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Blutrosen 16 – Das Vermächtnis des Räubers – Teil 3

Blutrosen
Schauererzählungen
frei nach dem Französischen des Eugène Sue, Alexandre Dumas d. Ä, Honoré Balzac, Victor Hugo und andere
Verlags-Comptoir. Breslau. 1837
Druck von M. Friedländer in Breslau
Zweiter Teil

Das Vermächtnis des Räubers
Teil 3

Miss Morpeth hatte ihm Launay als einen Freund ihrer Familie bezeichnet, den sie wie ihren Vater liebte und achtete, aber ohne sich über die Beziehungen, welche sie an ihn fesselten, weiter zu erklären. Eduard bemerkte daher nicht ohne ein gewisses, mit Eifersucht vermischtes Missvergnügen, die von dem neuen Ankömmling über Miss Fanny ausgeübte Gewalt sowie die Zärtlichkeit, welche sie sich gegenseitig bezeugten. Er nahm auch nur lau des Herrn Burns Zuvorkommenheit auf, die sich in den Grenzen einer kalten Würde hielt, welche ihn verdross. Seit der mit seiner Lage vorgegangenen Veränderung hegte er einen außerordentlichen Widerwillen davor, von seiner Vergangenheit zu reden. Die geringsten Nachforschungen in Bezug auf seine Person oder sein Leben reizten ihn zum Zorn. Oft taten mitten in der lebhaftesten Unterhaltung eine erzählte Tatsache, ein zufällig hingeworfenes Wort seiner Fröhlichkeit plötzlich Einhalt. Es lag für jeden aufmerksamen Beobachter klar am Tage, dass es in dieser Seele Saiten gab, die man selbst nicht aus Zufall berühren durfte, ohne ein inneres und schmerzhaftes Zittern zu verursachen.

Man begreift daher, dass er auf manche von Herrn Burns an ihn gerichteten indirekten Fragen ziemlich barsch antwortete, um ihm die Lust, sie zu erneuern, zu nehmen. Der Engländer stand auch in der Tat seit diesem Augenblick von jeder Frage ab; aber ohne Zweifel infolge des Einflusses, den er insgeheim auf Miss Morpeth ausübte, begann auch diese von jetzt an, sich weniger ungezwungen und weniger zärtlich gegen ihn zu bezeigen.

Eduard, unruhig darüber, wünschte von dem jungen Mädchen eine Erklärung, vermochte aber nur von Tränen unterbrochene Worte aus ihr hervorzubringen. So standen die Sachen, als der junge Mann mit Herrn Burns die oben berichtete Unterredung hatte.

Als am Abend Launay Miss Fanny im Gesellschaftssaal wiederfand, grüßte er sie bloß und ging, um sich am anderen Ende der Arbeitstafel neben Madame Perscof niederzulassen.

Er konnte der Miss Morpeth ihre Unterwürfigkeit unter den Willen dieses Herrn Burns, den er verabscheute, nicht vergeben. Welches war nun eigentlich die Ursache dieser Abhängigkeit?

Augenscheinlich lag diesem allem ein Geheimnis zum Grunde. Was die entehrenden Mutmaßungen betraf, welche einige Frauen gehört hatten, so hatte Eduard selbst noch nicht einmal daran gedacht. Miss Morpeth hatte sich ihm zu sehr enthüllt, als das er sie in diesen Punkten verkennen konnten. Er hatte bis auf den Grund ihrer Seele wie in eine klare Quelle geschaut. Es gibt so in die Augen fallende Reinheit, eine so heilige Unschuld, dass auch nicht ein Zweifel in ihrer Gegenwart aufsteigt.

Unterdessen bot die ebenso überraschte, wie darüber entzückte Madame Perscof, dass sie Herrn Launay zwischen sich und ihrer Tochter sitzen hatte, alles auf, um sich dem jungen Mann angenehm zu machen. Sie redete ihm nacheinander von ihrem Großvater, dem Bürgermeister, von den Schönheiten der Schweiz und den herrlichen Naturgemälden derselben vor, ohne dass es ihr jedoch gelingen wollte, die Unterhaltung in einen lebhaften Gang zu bringen. Um neuen Versuchungen auszuweichen, nahm Eduard sein Album zur Hand und fing an, gedankenlos zu zeichnen. Aber stets waren seine Augen und seine Gedanken unwillkürlich zu dem dunklen Winkel gerichtet, wo sich Miss Morpeth befand, bis er endlich, ungeduldig darüber, sie keinen Versuch zur Annäherung machen zu sehen, seine Brieftasche hinwarf und mit großen Schritten im Saal auf und ab ging.

