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Manitoba – Band 1 Kapitel 1

Kendall Kane
MANITOBA
Band 1
Ein Greenhorn namens Callaway

Kapitel 1

Es hatte die letzten beiden Tage und Nächte so viel geschneit, dass alle Hügel, Täler und Ebenen des Landes weiß überzogen waren. Nun aber, wo es aufgehört hatte, wurde es kalt, schweinekalt. Flüsse und Bäche begannen zuzufrieren, Eiskristalle legten sich um die wenigen winterharten Sträucher und Gräser und die Äste der Bäume bogen sich unter der schweren Schneelast allmählich immer tiefer in Richtung Boden. Es wurde ruhig auf dem Overlandtrail, der von Winnipeg aus über Fort Pitt direkt nach Haskett führte.

Nur einmal splitterte irgendwo ein Baum im klirrenden Frost, heulte ein Wolf in der Ferne und knackten hier und da die Eisdecken über den zugefrorenen Wasserstellen. Ansonsten aber herrschte eine beinahe Ehrfurcht gebietende Stille.

Eine Stille, die, kaum dass die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, jäh unterbrochen wurde.

Zuerst war es nur eine Gruppe Tannenmeisen, die aus dem Wipfel eines verschneiten Baumes aufstieg und ob der Ruhestörung mit ärgerlichem Krächzen davonflatterte, dann war das Bellen von Hunden zu hören, in das sich ab und an die lauten Rufen eines Mannes mischten und schließlich das typische Knirschen und Knarzen, das jeden Winter erklang, wenn die Schlitten mit ihren hölzernen Kufen über den Schnee glitten.

Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis dort, wo der Overlandtrail aus den Hügeln heraus in eine weitläufige Ebene überging, ein Hundegespann auftauchte. Acht hechelnde, knurrende und bellende Fellbündel, die sich trotz des tiefen Schnees immer wieder aufs Neue streckten und sich derart ins Geschirr warfen, dass es den Anschein hatte, als würde das Gespann fliegen. Ein Umstand, der allerdings nicht nur den anfeuernden Rufen des Mannes geschuldet war, sondern hauptsächlich der klirrenden Kälte, die sogar das Land allmählich zu Eis erstarren ließ.

Das Fell der Tiere war weiß vor Reif, ihr Atem gefror, kaum dass er in der Luft war, und auch dem Mann ging es trotz seiner dicken Winterkleidung keinen Deut besser. Es war offensichtlich, dass alle, Mensch und Hunde, nur noch von dem Wunsch beseelt waren, so schnell wie möglich die nächste Siedlung zu erreichen, um sich dort vor dem flackernden Feuer eines offenen Kamins aufzuwärmen.

»Scheiße, ist das kalt«, fluchte George Wheelmann, der am hinteren Ende seines Schlittens auf den Kufen stand und sich krampfhaft an den Steuerstangen festklammerte, um bei der wilden Fahrt nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Hätte ich gewusst, dass es so kalt wird, wäre ich erst ein paar Tage später losgefahren.«

Er wollte gerade zu einem weiteren Fluch ansetzen, nachdem er beinahe vom Schlitten gefallen war, als er sich mit den Fausthandschuhen über das Gesicht wischte, weil seine Augenlider so dicht mit dem gefrorenen Atem bedeckt waren, dass er fast nichts mehr sehen konnte. Er schluckte ihn jedoch hinunter, als er die gedrungene Gestalt entdeckte, die unvermittelt am Rand des Overlandtrails auftauchte. Er sah den Mann deshalb so spät, er war inzwischen bis auf Steinwurfweite herangekommen, weil er sich mit seinem hellen, fast knöchellangen Fellmantel kaum von der grellweißen Schneelandschaft abhob. Wheelmann stutzte noch kurz, aber dann ging alles blitzschnell.

