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Nick Carter – Ein verhängnisvoller Schwur – Kapitel 5

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein verhängnisvoller Schwur
Ein Detektivroman

Eine überraschende Entdeckung

Schon hatte er den Schuppen in Sicht, als er wieder stutzte und sich mit der Hand vor die Stirn schlug.

»Mein Himmel, wie konnte ich dieses nur vergessen!«, brachte er leise hervor. »An der Leiche fand ich ja den Trauring … das ist so gut wie entscheidend. An alles hat diese Verbrecherkönigin gedacht – nur nicht an den winzigen Reif, und das war die verhängnisvolle Dummheit, welche auch die raffiniertesten Verbrecher gewohnheitsmäßig zu begehen pflegen … Wäre die Frau im Haus des Baumeisters wirklich dessen Gattin, wie käme denn ihr Trauring an den Goldfinger der Toten?«

Der Detektiv wollte sich schon wenden, um zu Chick zurückzukehren und diesem verdoppelte Wachsamkeit anzuempfehlen. Doch dann änderte er wieder seine Meinung.

»Pah, das ist nicht nötig!«, brummte er vor sich hin. »Chick ist gewarnt und wird aufpassen – mich hält die Rücksprache mit dem Baumeister ohnehin nur wenige Minuten auf – dann werde ich sofort zu dieser schönen Inez zurückkehren und mit ihr in einem ganz anderen Ton sprechen!«

Wie immer bei derartigen Gelegenheiten hatte sich vor der Bauhütte eine zahlreiche Menge angesammelt, die von verschiedenen Policemen nur mit Mühe zurückgehalten werden konnte. Doch Nick Carter hatte seine eigene Art, sich einen Weg durch die dichteste Menschenansammlung zu bahnen. Er wusste seine Ellbogen derartig nachdrücklich zu gebrauchen, dass jeder ihm gern auswich. Hinter ihm her schimpften die Leute in allen Tonarten, doch sie beruhigten sich bald, als sie erfuhren, wer der Rücksichtslose eigentlich war. Man sagte dem berühmten Detektiv allgemein nach, dass er wenig Federlesens zu machen pflegte, besonders wenn er Eile hatte – und unter den neugierigen Gaffern hatte kein Einziger Lust, unter solchen Umständen seine nähere Bekanntschaft zu machen.

Im Büro traten der Coroner und dessen Assistent auf den Detektiv zu. Sie schienen beide in großer Erregung.

»Well, Mr. Carter, wir haben inzwischen eine höchst seltsame Entdeckung gemacht«, begann der Coroner.

»Ich stehe sofort zu Ihrer Verfügung, Doktor«, sagte Nick Carter, »doch ich werde am Telefon von Baumeister Menasto erwartet.«

»Hören Sie erst, was ich zu sagen habe«, fuhr der Coroner eindringlich fort. »Wir gingen an eine oberflächliche Untersuchung der Leiche, so gut dies in einem solchen Raum wie hier im Büro möglich ist … und diese Untersuchung veranlasste mich, die sofortige Überführung der Toten zur Leichenhalle des Bellevue-Hospitals zu veranlassen.«

»Ah, die Tote ist nicht mehr hier«, orientierte sich der Detektiv, der nun gewahrte, dass die entseelte Form aus dem Baubüro verschwunden war.

»Ich werde ungesäumt die Autopsie vornehmen und Sie in Kenntnis setzen … denn mit einem Wort, Mr. Carter … die Leiche ist gedoktort.«

»Wieso?«, fragte der Detektiv ganz erstaunt, der den Coroner nicht verstand. »In welcher Weise meinen Sie?«

»Das kann ich selbst noch nicht sagen. Jedenfalls habe ich so viel entdeckt, dass der Tod keinesfalls heute Nacht, sondern viel früher, vielleicht schon vor einer Woche eingetreten ist.«

»Machen Sie keine schlechten Witze, Doktor!«, rief Nick Carter lachend. »Vor einer Woche … Unsinn.«

