Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Die Sternkammer – Band 3 – Kapitel 15

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 3
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Fünfzehntes Kapitel

Clemens Lanyeres Geschichte

»Meine Geschichte soll kurz erzählt werden«, sagte Lanyere. »Ihr wisst, Sir Francis, dass ich bei der Verfolgung meines Berufs oft in die gefährlichsten Teile der Hauptstadt geführt werde, und zwar in Stunden, wo die Gefahr für jeden redlichen Mann verdoppelt wird. Unter solchen Umständen sind mir nicht selten Abenteuer begegnet, und ich verdanke meiner rechten Hand und meinem guten Schwert die Rettung aus mancher verzweifelten Gefahr. In einer Nacht kam ich zufällig in der Nähe von Whitefriars an einen Ort, den man die Wildnis nennt, als ich um Hilfe rufen und Schwerter klirren hörte. Ich eilte zu einem engen Hof, woher das Geräusch kam, und sah beim Licht des Mondes, der glücklicherweise hell schien, einen Mann mit vier anderen kämpfen, die es offenbar darauf abgesehen hatten, ihn zu ermorden, um ihm seine Börse abzunehmen. Er verteidigte sich tapfer, aber er war zu sehr im Nachteil und wäre bald getötet worden, denn die Schurken schworen, sie wollten ihn ermorden, wenn er sich noch weiter widersetze. Ich kam ihm gerade zur rechten Zeit zu Hilfe. Sie drangen hart auf ihn ein und ich schlug die Spitze des Degens nieder, die nur einen Zoll von seiner Brust entfernt war, gab dem Banditen einen unerwarteten Stoß, sodass er zu Boden stürzte. Dann wendete ich mich zu den anderen mit so gutem Erfolg, dass der Fremde und ich in kurzer Zeit allein waren. Ich war in dem Kampf leicht verwundet worden, aber ich hielt es nur für eine unbedeutende Schramme. Der Herr, den ich gerettet hatte, dachte anders. Er sprach große Besorgnis für mich aus und band sein Taschentuch um meinen Arm. Ich wollte mich entfernen, aber er hielt mich zurück, um seine Beteuerungen der Dankbarkeit für den Dienst, den ich ihm geleistet hatte, und seinen lebhaften Wunsch zu wiederholen, dass er imstande sein möchte, mir zu vergelten. Aus seiner Unterredung und aus den Bibelstellen, die er einmischte, erkannte ich, dass er ein Puritaner sei. Ich würde ihn für einen Prediger gehalten haben, hätte er nicht ein Schwert getragen und sich so männlich in dem Kampf gezeigt. Indessen ließ er mir keinen Zweifel über den Gegenstand, denn er sagte mir, er heiße Hugo Calveley und habe im Krieg mit mehr Ehre als Vorteil gedient. Er fügte hinzu, wenn den Schurken ihr Zweck gelungen wäre und sie ihn beraubt und getötet hätten, würden sie seine Tochter ihres einzigen Beschützers beraubt haben, so wie auch aller Mittel des Unterhalts, denn das Wenige, was sie besäßen, wäre mit ihm verloren gegangen. Als ich dies hörte, fiel mir ein Gedanke ein, und ich sagte zu ihm: ›Ihr habt den lebhaften Wunsch ausgesprochen, den Dienst zu vergelten, den ich so glücklich gewesen bin, Euch zu leisten. Und da ich gewiss bin, dass Ihr Eure Beteuerungen nicht umsonst macht, so werde ich kein Bedenken hegen, Euch eine Bitte vorzutragen.‹

›Verlangt, was Ihr wollt. Wenn ich es zu geben habe, soll es Euer sein,‹ versetzte er. ›Legt Ihr dieses Versprechen feierlich ab. Ruft Ihr den Himmel zum Zeugen an?‹, fragte ich.