Der Mann hielt plötzlich ein Gewehr in den Händen, nahm es binnen eines Atemzuges an die Schulter, zielte und drückte ab. Zwei Schüsse zerrissen die Stille des Mittags. Die erste Kugel traf Wheelmann eine Handbreit unterhalb des Herzens in die Brust, die zweite durchschlug seine Stirn und trat am Hinterkopf wieder aus. Blut, Knochen und Hirnmasse spritzen wie roter Regen durch die Luft und zeichneten ein hässliches Muster in den frisch gefallenen Schnee, indes Wheelmann rückwärts vom Schlitten fiel. Der Mörder senkte seinen Spencer-Karabiner, kaum dass sein Opfer mit ausgebreiteten Armen im Schnee lag.

»Eigentlich ganz einfach«, murmelte er mit einem zufriedenen Grinsen. »Man muss nur auf den richtigen Moment warten, dann erwischt man sie alle.«

Er ließ seine Blicke so lange durch die Umgebung schweifen, bis er sicher sein konnte, dass ihn niemand beobachtet hatte. Erst dann schulterte er seinen Karabiner und stapfte grinsend durch den kniehohen Schnee. Als er bei dem Toten angekommen war, ließ er sich ansatzlos neben ihm auf die Knie fallen. Das Grinsen war inzwischen verschwunden, dafür lag nun ein Ausdruck auf seinem Gesicht, in dem sich Triumph und Gier gleichermaßen widerspiegelten.

»Verdammt noch mal, langsam habe ich die Schnauze voll!«

Normalerweise brachte John Callaway so schnell nichts aus der Ruhe, aber an diesem Morgen war er kurz davor zu explodieren. Vor etwa zehn Minuten hatte ihn die Überlandkutsche aus Winnipeg

einen Katzensprung nördlich der Grenze zu den Vereinigten Staaten vor einer Ansammlung windschiefer Holzhütten abgesetzt, die der Kutscher in einem Ton, als wäre hier nicht der Arsch der Welt, sondern deren Nabel, noch hochtrabend als Fort Pitt bezeichnet, bevor er dann nach einem kurzen Nicken weitergefahren war.

Seither stand er allein im Hof der U-förmig errichteten Siedlung herum, ohne irgendein Anzeichen von Leben zu entdecken. Aus den Schornsteinen der Holzhütten kräuselte zwar grauer Rauch, trotzdem regte sich hier außer dem Qualm gar nichts, wenn man einmal von dem schwarzweiß gefleckten Indianerpony absah, das ihn durch das Fenster des Pferdestalls heraus lethargisch musterte.

Jedenfalls auf den ersten Blick, denn obwohl die Siedlung augenscheinlich verlassen wirkte und weit und breit keine Menschenseele zu sehen war, glaubte Callaway hinter den dunklen Fensterhöhlen der Hütten mehrmals umherhuschende Schatten gesehen zu haben, die mit Sicherheit jede einzelne seiner Bewegungen misstrauisch beobachteten. Aus seiner Ungläubigkeit war inzwischen Verärgerung geworden.

Das Hauptquartier in Winnipeg hatte ihn bereits vor einer Woche angemeldet, also war doch bekannt, wann er ankommen würde. Dennoch stand er hier immer noch herum wie bestellt und nicht abgeholt.

Was zum Teufel wurde hier gespielt?

Callaway wusste es nicht, aber er wusste, dass er diesem Spuk ein Ende bereiten würde, und zwar jetzt. Er hatte nicht vor, weiter dumm herumzustehen und sich hier am Arsch der Welt womöglich noch selbigen abzufrieren. Er ließ seinen großen Reisekoffer deutlich hörbar zu Boden fallen und verfluchte lautstark den Einsatzbefehl, der ihn nach Fort Pitt verschlagen hatte, um dort seinen Dienst anzutreten. Dann stapfte er mit einem weiteren Fluch auf den Lippen auf die nächstbeste Hütte zu, hinter deren Fenster man ihn beobachtet hatte. Es war auch dort niemand zu sehen, aber der Vorhang, der plötzlich zugezogen wurde, als er in Richtung des besagten Fensters blickte, sprach eine deutliche Sprache. Callaway war etwa auf halbem Weg dahin, als das Tor der neben dem Pferdestall gelegenen Scheune einen Spalt breit geöffnet wurde und ihn eine Hand heranwinkte.