»Ich selbst verließ das Büro hier gestern Abend um sechs Uhr«, warf der Buchhalter mit einem überlegenen Lächeln ein. »Freilich eine kuriose Geschichte ist es, denn da Mrs. Menasto lebt, möchte ich gerne wissen, wer die ihr so ähnlich aussehende Tote ist und auf welche Weise sie hier hinein gekommen ist.«

Seine Worte erregten keine geringe Sensation unter den Anwesenden. Nick Carter aber wendete sich mit einem sarkastischen Lächeln an ihn: »Junger Mann, Sie sprechen ein großes Wort gelassen aus, denn wie Sie uns hier sehen, sind wir sämtlich vom gleichen Wissensdrang beseelt … doch ich fürchte, es dürfte uns noch ziemlich viel Kopfschmerzen verursachen, bis wir der Wahrheit auf die Spur gelangt sein werden.«

»Jedenfalls steht schon jetzt fest, dass die Leiche schon als solche hierhergebracht worden ist«, schaltete sich der Coroner trocken ein, »denn sie ist einbalsamiert, und das kann natürlich nicht hier im Büro geschehen sein.«

Nick Carter schlug die Hände zusammen und stand eine Sekunde lang sprachlos vor Überraschung.

»Einbalsamiert!«, rief er dann. »By Jove, die Sache wird immer dunkler … Dann muss die Leiche schon Tage alt sein.«

»Nach der Beschaffenheit der Wundränder – der Tod ist nämlich durch einen Messerstich unterhalb der linken Brustwarze herbeigeführt worden – ist die Leiche mindestens eine Woche alt«, erläuterte der Coroner. »Doch ich will mich beeilen.« Er trat dicht an Nick Carter heran. »Sie kommen am besten gleich mit«, flüsterte er in einem nur diesem verständlichen Ton. »Die Leiche scheint auch sonst noch gedoktort zu sein.«

»Wieso das?«, fragte der Detektiv ebenso leise zurück.

»Well, mir kam es vor, als sei das Gesicht mit Emaille überzogen … ich kann es nicht bestimmt sagen, zumal ich hier am Platz keine eingehende Untersuchung vornehmen konnte. Doch mir will scheinen, als habe man der Leiche durch künstliche Mittel erst den gewünschten Gesichtsausdruck verliehen.«

Nick Carter ließ ein gedehntes Pfeifen hören. Er stand mit der Hand an der Stirn da und sah, in tiefes Sinnen versunken, vor sich ins Leere.

»Das ist das Werk von Inez Navarro!«, versetzte er alsdann gedämpft, mehr zu sich selbst sprechend. »Aber warum nur dieser Hokuspokus, der doch geradezu darauf berechnet erscheint, auf ihre Spur zu führen … Hätte sie diese Leiche irgendwo anders auffinden lassen, so hätte sie denselben Effekt erreicht, aber kein Mensch würde vermutet haben, dass Inez Navarro, die Verbrecherkönigin, und die Gattin des Millionärs Menasto ein und dieselbe Person sind.«

Ein scharfes Anklingeln am Fernsprecher riss ihn aus seinem halblauten Nachdenken.

»Ja so, der Baumeister in Albany … den hatte ich ganz vergessen!«, entfuhr es dem Detektiv, während er sich rasch dem Apparat zuwendete. »Ich komme gleich nach, Doktor«, rief er dem sich mit seinem Assistenten entfernenden Coroner noch rasch zu. »Sie können sich denken, wie lebhaft mich diese merkwürdige Entdeckung interessiert!«

Damit hatte er sich vor den Arbeitstisch gesetzt und den Schallempfänger ans Ohr gelegt.

»Hallo, hier ist Nick Carter … wer dort?«

»Baumeister Menasto, augenblicklich in Albany«, tönte es deutlich durch den Apparat zurück. »Man hat mich unterrichtet, dass Sie mich zu sprechen verlangen … Ich warte nun schon eine geschlagene halbe Stunde und stehe wie auf Kohlen!«

»Entschuldigen Sie, Mr. Menasto, doch es war mir nicht möglich, früher abzukommen«, eröffnete Nick das Gespräch. »Es handelt sich um eine höchst eigentümliche Sache, die ich Ihnen notgedrungen über den Fernsprecher auseinandersetzen muss … Doch zuvor eine Frage: Hat Ihre Gattin eine Doppelgängerin … etwa eine ihr täuschend ähnlich sehende Schwester oder sonstige Verwandte?«

