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Blutrosen 18 – Das Vermächtnis des Räubers – Teil 5

Blutrosen
Schauererzählungen
frei nach dem Französischen des Eugène Sue, Alexandre Dumas d. Ä, Honoré Balzac, Victor Hugo und andere
Verlags-Comptoir. Breslau. 1837
Druck von M. Friedländer in Breslau
Zweiter Teil

Das Vermächtnis des Räubers
Teil 5

»Es ist ein ganz einfaches Ereignis«, begann er, »obwohl es grausame Folgen für mich gehabt hat.

Nachdem ich mich in Brest ausgeschifft hatte, reiste ich in einer Postchaise durch die Bretagne. Ich war allein und hatte 400.000 Franc in Banknoten bei mir. Wir mussten über eine unermessliche Sandfläche, die Sandfläche von St. Michel genannt.«

Launay, der beiseite geblieben und nicht mit in den Kreis, der sich um Herrn Burns gebildet hatte, hineingerückt war, fuhr bei diesem Namen auf, richtete den Kopf in die Höhe und horchte auf.

Der Engländer, der alles gesehen hatte, fuhr fort: »Als wir an diese Stelle gelangten, war die Nacht schon weit vorgerückt und die Dunkelheit war groß. Die Postchaise begann auf dem feuchten Sand dahinzurollen, ohne dass man weder das Gerassel der Räder noch die Huftritte der Pferde vernahm. Eine solche Fahrt hat etwas Eigenes. Ich fühlte mich wie bezaubert in dieser tiefen Finsternis. Zu meiner Rechten in unermesslich langer Linie sah ich weiße, sich bewegende Gestalten, welche zum Vorschein kamen und wieder verschwanden.  Ein verworrenes Geräusch, dem vieler Stimmen ähnlich, ertönte von dieser Seite. Es war das Brausen des Meeres, bei dem die Ebbe eintrat. Seit zehn Minuten fuhr ich so dahin, ganz mit dem bizarren Schauspiel beschäftigt, das ich vor Augen hatte, als der Wagen vor einem, mitten auf dieser Sandfläche wie ein ägyptischer Sphyr in der Wüste dastehenden Felsen vorbeifuhr. ›Der Irglas!‹, rief mir der Postillion zu, mit seiner Peitsche die ungeheure Felsklippe bezeichnend. Dieser Name wird mir nie aus dem Gedächtnis kommen. Kaum waren wir bei dem Felsen vorbei, als die Postchaise plötzlich anhielt. Ich hörte einen Schrei und das Geräusch, welches dem Sturz eines Menschen glich. Ich fuhr mit dem Kopf zum Schlag heraus, aber ich hatte nicht Zeit, mich umzusehen. Ich erhielt einen heftigen Schlag auf den Kopf und sank in meinem Blut schwimmend, in den Wagen zurück.«

Herr Burns hielt einen Augenblick inne und richtete seine Augen auf Launay. Dieser war nicht von seinem Platz gewichen, aber seine Blässe war erschrecklich.

Herr Burns fuhr fort: »Als ich mehrere Tage danach wieder zu mir kam, erfuhr ich, dass mich einige Fischer auf dem Sand gefunden, wo man meinen Wagen geplündert und den Postillion tot aufgefunden hatte. Ich brachte drei Monate zu, ehe ich wieder von meiner Verletzung hergestellt wurde.«

»Und man konnte Ihre Mörder nicht entdecken?«, fragten mehrere.

»Die Nachforschungen, welche angestellt wurden, führten zu keinem Resultat. Gleichwohl hatte ich noch einige Hoffnung, denn unter den geraubten Gegenständen befand sich eine Kassette, welche mehrere Kleinodien enthielt, die leicht erkennbar sind, unter anderen eine Agraffe wie diese hier.«

Herr Burns zeigte die Agraffe, die er in der Hand behalten hatte. Man beugte sich hinzu, um ihn zu betrachten, als Miss Fanny einen Schrei ausstieß. Alle Augen wandten sich zu der Stelle hin, welche ihre Augen bezeichneten. Eduard Launay lehnte an der Wand einer Ohnmacht nahe.

»Was fehlt ihm?«, rief man von allen Seiten.