Eine blutige Hand!

Callaway blieb augenblicklich stehen, beugte den Oberkörper leicht nach vorn und legte seine Rechte auf die geschlossene Revolvertasche, die in Hüfthöhe an seiner Dienstkoppel befestigt war.

»Keine Sorge, es ist alles okay«, sagte eine Stimme, deren Besitzer wahrscheinlich auch die blutige Hand gehörte. Dann wurde das Tor vollends aufgestoßen und ein Mann trat aus dem Stall. »Das ist nur Hühnerblut, ich habe gerade zwei von unseren Hennen geschlachtet. Wahrscheinlich habe ich Sie deshalb nicht kommen hören.«

Der Sprecher war ein stämmiges, O-beiniges Indianerhalbblut mit funkelnden, wasserhellen Augen, die in einem seltsamen Kontrast zu den dunklen Haaren und seinem Gesicht standen, das weder rot noch weiß war, sondern eher der Farbe von altem Kupfer ähnelte. Außer einer blutigen Leinenschürze, die er sich um die Hüften gebunden hatte, war er mit einem blaukarierten Baumwollhemd, einer speckigen Stoffhose und kniehohen, indianischen Ledermokassins bekleidet. Er bedachte Callaway mitsamt seiner eindrucksvollen Mounted Police Uniform, in der er inzwischen trotzdem wie ein Schneider fror, mit einem kurzen, beinahe belustigt wirkenden Blick und wischte sich kurz seine blutige Hand an der nicht minder blutigen Schürze ab, bevor er sie ihm entgegenstreckte.

»Mein Name ist Dubois, Henri Dubois, aber Sie können ruhig Frenchy zu mir sagen, das machen hier alle so. Ich bin übrigens der Scout von diesem Posten.«

Callaway zog pikiert die Nase hoch, während er seine weißen Hirschlederhandschuhe, die ebenfalls Bestandteil der Uniform waren, auszog und danach zögerlich die entgegengestreckte Hand ergriff. Obwohl Dubois sie vorher an seiner Schürze abgewischt hatte, war sie trotzdem immer noch blutbefleckt. Zudem, stellte Callaway angewidert fest, roch der Mann geradezu penetrant nach gegerbtem Leder, Pferdeschweiß und kaltem Rauch.

Himmel, durchzuckte es ihn. Wo bin ich hier bloß gelandet? Im Hauptquartier in Winnipeg hat man mir gesagt, dass ich zum Monatsersten eine Stelle als Constable in Fort Pitt antreten soll. Stattdessen finde ich mich in einem Nest voller windschiefer Holzhütten wieder, in dem anscheinend nur ein dämlich glotzendes Pferd und ein krummbeiniges Halbblut wohnen, das stinkt wie das Innere eines Fuchsbaus.

»Sind Sie der neue Constable?«

Callaway zuckte zusammen, als ihn die nasale Stimme von Dubois aus seinen Gedanken riss.

»Yeah«, sagte er etwas verwirrt, während er im Stillen immer noch inständig hoffte, dass alles nur ein böser Traum war und ihn der Fuhrknecht der Überlandkutsche versehentlich am falschen Ort abgesetzt hatte.

»Gut«, sagte Henri Dubois, drehte sich um und wandte sich dem offenen Scheunentor zu. »Dann kommen Sie mal mit rein, nicht dass Sie sich hier draußen noch den Arsch abfrieren, so komisch, wie Sie angezogen sind.«

»Was erlauben Sie sich?«, erwiderte Callaway scharf.