»Mit welcher Berechtigung richten Sie eine solche Frage an mich, Mr. Carter?«, klang es schroff zurück. »Was gehen Sie die Familienverhältnisse meiner Frau an … Sie sind meines Wissens Detektiv, und als solcher hinter Verbrechern her … Ich will nicht hoffen, dass Sie in Ausübung Ihres Berufes den Namen meiner Frau auch nur in den Mund zu nehmen wagen!«

»Mein Gott! Mr. Menasto, nur nicht gleich so erregt«, beschwichtigte der Detektiv mit einem feinen Lächeln, das der andere aber natürlich nicht sehen konnte. »Ich dränge mich nicht in Ihre Familienverhältnisse, sondern diese drängen sich in meinen Weg, den ich pflichtgemäß beschreiten muss.«

»Kommen Sie zur Sache, wenn ich bitten darf, denn meine Zeit ist bemessen!«, ließ sich der Baumeister vernehmen.

»Mit Vergnügen. Also zunächst die Mitteilung, dass in Ihrem Baubüro, von welcher aus ich soeben mit Ihnen spreche, heute Morgen eine Tote aufgefunden worden ist.«

»Eine Tote in meinem Baubüro!«, gab der augenscheinlich auf das Äußerste Überraschte zurück.

»Gewiss, es ist so, wie ich Ihnen mitteile, Mr. Menasto … In dieser Toten nun will Ihr Personal mit großer Bestimmtheit Ihre Gattin erkannt haben.«

»Allmächtiger Himmel!«

Dieser Ausruf schrillte so laut durch den Apparat, dass ihn die im Zimmer Stehenden hören konnten.

»Um des Himmels willen, Mr. Carter – ich beschwöre Sie, teilen Sie mir alles mit!«, wurde dann die Stimme des Baumeisters wieder laut. »Meine geliebte Frau tot – nein! Es ist nicht möglich … Ich verließ Carmen erst gestern … Sie war wohl leidend, doch sie hat eine zarte Konstitution und muss sich öfters legen … aber tot und ermordet …«

Nick Carter konnte deutlich hören, wie der am anderen Drahtende Befindliche, überwältigt von Schmerz und Jammer, laut aufschluchzte.

»Sie brauchen noch nicht zu verzweifeln«, versetzte der Detektiv nun. »Ich sagte nicht, dass die Leiche wirklich Ihre Gattin ist … Ich kann dies umso weniger behaupten, als in Ihrem Wohnhaus sich eine Lady befindet, die sich als Ihre Gattin ausgibt.«

»Ausgibt?«, schrie der Baumeister zurück. »Herr, was soll das heißen? Treiben Sie derartig mit den heiligsten Gefühlen Scherz …«

»Ruhe, Ruhe!«, beschwichtigte Nick Carter von Neuem. »Wer sagt, dass ich das tue? Sie müssen sich mäßigen, Mr. Menasto, denn ich spreche wahrlich nicht zum Vergnügen mit Ihnen. Es sind vielmehr heilige Interessen gefährdet und höchst wahrscheinlich auch Ihr Eheglück. Seien Sie ein Mann und sprechen Sie maßvoll … alles überstürzte Jammern oder vorwurfsvolles Aufbrausen führt uns nur vom Ziel ab!«

Es lag solch zwingende Überredung in der Art und Weise des tiefernst sprechenden Detektivs, dass seine Ruhe sich über den Draht des Fernsprechers auch dem anderen mitzuteilen schien.

»Gewiss, ich will ruhig sein, Mr. Carter«, versicherte der Baumeister. »Doch sagen Sie selbst, welcher Mann könnte angesichts derartiger Mitteilungen seine Gemütsruhe bewahren?«

»Gewiss, das sehe ich ein. Doch nun zur Sache, Mr. Menasto. Ich muss meine vorherige Frage wiederholen und mich notgedrungen in die Familienverhältnisse Ihrer Gattin mischen …«

»Aber lebt Carmen? Ist sie gesund?«, drängte der Baumeister.

