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Der Lugennatzl von Lugenhausen Teil 4

Der Lugennatzl von Lugenhausen
und seine wunderbaren Reiseabenteuer zu Land und zu Wasser als Schuhkünstler, Kammerdiener, Kindsmagd, Kindervergrößerer, Windmacher, Riesenkatzenfabrikant, Mastbaumausreißer, Meerkropfbesitzer, Robinson auf einer lebendigen Insel, Luftfahrer nach Schlaraffia und Entdecker des sechsten Weltteiles, wo die Welt mit Brettern verschlagen ist, usw.

Natzl als Windmacher

Solange der Tag dauerte, trieb mich die Neugier durch alle Straßen der Stadt und ich erreichte gegen Abend, ganz ermüdet, voll Hunger und Durst, das Ufer der Themse. Ich trat in eine nahe, dem Anschein nach sehr anständige Schenke, worin niemand saß als die Wirtin, eine freundliche Frau von etwa 40 Jahren.

»Wie? Ganz allein, Frau Wirtin?«, fragte ich grüßend.

»Ja. Um diese Zeit kommt selten noch jemand. Meine Gäste, die früher da waren«, fügte sie lächelnd bei, »habe ich schon alle abgefertigt. Womit kann ich aufwarten?«

Sie legte einen Strumpf aus der Hand, an dem sie eben strickte, und der erst 2 Zoll hoch war.

»Kann ich etwas zu essen bekommen?«

»Es ist nichts mehr da, nur noch etwas Brot, Käse, ein Stück gebackener Fisch und Bier.«

»Genug. Bringen Sie mir gefälligst Brot, ein Stück Käse und einen Krug Bier.«

»Sogleich mein Herr!«

»Wenn Sie nicht gar zu schnell zurückkehren, so will ich unterdessen ihren Strumpf  fertig stricken.«

»Gut, ich nehme Sie beim Wort, im Falle sie ein Hexenmeister sind, denn es ist bekannt, dass ich die schnellste Strumpfstrickerin in London bin.«

»Wenn Sie eine halbe Stunde ausbleiben, ist der Strumpf fertig.«

»Ei, ei! Nun, so geh ich zur Nachbarin hinüber, um ihr zu sagen, dass ihr Mann heute nicht in meine Schenke gekommen ist.«

»Tun sie dies!«

Als sie nach einer halben Stunde zurückkam, lag ich ausgestreckt auf der Bank.

»Strickt man so?«, fragte sie lachend.

»Nach getaner Arbeit ist gut ruhen«, antwortete ich.

»Wo haben Sie meinen angefangenen Strumpf versteckt?«

»Versteckt? Dort auf dem Fenstergesims liegt der fertige Strumpf und ein halber Strumpf, weil die Strickbaumwolle nicht mehr hinreichte.«

Die Wirtin schaute die anderthalb Strümpfe mit sprachlosem Erstaunen an. »Nein, so etwas ist auf der ganzen Welt noch nicht gesehen worden!«, rief sie aus. »O, was muss ich Ihnen geben, wenn Sie mir sagen, wie man dies macht?«

»Das Geheimnis besteht darin, dass ich Strickfinger habe, welche unter einer Million Menschen kaum einer hat. Ich kann 3 Paar Strümpfe zugleich stricken, und zwar in einer halben Stunde, sohin 6 Paar in einer Stunde, was in 12 Arbeitsstunden 72 Paar ausmacht.«

Die Wirtin schlug ein Kreuz, vermutlich weil sie glaubte, ich sei der Teufel. Sie brachte mir das Bestellte. Ich aß und trank, bezahlte meine kleine Zeche und wollte durch die Tür fortgehen, durch welche ich gekommen war.

»Gehen Sie gleich dort durch die andere Tür hinaus! Es ist viel näher«, sagte sie freundlich zu mir. »Recht gute Nacht! Beehren Sie mich bald wieder mit Ihrer Einkehr!«

»Ganz gewiss, Frau Wirtin! Schlafen Sie wohl.«

Ich eilte durch die bezeichnete Tür, die in einen von einer Lampe erhellten Gang führte, in dessen Mitte ich plötzlich versank. Unten angekommen, zog mich ein verdächtiger Kerl, der in der rechten Hand eine Pistole trug, von dem viereckigen Brett weg, auf dem ich herabfuhr, und welches sodann vermittelst eines Flaschenzuges wieder in die Höhe stieg. Ich erblickte links an einem langen Tisch etwa 20 Jünglinge und Männer, von denen einige betrübt und gedankenvoll schwiegen, andere weinten, die meisten aber fluchten. Vor jedem stand ein Krug Bier und ein großes Stück Brot. Ich erkannte sogleich, dass ich in den Schlupfwinkel eines Seelenverkäufers geraten sein müsse, aus dem ich nicht mit heiler Haut entkommen würde, und bereute es sehr, die gut gemeinte Warnung des Lords nicht beachtet zu haben. Weit entfernt, Furcht oder Traurigkeit zu zeigen, beschloss ich vielmehr, durch mein Benehmen mir einen besonderen Respekt zu verschaffen.

