste Weg, um ihrer ledig zu werden, war das Schafott! Warum sollte Anne ihn nicht gehen, da so viele vor ihr ihn gegangen waren. Denn es war ein neues Moment in des Königs Leben ge­treten: Der Tiger hatte Blut geleckt! Seine Triebe waren erwacht, und er schreckte nicht mehr zurück vor diesen purpurroten Bächen, welche in den Adern seiner Untertanen flössen! Er hatte der Lady Anne Boleyn einen königlichen Purpurmantel gegeben, weshalb sollte sie ihm also nicht ihr purpurrotes Blut geben? Dazu bedurfte es nur eines, nur eines Vorwandes! Und der war bald gefunden! Lady Rochfort war Jane Seymours Tante, und sie fand einige Männer, von denen sie behauptete, sie seien die Liebhaber der schönen Anne Boleyn gewesen. Sie, als die erste Kammerdame der Königin, konnte darüber allerdings die genauesten Aufschlüsse geben, und der König glaubte ihr! Er glaubte ihr, obwohl diese vier angeblichen Liebhaber der Königin, welche man zur Strafe ihres Verbrechens hinrichtete, noch mit Aus­nahme eines Einzigen, auf dem Blutgerüst beteuerten, dass Anne Boleyn unschuldig sei, und sie niemals in ihre Nähe gekommen seien! Der Einzige, welcher die Königin eines Liebesverhältnisses mit ihm beschul­digte, war James Smeaton, ein Musiker. Aber man hatte ihm für dieses Bekenntnis das Leben versprochen. Indessen hielt man es nicht für geraten, dieses Ver­sprechen zu erfüllen, denn man fürchtete, er möchte, mit der Königin konfrontiert, nicht die Kraft haben, seine Behauptung aufrechtzuerhalten. Um aber nicht ganz undankbar zu sein für sein nützliches Bekenntnis, erzeigte man ihm die Gnade, ihn nicht mit dem Beil hinzurichten, sondern ihm die angenehmere und leichtere Todesart des Aufhängens zu gewähren!

Die schöne und liebliche Anne Boleyn musste also ihr Haupt auf den Block legen! An dem Tag, an welchem dies geschah, hatte der König eine große Jagd befohlen, und in der Frühe dieses Morgens ritten wir hinaus nach Epping Forest. Der König war anfangs ungewöhnlich heiter und humoristisch, und er befahl mir, neben ihm zu reiten, und ihm einiges von der chronique scandaleuse unseres Hofes zu erzählen; zu meinen boshaften Bemerkungen lachte er, und je ärger ich verleumdete, desto heiterer wurde der König! End­lich hielten wir an, der König hatte so viel gesprochen und gelacht, dass er zuletzt hungrig geworden war. Er lagerte sich daher unter einer Eiche, und inmitten seines Gefolges und seiner Hunde nahm er ein Früh­stück ein, welches ihm sehr wohl behagte, obwohl er nun ein wenig stiller und schweigsamer geworden war und zuweilen mit sichtbarer Unruhe und Angst sein Antlitz nach der Gegend von London hinwandte! Plötzlich aber vernahm man von dorther den dumpfen Ton eines Kanonenschusses! Wir alle wussten, dass dies das Signal sei, welches dem König verkünden sollte, dass Anne Boleyns Haupt gefallen sei! Wir wussten es, und ein Schauder durchrieselte unsere Glieder! Der König allein lächelte, und indem er aufstand und sein Gewehr aus meinen Händen annahm, sagte er mit heiterem Gesicht: ›Es ist geschehen! Das Geschäft ist zu Ende! Koppelt die Hunde los und lasst uns dem Eber folgen.‹

Das«, sagte Lord Douglas traurig, »das war die Leichenrede, welche König Heinrich seiner liebreizenden und unschuldigen Gemahlin hielt!«

»Ihr bedauert sie, mein Vater?«, fragte Jane ver­wundert. »Anne Boleyn war indes doch eine Feindin unserer Kirche, eine Anhängerin der fluchwürdigen neuen Lehre!«

