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Bergmann und Wilddieb III

Bergmann und Wilddieb
Eine Novelle von Julius Dornau
Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig, 1841

Das Schicksal freut sich, Sterbliche zu quälen, und treibt mit ihnen grausam oft sein Spiel.

Horaz

III.

Der Fluch der Armut

Ich teile nicht den Wahn verrückter Frommen,
es sei uns Fluch und Sünde zugeschworen.
Aus Menschen Engel machen – lasst den Toren,
die nie die Stimme der Vernunft vernommen!
Der Mensch sei Mensch, er lieb’, ein Sohn der Liebe,
er sei gerecht, Gerechtigkeit zu fordern,
und weise zähm’ er wilder Torheit Triebe.
Nicht hündisch zahm beug’ er sich fremdem Willen,
sein Geist soll wahrheit-, freiheitflammend lodern,
so wird er glücklich seinen Zweck erfüllen.

Unbekannt

In dem kleinen und armen Gebirgsdorf W… wurde der Bergmann geboren. Seine Wiege umwehte kein Genius der Freude und des Lebensglücks und reichte dem neuen Erdenpilger die Bürgschaft für eine freundliche Zukunft, nein, es umschwirrte ihn unheilkündend der Tod, und der heulende Triumphgesang des Grabes diente ihm statt des sanften Schlummerliedes der liebenden – ach, dahingeschiedenen – Mutter. Der Tod vollendete das begonnene Werk: Kaum war das Kind zum dunklen Bewusstsein von Glück und Unglück gelangt, so stellte er es an den Sarg des Vaters und übergab es von hier aus für immer in die Hände der Armut und des Elends. Da war kein Bruder und keine Schwester, kein Verwandter und keine Verwandte, kein Freund und keine Freundin, die sich des Knaben, dessen ganzes Erbteil in nichts als einer verfallenen Hütte und einem ehrlichen Namen bestand, angenommen, die seiner gepflegt und ihn erzogen hätten. Er war verlassen, grausam hinausgestoßen in eine Welt, welche sein nicht achten mochte, für welche er eine Last war. Wohl ihm, dass er es nicht vermochte, das Unerträglich-Furchtbare eines solchen Daseins zu begreifen und zu fühlen! Seine Kindheit glich dem Leben der Pflanze, die ein unwissender und roher Gärtner ohne Licht und Nahrung lässt, und die nur durch eigene Kernkraft zu einiger Entwicklung gedeiht. Der Knabe blieb gänzlich ohne Erziehung, das heißt mit anderen gewichtigen Worten: ohne alle Anweisung, ein vernünftiger, guter und tugendhafter Mensch zu werden, ohne Leitung zu einer von Natur und Gott, Gesetz und Staat bestimmten Lebensordnung und Handelsweise. Der Name Lehrer war ihm ein nur wenig bekannter Tonlaut. Kaum hatte seine körperliche Kraft sich zu einiger Arbeitstauglichkeit entwickelt, als die Gemeinde auch der bisherigen stiefmütterlichen Sorgen sich zu entledigen suchte. Man übergab ihn zuerst dem Hirten des Dorfes. Aber der Bube schlug hier nicht ein; er bekümmerte sich wenig um das ihm anvertraute lebendige Gut, wenn es ihn gelüstete, mit seines Gleichen im Dorf umherzuschweifen. Ein späterer Versuch, ihn dem Nachtwächter als Gehilfen und einstigen Nachfolger im Amt beizugeben, scheiterte schon von Vorhinein an den Besorgnissen des reichen Vizerichters des Ortes. Wer weiß, auf welche Mittel man noch gesonnen hätte, um sich von dem Überflüssigen zu befreien, wenn nicht dieser durch Selbstbestimmung plötzlich aller Verlegenheit ein Ende gemacht hätte. Er wurde Bergmannsjunge.

Lange, lange hatte sich der Verlassene und Verwahrloste mit tausend und aber tausend Mühen und Anstrengungen durch den eigenen verwitterten und verschütteten Lebensweg hindurchgewunden und nur selten eines fernen ungebrochenen Lichtstrahls sich zu erfreuen gehabt. Sein Jünglingsalter war entschwunden – es war öde und traurig gewesen, öder und trauriger, wie ein nebliger Herbsttag über unfruchtbarer Heide, glühender und ausdörrender als der Wind, der über Libyens Wüsten dahinfährt. Er war zum Mann geworden und fühlte nun in seinem Inneren eine neue, unbekannte Regsamkeit, verbunden mit dem unabweisbaren, Geschlecht mit Geschlecht verbindenden Naturtrieb: einer Lebensbestimmung zu genügen. Beide erzeugten eine unendliche Sehnsucht nach Aufhebung seiner Einsamkeit, nach einer Lebensgefährtin. Er suchte und fand sie in einem Mädchen aus der Nachbarschaft.

