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Der Hexer Band 4

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer Band 4
Bote vom Ende der Nacht

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 28. Mai 1985, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Michael Whelan

Langsam kehrte sein Bewusstsein ins Leben zurück. Er war tot gewesen. Sein Körper war zerstört worden, nicht zum ersten Mal, aber so gründlich und brutal wie nie zuvor in seinem jahrhundertealten Leben. Er erinnerte sich vage an den Schmerz; einen Schmerz, wie er ihn niemals zuvor verspürt hatte, grausam und alles übertreffend, was er bisher empfunden hatte. Und er erinnerte sich an den Mann, der ihn getötet, der seinen Körper in einer tosenden Flammensäule vernichtet hatte. Robert Craven, der Hexer …

Leseprobe

Dann verging die Erinnerung an den Schmerz, und gleichzeitig, wie um sie zu ersetzen, erwachte ein anderer, neuer Gedanke in ihm.

Der Gedanke an Rache.

Trotz allem, was man sich über ihn erzählte und über ihn dachte, war ihm dieses Gefühl neu.

Er war niemals in seinem von Finsternis erfüllten Leben in eine Situation gekommen, in dem er Vergeltung nötig gehabt hatte, weil er jeden Schmerz und jede Beleidigung sofort und grausam bestraft hatte.

Jetzt, Bruchteile von Sekunden, ehe sein Geist die Fesseln der Bewusstlosigkeit endgültig abstreifte, verspürte er dieses Gefühl zum ersten Mal in seinem Leben, einen Wunsch, der wie ein unstillbares Feuer in ihm brannte, ihn verzehrte und einen schwer zu beschreibenden, körperlosen Schmerz in seiner Seele zurückließ.

Dann öffnete er die Augen.

Necron, der Hexenmeister der Drachenburg, war ins Leben zurückgekehrt.

 

***

 

Zuerst war nichts als Dunkelheit um mich herum, eine Schwärze, die sich wie ein erstickender Mantel um meinen Körper und meine Erinnerungen schmiegte. Es dauerte nicht lange – nur einen kurzen, schrecklichen Augenblick, aber diese wenigen Sekunden wurden zu Ewigkeiten der Qual, in denen ich nicht wusste, wo ich mich befand, nicht einmal wer noch was ich war. Dann klärten sich die schwarzen Nebel vor meinem Geist, und mit dem grausamen Schmerz, der in meinen Eingeweiden erwachte, kehrten auch die Erinnerungen zurück.

Da war eine Ebene, schwarz wie Teer und so unendlich wie die Ewigkeit, sanft gewellt wie ein Ozean, der mitten in der Bewegung erstarrt war, und beschienen vom Licht eines kalten, knochenbleichen Mondes, der viel zu nahe und zu groß war, und …

Ich blinzelte und fuhr mir in der vollkommenen Dunkelheit, die mich noch immer umgab, verwirrt mit den Fingerspitzen über die Schläfen. Was waren das für Erinnerungen? Ich war nie in einem solchen Land gewesen, noch hatte ich davon gehört oder gelesen. Und doch sah ich das Bild so plastisch und klar vor mir, dass ich für einen Moment meinte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um die schwarzen morastigen Wogen ergreifen, ihre widerliche Wärme spüren und die Hand durch ihre zähe, sirupartige Oberfläche stoßen zu können …

Wieder wurden die Bilder so klar, dass ich spürte, wie mir die Realität zu entgleiten begann. Ich stöhnte und presste Daumen und Zeigefinger so fest gegen die geschlossenen Lider, dass kleine farbige Sterne vor meinen Augen aufzuflammen begannen.

Der Schmerz riss mich – endgültig – in die Wirklichkeit zurück. Für einen ganz kurzen Moment hatte ich das Gefühl, gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen zu müssen, wie ein Netz klebriger Spinnfäden, die mich hielten, dann zerriss es mit einem plötzlichen harten Ruck, und die Bilder und Visionen verschwanden aus meinem Geist.