Madame Perscof ergriff nun, in der Hoffnung, ihn wieder zu sich zurückzuführen, sein Album und geriet über eine italienische Landschaft, die sie verkehrt betrachtete, in Ekstase; aber da sie sah, dass ihre Exklamationen ohne Erfolg blieben, und dass Launay fortfuhr, im Zimmer auf und ab zu schreiten, so reichte sie ihrer Nachbarin das Heft hin, sodass es bald die Reihe herumging und auch endlich an Miss Morpeth gelangte.

Obwohl diese es schon kannte, so fing sie doch an, weniger um der Zeichnungen willen, als um etwas von Eduard in den Händen zu haben, darin herumzublättern.

Während sie so blätterte, verweilte sie unwillkürlich bei Betrachtung der Skizze einer Felsengruppe. Herr Burns, der neben ihr saß, schien überrascht bei diesem Anblick.

»Ach! Der Irglas!«, rief er.

Launay, der einige Schritte davon stand, wandte sich mit konvulsivischem Zittern um. »Wer hat Ihnen dies gesagt, mein Herr?«, fragte er schnell.

»Der Name steht ja darunter geschrieben«, antwortete ihm Fanny sanft.

»Das ist ein Irrtum; es ist nicht der Irglas, ich kenne keinen Irglas.«

Er nahm sein Album, und die fragliche Zeichnung betrachtend, fügte er hinzu: »Es war eine Skizze, die ich in der Schweiz entwarf«, und zerriss das Blatt mit Unmut.

Herr Burns war all seinen Bewegungen mit erstaunter Miene gefolgt. Dieser Vorfall schien eine eigene Erinnerung in ihm geweckt zu haben. Er schien im Begriff, Launay etwas fragen zu wollen, dann aber, als ob er sich anders besonnen, entfernte er sich nachdenkend.

Zwei Tage verflossen, ohne an der Lage der beiden Liebenden etwas zu ändern. Eduard, in seinem Stolz verletzt, wartete, bis Miss Fanny den ersten Schritt zur Annäherung tun würde, um ihre alten Gewohnheiten wieder anzuknüpfen. Das junge Mädchen schien auch ihrerseits die traulichen Verhältnisse wieder anknüpfen zu wollen, und einer harten Notwendigkeit, die sie zurückhielt, wider Willen zu gehorchen. Es lag klar am Tag, dass sich zwischen die beiden jungen Leute ein Geheimnis gestellt hatte und sie voneinander entfernt hielt; denn wenn ein gemeinschaftlich besessenes Geheimnis eine Art Ring ist, der zwei Herzen auf immer aneinander kettet, so ist es, getrennt besessen, eine Mauer, die selbst die Liebe nicht zu überspringen vermag. Launays und Miss Morpeths gespanntes Verhältnis würde noch lange Zeit fortgedauert haben, wenn ihnen nicht ein ganz unerwarteter Vorfall zu Hilfe gekommen wäre.

Als eines Abends Eduard müde und niedergeschlagen von einem Ausflug in die Gebirge zurückkehrte, trat er in den großen Saal und lehnte sich an ein Fenster. Die Nacht begann hereinzubrechen. Die Blicke des jungen Mannes schweiften unstet über die Gipfel des Schwarzwaldes, welche die letzten Strahlen der untergehenden Sonne umflossen, als ihn eine wohlbekannte Stimme aus seinen Träumereien riss. Er wandte sich lebhaft um und wurde am anderen Ende des Saales Miss Fanny und Herrn Burns gewahr. Die junge Dame saß auf einem Stuhl und hielt einen Brief in der Hand, den sie mit tiefer Rührung zu lesen schien.

Tränen flossen über ihre geröteten Wangen herab und jeden Augenblick entfuhren ihr abgebrochene Ausrufungen. Dieser Anblick machte auf Eduard einen unbeschreiblichen Eindruck. Alles Vorgefallene vergessend, stürzte er in lebhafter Aufregung Miss Fanny entgegen und rief ihren Namen. Der Blick des Herrn Burns hielt ihn zurück, aber das junge Mädchen hatte seine Rührung gesehen und ihn verstanden. Sie reichte ihm die Hand. Launay, entzückt, ergriff sie und bedeckte sie mit Küssen. Dann sich an Herrn Burns Gegenwart erinnernd, errötete er, verbeugte sich ganz verlegen und sagte: »Verzeihung, Miss Morpeth, als ich Ihre Aufregung sah, war ich nicht mehr Herr meiner Gefühle. Ich glaubte, es wäre Ihnen etwas Unangenehmes zugestoßen.«