»Sie fragen mehr, Mr. Menasto, als ich zu beantworten vermag«, eröffnete Nick Carter gelassen. »Ich sagte Ihnen bereits, dass sich in Ihrer Wohnung eine Lady aufhält, deren Züge denjenigen der in Ihrem Büro aufgefundenen weiblichen Leiche so überraschend gleichen, wie etwa zwei Tautropfen einander. Diese Lady wird auch von den Dienstboten als ihre Herrin angesehen.«

»Nun also, was wollen Sie?«, ereiferte sich der Baumeister. »Die in meinem Büro aufgefundene Tote wird jedenfalls die unglückselige Inez, eine Zwillingsschwester meiner armen Frau, sein.«

Nun war die Reihe an dem Detektiv, einen kurzen Ausruf äußersten Erstaunens hören zu lassen.

»Da haben wir ja auf einmal Tag vor uns!«, rief er. »Geschwind, Mr. Menasto, sagen Sie mir alles, was Sie über diese Inez wissen … Sie heißt vermutlich Inez Navarro, eh?«

»Ganz richtig«, gab der Baumeister zurück. »Es ist mir offen gestanden fatal, den Namen meiner Schwägerin hereingezogen zu sehen, denn sie ist eine tiefunglückliche Frau, und ihre blendende Schönheit hat ihr keinen Segen gebracht … Ohnehin habe ich meiner Frau und Inez mein Wort verpfändet, nichts über die Anwesenheit der Letzteren in New York zu sagen … Sie muss sich streng verborgen halten, um den Mordanschlägen eines verruchten Gatten, der zum Verbrecher herabgesunken ist, zu entgehen … Es ist mir entsetzlich, von diesen unliebsamen Ereignissen in der Familie meiner Frau sprechen zu müssen, zumal weder sie noch die arme, liebe Inez der geringste Vorwurf treffen kann. Doch Ihre Mitteilung von der Auffindung einer meiner Frau so täuschend ähnlich sehenden Leiche macht die Vermutung nahezu zur Gewissheit, dass Inez den Nachstellungen ihres verruchten Gatten erlegen sein muss – wie sie in mein Büro gekommen ist, das verstehe ich nicht … Es müsste ihr gerade der Nachtwächter meinen Schlüssel gegeben haben … doch dieser ist ein durchaus vertrauenswürdiger Mann und steht schon seit Jahren in meinen Diensten … ich wüsste auch nicht, was Inez in meiner Bauhütte zu schaffen gehabt hätte.«

»Well, das setze ich Ihnen ausführlich auseinander, sind Sie erst wieder in New York, Mr. Menasto«, schaltete der Detektiv sich ein. »Bleiben wir bei der Sache … Es steht trotz der verblüffenden Ähnlichkeit der Leiche mit Ihrer Gattin und dieser Inez Navarro, die ich übrigens persönlich kenne, und von welcher ich weiß, dass sie ihrer Zwillingsschwester tatsächlich wie ein Wassertropfen dem anderen ähnelt … Also, es steht trotz der verblüffenden Ähnlichkeit der Leiche immer noch nicht fest, ob diese überhaupt mit einer der beiden Zwillingsschwestern identisch ist.«

»Um Himmels willen, Mann, Sie machen mit das Gehirn wirbeln!«, ächzte der Baumeister. »Wie soll ich das verstehen können? Auf der ganzen Welt findet sich solch vollendete Ähnlichkeit nicht zum zweiten Mal!«

»Das gebe ich zu. Doch ich kann mich über meine Vermutung so lange nicht auslassen, bis ich mir Gewissheit verschafft habe … Das dürfte binnen Stundenfrist der Fall sein«, antwortete der Detektiv. »Was Sie mir von Inez Navarro erzählen, das ist mir neu … ich kenne sie als eine ebenso gefährliche wie vor nichts zurückschreckende Verbrecherin!«

»Herr, was gestatten Sie sich?«, unterbrach ihn der Baumeister entrüstet. »Inez ist eine Heilige!«

»Well, Mr. Menasto, Sie sind ein gebildeter Mann und lesen vermutlich Zeitungen, eh?«, fragte der Detektiv trocken.