Er war stolz darauf, die Uniform der Mounted Police zu tragen, verdammt stolz und niemand, auch nicht ein Halbblut in dieser eisigen Einöde, hatte das Recht, sich darüber lustig zu machen. Im Hauptquartier in Winnipeg hätte man ihn dafür ohne Anhörung mindestens eine Woche in jenen quadratischen Raum mit der vergitterten Zellentür und den Stahlstreben am Fenster gesteckt, der im Armeejargon allgemein als Pension Viereck bezeichnet wurde.

Callaway schob sich den weißen Korkhelm aus der Stirn und ließ, während er weiterredete, seine offene Hand von oben nach unten über die Uniform gleiten. Angefangen von der scharlachroten Norfolkjacke über die stahlgraue Reiterhose bis hinunter zu den glänzenden, schwarzen Stiefeln. »Das hier ist kein komischer Aufzug, sondern die Uniform der Canadian North West Mounted Police, die im Auftrag von Generalgouverneur Lord Lorne, dem Schwiegersohn unserer ehrwürdigen Königin Viktoria, in diesem Land für Recht und Gesetz sorgt«, belehrte er ihn schroff. »Wenn Sie sich also noch einmal über diese Uniform lustig machen sollten, lasse ich Sie wegen Insubordination festnehmen. So, und jetzt verlange ich, sofort mit dem kommandierenden Offizier dieses Postens zu sprechen.«

Dubois drehte sich wieder um und bedachte den Constable erneut mit einem belustigten Blick. Callaway hatte plötzlich das Bedürfnis, ihm seine Faust in das Gesicht zu pflanzen.

Die Art und Weise, wie ihn Frenchy erneut musterte, zeigte ihm, dass diesen seine Androhung nicht die Bohne zu interessieren schien.

»Gern, allerdings halte ich das im Moment für keine so gute Idee.«

»Ach ja, und warum nicht?«, antwortete Callaway zornig.

»Ganz einfach, weil es hier im Moment niemanden gibt, der mit Ihnen sprechen kann, geschweige denn mich festnehmen. Die Männer sind alle dermaßen erkältet, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten können. Der Sergeant Mayor liegt genauso wie alle anderen Mounties mit Gliederschmerzen und hohem Fieber im Bett.«

Allmählich begann Callaway zu verstehen, warum ihn hier niemand nach seiner Ankunft begrüßt hatte. Wenn er Frenchy auch immer noch nicht vertraute, aber das mit der Erkältung glaubte er ihm. Die Viertelstunde, die er draußen im Hof verbracht hatte, war lehrreich genug.

»Was sagt der Arzt dazu?«

»Was für ein Arzt?«, erwiderte der Scout und verzog das Gesicht.

Diesmal grinste er nicht. Scheinbar war die Situation doch ernster, als Callaway gedacht hatte.

»Hier gibt es keinen Doc. Hier müssen wir uns selber helfen, bei Erkältung zum Beispiel mit Hausmitteln wie Wadenwickel oder Hühnersuppe. Deshalb habe ich auch die beiden Hennen geschlachtet. Gegen Fieber und Erkältung gibt es einfach nichts Besseres als eine kräftige Hühnerbrühe. Wenn ich sie nachher gekocht habe, probieren Sie mal eine Tasse davon. Sie werden sehen, das wirkt bei dieser Kälte Wunder.«

»Danke, aber zuerst bringen Sie mich bitte zum Kommandeur dieses Postens.«

»Dann kommen Sie aber nicht zu spät. Gehen wir also rüber ins Quartier des Sergeant Mayors. Denn wenn wir noch länger hier in der Kälte herumstehen, können wir uns beide spätestens Morgen zu den anderen legen.«

Callaway nickte und folgte dem Scout. Obwohl es ihm zutiefst widerstrebte, den Anweisungen eines Mannes zu folgen, der rangmäßig weit unter ihm stand, hatte ihn die Aussicht, die nächsten Tage gemeinsam mit einem Dutzend hustender, schniefender und fieberkranker Männer im Mannschaftsschlafraum zu verbringen, die Dienstvorschriften ganz schnell vergessen lassen.