Wer nennt sie alle die Philosophen und die religiösen Sektierer, welche schon in den frühesten Zeiten gegen die Ehe in ihrer kirchlichen Form oder gegen sie als eine von der Kirche zu einem ordentlichen und allersprießlichen Zusammenleben von Mann und Weib geheiligte Anstalt die Pfeile ihres Witzes und Spottes richteten? Wer weiß es nicht, dass in neuester Zeit Neuerungssüchtige – nicht um der Menschheit, sondern, wie die Erfahrung bereits erwiesen hat, um schnöder, selbstsüchtiger Zwecke willen, nicht aus Weltschmerz, sondern aus Eigendünkel – mit der Hilfe der Sittenlosigkeit den Boden der christlichen Ehe zu untergraben trachteten? Toren! Thoren, die es nicht begriffen, dass Philosophie und philosophische Bildung wohl bestimmend auf die Formen des religiösen Völkerlebens einwirken, aber auch auf ihren Gipfelpunkten diese Formen nicht werden aufheben können, nicht werden entbehrlich machen wollen! Verbrecher! Verbrecher an dem Wohl ihres Vaterlandes, an dem Glück der Menschheit, welche niederreißen, wo sie aufzubauen nicht imstande sind, welche einen Eck- und Strebepfeiler des geordneten Familien- und Staatenlebens zertrümmern möchten, der Freiheit polynesischer und afrikanischer Horden wegen! Mögen immerhin in einzelnen Fällen körperliche Anziehungskraft, Sinnenreiz, Herzensneigung, geistiger Gleichklang, vielleicht auch Gewissen und Pflichtgefühl allein hinreichen zu einer glücklichen Verbindung zwischen Mann und Frau: Allgemeine Sitte darf und wird sie nicht werden, solange Religion und Staat ihre Rechte behaupten.

Der arme Bergmann gehörte weder zu den Toren noch zu den Frevlern an menschlichem und göttlichem Gesetze, aber er huldigte beiden aus Unwissenheit und Armut. In der Tat wusste er von den Lehren und Vorschriften der christlichen Religion kaum so viel, dass er den Namen eines ihrer Anhänger verdiente. Wie konnte er aber an das kirchliche Zeremoniell einer Trauung denken, da es dafür – wer möchte es sagen und dabei die Vollkommenheit unserer kirchlich-bürgerlichen Einrichtungen preisen – des blanken Silbers bedurfte, eines Metalls, das ihm meist nur aus dem Gestein der Grube entgegenblitzte? Die erwählte Lebensgefährtin, ein hübsches und nettes Mädchen, kam mit dem kleinen Bündel ihrer Habe in seine Hütte, er umarmte sie, drückte einen Kuss auf ihre glühenden Lippen, und sie waren Mann und Frau von dieser Stunde an.

Das Paar war mit den Bedürfnissen des Lebens von einem Tag zu dem anderen auf den Verdienst durch seiner Hände Arbeit gewiesen; und es arbeitete redlich, eines zu des anderen Tröstung und Unterstützung, vom frühen Morgen bis zum späten Abend – er in dem schauerlich kalten Dunkel des Schachtes, sie in der glühenden Hitze der Sonne. Beide fanden so ein spärliches Auskommen und waren – o wunderbare Macht der Liebe – zufrieden. Bald hatten sie ein Kind zu ernähren, bald zwei, endlich drei. Die Nahrungssorgen mehrten sich, Gram und Kummer gewannen immer mehr und mehr Raum, verscheuchten die Zufriedenheit und raubten mit ihr das kostbarste Kleinod der Armen. Die Frau fing an zu kränkeln, der Mann allein vermochte den Unterhalt für seine Familie nicht zu erschwingen und zu dem allen brach ein strenger Winter mit unerbittlicher Feindesgewalt ins Land ein. Drei Kinder und eine todesmatte Mutter verlangten Nahrung, Kleidung und Obdach. Das Häuschen war baufällig, die Fenster Zugköcher, der Ofen ein Steinhaufen; Frau und Kinder zitterten vor Kälte und ihre Glieder waren erstarrt, denn Betten, wärmende, weiche Betten, kannte man hier nicht. Man schlief auf bretternem Fußboden und hüllte sich in eine zerrissene Decke, die wohl ebenso gut gegen die Kälte schützte, als eine durchlöcherte Brustwehr gegen die feindlichen Kugeln.