»Allerdings, aber …«

»Bitte, kein Aber, hören Sie mich lieber ruhig an«, fuhr Nick Carter fort. »Vor einigen Wochen war es in ganz New York das Tagesgespräch, wie es einem berüchtigten Verbrecher gelungen war, durch Erregung eines künstlichen Tumultes im Gerichtssaal aus diesem zu entwischen.«

»Aha, dachte ich mir es doch … Sie spielen auf den Fall Carruthers an.« Der Baumeister schien überlegen aufzulachen. »Well, mein lieber Mr. Carter, lassen Sie sich sagen, dass meine Schwägerin Inez an diesem Carruthers, den ich persönlich kenne und allzeit so gentlemanlike gefunden habe, dass ich heute noch nicht an seine Verbrechen glauben kann …«

»Gewiss, ich räume ein, dass Morris Carruthers es vortrefflich verstanden hat, der Welt über seine wahre Persönlichkeit Sand in die Augen zu streuen«, bemerkte der Detektiv sarkastisch. »Sie sind nicht der Einzige, Mr. Menasto, welcher Morris Carruthers für das Opfer eines Justizirrtums hält … doch lassen Sie sich von mir, der den Fall genau kennt, sagen, dass Carruthers wohl der gefährlichste Mordbube von ganz New York ist. Und ebenso schlecht, wenn nicht noch verworfener, ist diese engelsschöne Inez Navarro.«

»Aber das geht zu weit … Ich werde es auch von Ihnen nicht dulden, dass meine Schwägerin in solch himmelschreiender Weise verunglimpft wird!«, entrüstete sich der temperamentvolle Baumeister von Neuem. »Ich will zugeben, sie handelte unüberlegt, indem sie sich mit Carruthers kompromittierte, sich im öffentlichen Gerichtssaal an dessen Seite setzte … darüber kam es auch zwischen meiner Frau und ihr zu einer Verstimmung … doch die Ärmste hat es bitter büßen müssen, dass ihr das Herz mit dem Verstand durchging, denn die Zeitungen brachten ihr Bild, was natürlich wiederum für meine arme Frau sehr fatal war. Dieses Bild aber lenkte die Aufmerksamkeit ihres verruchten geschiedenen Gatten auf die unglückliche Inez … und diese sah sich genötigt, wollte sie den Mordanschlägen des Halunken entgehen, sich seither verborgen zu halten. Noch mehr, sie musste ihr Versteck fast fortwährend wechseln, und mich selbst kostete es Mühe genug, ihr immer neue, sichere Zufluchtsorte zu verschaffen.«

»Großartig!«, entfuhr es den Lippen des Detektivs, der vor Überraschung beinahe das Hörrohr fallen ließ. »Also Sie waren es, Mr. Menasto, der dieser Verbrecherkönigin immer wieder Gelegenheit bot, sich unseren Nachforschungen zu entziehen.«

»Aber ich bitte Sie, Mr. Carter!«

»Bitten Sie nicht, Mr. Menasto, sondern sagen Sie mir lieber, ob sie diesen blutdürstigen Gatten Ihrer Schwägerin persönlich kennen.«

»Das nicht, aber Inez …«

»Erzählte Ihnen immer von der Existenz dieses Scheusals, und sie glaubten ihr!«, fiel der Detektiv sarkastisch ein. »Well, Mr. Menasto, in diesem Fall finde ich Ihre Leichtgläubigkeit begreiflich – Einen Augenblick bitte«, beschwichtigte er, als der Baumeister wiederum aufbrausen wollte. »Hören Sie mich zu Ende an … In Wahrheit war ich es mit meinen Gehilfen, welche Inez Navarro auf der Spur waren und es nicht begreifen konnten, dass der scheue Vogel uns im letzten Moment immer wieder zu entwischen vermochte. Sie müssen nämlich wissen, dass Morris Carruthers in dem von Ihrer Schwägerin damals an der 77th Street bewohnten Haus verhaftet wurde. Dieses Haus stand mit einem anderen in Verbindung, und in diesem fanden wir wohl das reichhaltigste Diebeslager von New York. Ihre schöne Schwägerin war nämlich in Wirklichkeit die Leiterin einer gefährlichen Einbrecherbande.«