Ihr Vater zuckte fast verächtlich die Achseln. »Das hinderte doch nicht, dass Lady Anne zu den schönsten und lieblichsten Frauen Altenglands gehörte! Und -übrigens, so sehr sie auch der neuen Lehre sich zuneigen mochte, hat sie doch uns einen wesentlichen Dienst er­zeigt, denn sie war es, welche die Schuld trug an dem Tod von Thomas Moore. Weil er ihre Ehe mit dem König nicht gebilligt hatte, hasste sie ihn, wie der König ihn hasste, weil er den Eid auf die Supre­matie des Königs nicht leisten wollte. Heinrich indessen würde ihn dennoch verschont haben, denn er besaß damals noch einigen Respekt vor der Gelehrsamkeit und der Tugend, und Thomas Moore war ein so berühmter Gelehrter, dass er dem König imponierte! Aber Anne Boleyn verlangte seinen Tod und so musste Thomas Moore hingerichtet werden! Oh, glaube mir, Jane, es war eine erhabene und traurige Stunde für ganz Eng­land, die Stunde, in der Thomas Moore sein Haupt auf den Block legte. Wir allein, wir fröhlichen Leute im Schloss zu Whitehall, wir waren heiter und guter Dinge! Wir tanzten eine neue Art von Tanz, zu welcher der König selbst die Musik gemacht hatte. Denn du weißt, der König ist nicht bloß Schriftsteller, sondern auch Komponist, und so wie er jetzt fromme Bücher schreibt, komponierte er damals Tänze. Nach­dem wir uns an jenem Abend müde getanzt hatten, spielten wir Karten. Just, während ich dem König einige Guineen abgewann, kam der Leutnant des Towers mit der Nachricht von der vollbrachten Hinrichtung und gab uns eine Schilderung der letzten Momente des großen Gelehrten. Der König warf seine Karten hin, und einen zornigen Blick auf Anne Boleyn wer­fend, sagte er mit zitternder Stimme: ›Du bist schuld an dem Tod dieses Mannes!‹ Dann stand er auf und begab sich in seine Gemächer, wohin ihm niemand folgen durfte, selbst die Königin nicht. Du siehst also, dass Anne Boleyn ein Anrecht auf unsere Dank­barkeit hat, denn der Tod des Thomas Moore befreite Altengland von einer anderen großen Gefahr. Melanchton und Bucer, und mit ihnen einige der größten Kanzelredner Deutschlands, hatten sich auf den Weg gemacht, um nach London zu kommen und als Abge­ordnete der protestantischen Fürsten Deutschlands den König zum Haupt ihres Bundes zu ernennen. Aber diese furchtbare Mär von der Hinrichtung ihres Freun­des schreckte sie zurück und ließ sie auf halbem Wege wieder umkehren!

Ruhe also der Asche der unglücklichen Anne Boleyn, die indessen doch auch gerächt worden ist! Gerächt an ihrer Nachfolgerin und Nebenbuhlerin, um derentwillen sie das Schafott besteigen musste, gerächt an Jane Seymour!«

»Sie war indessen des Königs geliebteste Gemahlin«, sagte Jane, »und als sie starb, trauerte der König zwei Jahre um sie!«

»Er trauerte!«, rief Lord Douglas verächtlich. »Er hat um alle seine Frauen getrauert! Auch um Anne Boleyn legte er Trauer an, und in seinem weißen Traueranzug führte er am Tage nach Annes Hin­richtung Jane Seymour zum Traualtar! Die äußere Trauer, was bedeutet die? Trauerte doch Anne Boleyn auch um Katharine von Aragon, welche sie vom Thron gestoßen hatte! Acht Wochen sah man sie in gelben Trauerkleidern um Heinrichs erste Gemahlin, aber Anne Boleyn war ein kluges Weib und sie wusste sehr wohl, dass die gelben Trauergewänder ihr vortrefflich standen.«

»Aber der König trauerte nicht bloß äußerlich«, sagte Lady Jane, »er trauerte wahrhaft, denn erst nach zwei Jahren entschloss er sich zu einer neuen Vermählung!«

Graf Douglas lachte. »Aber er erfreute sich in die­sen zwei Witwerjahren einer sehr schönen Geliebten, der französischen Marquise Montreuil; und er würde sie geheiratet haben, wenn das kluge schöne Weib es nicht vorgezogen hätte, nach Frankreich zurückzukehren, weil sie es allzu gefährlich fand, Heinrichs Gemahlin । zu werden! Denn es ist nicht zu leugnen, es schwebt ein Unstern über Heinrichs Königinnen, und keine von ihnen ist auf eine natürliche Weise vom Thron herabgestiegen!«

»Doch, mein Vater! Jane Seymour tat es in sehr natürlicher Weise; sie starb im Wochenbett!«

»Jawohl im Wochenbett! Und doch keines natür­lichen Todes; denn sie konnte gerettet werden! Aber Heinrich wollte sie nicht retten! Seine Liebe war schon abgekühlt, und als die Ärzte ihn fragten, ob sie die Mutter oder das Kind retten sollten, antwortete er: ›Rettet das Kind, und lasst die Mutter sterben! Frauen kann ich noch genug bekommen!‹