›Feierlich‹, versetzte er. ›Und um Euch zu beweisen, dass mein Wort bindend sein soll, will ich es durch einen Eid auf die Bibel bestätigen.‹

Und als er sprach, nahm er das geheiligte Buch aus seinem Wams und küsste es ehrerbietig. Dann sagte ich zu ihm: ›Mein Herr, Ihr habt mir gesagt, dass Ihr eine Tochter habt, aber Ihr habt mir noch nicht gesagt, ob sie erwachsen ist oder nicht?‹

Er stutzte bei der Frage und antwortete ein wenig streng: ›Meine Tochter ist erwachsen; aber wozu die Frage? Begehrt Ihr sie zur Ehe?‹

›Wenn ich es täte, würdet Ihr sie mir verweigern?‹

Es trat eine Pause ein, während welcher ich bemerkte, dass er mit einer mächtigen Gemütsbewegung kämpfte, aber endlich entgegnete er: ›Nach dem feierlichen Versprechen, welches ich Euch abgelegt habe, würde ich es nicht tun können, aber ich bitte Euch, es nicht zu fordern.‹

Dann sagte ich zu ihm: ›Mein Herr, Ihr könnt mir keine Beschränkungen auferlegen. Ich werde die Erfüllung Eures Versprechens fordern. Eure Tochter muss die meine werden.‹

Wieder schien er mit mächtigen Gemütsbewegungen zu kämpfen und auf eine Weigerung zu denken, aber nach einer Weile unterdrückte er seine Gefühle und erwiderte: ›Mein Wort ist gegeben. Sie soll die Eure werden. Ja, und wenn es mein Leben kostete, soll sie die Eure werden.‹ Dann fragte er nach meinem Namen und Stand, und ich gab ihm einen anderen Namen an, als unter welchem ich bekannt bin. Kurz, ich nannte einen Namen, womit er zufällig vertraut war, und der augenblicklich seine Gefühle gegen mich in die wärmste Freundschaft verwandelte. Wie Ihr leicht denken könnt, machte ich ihn nicht mit meinem verhassten Beruf bekannt. Obwohl ich nicht maskiert war, wusste ich mein entstelltes Gesicht so mit dem Mantel verdecken, dass er nur wenig davon sah. Hierauf sagte ich ihm, ich habe nicht die Absicht, sogleich auf die Erfüllung seines Versprechens zu dringen. Ich würde mein eigenes Mittel anwenden, seine Tochter zu sehen, ohne dass sie meine Gegenwart gewahr werden solle. Ich würde ihr ohne seine Einwilligung nie in den Weg kommen. Ich wendete noch einige Beweggründe an, die ihn vollkommen zufrieden zu stellen schienen. Wir trennten uns, nachdem er mich vorher in Kenntnis gesetzt hatte, dass er in Tottenham wohne. Nicht viele Tage vergingen, bis ich Gelegenheit fand, seine Tochter zu sehen. Ich fand sie außerordentlich schön. Ich hatte in der Tat einen Preis gewonnen und entschloss mich, dass keine Bitten von seiner oder ihrer Seite mich bewegen sollten, meinen Anspruch aufzugeben. Ich trug Sorge, dass sie mich nicht sah, da ich mir bewusst war, dass ich nur einen ungünstigen Eindruck machen könne. Später erfuhr ich von ihrem Vater, dass er sie nicht von dem Versprechen in Kenntnis gesetzt habe, welches er mir unbesonnener Weise gegeben hatte. Ich hatte eine Unterredung mit ihm – die dritte und letzte, die je zwischen uns stattfand – an dem Morgen des Tages, als er den Versuch gegen das Leben des Königs machte. Ich ritt nach Tottenham hinüber und kam dort vor Tagesanbruch an. Meine Ankunft wurde erwartet. Er ließ mich selber durch ein Pförtchen in seinen Garten und von dort in das Haus ein. Ich bemerkte, dass sein Geist sehr verstört war, und er sagte mir, er habe die ganze Nacht im Gebet zugebracht. Ohne mich mit seinem verzweifelten Vorhaben bekannt zu machen, schloss ich aus dem, was er sagte, dass er auf eine furchtbare Handlung sinne und sein eigenes Leben in großer Gefahr halte. Wenn er falle, und er erwartete, dass er fallen werde, überließ er seine Tochter meiner Fürsorge und erteilte mir einen schriftlichen Befehl, worin er ihr, wie Ihr finden werdet, im Fall ihres Gehorsams seinen Segen und im Fall ihres Ungehorsams seinen Fluch erteilte und ihr bei allen ihren Hoffnungen auf künftiges Glück gebot, das feierliche Versprechen, welches er mir abgelegt hatte, zu erfüllen – vorausgesetzt, dass ich ihre Hand innerhalb eines Jahres in Anspruch nehmen werde. Der unglückliche Mann starb, wie Ihr wisst, zwei Tage nach jener Unterredung, nachdem er, wie ich in Erfahrung gebracht hatte, seiner Tochter dieselbe feierliche Verpflichtung auferlegt habe.«