Sergeant Mayor Wilbur Parker war ein Baum von einem Kerl, sechs Fuß groß, so breit wie ein Schrank und Hände wie Bratpfannen. Im Moment jedoch sah er eher wie eine lebende Leiche aus.

Sein Gesicht war eingefallen, die Augen glänzten fiebrig und über seine Stirn hatte sich ein dichtes Netz aus glitzernden Schweißperlen gelegt. Seine Bewegungen waren schwach und unsicher und ihm war deutlich anzumerken, dass ihm das Sprechen schwerfiel.

»Wer ist das?«, fragte er so leise, dass man es kaum verstehen konnte.

Bevor Dubois, der direkt neben dem Bett des Sergeant Mayors stand, antworten konnte, schlug Callaway neben ihm krachend die Hacken zusammen und grüßte vorschriftsmäßig.

»Constable John Callaway, Sir, melde mich zum Dienst.«

Parker zuckte kurz zusammen, blickte Dubois einen Moment lang fassungslos an, dann den Constable, dann wieder Dubois und verdrehte die Augen.

»Ich habe es bereits befürchtet, nachdem ich ihn vorher im Hof habe stehen sehen. Ein Greenhorn! Mein Gott Frenchy, die haben uns tatsächlich ein Greenhorn geschickt.«

»Ich fürchte, ja.«

Callaway glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.

Wie reden diese Hinterwäldler über mich?, durchzuckte es ihn noch, dann polterte er auch schon los. »Bei allem Respekt, meine Herren, aber gegen diese Aussage protestiere ich ganz energisch. Ich bin kein Greenhorn, das habe ich bereits bei meiner Rekrutierung in Fort Dufferin unter Beweis gestellt. Mein Großvater hat bei Waterloo gekämpft, mein Vater diente schon mit fünfzehn bei der Royal Artillery und ich wurde bereits mehrfach als treffsicherster Schütze meiner Kompanie ausgezeichnet und war unter den Reitern immer einer der Besten. Ich finde eine Bezeichnung als Greenhorn daher, mit Verlaub gesagt, etwas despektierlich.«

Parker richtete sich keuchend auf, knüllte das Kissen zusammen, um sich etwas aufrechter hinzusetzen, und bedachte den Constable, den er soeben als Greenhorn tituliert hatte, mit einem Blick, in den sich gleichzeitig Tadel und Mitleid mischten.

»Es liegt mir fern, Ihre Reit- oder Schießkünste infrage zu stellen, aber wir sind hier in Manitoba, hier gehen die Uhren etwas anders. Nicht umsonst behaupten die Einheimischen, dass dieses Land ein Paradies für Wölfe, Büffel und Indianer ist, aber die Hölle für weiße Männer, besonders wenn sie aus dem Osten kommen, so wie Sie. Ich weiß nicht, was für einen Unsinn man Ihnen alles im Hauptquartier erzählt hat, aber was es auch war, vergessen Sie es, und zwar ganz schnell, klar?«

Callaway legte die Finger seiner Rechten an den Rand seines Korkhelms und schlug wieder die Hacken zusammen, so, wie man es ihn in Winnipeg gelehrt hatte, wenn ein Vorgesetzter einem einen Befehl erteilte. Zu seiner Überraschung sorgte dies erneut für Augenrollen sowohl von Dubois, dem Scout, als auch vom Sergeant Mayor.

»Jawoll Sir«, antwortete der Constable trotzdem. »Darf ich mir aber dennoch die Bemerkung erlauben, dass die Dienstvorschriften im Armeehandbuch, die man mich dort gelehrt hat, meiner Meinung nach alles andere als Unsinn sind.«

Die Antwort war ein allgemeines tiefes Seufzen.