»Wo bin ich, und was soll das bedeuten?«, fragte ich ganz ruhig.

»Du bist schon am rechten Ort, Bursche!«, antwortete ein langer hagerer Lump in einer schmutzigen Jacke, mit einem schwarzen Pflaster auf dem linken Auge, einen alten, wettergebräunten, löcherigen breit gekrempten, grauen Filz, unter welchem die struppigen Haare bis auf die Schultern herabhingen, schief auf dem Kopf, aus einer kurzen Matrosenpfeife dampfend.

»Was soll ich hier tun?«

»Bier trinken, wenn du magst, dort auf dem Stroh ein paar Stunden schlafen und gleich nach Mitternacht mit mir und den anderen Gimpeln da, die auch in mein Garn geflogen sind, wie du, auf mein Schiff gehen, mit dem ich dann sogleich nach Brasilien absegeln will, wohin ich eine Ladung Eisenschienen im Wert von zweihunderttausend Talern bringen muss. Weil ich nun keine Lust habe, Matrosen zu bezahlen, so habe ich mir diese Leute da gesammelt, welche als Freiwillige die Matrosendienste verrichten müssen.«

»Ich will aber kein Freiwilliger sein!«

»Nun, so sei meinetwegen ein Gezwungener!«

»Ich lasse mich nicht zwingen.«

»Das wird sich zeigen, Bursche!«, erwiderte er, stand auf und trat vor mich hin.

Jetzt konnte ich die eisengraue Farbe seines Gesichtes bemerken und lachte laut auf, denn ich erkannte sogleich, dass dieser angebliche Schiffskapitän nur ein in einen Menschen verwandelter alter Esel sei.

»Sie wissen, Verehrungswürdiger, von den Schriftstellern der Vorzeit, dass Menschen in Werwölfe, Esel, Ochsen und andere Tiere und so auch diese in Menschen verwandelt wurden. In unserer Zeit geschehen solche Verwandlungen viel seltener. Sie werden oft mit Menschen zu tun haben, die ihnen Esel oder Ochsen zu sein scheinen, und sind es auch ohne Zweifel, aber gewöhnlich nur solche, deren Voreltern aus Eseln oder Ochsen in Menschen verwandelt wurden und Menschen blieben, weil die Kunst der Umwandlung bereits verloren gegangen war. Bei näherer Prüfung des Charakters der Menschen, ist aus den Eigenschaften ihrer Gemüter leicht zu erkennen, von welchem Tiergeschlecht sie ursprünglich abstammen. Vielleicht bin ich der Einzige, welcher noch die Kunst versteht, einen Menschen, der eigentlich ein Esel oder Ochse ist, wieder als Esel oder Ochse hinzustellen. Ich habe dies aus einem alten Buch gelernt, aber einen Esel oder Ochsen in einen Menschen zu verwandeln, würde mir nicht gelingen und wäre im Grunde eine überflüssige Mühe.«

»Warum lachst du?«, fuhr er mich zornig an.

»Weil ich so vergnügt darüber bin, dass ich ohne Kosten eine weite Seereise machen kann.«

»Diese Antwort rettet dir das Leben; ich hätte dich sonst erschießen lassen.«

»So? Womit denn?«

»Mit einer von jenen Pistolen, mit welchen meine 6 Wachen bewaffnet sind.«

»Saubere Waffen! Das sind keine Pistolen, das sind Cervelatwürste!«

Schnell schauten der Schiffskapitän und die 6 Wachen die Pistolen an, sie waren appetitliche Cervelatwürste!«

Das war aber keine Zauberei, sondern nur eines von meinen leichtesten Taschenspielerstückchen, dem ichgleich ein zweites folgen ließ.

Während der alte Esel und seine 6 Schufte voll Entsetzen einander anschauten und ihre Mäuler aufrissen wie die Störche ihre Schnäbel, wenn sie Frösche packen, fuhr ich fort: »Herr Schiffskapitän, Ihr müsset für bessere Waffen auf die Reise sorgen, denn mit Cervelatwürsten schießt man keine Seeräuber tot, und mit diesen Flederwischen statt der Säbelklingen in den Scheiden wird man keine Köpfe spalten können!«

Rasch zogen sie ihre Säbel – lauter Flederwische!

»Ich sehe wohl, dass Ihr ein Zauberer seid, Herr!«, sagte der Schiffskapitän ängstlich, »und würde Euch lieber wieder fortgehen lassen, wenn ich nicht ab meine Sicherheit denken müsste.«

»Fortlassen!«, rief ich lachend aus, »Ihr könntet mich nicht aufhalten, wenn ich nicht da bleiben wollte; allein ich will das Schicksal meiner Reisegefährten teilen, zu denen mich Eure Arglist geführt hat. Auf dem Schiff werde ich einen Brief schreiben an meinen Freund, einen Lord, damit er erfahre, wohin ich gekommen bin. Ihr müsst dafür sorgen, dass dieser Brief auf die Post getragen wird, sobald wir abgesegelt sind. Höre ich jemals, dass es nicht geschehen sei, so werde ich Euch, wo Ihr auch in jenem Augenblick sein möget, in einen Esel verwandeln.«

Der Schiffskapitän zitterte bei dieser Drohung, wohl wissend, wie leicht sie bei seiner Eselhaftigkeit in Erfüllung gehen könnte. Er versprach alles und hat auch Wort gehalten, wie ich späterhin bei meiner Rückkehr nach London erfahren habe. Die Cervelatwürste waren wieder in Pistolen, die Flederwische in Säbelklingen verwandelt.

