Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Sagen der mittleren Werra 88

Von den Schätzen und der weißen Jungfer in Schweina

In der Mittelgasse zu Schweina steht die von der Fa­milie Heller einst an der Stelle des alten von Hund’schen Hauses erbaute Hofreite, an der es nicht geheuer ist, denn es ruhen dort noch zwei Schätze tief unter der Erde. Der Mächtigste der beiden ist aber zu stark versetzt und nicht mehr zu heben. In früheren Zeiten saß er unter einem der nun aufgerissenen Torpfeiler des alten Hauses.

Eine arme, aber brave Frau aus Schweina, die eines Tages gerade zur Mittagszeit mit einem Hockel Leseholz aus dem Wald dort vorbeimusste, sah ihn unter dem Pfeiler in der Sonne glitzern. Es war ein großer Kessel voll blanker Goldstücke. Da die Frau Courage hatte, warf sie schnell ihren Hockel ab und hatte schon ein paar Hände voll des Goldes in ihrer Schürze, als sie sich vergaß und in ihrer Freude ausrief: »Ach du lieber Gott, was hast du mich armes Tier doch so glücklich gemacht!« Und so versank der Schatz wieder unter ihren Händen. Von dem aber, was sie schon in die Schürze gerafft hatte, baute sie sich ein Häuschen im Dorf.

Der andere Schatz sitzt neben dem Brunnen in dem Heller’schen Hausgarten. Dann und wann zeigt ihn eine weiße Jungfer mit einem Spinnwebengesicht an, die dort im Mondschein ihr Linnen bleicht.

Ein alter Förster oder Einnehmer, der noch in dem von Hund’schen Haus wohnte, sah die weiße Jungfer in einer mondhellen Nacht im Garten, und da er dachte, sie sei eine, die ihm die Äpfel stehlen wollte, so ergriff er das Gewehr, riss das Fenster auf und legte schon auf sie an, als ihn seine Frau mit den Worten zurückzog.

»Siehst du denn nicht, dass es die weiße Jungfer ist, die dort ihre Wäsche bleicht?« Und das war ein Glück für den Mann; denn wer auf die weiße Jungfer schießt, den trifft die Kugel ins eigene Herz.

Später wurde einmal eine Hausfrau schnell zu ihrem sterbenden Vater in das Dorf gerufen. Sie legte daher noch einige Stücke Holz in den Ofen, sagte den Kindern, sie möch­ten sich ruhig verhalten und hübsch in der Stube bleiben, sie käme gleich wieder, verschloss dann alle Eingänge zum Haus und ging fort. Kaum aber war die Frau weg, so entstand ein so furchtbares Sausen und Brausen im Ofen, dass es den Kindern himmelangst wurde, und da der Spektakel nicht nachließ, fasste sich der Älteste ein Herz und ging, von den Jüngeren gefolgt, in die Küche, um im Ofen nachzusehen. Da aber hörten die Kinder auf einmal mit dumpfer Stimme hinter ihrem Rücken die Worte: „Ich habe nur ein­mal das Feuer angeblasen.«

Als sie sich umguckten, sahen sie in das Spinnwebengesicht der weißen Jungfer.

Vor Entsetzen eilten sie zur Stube, sahen aber dort gleich darauf das Gesicht der weißen Jungfer hinter dem Fen­ster, das aus der Stube in die Hausflur ging. Wie die Mutter heimkehrte, fand sie die Kinder bleich und am ganzen Leib zitternd, im Haus aber sonst alles noch, wie sie es verlassen hatte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert