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Die Gespenster – Vierter Teil – 19. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Neunzehnte Erzählung

Bei Punitz fährt der Teufel mit einem Schneider zum Fenster hinaus

Zu Neu- Dr… im Kröbener Kreis, eine Stunde von dem südpreußischen Städtchen Punitz an der schlesischen Grenze entfernt, lebte ein ehrlicher Schneidermeister, dem der Teufel im Dezember des Jahres 1797 so übel mitspielte, dass er, samt seiner Ehefrau darüber beinahe des Todes gewesen wäre. Die Art, wie der Böse diesen guten Leuten ganz unvermutet erschien, war aber auch in der Tat höchst überraschend und verdient, zur öffentlichen Warnung sowie zur völligen Überzeugung der so genannten starken Geister, welche die Körperlichkeit der körperlos sein sollenden, geistigen Wesen mit ihren beschränkten Verstandeskräften nicht fassen mögen, bekannt gemacht zu werden.

Es war ein unfreundlicher sehr kalter Dezembertag, als der erwähnte Schneidermeister, den und dessen Wohnort ich nicht namhaft mache, um ihn nicht zu betrüben, des Morgens früher als gewöhnlich aufstand, um einige Schneiderarbeit, welche Eile hatte, mithilfe seiner weiblichen Hälfte desto sicherer bis gegen Abend zu vollenden. Schon einige Male hatte er, ziemlich früh am Mor­gen, sie auf dem gemeinschaftlichen Lager sanft schüttelnd erinnert, aufzustehen und einzuheizen, da

mit ihnen bei der Arbeit die Fingerspitzen nicht kalt und unbrauchbar werden möchten.

O, wenn er gewusst hätte, welch ein seltsames Unglück ihnen beiderseits an diesem frühen Morgen bevorstand, wie gern würde er dem schlaftrunkenen Hausmütterchen noch Ruhe vergönnt haben, wie gern selbst unfleißig bis an den hellen Morgen im warmen Bette geblieben sein! Indessen sie hatten nun einmal das gewöhnliche Schicksal aller Sterblichen, nicht zu wissen, selbst nicht einmal dunkel zu ahnen, was uns auch nur für den nächsten Augen­blick vorbehalten ist.

Um seiner lieben Hausehre mit einem guten Beispiele voranzugehen, sprang er zuerst aus dem Bett. Dieß wirkte so kräftig auf die Betthüterin, dass auch sie sich selbst überwand, und im Hurra die nötigen Anstalten zu einer baldigen war­men Stube traf. Sie raffte augenblicklich ein Bün­del trockenen Erlenreisigs zusammen, wickelte in des­sen Mitte ein wenig Kien, zündete diesen an, und wollte eben das schon brennende Ganze mithilfe der Ofengabel in das Ofenloch des ungeheuren Ofens pressen, als sie plötzlich mir einem lauten Schrei zurückbebte, wie beflügelt zum Mann in die Werkstatt eilte und viel unverständliches O und Ach wie die Angst und das Entsetzen es einzugeben pflegen, hervorstieß.

Mann: »Was gibt es? Grete! Um des Himmels Willen, was ist dir?«

Frau: »Dass Gott erbarm! Der Teufel steckt in unserem Ofen.«

Mann (dem die Nähnadel aus der Hand fällt): »Wie? Was? Der Gott sei bei uns?«

Frau: »Er selbst, leibhaftig.«

Mann (der sich zusammennimmt und den Braven machen will): Ei was, das kann nicht sein; das glaub ich nicht. Wer weiß, was du gesehen hast.«

Frau (angstvoll horchend): »Null höre selbst! Ach Gott! So höre doch!«

Mann (entsetzt sich und springt von seinem Sitz auf): Der Ofen knackt, ach Herzensgrete, lass uns …«

So weit war er mit seinem Rat, als der krachend zerplatzende Ofen ein ungeheures Loch bekam, durch welches der Teufel leibhaftig daher fuhr.