»Mr. Carter, Sie häufen eine Beleidigung auf die andere … und Sie werden mir sofort nach meiner Rückkehr Rechenschaft geben, oder beim Ewigen …«

»Keine Drohung, wenn es beliebt«, unterbrach ihn Nick Carter scharf, »denn solche machen umso weniger Eindruck auf mich, als ich der Mann bin, meine Worte zu beweisen. Sie sollen nach Ihrer Rückkehr einen von Inez Navarro an mich gerichteten Brief, in welchem sie kaltblütig alle ihre Schandtaten einräumt, zu lesen bekommen … Doch bis zu Ihrer Rückkehr verstreichen noch lange, kostbare Stunden, die ausgenutzt werden müssen, soll die Verbrecherkönigin nicht abermals triumphieren!«, brach er ab. »Ich wiederhole: In Ihrem Haus befindet sich eine Lady, welche sich für Ihre Gattin ausgibt, doch ich habe schwerwiegende Gründe, diese Person für Inez Navarro zu halten.«

»Ich wiederhole Ihnen, dass Sie sich täuschen!«, rief der Baumeister schroff zurück. »Ich werde doch meine Frau kennen, mit der ich über fünf Jahre verheiratet bin.«

»Das glaube ich Ihnen ja gern!«, pflichtete Nick Carter bei. »Doch Sie können von Albany aus nicht beurteilen, ob die Frau, welche sich gegenwärtig als Ihre Gattin aufspielt, mit der gestern von Ihnen verlassenen Mrs. Menasto identisch ist.«

»Hören Sie, Mr. Carter, Sie machen mich wahnsinnig!«, stöhnte der Baumeister. »Ich wollte, ich könnte mich nach New York zurücktelegrafieren lassen!«

»Das wünschte ich auch, denn dann hätten wir augenblicklich Klarheit!«, rief der Detektiv zurück. »Wie die Sachen nun stehen, muss ich sofort ohne Ihr Beisein die Lage aufzuklären versuchen … Natürlich möchte ich nicht zu einer Verhaftung Ihrer vermeintlichen oder wirklichen Frau schreiten, solange ich mir über ihre Identität noch nicht schlüssig geworden bin.«

»Das möchte ich mir auch verbitten«, brauste der Baumeister drohend auf. »Ich werde Sie für jede Verunglimpfung meiner Frau persönlich verantwortlich machen, Mr. Carter.«

»Drohungen schrecken mich nicht, ich wiederhole es!«, versetzte der Detektiv kalt. »Seien Sie vernünftig, Mr. Menasto, unsere Interessen laufen gemeinsam, sie kreuzen sich nicht … Sagen Sie, besteht zwischen Ihnen und Ihrer Frau nicht ein Geheimnis, das außer Ihnen beiden niemand, auch Inez Navarro nicht, kennt?«

»Warum fragen Sie so?«

»Sehr einfach, weil ich mir dieses Geheimnis von Ihrer Frau oder der sich für diese Ausgebenden wiederholen lassen will«, eröffnete ihm Nick Carter gelassen. »Es muss natürlich wirklich etwas Derartiges sein … Weiß die von mir Verdächtigte davon, so bin ich im Unrecht und zugleich in der Lage, meine Nachforschungen anderen Dingen zuzuwenden … Im anderen Fall aber ist es Inez Navarro, welche sich in Ihrem Haus als dessen rechtmäßige Herrin aufspielt – und dann ist es allerhöchste Zeit, nach dem Verbleib Ihrer wirklichen Gattin zu forschen, denn ich wiederhole Ihnen, ich habe gewichtige Gründe für meine Annahme, dass die in Ihrem Büro aufgefundene Leiche weder mit Ihrer Gattin noch mit Inez Navarro identisch ist.«

»Mir steht der Verstand still!«, ächzte der Baumeister.

»Raffen Sie sich auf und denken Sie nach, ob Sie mir den gewünschten Fingerzeig geben können!«, drängte der Detektiv.