Um nur einem Bedürfnisse zu genügen, um seine Frau und seine Kinder vor der tödlich erstarrenden Kälte zu schützen, ging der schwer bedrückte Vater hinaus in die königlichen Waldungen und sammelte Leseholz, jene alten, dürren Zweige, welche den kräftigen Teilen des Baumes und Busches nur schädlich sind. Hierin handelte er keinem Gesetz zuwider. Das wenige aufgefundene Holz reichte aber nicht aus, der Winter wurde immer strenger und strenger, und die Familie, ohne warmes Lager, ohne schützende Kleidung, war dem Erfrieren nahe. Da ging der Bergmann abermals in den Wald hinaus, kratzte die Schneedecke weg und nahm sich einen Korb voll Moos. Das Moos aber in den königlichen Wäldern gehört wie die Erde, die Bäume, das Wild und die Vögel nur dem Staat, und der Staat hat seinen Bürgern aus wohlweisen forstwirtschaftlichen Rücksichten verboten: »Beraubt die Erde ihres moosigen Kleides nicht, selbst dann nicht, wenn ihr euch samt euren Kindern dadurch vom Tode erretten könntet.« Der Arme, der hier der Strenge des Strafgerichts verfiel, kannte entweder das Verbot nicht oder das Gefühl der Not überwältigte die Furcht vor dessen Übertretung – genug, er füllte seinen Korb mit dem staatsangehörigen Moos. Eben wollte er sich mit demselben entfernen und dachte schon daran, wie Frau und Kinder an dem erwärmenden Feuer sich wieder erholen und stärken würden, da nahte der Revierjäger. Dieser schlenderte gerade müßig durch den Forst, nicht um des Wildes willen, das er hier so vergebens gesucht haben würde, wie ein anderer die Freiheit in einer freien Reichsstadt, sondern um etwaige widergesetzliche Holzgänger zu jagen und dem Forstgericht als Beute oder Beweis des alleruntertänigsten Pflichteifers zu überliefern. Wie schlug ihm also das Herz vor Freude, als er den Bergmann mit dem Mooskorb erblickte! Wie die Katze auf die Maus, wie der Rezensent auf das Werk eines nicht befreundeten Schriftstellers, so stürzte der grüne Mann auf den seiner Macht Verfallenen ein.

»Halt!«, donnerte er, »weißt du nicht, ehrloser Wicht, dass das Moos hier königliches Eigentum ist? Warte, ich will dich die Gesetze des Diebstahls schon kennen lehren!«

Der Bergmann erschrak bei dieser Anrede, aber es fasste ihn auch ein mächtiger Ingrimm. Er sah den vor ihm stehenden jugendlich schwachen Mann mit einem Blick an, in dem eine Kriegserklärung auf Leben und Tod sprach. Um seine Lippen zuckte eine vergeltende Drohung, seine Faust ballte sich krampfhaft zusammen, als gälte es, mit einem Schlag den wildesten Feind zu erlegen. Und wahrlich, er hätte mit seiner Eisenfaust den hochmütigen Waldmenschen niederschmettern können, dass demselben auf immer ähnliche Misshandlung eines armen und unschuldigen Mannes vergangen wäre. Aber ach! Er war nicht frei, er fühlte das Sklavenjoch des Unglücks! Er gedachte seiner Frau, seiner Kinder daheim, und sein Auge senkte sich demütig zur Erde, seine Hand erhob sich, um das Haupt zu entblößen, und sein Mund stammelte die Bitte um Verzeihung des unbewusst begangenen Vergehens. Zugleich schilderte er dem Hüter der Waldgesetze seine jammer- und verzweiflungsvolle Lage, schilderte sie unter Tränen und mit einer Stimme, welche imstande gewesen wäre, das Herz des Kannibalen mitten in seiner Siegesmahlzeit zum Mitleid zu erregen. Doch der Jäger blieb ungerührt und kalt, kalt wie das Gesetz, in dessen Namen er handeln und unbarmherzig sein zu müssen glaubte, kalt wie Stolz und Gewinnsucht, die, um einiges Lob und geringe Belohnung zu ernten, selbst Hochverrat an der Menschheit nicht scheuen mögen. Bitten und Tränen waren vergeblich verschwendet und machten eben so wenig Eindruck auf den Mitleidslosen wie Tautropfen auf felsigen Boden.