»O! nein, mein Herr!«, erwiderte sie mit zitternder Stimme, »dieser Brief enthält durchaus nichts Trauriges.«

Und Herrn Burns ansehend, als wolle sie in seinen Augen die Billigung dessen, was sie sagte, lesen, fuhr sie fort: »Es ist ein angenehmer Brief, nicht wahr, teurer Freund.«

Der Engländer verbeugte sich lächelnd. Es trat einen Augenblick Schweigen ein, währenddessen sich die beiden Liebenden in verlegener Verwirrung und mit niedergeschlagenen Augen einander gegenüberstanden.

Ihr Begleiter schien zu fühlen, dass seine Gegenwart in einem solchen Augenblick grausam sei. Er warf auf beide einen Blick voll gutmütiger Herzlichkeit, nahm Miss Morpeth den Brief aus den Händen und entfernte sich mit einem freundlichen Gruß gegen Launay.

Sobald sich die Liebenden allein befanden, reichten sie sich, von einem gemeinschaftlichen Gefühl getrieben, die Hand. Eduard nahm neben dem jungen Mädchen Platz.

»Endlich!«, sprach diese. »Ach! Seit wie lange habe ich Sie nicht so nah bei mir gesehen!«

»Warum ließen Sie mich nicht kommen, Fanny? Ich harrte nur eines Winkes.«

»Mein Gott! Konnte ich denn!«

»Und wer hinderte Sie daran?«

»Ach! Fragen Sie mich nicht, überlassen Sie mich heute ganz meiner Freude; ist es Ihnen nicht genug, dass Sie mich glücklich sehen?«

»O, Fannys entzweien wir uns nicht wieder, ich fühle, dass ich nicht so leben kann.«

»Und vermag ich es denn mehr als Sie?«

»Warum wollen wir nicht alle diese Hindernisse beseitigen und dieses Schmollen einstellen, welches das Herz verbittert? Fanny, Sie wissen, wie heiß ich Sie liebe, wollen Sie nicht auf ewig Ihre Hand in der meinen liegen lassen, so wie jetzt?«

Das junge Mädchen wurde rot und zitterte. Sie schlug ihre schmachtenden Augen zu ihm auf, dann, ihr Antlitz an der Schulter des jungen Mannes verbergend, lispelte sie mit leiser Stimme: »Sie wissen, wie sehr ich das wünschte.«

»Warum dann unser Glück verzögern?«

»Wissen Sie, ob ich frei bin? Wenn nur die Personen, welche über mein Schicksal entscheiden, nicht ehrgeizigere Pläne mit mir vorhätten, die ich Ihnen erst benehmen müsste.«

»Darin steckt also das Hindernis, das uns trennt? Ihre Familie, ohne Zweifel edel und reich, verachtet eine zu gemeine Verbindung.«

»Das habe ich nicht gesagt, Eduard. Ich hätte nichts sagen sollen. Im Namen des Himmels, dringen Sie nicht weiter in mich. Sie sehen, ich bin außer mir! … O! Ich beschwöre Sie darum, fragen Sie mich nicht mehr.«

»Wohlan, es sei«, sprach der junge Mann mit Ergebung, »lieben wir uns ohne Bedenken, und möge das Schicksal aus uns machen, was es wolle. Aber verlassen Sie mich nicht wieder, wie Sie getan haben, Fanny; denn wenn ich allein bin, so fürchte ich mich vor mir selbst. Bleiben Sie stets zwischen mir und meinen Gedanken, seien Sie Krankenwärterin meiner Seele. Wollen Sie, dass es künftig so sei?«

»Ja, ich will es, Eduard, ich will es, aber wollen Sie auch stets heiter und ruhig sein?«

»Ach, wollte Gott, ich könnte es! Ich will es versuchen, Fanny. Ich verspreche Ihnen, dass ich es versuchen will.«

»Und Sie nähern sich also Herrn Burns?«, fragte das junge Mädchen schüchtern. »Sie müssen es, Eduard.«

»Ich werde es versuchen.«

»Und ich«, rief das junge Mädchen berauscht von Freude und Liebe, »ich werde zu Gott beten, dass unser Vorhaben gelingen möge.«

Launay presste sie in seine Arme. Auf ihre Stirn einen mit Tränen vermischten Kuss drückend, sagte er: »Beten Sie auch für mich, Fanny!«

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