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Lorenz, der hinkende Wirt am langen Steg – Kapitel 4

Lorenz, der hinkende Wirt am langen Steg
verfolgt von einem Hexenfluch
Ein höchst belehrendes Volksgeschichtchen für jedermann
Verlag der J. Lutzenberg’schen Buchhandlung, Altötting, ca. 1860

4. Kapitel

Lorenz abermals im Dienst beim Holzhanns. Die Mordnacht am Hochzeitsfest

Bei dem Holzhanns fand auch der hinkende Lorenz die beste Aufnahme. Das Soldatenleben hatte ihm nur an seinem Fuß ein Andenken hinterlassen, sonst war er der nämliche geschickte und rüstige Knecht wie früher. Sein Aufenthalt war nun meistens im einsamen Wald, wo er bei seiner Arbeit nichts mehr hörte als seinen eigenen Axtschlag, den Gesang der Vögel und den gellenden Schrei der Raubvögel und fast mehr Eichhörnchen sah als Menschen. Es war ihm auch nicht mehr viel um den Verkehr mit diesen, weil er ihn in der Arbeit störte. Zu einer Unter­haltung mit ihnen bedurfte er ihn auch nicht, denn er wusste mit den Bäumen zu reden, die er zu fällen hatte, drohte den Hartnäckigen und Widerspenstigen und vollzog auch die Drohung und konnte dann manchem Stamm, der zusammengebrochen vor ihm lag, eine Art Leichenrede halten. Gerne sagte er laut zu einem solchen Stamm: »Was trugst du denn den Schopf so hoch; jetzt liegst du auf der Erde doch.« Und zu sich: »So geht’s, ein wilder Baum im Wald wird umgehauen und verbrennt bald.«

Wenn ihn so seine Mitknechte belauscht hatten, munkelten sich einige zu, dass Lorenz doch immer etwas anhänge, sonst würde er ja nicht laut mit sich selbst reden wie ein Verrückter. Wenn aber Lorenz abends nach Hause kam, so pflegte der Holzhanns, sein Herr, gewöhnlich ihn vor allem zu fragen: »Wie viel Stämme liegen? Bist ein ganzer Mensch; jetzt komm und iss, geh frühzeitig zu Bett. In der Stadt wollen’s Holz haben. Um 2 Uhr früh muss der Zug ab. Spar nicht mit Essen und Trinken, auch mit dem Trinkgeld nicht und bring mir nur die Rosse wieder recht heim. Sollst es nicht bereuen.«

Stand kein solcher Zug bevor, so setzte sich Lorenz im Winter an den Ofen und schnitzte schweigend alle möglichen kleinen Gerätschaften, auch Kunstwaren nach seiner Weise, während die Mägde mit Spinn­rädern und Zungen hantierten, die Knechte aber sonst allerlei arbeiteten. Man hielt ihn deswegen für einen wunderlichen Kauz und ließ ihn gehen.

Im Haus des Holzhanns wurde viel und laut gebetet. Lorenz machte eifrig mit und fehlte an Sonn- und Feiertagen nie in seiner Pfarrkirche, wenn er doch zu Hause war. In Wirtshäusern, auf Kegel­bahnen und bei Scheibenschießen war er wenig zu sehen und dieser Umstand schützte ihn vor eigentlicher übler Nachrede bei seinem sonderbaren Wesen; denn dass dieses von der langen Greth oder von einer geheimen Liebschaft oder von einer Sucht durch Lotterie oder Schatzgräberei reich werden zu wollen herkomme, war doch nur Munkelei böser Mäuler und Herzen. So schlichen seit der Rückkehr des Lorenz vom Soldatenleben abermals anderthalb Jahre dahin und er lebte zufrieden und schien weder zu wünschen noch zu glauben, dass es je anders kommen könnte.

Seit der letzten Holzfuhre aber hatte der Holzhanns an seinem sonst allzeit verlässlichen Fuhrknecht Lorenz eine Veränderung unliebsam bemerken müssen, und dass ihm etwas Besonderes begegnet sei; denn er hatte, was bisher noch nie geschehen war, zwei Nebenaufträge rein vergessen und einen Dritten verkehrt ausgerichtet; dazu auch noch um einige Groschen mehr Zehrgeld gebraucht, als ihm sein Herr mitgegeben hatte. Als der Holzhanns ihn nun deswegen befragte, was ihm etwa über die Leber gelaufen sei, beteuerte Lorenz halb erschrocken und mit ehrlichen Augen, er wisse sich keiner besonderen Vorfalles zu entsinnen. Viel­leicht wusste er es wirklich auch selbst nicht, dass ihm etwas Besonderes zugestoßen war. Der Holzhanns ver­mutete aber schon etwas und täuschte sich auch nicht; doch drang er für diesmal nicht weiter in Lorenz.