Als ich die Augen öffnete, war die Dunkelheit nicht mehr vollkommen. Ich erkannte graue, rissige Wände aus Holz vor, rechts und links von mir, und meine Hand umklammerte etwas Kaltes, Hartes. Ich selbst lehnte zusammengesunken an einer weiteren Wand in meinem Rücken.

Ich sah an mir herab. Meine Kleider waren verdreckt und hingen zum Teil in Fetzen, die Haut darunter war rot und schwarz, hier und da von kleinen Krusten erst halb geronnenen Blutes bedeckt. Mein ganzer Körper schien ein einziger, pulsierender Schmerz zu sein.

Durch das Holz vor mir drangen Stimmen, gedämpft und so verzerrt, dass ich ihre Worte nicht verstehen konnte. Aber es waren die Stimmen von Menschen; wenigstens das.

Ich versuchte mich aufzurichten, stieß mir den Schädel an der viel zu niedrigen Decke und wäre erneut gestürzt, hätte der winzige, kastenförmige Raum genug Platz dafür geboten.

Der winzige, kastenförmige Raum …

Die Worte hallten ein paarmal in meinem Schädel wider, bis ich begriff, warum sie ein so düsteres, erschreckendes Echo in meiner Seele auslösten.

Kastenförmig.

Klein.

Und aus Holz!

Für einen Moment geriet ich in Panik. Ein Teil meines Denkens blieb klar und überlegt, aber der andere, größere Teil ließ mich schreien und toben und gaukelte mir die schreckliche Vorstellung vor, in einem Sarg zu sein, vielleicht schon tief unter der Erde, die murmelnde Stimme dort draußen nichts als die Gebete des Priesters, der den Sarg segnete, während hinter ihm schon die Totengräber darauf warteten, dass die Zeremonie endlich vorüber war, damit sie beginnen konnten, den Sarg mit Erde zu bedecken.

Den Sarg, in dem ich lebend beerdigt worden war!

Dann, so schnell wie die Vision gekommen war, verging sie wieder, und der Panik folgte ein Gefühl von Schwäche und Erleichterung, das mich mit einem Seufzen gegen die raue Wand sinken ließ. Ich stand aufrecht, und Särge wurden üblicherweise waagerecht ins Grab gelassen.

Draußen hatten die Stimmen für einen Moment innegehalten, als ich zu schreien begonnen hatte. Jetzt erklangen sie wieder, lauter und aufgeregter, dann näherten sich hastige, trappelnde Schritte. Eine Hand schlug dumpf gegen das Holz meines Versteckes, etwas quietschte, und dann stach helles blendendes Sonnenlicht in meine Augen.

Ich stöhnte, hob instinktiv die Hand über das Gesicht und versuchte die Gestalt zu erkennen, die vor mir aufragte. Der Mann zeichnete sich nur als schwarzer, von einem Strahlenkranz quälender Helligkeit umrandeter Schatten über mir ab, aber ich hörte sein ungläubiges Keuchen, und seine Gestalt verkrampfte sich vor Überraschung.

»Zum Teufel!«, entfuhr es ihm. »Was machen Sie hier? Wer sind Sie überhaupt?«

Wieder vergingen einige Sekunden, ehe ich die Hand herunternahm und durch den Vorhang von Tränen, der meinen Blick verschleierte, zu ihm aufsah.

Und dann dauerte es noch länger, bis das Gefühl der Beunruhigung, das seine Worte in mir ausgelöst hatten, verging und einem lähmenden Schrecken Platz machte.

»Verdammt, antworten Sie!«, verlangte der Fremde noch einmal. »Wie kommen Sie hier herein und wer sind Sie?«

Aber ich antwortete auch diesmal nicht.

Nicht, dass ich es nicht wollte – ich konnte nicht.

Denn ich wusste die Antworten nicht, die er von mir hören wollte …

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