Eine kurze Weile harrte er vergeblich auf Antwort. Dann hörte er die Stimme des Baumeisters wieder: »Wollen Sie mir Ihr Ehrenwort geben, Mr. Carter, dass Sie von dem, was ich Ihnen anvertrauen will, weder jetzt noch in Zukunft irgendwelchen Gebrauch machen, Ihre Kenntnis davon an keinen Menschen, wer immer es auch sei, verraten wollen? Tun Sie das, so will ich Ihnen ein Geheimnis sagen, das außer mir nur meine Frau kennt.«

»Es entspricht zwar nicht meiner Neigung, ein derartiges Versprechen zu geben«, entgegnete der Detektiv nach kurzem Besinnen. »Doch da Eile Not tut, mag der Zweck diesmal das Mittel heiligen … Well, Mr. Menasto, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass ich über das Geheimnis nur mit der Lady sprechen werde, die sich gegenwärtig als Ihre Gattin ausgibt.«

»Gut so!«, stieß der Baumeister hervor. »Ich weiß, dass Sie ein Ehrenmann sind, Mr. Carter, und dass ich auf Ihr Wort bauen kann. So hören Sie denn: Wie Ihnen schon mein Name sagt, stamme ich von italienischen Eltern ab. Ich habe mich aus eigener Kraft zum Millionär aufgeschwungen, dadurch aber den Neid meiner früheren Landsleute hervorgerufen. Es spielen noch andere Dinge mit, welche Sie nicht weiter interessieren können. Mit kurzen Worten also, ich habe mir die Todfeindschaft der Mafia zugezogen …«

»Ah! Sie sprechen von dieser schändlichen Geheimgesellschaft, welche über das ganze Land ausgebreitet ist und auch als schwarze Hand arbeitet!«, rief der Detektiv.

»Jawohl«, bekräftigte der andere. »Zuerst entsprach ich den an mich gerichteten Drohbriefen, bis ich einsah, dass die ewigen Erpressungen kein Ende nehmen wollten. Als ich weitere Zahlungen verweigerte, wurde ich zum Tode verurteilt. Seitdem trage ich ein Panzerhemd, das schon mehrfach mir zugedachte Kugeln und Messerstiche unschädlich an meinem Körper abprallen ließ. Doch auch in mein Haus sind die Meuchelmörder gedrungen, und um ein Haar hätten sie mich bereits ermordet. Ich habe mir deshalb in dem von mir allein bewohnten Haus eine Einrichtung getroffen, von deren Vorhandensein nur meine Gattin noch Kenntnis hat. Ich bin nämlich in der Lage, von verschiedenen Orten aus, die nur mir und meiner Frau zugänglich sind, sodass also durch das Personal aus Versehen keinerlei Unglück angerichtet werden kann, Dynamitminen zur Explosion zu bringen, also etwaige Meuchelmörder in die Luft zu sprengen, falls ich mich ihrer nicht anders zu erwehren vermag.«

»Well«, meinte Nick Carter kopfschüttelnd. »Das ist aber in einer volksreichen Stadt wie New York ein ungemein gewagtes Verteidigungsmittel.«

»Seien Sie gänzlich unbesorgt, Mr. Carter. Ich bin Experte in meinem Fach und habe alle Zufälligkeiten ausgeschlossen; auch sind die einzelnen Minen gerade stark genug, um Menschen töten, vielleicht auch das Haus in Brand setzen zu können. Sie reichen aber nicht hin, etwa auch die Nachbarhäuser zu gefährden … Wir haben nun, meine Frau und ich, ein Stichwort für den Augenblick der Gefahr verabredet … Es heißt Mencar – ist also der versetzte Vorname meiner Gattin –, und es bedeutet, dass, wer von uns immer die Gefahr bemerkt, dem anderen das Wort zuruft, damit diejenige Mine, deren Explosion hervorgerufen werden soll, durch einen einfachen Druck auf einen elektrischen Knopf in Tätigkeit versetzt wird.«

»Aber ist denn die Gefahr eine solch große, um derart drastische Abwehrmittel zu rechtfertigen?«, fragte Nick Carter unter erneutem Kopfschütteln.

