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Der Detektiv – Das Gespensterwrack – Teil 3

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Das Gespensterwrack

Teil 3

Am nächsten Morgen sagte Harst beim Frühstück auf dem Deck zu mir: »Ich werde das Ehepaar Burton nachher besuchen. Karl soll mich begleiten. Wir nehmen das Aluminiumboot und den Ansteckmotor dazu.«

»Wen?«, fragte ich. »Burton? Der Name war nicht gerade selten in Amerika und England. Hier aber hatte ich ihn noch nicht gehört. Meinst du etwa die Pragers?«, fügte ich hinzu.

»Nein. Ich meine Thomas Burton. Er wohnt auf einer der Inseln südöstlich von hier. Es sind kaum vier Kilometer bis zu seinem Eiland. Ich habe mir das Inselchen und die Baulichkeiten beschreiben lassen. Ich werde schon hinfinden.«

Was Harst auf der kleinen Insel erlebte, hat er mir danach genau erzählt. Ich schildere diesen Ausflug daher so, als wäre ich dabei gewesen.

Das Beiboot, getrieben von dem knatternden Heckmotor, legte bald an einer der zahlreichen Inseln an, und zwar an einem kurzen Holzsteg, an dem bereits ein Boot vertäut war. Karl musste im Boot bleiben, während Harst auf das niedrige gelbgestrichene Gebäude zuschritt. Nachdem er wiederholt den eisernen Türklopfer in Bewegung gesetzt hatte, ohne dass jemand sich meldete, ging er um das Haus herum, da er die Bewohner auf dem Hof anzutreffen hoffte.

Harst betrat den Gemüsegarten, der viele alte Obstbäume und Beerensträucher enthielt, ging suchend durch die schmalen Wege und stand plötzlich vor einer Weinlaube, in der auf einer Bank ein weibliches Wesen saß, das den Oberkörper über einen plumpen Tisch gelehnt und das Gesicht in die Arme vergraben hatte. Ein wildes Schluchzen schüttelte den Körper dieser Frau wie im Fieberfrost hin und her und zuweilen kam es auch wie ein leiser Aufschrei über ihre Lippen.

Harst hüstelte. Endlich richtete die Weinende sich erschrocken auf, stierte den Fremden wie einen bösen Geist an und rief dann auf Englisch: »Wer sind Sie? Was führt Sie her?«

Harst nannte seinen hiesigen Namen Hirt und erklärte, er sei in der Absicht hergekommen, sich nach einem Wrack zu erkundigen, das hier im Fjord unter der Bezeichnung Gespensterwrack benannt sein solle.

Die Wirkung dieser Sätze war eine recht auffallende. Die Frau erbleichte, lehnte sich wie in einem Anfall von Schwäche an den Tisch, hob abwehrend die Hände und brachte nur stockend hervor: »Gehen Sie, mein Herr, gehen Sie! Ich weiß nichts von einem solchen Wrack, oder besser, ich weiß so wenig darüber, dass es Ihnen kaum genügen dürfte …«

Harst hatte längst gemerkt, dass diese vergrämte Frau ihn zu täuschen versuchte.

»Ich gehöre zu einem Vergnügungsfahrzeug«, erwiderte er, »das nur zu kurzem Aufenthalt in den Hafen von Vallö eingelaufen ist. Zufällig hatte ich früher einmal in einer norwegischen Zeitung eine Notiz über dieses Wrack gefunden. An diese Notiz erinnerte ich mich jetzt. Und deshalb wollte ich nun hier an Ort und Stelle Genaueres zu ermitteln suchen.«

Während er in dieser Weise Gleiches mit Gleichem vergalt und log, hatte er in dem Gesicht der Frau eine plötzliche Veränderung wahrgenommen. Ihr Blick war an ihm vorübergeglitten und wie in jähem Schreck war sie dann leicht zusammengezuckt. Außerdem sah er nun auch, da er mit dem Rücken zur Sonne hin stand, neben sich am Boden den Kopfschatten eines Mannes, der eine Mütze trug.

»Sie … Sie sind Deutscher?«, forschte die Frau nun weiter. »Sie sprechen das Englische wenigstens mit jenem Akzent, wie es alle Deutschen tun.«

Harst verneigte sich zustimmend. »Sie haben richtig vermutet. Welche Hitze heute«, fügte er hinzu und schaute nach oben, drehte sich dabei langsam um. »Keine Wolke am Himmel, wirklich ein Wetter wie …«

Nun hatte er den Mann mit der Mütze vor sich, tat sehr überrascht und sagte zu dem glattrasierten, starkknochigen Menschen, der etwas verlegen zurückgetreten war: »Verzeihen Sie, dass ich hier eingedrungen bin. Ich habe wohl den Herrn dieses Hauses vor mir?«

Der andere nickte wenig höflich. »Yes, ich bin Thomas Burton, Landschaftsmaler, und das ist meine Frau.«

Harst wiederholte nun den Zweck seines Besuches und erklärte noch, er habe in Vallö gehört, dass Burton das Wrack des Hardanger gemalt habe. Er nehme daher an, hier besonders genaue Auskunft erhalten zu können. Auf die Reden der abergläubischen Bevölkerung von Vallö sei eben nichts zu geben.