Wir segelten ab. Schon nach wenigen Stunden verdrängte der Südwind den günstigen Nordostwind und trieb uns mit auffallender Schnelligkeit gegen Norden, also in eine ganz andere Richtung. Der Schiffskapitän ließ alles Mögliche tun, wieder auf den rechten Weg zu kommen, aber vergebens. Das Schiff flog wie ein Pfeil immer nach Norden.«

»Was soll das bedeuten?«, fragte er mich ganz erschrocken. »Habt ihr vielleicht gezaubert?«

»Nein, die Ursache dieses Laufes des Schiffes ist leicht einzusehen. Ihr habt viel Eisen geladen, das nun von dem Magnetberg im Norden unaufhaltsam angezogen wird. Schindet die Leute nicht länger mit Arbeiten, es hilft doch nichts.«

Vier Stunden später hingen wir wie mit eisernen Klammern am Magnetberg.

»Wie lange müssen wir da bleiben?«, fragte mich der einäugige Kapitän.

»Lebenslänglich!«

»Dann müssen wir ja verhungern?«

»Natürlich, und dann hat das Lebenslängliche ein Ende.«

»Gibt es denn gar kein Mittel, das Schiff vom Magnetberg loszumachen?«

»O ja! Ihr dürft nur die ganze Eisenladung ins Meer werfen lassen.«

»Das darf ich nicht tun. Die Eigentümer der Eisenbahnschienen könnten mich irgendwo treffen, mich für einen Dieb halten, der ihre Eisenladung verkauft habe, und mich am Galgen baumeln lassen.«

»Da fällt mir eben noch ein Mittel ein. Ich will als Windmacher Euer Retter werden. Gebt mir ein Paar Wächter mit und 20 Taler, dann suchen wir einen Lappländer auf und kaufen ihm die nötigen Winde ab, die stark genug sind, das Schiff vom Magnetberg loszureißen.«

Er willigte ein, trennte sich aber viel härter von den 20 Talern als das Schiff sich vom Magnetberg. Nach langem und mühsamen Suchen fanden wir einen Lappländer. Da ich mit Recht vermutete, dass wir unter Eisberge auf unserem Rückweg geraten würden, so kaufte ich heiße Winde. Der Verkäufer nahm einen Fetzen Rentierfell, einen Fuß lang, einen halben Fuß breit, und machte drei Knoten in diesen Fetzen.

»Hänge dieses Stück Rentierfell an die Spitze des Hauptmastes«, sagte er. »Wenn du den ersten Knoten lösest, wird ein Wind entstehen, stark genug, das Schiff vom Magnetberg loszumachen; der zweite Knoten liefert dir einen heftigen Wind, der das Schiff pfeilschnell forttreibt, und bei dem dritten Knoten entsteht ein so gewaltiger Sturmwind, dass du glauben wirst, der Teufel hole das Schiff, das an einem entgegenstehenden Ort um dritthalb Stunden früher ankommen wird als der Sturmwind hinter ihm.«

Der Kapitän schüttelte den Kopf und machte große Augen zu dem kleinen Fetzen Tierfell, von dem er sich keine Hilfe erwartete, und jammerte über Prellerei. Ich band selbst das Zaubermittel an die Spitze des Hauptmastes und löste den ersten Knoten. Alsogleich trennte sich das Schiff vom Magnetberg durch einen Nordwind, der stärker war als die Kraft des Magnetberges. Dieser Wind war zu unserem Glück so heiß, dass die mehr als dreitausend Fuß hohen Eisberge, zwischen welche das Schiff bald darauf geriet, augenblicklich wieder zu Wasser wurden und ein Wanderzug von einer halben Million Wildtauben, im eigenen Fett gebraten und durch die Ausdünstungen des Meerwassers gesalzen, auf unser Verdeck fielen, ein willkommener Nebenprofit des heißen, Windes, da uns die Lebensmittel bereits ausgingen. Wir aßen uns satt und salzten die Übrigen in leere Fässer ein. Bei dem Aufsuchen des lappländischen Windkrämers hatte ich mir eine Erkältung zugezogen, in deren Folge ich eine Darmentzündung bekam. Ein Aderlass war notwendig, aber weder ein Schiffschirurg noch ein anderer Mensch vorhanden, der damit umgehen konnte. Wegen des heißen Windes schwitzten wir alle so heftig, dass die metallenen Knöpfe an unseren Röcken schmolzen. Die anderen nahmen Seebäder, um sich abzukühlen, ich aber schwitzte fort, solange Wasser aus meinem Leib ging, und dann schwitzte ich Blut, ungefähr zwölf Unzen, was so gut wirkte wie ein Aderlass, wonach ich von meiner Darmentzündung geheilt war.

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