Das gute Gretchen sank auf der Stelle ohn­mächtig nieder. Der Schneidermeister aber, des­sen Werkstätte dem Fenster ganz nahe war, tat ei­nen entschlossenen Sprung zum Fenster hinaus. Der Teufel, kohlrabenschwarz, wie er unter den Weißen von jeher war, schien für diesmal nicht die Frau, sondern den Mann holen zu wollen, denn er ließ jene unberührt liegen, und versuchte pfeilschnell auf der ihm eröffneten Fluchtbahn durch das Fenster den Schneider einzuholen. Um ihn desto eher zu erhaschen, nahm er seine Zuflucht zur Teufelslist; denn man vernahm aus seinem Teu­felsrachen deutlich die Worte: »Herr Gevatter! Ich bin’s ja! Hör Er doch, Herr Gevatter!«

Wahrscheinlich wollte der Versucher zu allem Bösen, den seinsollenden Herrn Gevatter dadurch veranlassen, sich versäumend nach ihm umzusehen, indem er hoffte, ihn dann desto eher ereilen und packen zu können.

Der Schneider war indes­sen kein Narr und dachte in seinem Sinn: »Dein Gevatter, ist gewiss der Teufel, wenn du der nicht etwa gar selbst bist.«

Dieser Gedanke gab dem Schneidermeister Vogelschnelle; und nie mag es dem Teufel saurer ge­worden sein, einen ihm so ernstlich Entfliehenden dennoch zu seiner Beute zu machen. Wahrscheinlich hatte der Fürst der Hölle seine Verfolgung für dieses Mal auch ganz aufgeben müssen, wenn der arme Flüchtling, als er bereits ziemlich weit voraus war, nicht nach alter Sitte sicher und dreist geworden wäre. Denn indem er sich nach dem vorgeblichen Gevattersmann, der ihm noch jetzt jenen Zuruf unaufhörlich nachschrie, endlich doch ein einziges Mal neugierig umsah, jedoch indessen rasch fortlief, hatte er das Unglück, seinen Fuß an einen Stein zu stoßen und stolpernd in einen zwar nicht sehr nassen, aber sumpfigen Gra­ben zu stürzen. Jetzt war es um ihn geschehen: Der Teufel holte ihn bald ein; aber – man denke! – anstatt den Ereilten nach Teufels Sitte noch tiefer in den weichen Morast zu versenken, um so die arme Seele in ihren Sünden umkommen zu lassen, zog er den fast erstickenden Schneidermeister dienstfreundlich und wahrhaft gevatterlich aus dem Graben.

»Aber Gevatter!«, hieß es nun, »kennt Er mich denn wirklich nicht mehr oder will Er mich nicht kennen?«

Der aus dem Sumpf gezogene Gevatter zitterte wie Espenlaub, wischte sich den Schmutz aus dem Gesicht, wagte einen halb verstohlenen Blick nach seinem dienstbeflissenen Verfolger und erkann­te in ihm seinem wirklichen Gevattersmann – den Schornsteinfeger aus Punitz.

Dieser Mann hatte in einem benachbarten Dorf Berufsgeschäfte gehabt und sprach bei dem erzähltermaßen verunglückten Schneidermeister, in­dem er über dessen Wohnort nach Punitz zurückkehrte, mit vor. Das Wetter dieses Tages war, wie schon gesagt, sehr böse. Ein kalter Wind und arges Schneegestöber machten die Straßen unweg­sam und fast unkennbar. Den Schornsteinfeger bangte vor der Rückkehr nach Punitz, teils der Wölfe, teils der Finsternis und des Schneegestöbers wegen; denn es war bereits Abend, und doch hatte er noch eine Stunde Weges bis nach Hause. Er gab daher seine Besorgnisse, wie seine Wünsche, dem Gevatter Schneider zu verstehen; allein dieser war so wenig gastfreundschaftlich, dass er den Gevatter Schornsteinfeger, der übri­gens wegen des Nachtquartiers auch gerade keine guten Worte verschwenden wollte, unter den un­günstigsten Wetter und bei einer wirklich gefährli­chen Tageszeit (gegen die Nacht) abmarschieren ließ.

Dieser war indessen kaum fünfhundert Schritte vom Dorf entfernt, als er die Unmöglichkeit, sei­nen Marsch noch bis Punitz fortzusehen, einsah. Er kehrte daher um und war fest entschlossen, im Haus des nicht gastfreundlichen Gevatters zu übernachten, und sollte es selbst ohne die Einwilligung desselben geschehen.