Diesem aber, der schon leicht hundertmal bei seinem Fuhrwerken im Wirtshaus am langen Steg einkehrte, war es begegnet, dass ihm noch niemals, als seit seiner letzten Fuhr, die Wirt-Lise, die jüngste Schwester des Wirtes, welche eigentlich die ganze Wirtschaft versah, weil sich die Frau Wirtin zu vornehm dafür dünkte, als ein solcher Ausbund von Schönheit und Tugend vorgekommen sei, auch niemals mit ihm so zutraulich und freundlich geredet habe, wie diesmal. Es war die rasch entflammte Leidenschaft zu diesem Mädchen, welche der gute Lorenz hätte mit der Hilfe Gottes beherrschen sollen und die ihn nur umso mehr verwirrte und peinigte, weil sie in ihm nur aussichtslose Gefühle nährte, denn, wie hätte er als Abkömmling so unglücklicher Eltern als Knecht, der nur hatte, was er verdiente und noch dazu mit einem Hinkfuß auf die Wirts-Lise zu einer Heirat antragen können? Sein eigener Verstand sagte ihm dieses selbst, darum ver­riet er auch kein Wörtlein davon. Hätte der arme Lorenz seine Herzenswunde seinem Herrn aufrichtig offenbart, er hätte weniger zu leiden gehabt. Ein­mal noch kehrte Lorenz beim Wirt am langen Steg ein; aber Lise war nicht zu Haus.

Bald darauf wurde dort eine größere Hochzeit ge­halten, auf welche nebst mehreren Angesehenen aus dem Tal und der Umgebung auch der Holzhanns geladen war. Bei solchen Gelegenheiten kutschierte gewöhnlich der Meisterknecht seinen Herrn; aber diesmal hatte Lorenz wider seine Gewohnheit mit Bitten nicht nachgegeben, bis er ihm gestattete, ihn statt des Meisterknechtes zur Hochzeit zu fahren. Obwohl er sich sonst mit sehr einfacher Kleidung begnügte, hatte er doch heute sein Schönstes zusammengesucht und sich damit ausstaffiert, sodass manche seiner Mitdienstboten flüsterten: »Jetzt wird Lorenz auch hoffärtig, aber sein krummer Fuß ist doch nicht gerade.«

Nachdem nun Lorenz mit seinem Herrn vorge­fahren war und mit dem Hausknecht Ross und Wagen besorgte, hörte er von der Haustür her ein so freundliches »Wie geht’s Lorenz? Brav, dass du auch da bist, heute bist du ja gar festlich beisammen«, dass er darüber zusammengefahren war, als hätte man ihn bei einem Verbrechen ertappt. Es war die Wirts- Lise, die ihm so zurief, und die aber sogleich wieder den Rücken kehrte und im Hausgang verschwand.

Kaum je einmal sah und hörte man ein so rüh­riges und fröhliches Leben im Wirtshause am langen Steg, wie heute.

Reiche und wohlhabende Leute mit den schönsten Trachten waren zu sehen; unten in den Stuben saßen die gesetzten Männer mit ihren ehrsamen und wohl­gekleideten Ehehälften an Tischen, welche unter der Last von Flaschen, Gläsern und Schüsseln schier zusammenbrachen. Alles redete und erzählte nach Herzens­lust und war der heitersten Laune. Der sehr niedrige, aber geräumige Tanzsaal war gesteckt voll, versteht sich, von der jungen Welt und aus diesem schallte weithin ins Tal die Musik, vermischt mit dem Jauchzen heller Kehlen. Die schöne Wirts- Lise aber war überall um und bei, oder richtiger vor lauter Tätigkeit überall und nirgends; sie war ja an dem heutigen Ehrentag die Hauptordnerin und Schaffnerin.

Der Kutscher Lorenz hatte auch seinen Platz be­setzt und beschäftigte sich eben ernst und trübsinnig mit dem Gedanken, dass nun wohl auch bald die Lise mit einem reichen und vornehmen Bräutigam Hoch­zeit halten werde, wie ihm dann sein wird, als sie auch schon vor ihm stand und sagte: »Lorenz, du bist ja gar nicht fröhlich, wo fehlt es? Geh bring mir’s einmal.«

Der arme Tropf wurde blass und rot, schnappte nach Luft und sprach endlich: »Jung­frau Lise, es geht mir nicht schlecht; während diese schon wieder auf und davon war. Verdrießlich über sich, dass er so ungeräumt geredet, ging auch er, und zwar auf die Kegelstatt, wo er die schwersten Kugeln mit einer Heftigkeit schob, dass sie hinten am Fang klafterhoch über die Bretterwand aufflogen und die Kegelbuben zu lautem Gemurre reizten. Lorenz hatte auch das Kegelspiel, bei dem er verlor, nicht aufgeheitert.