»Lieber Herr, Sie kennen die Mafia nicht«, antwortete der Baumeister. »Sie sind schon halbdutzendweise in mein Haus gedrungen. Fragen Sie meine Gattin nach dem Stichwort – sie hat mir einen heiligen Eid darauf geschworen, es an niemanden weiterzugeben … und ich kenne meine Frau … Sie ist eine Heilige und hält Ihren Schwur!«

»Soll selbstverständlich sofort geschehen«, beendete der Detektiv die Unterredung, indem er den Baumeister schließlich noch ersuchte, sich nach seiner erfolgten Ankunft in New York ungesäumt mit ihm in Verbindung zu setzen.

Nick Carter selbst blieb beim Fernsprecher stehen und wartete gerade lange genug, um neu angeschlossen werden zu können. Dann klingelte er wieder an und ließ sich mit der Totenhalle des Bellevue-Hospitals verbinden.

Gleich darauf war Coroner Silverman, welcher die Autopsie der Leiche übernommen hatte, am Apparat.

»Wollten Sie nicht hierherkommen, Mr. Carter?«, erkundigte er sich.

»Wenn es nicht durchaus notwendig ist, hätte ich zuvor noch einen anderen und vielleicht wichtigeren Gang zu machen«, entgegnete Nick. »Darum klingle ich auch an, um Ihre Meinung zu hören.«

»Well, ansehen müssen Sie sich die Geschichte auf alle Fälle, Mr. Carter, denn es handelt sich um eines der kuriosesten Vorkommnisse in meiner langjährigen Praxis. Da uns die Tote indessen nicht fortläuft und auf keinen Fall identisch ist mit der von Ihnen vermuteten oder gesuchten Person …«

»Nicht identisch … also wirklich nicht?«, rief der Detektiv auf das höchste erstaunt.

»Keine Spur«, tönte die Stimme des Gerichtsarztes zurück. »Die Leiche ist mindestens eine Woche alt, und zwar durch einen Messerstich in die linke Brustseite gewaltsam getötet worden. Die Haare sind gefärbt; sie mögen ursprünglich dunkelblond gewesen sein, nun erglänzen sie in tiefstem Schwarz. Gesicht und Nacken aber sind emailliert … Sie wissen doch, um was es sich dabei handelt?«

»Ich denke wohl«, gab der Detektiv zurück. »In Frankreich hat sich das Emaillieren von Menschengesichtern zu einer wahren Kunst ausgebildet. Hässliche Frauen können sich durch Vornahme einer allerdings langwierigen und schmerzvollen Prozedur in Schönheitsgöttinnen verwandeln lassen; diese Letztere besteht in der Überziehung des Gesichts mit einer Emailleschicht, der man natürlich jede beliebige Form verleihen kann.«

»Gewiss, so ist es … das macht jugendschön, es hat aber den Nachteil, dass man weder lachen noch sonst das Gesicht irgendwie bewegen darf; auch muss man den sehr empfindlichen Überzug vor Nässe bewahren, sonst wird die Geschichte rissig und sieht grauenvoll aus. Schont man dagegen den Überzug, so hält er jahrelang, ehe er wieder erneuert werden muss.«

»Also, Dr. Silverman, Sie meinen nun, dass das Gesicht der Leiche emailliert ist?«, erkundigte sich der Detektiv.

»Das behaupte ich nicht nur, sondern ich weiß es«, erklärte Dr. Silverman bestimmt. »Die Emailleschicht ist beinahe einen viertel Zoll dick und erst kürzlich aufgetragen. Die Leiche selbst ist, wie ich Ihnen bereits sagte, einbalsamiert. Ich habe die eine Gesichtshälfte von der Emaille befreit und herausgefunden, dass die Tote zu Lebzeiten ein ziemlich gewöhnliches Gesicht von irischem Zuschnitt gehabt hat, während der Emailleüberzug sie in geradezu bezaubernder Schönheit erscheinen ließ.«

Nick Carter hatte genug gehört.

»Well, ich danke Ihnen, Doktor«, versetzte er. »Sobald ich abkömmlich bin, werde ich mir diese gedoktorte Leiche einmal anschauen. Schluss.«

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