Plötzlich wurden vor der Kammer des Sergeant Mayors Schritte laut. Das Hämmern von genagelten Sohlen hörte sich draußen, auf dem hölzernen Fußboden des Flurs, wie das Donnern eines rasch herannahenden Unwetters an. Alle Köpfe ruckten wie auf einen stummen Befehl hin fast gleichzeitig zur Tür, die auch schon in der nächsten Sekunde jäh aufgerissen wurde.

Callaways Augen hefteten sich fragend auf den drahtigen Blondschopf, der wie von einem Katapult abgefeuert ungefragt ins Zimmer gestürmt kam. Missmutig stellte er fest, dass der Kerl nur durch seine stahlgraue Reiterhose und die schweren Armeestiefel als Mountie zu erkennen war, ansonsten trug er ausschließlich Lederkleidung, wie sie unter den Indianern üblich war. Ein Anblick, der sein Weltbild über die Canadian Mounted Police erneut ins Wanken brachte.

Himmel, ging es ihm dabei durch den Kopf. Bei was für einem Sauhaufen bin ich hier eigentlich gelandet? Hier kann wohl jeder, ohne sich anzumelden, einfach so in das Zimmer seines Vorgesetzten platzen und von Kleiderordnung hat man augenscheinlich auch noch nie etwas gehört. Überhaupt scheint sich hier niemand an irgendwelche Dienstvorschriften zu halten.

Bevor sich Callaway noch mehr über die Zustände in Fort Pitt aufregen konnte, meldete sich der Blondschopf zu Wort. Natürlich ungefragt, wie konnte es auch anders sein.

»Es hat einen Toten gegeben, Kopfschuss«, sagte er keuchend und wandte sich Parker zu. »Gerade war einer von den Büffeljägern hier, die ihr Wintercamp oben am North Saskatchewan River aufgeschlagen haben. Er war in Haskett, um dort Kerosin zu kaufen, als er auf dem Heimweg auf dem Overlandtrail den Toten entdeckt hat.«

»Das wundert mich nicht«, erwiderte der Sergeant Mayor heiser. »Gerade dort treiben sich die meisten Whiskyschmuggler herum. Da gibt es ständig Schwierigkeiten, weil immer Schnaps im Spiel ist. Wo ist der Tote jetzt?«

»Wir haben ihn in die Scheune gelegt, nachdem der Büffeljäger mir erzählt hatte, was geschehen war. Danach ist er mit seinem Schlitten dann weitergefahren.«

»Verdammt, Dickens, warum hast du ihn nicht in die Kommandantur gebracht, damit wir ihn befragen können?«

»Wie hätte ich das machen sollen? Der Kerl, sein Name ist übrigens George Back, ist fast so groß wie einer von den Büffeln, die er jagt. Was hätte ich allein denn tun sollen? Außerdem hat er gesagt, dass er nicht mehr weiß als das, was er mir erzählt hat und dass er jetzt so schnell wie möglich zurück in sein Wintercamp muss, weil dort nämlich das Kerosin knapp wird und sie sonst alle im Dunkeln sitzen müssen. Wenn wir noch etwas von ihm wissen wollen, sollen wir ins Büffeljägercamp kommen, dort ist er immer anzutreffen.«

»Na gut«, sagte Parker nachdenklich.

Einen Moment sah es so aus, als würde er angestrengt überlegen, dann aber hellte sich sein Gesicht in einer Art auf, als hätte er gerade vom Baum der Erkenntnis gegessen. Langsam drehte er den Kopf in Callaways Richtung und durchbohrte ihn dann regelrecht mit seinen Blicken.

»Was sagen Sie dazu, Constable Callaway? Das wäre doch was für Sie. Wollen Sie den Fall nicht übernehmen? Los, zeigen Sie uns, dass Sie kein Greenhorn sind.«

Callaways Augen begannen plötzlich vor Begeisterung zu glänzen. Yeah, das war die Chance, diesen Hinterwäldlern zu zeigen, zu was ein gut ausgebildeter Mountie alles fähig ist.

Fortsetzung folgt …

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