Am Ende schlich er von hinten heimlich ins Hans, verbarg sich, bis alles schlief, in der Küche, und kroch dann, weil ihn zu frieren anfing, fein säuberlich in den ungeheuren Stubenofen, wo die noch warme Asche ein ihm sehr willkommenes Nachtlager darbot. Auch behagte es ihm hier so gut, dass er frühmorgens, als die Frau Meisterin einheizen wollte, noch ruhig schlief, und von deren Vorhaben nicht eher etwas gewahr wurde, bis ihr kreischendes Angstgeschrei ihn aufweckte.

Aber, Himmel! Was erblickten seine kaum geöffneten und fast geblendeten Augen! Vor dem ein­zigen Aus- und Eingang seines Schlafkabinetts, vor der Ofentür, war ein Bündel Gesträuch in lichten Flammen. Er glaubte nichts gewisser, als dass man ihn für seine Zudringlichkeit lebendig braten wolle. So blieb ihm dann nichts übrig, als sich einen Weg zur Rettung und Flucht zu bahnen, so gut er konnte. Ein paar Kacheln oder Ofensteine waren bald in die Wohnstube hineinge­drängt, und so geschah dann, was oben bereits er­zählt worden ist.

Dass der Schornsteinfeger nicht zur gewöhnli­chen Tür aus dem Haufe ging, sondern durch das Fenster dem Flüchtling nachsetzte, verrät freilich ein kleines Teufelsstück. Ich warf sie ihm auch ehrlich vor, als er mir bei seinem letzten Hier­sein zur Reinigung der Schornsteine meiner Woh­nung sein Abenteuer erzählte. Er erwiderte ebenso ehrlich:

»Ja, es verdross mich auch nicht wenig, dass man, wie ich anfangs glaubte, mich lebendig verbrennen wollte und nachher gar für den Teufel selbst hielt. Ich konnte mich daher nicht mäßigen; ich musste einen Augenblick die Rolle desjeni­gen spielen, der ich sein sollte. Der Gevattersmann erregte mein Mitleid erst da, als ich ihn in den schmutzigen Graben stürzen sah; denn er würde darin erstickt sein, wenn ich ihn nicht auf der Stelle herausgezogen und überhaupt beruhigt hätte. Am meisten dauerte mich indessen seine arme Frau, die noch immer ohnmächtig dalag, als wir zu ihr zurückkehrten. Durch unsere vereinigten Bemühungen erholte sie sich endlich wieder. Ich wandte, als sie die Augen zuerst wieder aufschlug, die Vorsicht an, sie von einer Gegend her, wo sie mich nicht sehen konnte, zuvörderst des vermeintlichen Teufels wegen zu beruhigen. Denn da ihr meine Stimme wohl bekannt war, so überzeugten sich ihre Ohren von der Menschheit des Ofenbewohners früher, als dies vielleicht ihren Augen gelungen sein würde.

Als beide Geisterseher endlich völlig wieder beruhigt waren, lachten wir uns recht satt über das arge Missverständnis. In­dessen war es den guten Leuten doch nicht angenehm, dasselbe erlebt zu haben. Sie baten mich inständig, die Geschichte niemand zu erzählen. Ich versprach es, habe bis jetzt ehrlich Wort gehalten und ersuche Sie, Herrn Amtmann Dütschke, wenn Sie sie nacherzählen, meinen und meines Gevat­ters Namen nicht zu nennen.«

Diese Bitte macht dem Herzen des Schornstein­fegers zu viel Ehre, als dass nicht auch ich mich verpflichtet achten sollte, ihm Wort zu halten. Aber deshalb bleibt doch der ganze Vorfall gleich lehr­reich, wenn man bedenkt, welch irrige und feste Überzeugung diese vermeinte Teufelei hervorge­bracht haben würde, wenn dem Schornsteinfeger beliebt hätte, nachdem er durch den Ofen und das Fenster auegefahren war, ruhig und ohne sich je zu verraten, nach Hause zu gehen.

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