Als er wieder an seinem Platz saß, kam der Hausknecht, der an Lorenz eine gute Kundschaft wegen dem Trinkgeld bei seinen Holzfuhren hatte, zu ihm und erzählte ihm unter anderen vertraulich, dass der Herr Pfarrer bald wieder eine Eheverkündung haben werde und es kann eine noch vornehmere Hochzeit abgeben könne, denn zwei Bewerber um unsere Lise sind da, der reiche Ochsenwirt von Sch. und der noch reichere Krämer von F. Beiden hat sie ein Sträußlein gegeben und mit ihnen des Öfteren getanzt. Ich betrüge mich aber gewiss nicht«, fuhr er fort, »dass der Ochsenwirt gewinnt, denn der hat etwas Liebes in seinem Auftreten und seinem Benehmen und ist viel schöner als der lange dürre Krämer mit seinem früh­alten Gesicht und einem so großen Maul, als ob er die ganze Welt verschlingen möchte. Die goldenen Ringe an den knöchernen Fingern und das beständige Wühlen in seinen talerklingenden Hosentaschen werden ihm nicht helfen und noch weniger seine spöttischen Bemerkungen und Dreschflegelwitze, mit denen er jeden Menschen beleidigt.«

Lorenz hörte schweigend zu, aber es kochte in seinem Inneren – er eilte fort ins Freie.

Gegen Mitternacht hatte der Hochzeitslärm seinen Höhepunkt erreicht. Lorenz stand in einer Ecke des Tanzsaales und schaute verzehrenden Blickes nach einem walzenden Paar. Es war der Ochsenwirt und die Lise. Der Krämer machte ein Lärmen, als suchte er Händel mit Gewalt. Auf einmal stellte er dem Ochsen­wirt ein Bein beim Tanz, dieser stürzte und riss seine Tänzerin mit sich. Im Nu aber flog auch der Krämer von einem furchtbaren Stoß des Lorenz ge­troffen seiner ganzen Länge nach mitten in den Saal. Die Musikanten schwiegen, die Lichter wurden gelöscht, schreiend flohen die Tänzerinnen. Es begann eine jener entsetzlichen Schlägereien, wo der im Übergenuss des Getränkes verborgene Teufel seine Macht entfaltet und in Tätigkeit setzt.

Nur wenige Minuten dauerte der Kampf und der Wirt mit Männern und seinen Knechten kamen mit Lichtern. Die Raufenden fuhren auseinander. Keiner muckste, das Kerzenlicht beleuchtete Dinge, die allen das Blut erstarren ließen. Blutlachen, blutige Köpfe, zerrissene Kleider, zerschlagene Stühle, doch dies waren noch Kleinigkeiten; aber röchelnd in seinem Blut lag der junge Ochsenwirt von Sch. und röchelnd neben ihm der langbeinige Krämer von F., des Lorenz blutiges Messer krampfhaft in der Faust haltend. Dieser Anblick machte die Erhitztesten nüchtern, jam­mernd packten die Musikanten ihre Instrumente zu­sammen und entfernten sich.

Ein Klagen, ein Seufzen, trauriges Flüstern, ein Gehen und Kommen, ein Anordnen und Ratgeben, gemischt mit den schweren Atemzügen des mit dem Tode ringenden Ochsenwirtes und vom wilden Auf­schrei des im Schmerz sich krümmenden Krämers.

Wagen mit Hochzeitsgästen rasselten ab und andere um den Geistlichen, den Arzt und zu dem Gericht, um Anzeige zu machen. Der Pfarrkaplan eilte herbei und kam noch zur rechten Zeit, um dem Ochsenwirt die letzte heilige Ölung zu spenden und dann doch auch noch den Krämer zu versehen, der anfangs vom Beichten nichts wissen wollte, weil er jener Aufklärung zugetan war, die auf Religionsspötterei und Pfaffen­hass hinausläuft. Er empfing die heiligen Sakramente und stammelte nach, was ihm vorgebetet wurde.

Als der Doktor kam, hatte sich auch der Krämer innerlich verblutet und mächtig ausgestreckt zum letzten Schlaf.

Der Amtmann und seine Begleitung trafen nur mehr zwei Leichen. Der Krämer hatte vor seinem Tod vor den Anwesenden beteuert, er selbst sei der Mörder des Ochsenwirtes, ihm aber habe Lorenz durch einen Stich das Leben genommen. Lorenz war nicht zu finden.

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