»Ganz recht!«, bestätigte dies Burton. »Die ganze Sache ist ja nichts als ein richtiges Seemannsgarn, das heißt Schwindel.«

Harst verabschiedete sich. »Entschuldigen Sie die Störung, Master Burton. Es sollte mir Leid tun, wenn ich Ihre Gattin durch meine Fragen aufgeregt hätte.«

Gleich darauf ratterte das kleine Beiboot wieder davon.

Um elf Uhr legte es neben dem Optimus an. Karl stieg mit langem Gesicht auf Deck und flüsterte mir zu: »Ich habe nichts gesehen als Inseln, Häuser und auf dem Eiland, wo die Burtons wohnen, weit ab vom Landungssteg ein blondes Mädelchen, das ein Schifflein an einer Schnur schwimmen ließ.«

Gegen ein Uhr nachmittags verließen Harst und Karl die Jacht wieder in dem winzigen Boot.

Harst saß am Steuer des kleinen, flinken Bootes und lenkte es nicht etwa auf die winzigen Inselchen zu, hinter denen das Wrack des Hardanger zur Mitte des Fjords zu liegen musste, nein, er tat vielmehr so, als wollte er die Küste nach Süden hinabfahren. Er fürchtete nach seinen bisherigen Erlebnissen hier mit Recht, dass er von gewissen Leuten beobachtet werden könnte, und benutzte daher erst eine gute Gelegenheit, die sich ihm in einer engen Fahrstraße zwischen zwei langgestreckten, kahlen Felseninseln bot, mit dem Boot in einer schmalen Bucht einer dieser Inseln zu verschwinden.

Eine Stunde später glitt ein kleines Segelboot langsam an der Insel vorüber, wo der Maler Burton dicht am Strand wohnte. Harst bemerkte, dass ein Boot, das vorhin dort drüben an dem Landungssteg gelegen hatte, als er in jenem Haus sich anscheinend nur nach dem Wrack hatte erkundigen wollen, nun verschwunden war. Es war hellgrau mit blauem und rotem Streifen gestrichen. Dass es den Burtons gehörte, wusste er.

Er wandte sich nun an den Jungen, der am Heck neben ihm stand und so tat, als hantiere er mit einer Schleppangel herum. »Karl, wir wollen jetzt hier die umliegenden Inseln und auch die Küste nach einem hellgrauen Boot mit blauem und rotem Streifen absuchen. Pass also gut auf. Ich nehme an, das Boot wird irgendwo in der Nähe eines Hauses vertäut sein.«

Während sie nun die Inseln umfuhren und in den zahlreichen Kanälen überall scharf Ausschau nach dem Fahrzeug der Burtons hielten, stärkten sie sich durch den Proviant, den Harst sich von Jakob Pedersen hatte mitgeben lassen.

Von den Inselchen südöstlich von Vallö bis zum Fulehuk-Leuchtturm, der gleichfalls auf einem Felseneiland errichtet ist, hatten sie nach einer Stunde jeden Winkel, jede Bucht vergeblich durchforscht. Boote lagen genug an den Inselgehöften, nur keins mit dem bewussten Anstrich. Nun näherten sie sich von Westen her jener Insel, an deren Ostufer zwischen den Klippen das Wrack festgekeilt war. Diese Insel zog sich mit ihrem dichten Bestand von Kiefern und allerlei Büschen in einer Länge von zweihundert Meter bei vielleicht achtzig Meter Breite von Nordwest nach Südost hin. In der nördlichsten Ecke standen dicht beieinander drei zierliche Blockhäuser, dahinter ein Stallgebäude und ganz nahe am Strand wieder ein zum Teil noch aus Pfählen in das Wasser hinausgebautes Bootshaus, an dem ein Steg entlanglief. Und hier schaukelte an einer Kette das gesuchte Fahrzeug.

Nun steuerte Harst das Beiboot nach Norden zu um die Insel herum. Sehr bald kam ihm einer jener kleinen Touristendampfer entgegen, die von Christiania aus die Vergnügungsreisenden in dreistündiger Fahrt durch den Fjord und an dessen landschaftlich reizvollste Punkte führen.