»Lass er mich«, unterbrach der Jäger den Unglücklichen barsch, »mit seinem dummen Geschwätz und seiner einfältigen Erzählung von einer Bettlerfamilie in Ruhe, schütte er das Moos aus und sage er mir seinen Namen, damit ich ihn dem Gericht nennen kann zu seiner gerechten Bestrafung. Schnell!« setzte er hinzu, als er den Bangenden zaudern sah, »ich habe mehr zu tun, als mit solchem Gesindel zu plaudern.« Bei diesen Worten hatte er eine Schreibtafel hervorgezogen, um den Namen des Schuldigen darauf zu kritzeln, und begann von Neuem ungeduldig und zornmütig: »Nun, Schurke! Wie heißt er?«

Da bebte der Bergmann wie vorher vor Ingrimm und fühlte zugleich, um nicht noch mehr Unglück auf Unglück, Elend auf Elend zu häufen, die Notwendigkeit, sich zu retten. Einen Augenblick schien er zwischen den Mitteln zu wählen, dann war er nach einigen verzweifelten Sprüngen hinter den Bäumen und zur Flucht gewendet.

Nach kurzem Staunen über dieses Wagnis riss der Jäger seine Flinte von den Schultern, brachte sie in Anschlag und schrie dem Fliehenden nach: »Steh’ oder ich gebe Feuer!« Wahrlich, es ist eine gar herrliche Sache dies Feuergeben! Man weiß, dass die Aussicht, einige zwanzig Schrotkörner von Nr. 2 und 3 in seinem Fleisch und Gebein zu fühlen, nicht eben die erfreulichste ist, und dass der Schmerz durch ihre Berührung übertroffen wird von dem Schmerz bei ihrer Entfernung mittels allerhand spitzer und schneidender Werkzeuge eines wundärztlichen Bestecks. »Ich gebe Feuer!« Vor diesen Worten in dem Mund des Soldaten erschrickt der verwegene Spion, der um die Vorposten herumschleicht, vor dieser Drohung beim Zuruf des Jägers erblasst, sieht er sich verlassen und umgarnt, auch der gefühlloseste Wilddieb.

Hier aber verlor der gefährliche Zuruf alle seine Kraft – denn den Bergmann deckten die Bäume – und er wurde laut verlacht. Solches Verlachen aber bringt das Blut in Wallung, reizt das Gemüt in allen Tiefen und gebiert den Entschluss zur Rache. Der Verspottete blickte nach dem Flüchtling, murmelte die verhängnisvollen Worte »Bei allen Elementen, ich will ihm dieses Lachen teuer bezahlen oder ich will nie wieder ein Lot Blei in meine Büchse laden!« und begann mit allem Eifer die Verfolgung.

Nun galt es zwischen den zweien, hier um Rettung, dort um Rache, ein Rennen, das unter anderen Umständen wie für die Freunde des englischen Turfs, so für die des antik-klassischen Wettlaufs höchst sehenswürdig gewesen wäre. Beide Läufer, wie sie über die schneebedeckten Wald- und Feldflächen dahineilten, würden abwechselnd von den einen mit dem englischen Wunderpferd Eclipse und von den anderen mit der böotischen Atalante verglichen worden sein. Um im letzteren Vergleiche der glückliche Hippomenes zu sein, dazu fehlten dem Bergmann die goldenen Äpfel. Statt ihrer hatte er nur den Mooskorb wegzuwerfen, und dass er es nicht tat, um die Flucht zu erleichtern, brachte ihm Verderben. Der Schweiß lief ihm trotz der erstarrenden Kälte über das Gesicht und er überblickte schon sorgsamer und ängstlicher den Raum vor sich, ob er vielleicht irgendwo einen Vorteil vor seinem Gegner oder ein sicheres Versteck gewinnen könne. Nun lief er einen steilen Abhang hinunter; nur noch wenige Sprünge, und er war unten, während sein Feind erst die Scheitel der Höhe erreicht hatte. Da gefiel es dem Zufall, diesem treuen Verbündeten des Schicksals, diesem Entscheider über Thronsturz und Thronbau, über Freiheit und Knechtschaft, über Lorbeer- und Dornenkrone, über Reichtum und Armut, die Flucht des Bergmanns zu hemmen. Er trat auf Glatteis, welches der Schnee nur erst frisch bedeckt hatte. Er glitt aus, schwankte, konnte das Gleichgewicht seines Körpers nicht wiederherstellen und wurde von seiner Last vorwärts in ein Schneeloch niedergezogen. Schon war der Jäger näher herangekommen, und der Gestürzte, unvermögend, sich schnell genug aufzuraffen und die Flucht von Neuem zu beginnen, tröstete sich allein mit dem Gedanken, jener werde in blinder Verfolgungswut an ihm vorbeistürzen, ohne ihn zu bemerken. Aber der Jäger blieb, wie ein gut dressierter Jagdhund da stehen, wo die Spur des gejagten Wildes aufhörte, und rief bald mit triumphierender Schadenfreude: »Oho, windfüßiger Spitzbube! Hab ich dich erwischt? Nun, du sollst mir nicht zum zweiten Mal entkommen!«