»Wahrlich eine seltsame Geschichte«, bemerkte Sir Francis Mitchell, der aufmerksam der Erzählung zugehört hatte, »aber wenn auch Aveline einwilligen mag, das Versprechen ihres Vaters zu erfüllen, so sehe ich doch nicht ein, wie ich den Anspruch geltend machen kann.«

»Hugo Calveley nannte seiner Tochter keinen Namen, als er starb«, sagte Sir Giles. »Es ist kein Name in dem Papier erwähnt, welches er Lanyere anvertraute, und wenn Ihr diese Vollmacht habt, stellt Ihr den vor, der berechtigt ist, den Anspruch zu machen, und Ihr könnt handeln, wie Lanyere würde gehandelt haben.«

»Sie wird sich der Anforderung nicht widersetzen«, sagte der Ankläger. »So viel kann ich behaupten, denn ich hörte, wie sie es Sir Jocelyn erklärte.«

»Wenn das der Fall ist, bin ich zufrieden«, rief der alte Wucherer. »Gebt mir die Vollmacht«, fuhr er fort, indem er sich zu Lanyere wendete.

»Ich habe sie bei mir, Sir Francis«, versetzte der Ankläger; »aber Sir Giles wird Euch erklären, dass noch etwas zu tun ist, ehe ich Euch dieselbe ausliefern kann.«

»Was fordert er?«, fragte der alte Wucherer, indem er seinen Genossen unruhig ansah.

»Weiter nichts als diese Dokumente über die Besitzung Mounchensey für dieses Papier«, versetzte Sir Giles.

»Nicht bloß die Dokumente«, sagte Lanyere, sondern eine schriftliche Entsagung Eurer beiderseitigen Ansprüche an jene Besitzung. Dies muss mir zugesichert werden, und ich muss gerade dasselbe Recht an die Besitzung haben, welches Ihr bisher gehabt.«

»Ihr sollt alles haben, was Ihr fordert«, entgegnete Mompesson.

»Ei!«, rief Sir Francis, »könnt Ihr ihm wirklich diese reiche Besitzung ausliefern wollen, Sir Giles? Ich dachte nur, Euch meinen Anteil zu übertragen, und ließ mir nicht träumen, dass die ganze Besitzung auf diese Weise ausgeliefert werden würde.«

»Ich habe Euch gesagt, Sir Francis«, entgegnete der andere, »dass Rache, vollständige Rache nicht zu teuer erkauft werden kann, und Ihr werdet jetzt bemerken, dass ich bereit bin, ebenso übertrieben wie Ihr, für die Befriedigung einer Laune zu zahlen. Unter keinen anderen Bedingungen würde Lanyere einwilligen, die Vollmacht, die er besitzt, wegzugeben, die Euch Avelines Hand und mir die ausgesuchteste Rache an Sir Jocelyn sichert. Ich habe daher in seine Bedingungen eingewilligt. Ihr habt einen vortrefflichen Handel gemacht. Als der wahnwitzige Puritaner Euch dieses

Papier gab, ließ er sich nicht träumen, welches Geschenk er Euch zuteilwerden lasse.«

»Der Tausch scheint günstig für mich zu sein, Sir Giles«, sagte er, »aber Ihr dürft mir glauben, wenn ich sage, obwohl ich diese großen Besitzungen gewinne, möchte ich doch lieber das Mädchen haben.«

»Nun lasst das Geschäft vollenden«, sagte Sir Giles. »Damit es umso schneller geschehe, ruft Lupo Vulp zu uns, Lanyere. Ihr werdet ihn in seinem Zimmer finden und sagt ihm, dass er die Übertragungsakte der Besitzung Mounchensey an Euch mit

bringe, die er schon aufgesetzt, und die ich und Sir Francis nur noch unterschreiben müssen.«

»Ich gehorche Euch, Sir Giles«, versetzte Lanyere, indem er sich entfernte.