Ach, meine Tochter, ich wünsche dir nicht, dass du eines solchen natürlichen Todes sterben mögest, wie die arme Jane Seymour, um welche, wie du sagst, der König zwei Jahre getrauert hat! Aber nach dieser Zeit geschah dem König etwas Neues, etwas ganz Außerordentliches! Er verliebte sich in ein Bild, und weil er in seinem erhabenem Selbstgefühl überzeugt war, dass dieses schöne Bild, welches Holbein von ihm gemacht hatte, durchaus nicht geschmeichelt, sondern nur ganz naturgetreu sei, kam er gar nicht auf die Vermutung, es könne Holbeins Bildnis der Prinzessin Anna von Kleve etwa geschmeichelt und nicht ganz wahr sein! Der König also verliebte sich in ein Bild und schickte seine Gesandten nach Deutschland, um sich das Ori­ginal des Porträts als seine Gemahlin nach England heimführen zu lassen! Er selbst reiste ihr bis zum Landungsplatz nach Rochester entgegen! Ach, mein Kind, ich habe des Seltsamen und Drolligen viel er­lebt in meinem erfahrungsreichen Leben, aber die Szene in Rochester gehört jedenfalls zu meinen pikantesten Erinnerungen! Der König war romantisch wie ein Dichter, verliebt wie ein zwanzigjähriger Jüngling, und so begann unsere romantische Brautfahrt, an wel­cher Heinrich verkleidet und unter dem Namen meines Cousins teilnahm. Mir wurde der schmeichelhafte Auftrag, als dem damaligen Stallmeister des Königs, der jungen Königin die Grüße ihres feurigen Gemahls zu bringen, und sie zu bitten, den Ritter zu empfangen, welcher ihr ein Geschenk des Königs überreichen solle. Sie gewährte meine Bitte mit einem grinsenden Lächeln, welches eine furchtbare Reihe gelber Zähne sichtbar werden ließ; ich öffnete die Tür und hieß den König eintreten. Ach, diese Szene hättest du erleben müssen! Es ist die einzige Buffopartie in dieser blutigen Tragödie von Heinrichs Ehestand! Du hättest sehen müssen, mit welcher hastigen Ungeduld der König hereinstürzte, dann plötzlich bei ihrem Anblick zurücktaumelte und die Prinzessin anstarrte, und langsam zurückweichend, mir das kostbare Geschenk, welches er mitgebracht hatte, schweigend in die Hand drückte, indem er zugleich einen zornflammenden Blick auf den Erzbischof Cromwell schleuderte, welcher zuerst ihm dieser Prinzessin Bildnis gebracht und ihn für diese Heirat ge­wonnen hatte! Der romantische feurige Liebhaber war mit diesem ersten Blick auf die Geliebte verschwunden, und der König allein war übrig geblieben! Er näherte sich der Prinzessin wieder, aber diesmal als König. Er überwand sich so weit, sie willkommen zu heißen und mit seinen Lippen ihre Wange zu streifen! Dann aber nahm er hastig meine Hand und zog mich mit sich hinaus, indem er den Übrigen winkte, ihm zu folgen. Und als wir endlich die Atmosphäre dieser armen, hässlichen Prinzessin verlassen und uns weit genug von ihr entfernt hatten, sagte der König mit zornigem Gesicht zu Cromwell: ›Das nennt Ihr eine Schönheit? Eine flandrische Mähre ist sie, aber keine Prinzessin!‹ Und so zog diese Wolke, welche unsere Religion und unsere Kirche bedrohte, still und gefahrlos an uns vorüber! Wäre Anna von Kleve, die Schwester, Nichte, Enkelin und Tante aller deut­schen protestantischen Fürsten schön gewesen, so drohte unserer Kirche eine unabsehbare Gefahr! Aber Gott selbst war mit uns und seiner Kirche, und seine er­habene Allwissenheit zeichnete schon bei ihrer Geburt Anna von Kleves Angesicht und machte ihre Hässlichkeit zu einer Waffe, mit welcher die ehrgeizigen und hochfahrenden Pläne der Ketzer dereinst bekämpft werden sollten! Der König vermochte seinen Wider­willen nicht zu überwinden, und wieder musste sein Gewissen, welches immer dann am zartesten und skrupulösesten erschien, wenn es am weitesten und rück­sichtslosesten war, ihm zu Hilfe kommen!

Der König erklärte, nur äußerlich, nicht aber in seinem innersten Gewissen in diese Heirat gewilligt zu haben, vor welcher er jetzt zurückbebe, weil sie ei­gentlich nichts anderes sein würde als ein Treuebruch, ein Meineid und eine Bigamie. Denn Annas Vater hatte sie ja einst dem Sohn des Herzogs von Lothringen verlobt, er hatte ihm sein feierliches Wort ge­geben, sie nach erlangter Volljährigkeit dem jungen Herzog zum Weib zu geben; die Ringe waren schon gewechselt, die Ehepakten schon aufgesetzt worden. Anna von Kleve war also eigentlich bereits vermählt, und Heinrich mit seinem zarten Gewissen konnte daher die schon Vermählte nicht zu seinem Weib machen! Er machte sie daher zu seiner Schwester und gab ihr den Palast von Richmond zur Residenz, wenn sie in England bleiben wolle. Sie nahm es an; ihr Blut, welches kalt und still durch ihre Adern schlich, empörte sich nicht bei dem Gedanken verschmäht und verstoßen zu sein! Sie nahm es an und blieb in England!