Als er sich so entdeckt wusste, sprang der Bergmann empor und stand. So auch steht die Tigerin, wenn sie, lang gehetzt und in einen Hinterhalt gelockt, ihre letzte Kraft zum verzweifelten Widerkampf sammelt. Getäuschte Hoffnung, sie, welche sonst den Geist niederschlägt und alle Kraft des Willens und der Faust bricht, reizte hier zu gewaltsamer Anstrengung und erregte zu schneller, verzweifelter Tat. Wovor der Bergmann noch kurz zuvor zurückgebebt, dazu war er nun plötzlich entschlossen: Er wollte sich verteidigen, verteidigen nicht mit der ohnmächtigen Waffe des Worts, sondern mit der Stärke seiner Fäuste. Der Entschluss war die Geburt des Augenblicks, aber fest und unumstößlich; die Verzweiflung setzte ihn ins Werk.

Ein Maler hätte jetzt Gelegenheit gehabt, zur Bereicherung seiner Kunst einen Menschen zu beobachten, dessen inneres Leben auf die Oberfläche des äußeren Lebens hervortritt, bei welchem diese jenes gleichsam eingesaugt und verschlungen hat, und wo der Körper nicht mehr nur Ausdruck der Begier und Leidenschaft, nein, Begier und Leidenschaft selbst geworden ist.

Die Gestalt des Bergmanns richtete sich höher und höher auf, in seinen Augen blitzte ein unnatürliches, dämonisches Feuer, seine Gesichtsmuskeln waren bis zur Starrheit gespannt, Lippen und Zähne fest geschlossen, um das unbedeckte Haupt sträubte sich in wilder Verwirrung das Haar, seine Fäuste, krampfhaft fest geballt, waren zu vernichtendem Schlag bereit und seine Füße im Sprung zum Angriff.

Wahrlich, es ist etwas Schreckliches, einen solchen Mann, der im höchsten Überschwung der Aufregung des Gemüts. Alles, alles im Himmel und auf Erden, in Gegenwart und Zukunft vergisst, und nur einem Gedanken, dem der Rache, der tödlichsten Rache, Raum gibt, zu sehen, aber unbeschreiblich furchtbar und Mut zermalmend ist es, einem solchen Mann an einem einsamen Ort und als erklärter Feind gegenüberzustehen.

Der Jäger erblasste, als er den Verzweifelnden so auf sich zustürmen sah; er erblasste, und seine Glieder durchschüttelte die Furcht; er fühlte alle seine Sehnen erschlafft und ein eiskalter Schweiß legte sich um seine Stirn. Er hatte nur eben einen Fluch, einen gotteslästerlichen Fluch in Bereitschaft gehabt, aber es starb derselbe auf den erbleichten Lippen und wandelte sich zum tiefen Seufzer, der einem Gebet um Rettung aus so fürchterlich drohender Gefahr, aus den Händen seines Gegners, gleich gelten konnte.

Schon stand ihm der Bergmann nahe, nur eine Elle noch betrug der Raum zwischen ihm und dem Todfeind, da rettete ihn jene großartige Helferin, die man Geistesgegenwart nennt. Er warf einen Blick zur Seite, raffte all seine Kraft zusammen. Zwei mächtige Sprünge brachten ihn hinter einen deckenden Baum und im nächsten Augenblick lag seine Flinte, die tötende Ladung enthaltend, in Anschlag.

»Zurück! Zurück, tollkühner Mensch, oder ich schieße dich nieder!«, rief er, mehr mahnend, ja fast mehr bittend als drohend. Aber der Bergmann war taub, wäre taub geblieben, wenn eine Weltenstimme ihm entgegengedonnert hätte: Er hörte nicht, er sah nicht, er fühlte nicht. Es trieb ihn mechanisch vorwärts, wie es den Soldaten mitten hinein in den Kartätschenregen treibt, nachdem Wut und Kampfeslust bei ihm an die Stelle der Furcht und Überlegung getreten sind. Mit dem Zuruf »Nun, so sei dir Gott gnädig!« legte der Jäger den Zeigefinger an den Drücker – ein einziger Finger, die Kraft einer einzigen Flechse sollte ein Menschenleben vernichten, einen Körper voll Leben in eine tote Masse verwandeln. Der Druck geschah.

Auf Blitz, Knall, Rauch folgte ein Schrei; dann war alles still.

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