»Ich kann es Ihnen sagen«, sprach Burns sich hoch aufrichtend.

»Mein Vater!«, schrie Fanny, ganz außer sich, und mit bittenden Händen ihm entgegenstürzend.

Der Engländer fing sie, fast ohnmächtig, in seinen Armen auf. Aber bei diesem Ausruf hatten sich alle Blicke erstaunt weggewendet. Launay selbst vernahm ihn, er sprang vor, stieß die ihm zunächst Stehenden beiseite und wiederholte, als er Herrn Burns gewahrte, der das junge Mädchen gestützt hatte, wie geistesabwesend: »Ihr Vater! Ihr Vater! Mein Gott, ihr Vater!«

Er blickte einen Augenblick verstört um sich, schoss dann zur Tür und verschwand.

Die Sorgfalt, welche Herr Burns in den ersten Augenblicken Miss Morpeth widmen musste, die von Krämpfen und einem heftigen Fieber befallen worden war, hatten ihn von jedem anderen Gedanken abgelenkt.

Seine Tochter, denn diesen Namen können wir ihr jetzt geben, war endlich eingeschlummert. Er hatte sie einen Augenblick verlassen und ging eben nachdenkend in Fannys Vorzimmer auf und ab, als es auf einmal leise geöffnet wurde und Eduard Launay auf der Schwelle zum Vorschein kam. Herr Burns fuhr erstaunt und fast erschrocken zurück. Der junge Mann blieb stehen. Es lag so viel Demütigung in seiner Haltung, dass der Engländer beruhigt wurde.

»Sie erwarten mich ohne Zweifel nicht, mein Herr!«, begann Eduard mit leiser Stimme.

»Es ist wahr, die Meuchelmörder gehen gewöhnlich mit mehr Vorsicht zu Werke.«

»Auch würde ich mehr Vorsicht gebraucht haben, wenn ich ein Mörder wäre, aber ich komme sie zu enttäuschen, mein Herr.«

Herr Burns schüttelte den Kopf.

»Ach, fällen Sie kein voreiliges Urteil. Was ich Ihnen sagen will, lässt mich strafbar genug, sodass Sie mir immer glauben können. Übrigens, mein Herr, kann ich den Beweis, dass ich an diesem Frevel keinen Anteil genommen habe, leicht führen. Zu der Zeit, als er verübt wurde, befand ich mich schon seit einem Jahr auf dem Südmeer. Diese Dienstzeugnisse werden es bestätigen.«

Der Engländer sah auf das Papier, das ihm Launay darbot.

»Wo haben Sie denn diesen Stein her?«, fragte er, »warum Ihre Unruhe, als Sie vorhin meine Erzählung anhörten? Es liegt klar am Tage, dass Sie wenigstens Mitwissenschaft um das Verbrechen haben, sofern Sie keinen Anteil daran gehabt haben.«

»Wohl habe ich darum gewusst.«

»Sie gaben bei Miss Fanny diese Agraffe für ein Erbstück aus, also muss ich Ihre Familie anklagen?«

Launay schauderte; eine Rechtfertigung, an die er noch nicht gedacht hatte, wurde ihm in diesen Worten angedeutet! Aber er schämte sich dieses Gedankens.

»Nein, nein«, sprach er, »meine Familie wurde stets geachtet und war der Achtung würdig.«

»Welchen Anteil haben Sie also an diesem Verbrechen gehabt, Unglücklicher?«

»Ich habe die Erbschaft davon in Empfang genommen, das ist mein Vergehen. Hören Sie mich, mein Herr, meine Augenblicke sind kostbar und ich habe keine Zeit zu verlieren!«

Herr Burns gab ihm ein Zeichen, dass er ihn hören wolle. Und nun erzählte ihm Launay alles, was vorgefallen war, das Bekenntnis Peter Kronaus, seinen Tod, die nach dessen Beschreibung von ihm angestellten Nachsuchungen im Irglas und endlich ihren Erfolg. Als er diese lange Beichte beendet, in der er keinen Umstand weggelassen hatte, überreichte er Herrn Burns eine Brieftasche und ein Schmuckkästchen.