Harst hielt auf den Dampfer zu. Absichtlich ließ er wie durch besondere Ungeschicklichkeit das Beiboot dicht vor den Bug des Dampfers laufen und zwang dessen Kapitän auf diese Weise, die Maschine rückwärtsgehen zu lassen. Der Kapitän fluchte fürchterlich. Da rief Harst ihm zu: »Wollen Sie das Wrack des Hardanger besuchen? Wenn ja, so biete ich hundert Kronen, falls Sie mich an Bord nehmen.«

»Ich habe eine englische Reisegesellschaft dorthin zu bringen«, brüllte der Kapitän zurück. »Schert Euch zum Teufel mit Eurem Kahn. Wer nichts vom Segeln versteht, soll an Land bleiben!«

»Dreihundert Kronen, wenn ich mit darf«, erwiderte Harst gelassen.

Dreihundert Kronen genügten. Bevor Harst dann auf den Dampfer hinüberkletterte, raunte er dem Jungen zu: »Kehre zu der kleinen Bucht zurück, wo wir die Segel setzten, stecke den Motor wieder auf und komm um zwei Uhr nachts in die Nähe des Wracks. Vier Lichtblitze mit meiner Taschenlaterne sollen das Signal sein, das dich dicht an das Wrack heranruft. Sei vorsichtig und schlau mein Junge! Auf Wiedersehen!«

Der Hardanger machte nun bei Tage einen durchaus harmlosen Eindruck. Immerhin bot er, wie er so mit den geknickten Masten, dem schiefen Schornstein und der halb eingedrückten Kommandobrücke zwischen den Felsen hing, ein recht abenteuerliches Bild.

Harst schlüpfte alsbald unbemerkt durch die Luke des Hinterschiffs in den Maschinenraum hinab, in den nur wenig Wasser eingedrungen war. Die Maschinen hatte man entfernt. Nur die altersschwachen Kessel waren als wertlos an Ort und Stelle geblieben. Da es sich um veraltete und keine modernen Röhrenkessel handelte und da außerdem bei dem einen der obere Reinigungsverschluss offenstand, kroch Harst durch das für einen schlanken Mann gerade genügend große Loch in den Kessel hinein. Ein besseres Versteck hätte er kaum finden können. Er hatte darauf gerechnet, hier im Maschinenraum am leichtesten sich zu verbergen, aber an diesen Schlupfwinkel hatte er doch nicht gedacht. Er wartete nun in dem völlig leeren Eisengehäuse eine gute Stunde. Inzwischen hörte er verschiedentlich Stimmen. Die Touristen waren also auch bis hier nach unten gekommen. Dann wurde es totenstill auf dem Wrack. Harst verließ nun sein Versteck und begann beim Schein seiner Taschenlampe, für die er zwei Ersatzbatterien mitgenommen hatte, den Dampfer geräuschlos zu durchsuchen.

Harst suchte mit jener Ruhe und Beharrlichkeit, über die er stets verfügte, wenn er an der Arbeit war. Er stand nun im Mittelschiff in einer Kammer an der Backbordwand über dem Maschinenraum und beleuchtete hier sehr genau einen Haufen Gerümpel, der in einer Ecke lag und der sich aus ein paar offenen Kisten zerbeulten Blechkannen und leeren Heringstonnen zusammensetzte. Von allen Seiten ließ er den weißen Strahlenkegel der Taschenlampe über diesen Stapel unbrauchbarer Dinge hingleiten und dachte dabei: Merkwürdig, dass die Blechkannen oben auf den Kisten stehen geblieben sind, obwohl doch der Hardanger bei dem Anprall gegen die ihn nun wie eine Zange umklammert haltenden Felsen eine Erschütterung erlitten haben muss, die diesen Haufen vollständig auseinander gestreut haben müsste. Und dass dieser etwa nachher so sauber aufgeschichtet worden sein sollte, ist kaum anzunehmen! Es ist ein Berg Gerümpel, gewiss, aber ein künstlicher Berg, übereinander gehäuft zu einem besonderen Zweck vielleicht um …

Da zerriss dieser Gedankenfaden. Harst glaubte endlich dem Ziel nahe zu sein. Sein Gesicht bekam einen anderen Ausdruck, sein Denken eine andere Richtung, denn er hatte soeben, als er den Zwischenraum zwischen dem Stapel und der Bordwand mit seinen für derartige Dinge besonders geschärften Augen musterte, in dem Holz der dicken Bordplanken einen feinen Strich bemerkt, der senkrecht nach unten lief. Nun zwängte er sich in diesen Zwischenraum hinein. Es ging gut. Dann entschlüpfte seinen Lippen ein leises »Also das ist es!« Er hatte nämlich herausgefunden, dass der feine Strich in den Planken die linke Spalte einer niedrigen Tür sein musste, die hier durch eine Säge aus der Bordwand herausgeschnitten war.

Harst holte sein starkes Taschenmesser hervor, bückte sich und stocherte in einem sehr harmlos aussehenden Loch neben der linken Rille herum. Er hörte, dass die Spitze der Klinge auf Metall entlangkratzte, drückte, drückte stärker, drückte gleichzeitig mit dem Knie gegen die losgetrennten Plankenstücke und fühlte, dass sie nachgaben.

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