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Neue Gespenster – 28. + 29. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil

Achtundzwanzigste Erzählung

Johann Gube in der Oberlausitz

Um das Jahr 1770 starb in der Oberlausitz der Bauer Johann Gude. Er schwitzte,  bevor er begraben wurde, so stark im Sarg, dass große Tropfen auf Gesicht und Händen standen. Auch hatte er noch immer eine recht natürliche Gesichtsfarbe. Die Anverwandten wischten den Schweiß öfters ab. Sie wunderten sich nicht wenig darüber, dass der Verstorbene noch schwitze. Dessen ungeachtet aber wurde der arme Mann begraben.

Bei Anbruch des nächsten Tages wollte der Schulmeister läuten und hörte in der Gegend des Grabes dieses Unglücklichen ein dumpfes, unterirdisches Getöse. Er traute seinen Ohren nicht und holte eilig Menschen herbei. Man horchte, staunte und grub endlich auf. Ein schrecklicher Anblick! Der unglückliche Bauer war in der Ohnmacht des Scheintodes beerdigt worden und nun völlig tot, aber er hatte in Angst und Verzweiflung sich im Sarg umgewälzt und lag auf Gesicht und Händen, die gänzlich zerrissen und zerbissen waren. Überhaupt war er auf das Jämmerlichste zugerichtet. Die Wärme seines Leichnams ließ vermuten, dass er erst vor wenigen Minuten, unstreitig unter unbeschreiblichen Qualen, noch einmal und wirklich gestorben sein müsse.

Neunundzwanzigste Erzählung

Heinrich Meene zu Quedlinburg

In der Mitte des 18. Jahrhunderts stand der Konsistorialrat Heinrich Meene, ein in damaliger Zeit sehr beliebter Kanzelredner, als Oberprediger an der Benediktuskirche in Quedlinburg. Dieser Gelehrte, der danach als Generalsuperintendent nach Ostfriesland berufen wurde, war sehr hypochondrisch und schwächlich. Nach einer Krankheit von einigen Wochen starb er. Wenigstens hielt man ihn für gestorben und behandelte ihn so. In der ganzen Stadt wurde er als tot angesagt, beklagt und beweint.

Einer seiner vorzüglichsten Freunde im Leben war sein Arzt, und dieser fuhr auch nun noch fort, des Verstorbenen Freund zu sein, die Familie zu besuchen und bei jedem Besuch den geliebten Toten mehr als einmal zu besehen und anzufassen.

Nur erst nach drei Tagen glaubte er in kaum bemerkbaren Zuckungen noch einige Lebensspur zu entdecken. Er fing also an, ihn näher zu untersuchen und fand, was er suchte. Der Scheintote erholte sich unter der Beihilfe seiner zweckmäßigen Bemühungen. Nach einigen Monaten hielt er als ein vom Tode Erstandener in diesem neuen Leben seine erste Predigt vor mehr als viertausend Zuhörern.

Warum dieser Fall nicht bekannt gemacht worden war, davon sehe ich die Ursache nicht ein. Der Arzt war der Nächste dazu. Warum tat er es nicht? Wer konnte ihm wohl schicklich vorgreifen? Oder schämte er sich vielleicht, die Lebensspur so lange übersehen zu haben? Will man aber diesen Fall nicht als erwiesen gelten lassen, so lebt zwar kein Quedlinburgischer Arzt der damaligen Zeit mehr, aber es leben vielleicht noch Kinder vom Herrn Meene, die meine Kameraden waren und es wissen müssen. Sicher aber leben noch Leute in Quedlinburg, die sich noch erinnern werden, die gedachte merkwürdige Predigt gehört zu haben. Wem daran gelegen ist, der erkundige sich nur an Ort und Stelle nach dieser Tatsache.

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