»Ihre 400.000 Franken sind in der Bank angelegt«, fuhr er fort, »Sie werden darin die Quittungen sowie eine Urkunde von meiner Hand vorfinden, worin Ihnen das Eigentumsrecht abgetreten ist. Das Schmuckkästchen enthält den Rest des Raubes.«

Herr Burns untersuchte die Papiere und das Schmuckkästchen. Als er sich überzeugt hatte, das nichts fehlte, sagte er mit einer gewissen Verlegenheit zu Launay: »Mein Herr, Ihre Erzählung ist so wunderbar. Diese Wiedererstattung kommt mir so unerwartet, dass ich nicht weiß, welche Gefühle ich gegen Sie aussprechen soll. Soll ich Ihnen meinen Dank abstatten oder Vorwürfe machen? Sie haben sich schwer vergangen.«

»Ein Verbrechen habe ich begangen, mein Herr, ein Verbrechen. O! Ich suche nicht, die Wahrheit zu schminken. Nach Kronaus Geständnis kämpfte ich lange Zeit, aber ohne Erfolg. Ich dachte nur an den verborgenen Schatz. Jede Nacht sah ich den Irglas in meinen Träumen, ich sah darin die Kassette und die Brieftasche. Wenn ein mit Gold bestickter Chef meinen Gruß kaum erwiderte, wenn eine Equipage mich auf der Straße mit Schlamm bespritzte, wenn eine elegante Dame vor meiner einfachen Uniform vorüberging, ohne sich nach mir umzublicken, da hörte ich eine Stimme in meinem Inneren rufen: Der Irglas, der Irglas! Dort war alles: höfliche Grüße, Equipagen, das Lächeln der Frauen! Um reich zu werden, brauchte ich nur wie in den Feenmärchen zu sagen: Ich will! Ich brauchte, gleich Moses, nur an den Felsen zu schlagen, und ich ließ eine Goldquelle hervorsprudeln. Und hierzu brauchte ich weder einen zu morden noch einen Meineid zu begehen, sondern bloß das Blut abzuwaschen, womit ein anderer den Schatz besudelt hatte, und ihn still wegzutragen. Ich unterlag; aber mit meiner Armut war meine Ruhe dahin. Ein Schatten verfolgte mich überall. Jeden Augenblick war es mir, als ob mir eine Stimme zurief: Gib mir wieder zurück, was du mir geraubt hast!

Ich ging nicht mehr aus, außer mit Gift, und war entschlossen, meine Schande nicht zu überleben, wenn ich entdeckt würde. Vergebens wiederholte ich bei mir, dass meine Befürchtungen unsinnig waren, das ja der Eigentümer dieser Schätze nicht mehr am Leben wäre. Dessen ungeachtet hatte ich Furcht, wie die Kinder bei Nacht, aus Instinkt, und ohne zu wissen, warum.«

Launay schwieg. Seit einigen Augenblicken schien er lebhaft Schmerzen zu empfinden und seine Hand fuhr häufig nach seiner Brust. Nach einem kurzen Schweigen fuhr er wieder fort: »Aber was kümmern Sie alle diese Umstände, mein Herr! Die Erzählung meiner Versuchung und Martern kann nur mich interessieren: Verzeihung, ich gehe.«

Er tat zwei Schritte zur Tür, dann blieb er stehen, als ob er noch etwas wünschte und nicht darum zu bitten wagte.

»Wir werden uns nicht wiedersehen«, sprach er mit gebrochener Stimme und ohne die Augen aufzuschlagen. »Das Lebewohl, welches ich Ihnen sage, ist das eines Sterbenden … mein Herr … ich hätte gewünscht … ich hatte gehofft, dass es von Ihnen nicht allein gehört würde … mein Herr … Ach! Dass sie mir noch einen letzten Blick zuwürfe, dass ich sie noch einmal reden hörte!« Er blieb stehen und betrachtete Herrn Burns, aber dieser hatte die Augen niedergeschlagen.

»Ich begreife«, fuhr Eduard schmerzlich fort, »Sie halten mich dieser letzten Gunst für unwürdig. Ich habe kein Recht, mich zu beklagen. Nur die sich rein wissen, können auf Mitleid und Barmherzigkeit Anspruch machen.«

Er verbeugt sich und schickte sich eben zum Fortgehen an, als plötzlich Miss Fanny erschien. Sie war weiß gekleidet, ihr Haar war aufgelöst und ihre Augen brannten in Fieberglut. Bei ihren Anblick konnte Launay einen Schrei nicht unterdrücken. Die beiden Liebenden blieben regungslos und zitternd einander gegenüber stehen. Herr Burns eilte auf seine Tochter zu.

»Was suchen Sie hier, Miss Fanny? Kehren Sie in Ihr Zimmer zurück, ich will es …«

»Ach! Mein Herr, beneiden Sie mich nicht um diese traurige und letzte Freude«, sagte Launay in einem so sanften Ton, dass das junge Mädchen in Tränen zerfloss.

Er wandte sich nach ihr hin.

»Haben Sie Dank, Miss Fanny, für diese Tränen, haben Sie Dank, dass Sie gekommen sind. Ich hoffte nicht, Sie wiederzusehen.«

»Ich habe alles gehört«, stotterte sie unter Schluchzen.

»Dann werden Sie mich verachten!«

Statt aller Antwort warf sich Miss Morpeth in seine Arme. Launay erwartete so wenig dieses Gefühl, dass er einen Augenblick wie vom Glück betäubt dastand; aber bald, als er zu den Gefühlen seiner Freude wieder zurückkam, presste er die Jungfrau an sein Herz und bedeckte ihren Kopf und ihr Antlitz mit Küssen. Einige Minuten lang hörte man nur Schluchzen, Liebkosungen, wiederholt ausgesprochene Namen. Herr Burns, der bis dahin stumm vor Entsetzen geblieben war, fasste endlich mit Gewalt seine Tochter beim Arm und versuchte sie Eduards Umschlingungen zu entreißen, aber Fanny sträubte sich.

»Lassen Sie mich, mein Vater«, rief sie in wahnsinniger Aufregung. »Ich habe versprochen, die seine zu werden.«

»Fanny, Sie sind wahnsinnig!«

»Ich habe versprochen, die seine zu werden und verlasse ihn nicht mehr.«

»Mein Herr«, sagte der Engländer vor Zorn zitternd, »bei Ihrem Kopf, lassen Sie ab von diesem jungen Mädchen.«

»Hören Sie mich, mein Vater«, sagte plötzlich Fanny sich emporrichtend. »Ziehen Sie Ihre Hand von mir ab und lasst sie mich ihm folgen. Ich werde Ihren erlauchten Namen keine Schande machen, denn der Flecken, der auf meiner Geburt haftet, hat mir nie gestattet, ihn zu führen. In Ihr Leben werde ich keine Leere bringen, denn ich bin stets nur für Sie ein Vorwurf, ein Gewissensbiss gewesen oder habe Sie in Verlegenheit gesetzt. Ich will Sie davon befreien mein Vater. Sagen Sie, dass ich heute gestorben sei. Dieses weiße Kleid ist mein Grabtuch. Leben Sie wohl, mein Vater, ich bin nicht mehr eines Fürsten Tochter, sondern Eduards Gattin. Leben Sie wohl, im Himmel sehen wir uns wieder.«

Bei diesen Worten schloss Miss Fanny in wahnsinniger Liebe Launay in ihre Arme und barg seinen verwirrten Kopf an ihren Busen. Herr Burns konnte diesen Anblick nicht länger ertragen. Aufs Äußerste aufgebracht, fasste er Fanny mit einer Hand und erhob die andere drohend gegen Eduard.

»Keine Gewalt, mein Herr«, sprach dieser mit Anstrengung, »fürchten Sie nichts, ich werde das Opfer dieses Engels nicht annehmen, ich kann es nicht annehmen. Glauben Sie denn, dass ich, der ich nicht in Armut leben konnte, mich darein fügen würde, in Schande und Armut zugleich zu leben? Entfernen Sie ihre Tochter! Sehen Sie denn nicht, das ich sterbe? Ich habe Gift genommen!«

Fanny stieß einen Schrei aus. Sie beugte sich über den jungen Mann, welcher wankte, und fing ihn in ihren Armen auf. Da lächelte Eduard, suchte das Herz des geliebten Mädchens und lehnte sanft sein Haupt daran.

Noch waren nicht acht Tage verflossen, als man Fanny in ein Grab neben dem seinen legte.

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