Sie war verstoßen, weil sie hässlich war, und jetzt wählte der König Catharine Howard zu seiner fünften Gemahlin, weil sie schön war! Von dieser Ehe weiß ich dir wenig zu sagen, denn in dieser Zeit war ich bereits als Gesandter nach Dublin gegangen, wohin du mir bald folgtest! Catharine war sehr schön, und des Königs alterndes Herz flammte noch einmal in jugendlicher Liebe hoch empor! Er liebte sie so glühend, wie keine andere seiner Frauen, er war so glücklich durch sie, dass er vor aller Welt in der Kirche niederkniend mit lauter Stimme Gott dankte, für das Glück, welches ihm seine schöne junge Königin bereite! Aber was willst du? Eben als der König es pries, war er auf dem Gipfel seines Glückes angelangt, und anderen Tages schon wurde er hinun­ter geschleudert in den Abgrund! Ja, tags zuvor dankte er Gott für sein Glück, und am anderen Mor­gen schon wurde Catharine Howard eingekerkert und als ein treuloses Weib, eine schamlose Buhlerin an­geklagt!  Mehr als sieben Liebhaber waren ihrem königlichen Geliebten vorangegangen, und einige der­selben hatten sie sogar auf dieser Triumphreise durch Yorkshire, welche sie an der Seite ihres Königlichen Gemahls gemacht hatte, begleitet! Dieses Mal war es kein Vorwand, denn Heinrich hatte noch nicht Zeit gehabt, sich in ein anderes Weib zu verlieben, und Catharine hatte es so gut verstanden, ihn zu fesseln und immer neue Gluten in ihm anzufachen! Aber eben weil er sie liebte, konnte er ihr nicht verzeihen, ihn getäuscht zu haben! In der Liebe ist so viel Grausamkeit und Hass, und Heinrich, welcher gestern noch zu ihren Füßen gelegen, flammte heute vor Zorn und Eifer­sucht, wie gestern vor Liebe und Entzücken! In sei­nem Zorn indessen noch liebte er sie, und als er die un­zweifelhaften Beweise ihrer Schuld in Händen hielt, da weinte er wie ein Kind! Aber da er nicht mehr ihr Liebhaber sein konnte, wollte er ihr Henker werden; da sie den Purpur seines Königsmantels befleckt hatte, wollte er ihn auffärben mit ihrem eigenen, purpurro­ten Blut! Und er tat es! Catharine Howard musste ihr schönes Haupt auf den Block legen, wie es vor ihr Anne Boleyn getan; und Annes Tod wurde jetzt noch einmal gerächt! Lady Rochfort war damals die Anklägerin Anne Boleyns gewesen, und ihr Zeugnis hatte diese Königin auf das Schafott ge­bracht; jetzt aber wurde sie überführt, Catharine Howards Helferin und Vertraute bei ihren Liebesaventüren gewesen zu sein, und mit Catharine bestieg auch Lady Rochfort das Blutgerüst!

Ach, der König bedurfte einer langen Zeit, um sich von diesem Schlag zu erholen. Er suchte zwei Jahre nach der reinen, unbescholtenen Jungfrau, welche seine Königin werden konnte, ohne Gefahr vor dem Blutgerüst! Aber er fand keine, und so nahm er sich denn Lord Nevilles Witwe, Catharine Parr! Aber du weißt, mein Kind, der Name Catharine ist ein unheilvoller für Heinrichs Gemahlinnen. Die erste Katharina hat er verstoßen, die zweite enthauptet! Was wird er mit der Dritten tun?«

Lady Jane lächelte. »Catharine liebt ihn nicht«, sagte sie, »und ich glaube, sie würde gern wie Anna von Kleve einwilligen, statt seines Weibes seine Schwester zu werden!«

»Catharine liebt den König nicht?«, fragte Lord Douglas in atemloser Spannung. »Sie liebt also einen anderen?«

»Nein, mein Vater! Ihr Herz ist noch wie ein weißes Blatt, es steht noch kein einziger Name darauf geschrieben!«

»So müssen wir einen Namen darauf schreiben, und dieser Name muss sie auf das Schafott oder in die Verbannung treiben!«, sagte ihr Vater heftig.

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