Sobald sie allein waren, sagte der alte Wucherer zu seinem Genossen: »Ich bin sehr erstaunt über das, was Ihr zu tun im Begriff seid, Sir Giles. Dass ich ein Opfer bringe

für ein junges Mädchen, deren Reize dadurch noch erhöht werden, dass sie einem Feind gehören sollte, ist nicht überraschend, aber dass Ihr so leicht eine Besitzung

aufgebt, wonach. Ihr so lange gestrebt, das, muss ich gestehen, kann ich nicht begreifen.«

Ein seltsames Lächeln zeigte sich in dem Gesicht des Erpressers. »Und glaubt Ihr denn wirklich, dass ich die Besitzung so aufgeben würde, Sir Francis?«, fragte er.

»Aber wenn wir dieses Dokument unterzeichnen, gehört sie ihm. Wie wollt Ihr sie wieder zurückerhalten?«

»Fragt mich nicht wie – ich habe keine Zeit zur Erklärung. Erinnert Euch, was ich Euch von Osmond Mounchensey und von der Möglichkeit seines Wiedererscheinens sagte.«

»Ich will nicht in Euren Plan einzudringen versuchen, Sir Giles«, bemerkte der alte Wucherer, »aber ich möchte Euch raten, Euch vor Lanyere zu hüten. Er ist listig und entschlossen.«

»Er wird mir schwerlich gewachsen sein, denke ich«, entgegnete der Erpresser, »aber hier kommt er.«

Und während er sprach, trat der Ankläger wieder ins Zimmer. Ihm folgte Lupo Vulp mit einem Pergament unter dem Arm.

»Gebt mir das Pergament, guter Lupo«, sagte Sir Giles, indem er es ihm abnahm. »Es muss zuerst von mir unterzeichnet werden – so! Und nun Eure Unterschrift, Sir Francis«, fügte er hinzu, indem er ihm das Dokument überreichte. »Nun sollt Ihr es beglaubigen, Lupo. Es ist gut – es ist gut!«, rief er, indem er es wieder an sich riss, nachdem der Notar die Beglaubigung vollendet hatte. »Alles ist in gehöriger Form geschehen. Lanyere, dieses Papier macht Euch zum Besitzer von Mounchensey.«

Er überreichte es ihm.

»Und dies macht Sir Francis Mitchell zum Beherrscher von Aveline Calveleys Geschick«, entgegnete Lanyere, indem er dem alten Wucherer ein Papier überreichte.

»Dieses Kästchen nebst seinem Inhalt gehört Euch ebenfalls, Lanyere«, fuhr Sir Giles fort, indem er die Dokumente hineinlegte und es verschloss. »Wollt Ihr gefälligst den Schlüssel an Euch nehmen? Von diesem Augenblick an hören wir auf, Herr und Diener zu sein, nehmen einen gleichen Rang ein und werden Freunde!«

»Einen gleichen Rang – das mag sein, Sir Giles!«, rief Lanyere, sich zu seiner vollen Höhe aufrichtend und mit großem Stolz redend, »aber niemals Freunde.«

»Ha! was sind wir denn?«, fragte der Erpresser heftig. »Habe ich mich in Euch geirrt? Nehmt Euch in Acht! Ihr seid dennoch in meiner Macht!«

»Nicht so, Sir Giles. Ich habe jetzt nichts von Euch zu fürchten«, versetzte Lanyere, »aber Ihr habt viel von mir zu fürchten.«

Mit diesen Worten steckte er das Pergament in sein Wams und verließ hastig das Zimmer.

»Verdammt! Bin ich überlistet worden?«, rief Sir Giles. »Aber er soll mir nicht entgehen.«

Ihm nacheilend, rief er von der großen Treppe hinunter: »Heda! Capitain Bludder! – und Ihr Tom Wooton und Dick – lasst Lanyere nicht hinaus. Haltet ihn auf und nehmt ihm das Dokument ab, welches er in seinem Wams verborgen hat. Schlagt ihn nieder oder erstecht ihn, wenn er sich widersetzt.«

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert