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Hexengeschichten – Die Hexenkönigin – Kapitel 2 Teil 5

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Die Hexenkönigin
Kapitel 2 – Teil 5

Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen!

Nicht leben lassen!

Also mussten sie sterben.

Den jungen Zauberern und Zauberinnen, die noch nicht vielen Schaden getan hatten, ließ man zum Tode zur Ader.

Dazu musste die Hexenkönigin und ihr Sohn zusehen.

Darauf wurden alle die zahlreichen Älteren ohne Unterschied auf großen Scheiterhaufen lebendig und zu Asche verbrannt.

Auch dazu mussten jene beiden zusehen.

Für die Hexenkönigin war eine neue Qual ersonnen worden.

Ähnlich jenem Stiergott der Ammoniter, dem Moloch, ließ der hohe Rat das eherne Bild eines Rosses anfertigen, mit hohlem Bauch und mit Luftzügen, auf dass es geheizt und glühend gemacht werde.

Auf dieses Ross wurde Frau Grethe Strumpf gesetzt und mit Ketten angeschmiedet, und des Rosses Bauch war mit Kohlen gefüllt, die entzündet wurden und erhitzt mit Blasebälgen, dass allmählich des Rosses Leib glühte und die Hexenkönigin die martervollste Pein erlitt. Auf dass sie aber nicht schreie, war ihr eine eiserne Springtulipane in den Mund gesteckt. Da saß sie und litt die Pein der Hölle drei volle Stunden lang, ehe sie ihre elende Seele aushauchte.

Und ihr elfjähriger Sohn Andres musste zusehen.

Als die Mutter tot war, sollte der Sohn hinauf auf das glühende Ross und schnell zu Asche werden.

Da flehte der Knabe laut um Erbarmen und schrie: »O, lasst mich nicht brennen! Ich will Euch auch etwas offenbaren, das aller Welt noch geheim ist.«

Da wurde den Henkersknechten geboten, innezuhalten, und wurde der Knabe gefragt, was denn das sei.

Er sollte es frei bekennen und dann des Feuertodes nicht sterben.

Darauf hob Andres an zu sprechen: »Gegen Satan und alles Hexenwerk sind einzig gut und hilfreich die Kräuter der sieben Planeten. In welchem Haus dieselben sind, wäre es auch nur ein Kraut von jedem der sieben, darin hat keine Hexe, ja der Teufel selbst nicht Macht und können nicht den geringsten Schaden tun, weder an Menschen noch am Vieh.«

Darauf fragte ein hochweiser Rat, welches diese Kräuter seien, ob er ihre Namen wisse.

Siehe, da hob der Knabe Andres an, verwunderlich zu reden und zu offenbaren tiefe Geheimnisse, gleich einem, der auf hohen Schulen studiert hat, und jeder männiglich wunderte sich darüber, und wusste nicht, von wannen ihm diese Weisheit komme.

Und Andres sagte aus: »Saturni, des bekannten Planeten Kräuter sind Raute, Zwiebel und Mispel, Jovis aber Rosen, Lorbeer und Bohnen. Mars liebt scharfe, hitzige Kräuter: Senf, Rettig und Euphorbium, das ist Wolfsmilch. Soli gehören Rosmarin, Gerste und Korn, Veneri Lilien, Safran und Zeitlosen, die Blumen, welche man nackte Jungfern nennt. Merkurii liebste Kräuter sind Bingelkraut, welches man nennt herba mercurialis, Petersilie und Haselstaude; Lunae endlich gehören die Lunaria, die Gurken und die Kürbisse.«

Da musste der Schreiber eines hohen Rates diese siebenmal drei Kräuter aufzeichnen, und der Stadtapotheker musste ihrer sieben zusammenschaffen. Der nahm eine Zwiebel und ein Paar Lorbeerblätter, eine Handvoll Senf und einen Rosmarinstängel, tat eine Prise Safran hinzu, etwas Bingelkraut und Lunaria, alles zusammen in ein reines Linnensäcklein von einem Jungfernhemd.

Mit diesem Säcklein näherte sich nun ein hoher Rat der herbeigeführten verstockten Hebamme. Da begann sie alsbald freiwillig und ohne Marter zu bekennen, wie sie alle Kindlein, so sie aus dem Schoß der Mutter empfangen, gleich heimlich getauft habe in des Teufels Namen, und wie sie vielen Weibern das Hexenwerk gelehrt habe, darüber ein hoher Rat sich höchlich und gebührlich entsetzte. Sprach der Hebamme ihr Urteil, und musste solch gräulicher Unhold auch auf das Ross und den gleichen Tod erleiden, den die Hexenkönigin erlitten hatte.

Hieran begnadigte ein hoher Rat den Knaben Andres wegen seines freiwilligen, offenen und guten Bekenntnisses und wegen seiner Jugend zu einer ihm erträglicheren Strafe, nämlich zum Tode durch das Schwert und nachheriger Verbrennung seines Leibes und ließ diese höchstgnädige Strafe ohne Verzug an Andres Strumpf vollstrecken.

Nach all diesem verfügte sich ein hoher Rat gen Kesselbrunn und zum Strumpfenhof, den Gräuelort zu besichtigen, und nahm den Knecht Lurz mit hinab in den Keller, auf dass er den Ort zeige, allwo die höllische Eiergockel ihren Sitz gehabt habe. Auch der Bauer Friedrich Strumpf musste mit hinab.

Lurz ging mit Zittern und Zagen; sein ganzes Wesen war erschüttert. Vor seinen Sinnen flirrten all die Bilder der Gerichteten, die seine Anklage, eigentlich seine eigene Untat, vom Leben zum jammervollen Tod gebracht worden waren.

Im Keller war es düster und moderfeucht. Dort in der Ecke stand noch der alte Korb, ganz verschimmelt. Alle waren gefasst auf den Anblick der höllischen Riesenkröte – nun stieß Lurz den Korb um – und ein entsetzlicher Aufschrei erscholl aus eines jedem Mund. Lurz stürzte gleich in Ohnmacht – was sie sahen, die Männer – mag etwas ganz Unerhörtes und Grauenvolles gewesen sein, niemals hat einer es offenbart. Mehreren schwindelten die Sinne und alle umfing ein stinkender pestilenzialischer Brodem, sodass alle dem Keller schleunig enteilten und den Ohnmächtigen mit hinaufschleppten.

Darauf entbot ein hoher Rath alsobald Maurer und ließ den Keller vermauern und in den Gewölbestein ein fünfeckiges, mit Kreuzen versehenes Zeichen eingraben.

Haus und Gehöft des Friedrich Strumpf ließ ein hoher Rat bis auf den Grund niederreißen, sodass die Kellertür unter dem Schutt begraben blieb und nur der Gewölbestein mit dem Signum zu Tage stand.

Am letzten Balken seines Gehöfts wurde der Bauer Friedrich Strumpf erhängt gefunden.

Lurz schlich tiefsinnig umher, schlich auch zum Pfarrer Meiser, geistlichen Trost und Zuspruch bei ihm zu suchen.

Pastor Meiser empfing Lurz in seinem Museum und in sehr heiterer Stimmung. Er hatte die weiße Zipfelmütze auf, eine weißbaumwollene Nachtjacke an, die Füße in großen schwarzen Filzsocken und rauchte eine Pfeife schlechten Tabak. Er hatte geschrieben. Das Museum des Pfarrers bestand in einem kleinen Gemach, dessen Viertelteil reichlich ein alter schwarzer Kachelofen einnahm. Ein eichenes Büchergestell, ein Tisch und einige Stühle bildeten das Mobiliar.

»Höre zu, lieber Lurz, was ich Schönes gedichtet habe!«, sprach der Pfarrer zu dem Knecht und las mit salbungsvoller Stimme vom beschriebenen Blatt:

Im Dorfe Kesselbrunn genannt,
Bei Köllen liegt’s, ist wohl bekannt,
Da wohnt ein reicher Bauer,
Mit Namen Friedrich Strumpf genannt,
Der lebt zwölf Jahr im Ehestand.

Sein’ Frau war eine Zauberin,
Ein’ Hex, wie man’s sonst nennen will,
Die trieb groß’ Zauberei;
Ihr Mann wusst’ nie ein Wort davon,
Endlich es doch an Tag kam.

Alle Wochen durchs ganze Jahr
Wenn in der Stadt war Wochenmarkt,
Hatt’ sie Eier genug
Die sie kunnt’ tragen in die Stadt
Wenn sunst niemand gar keins hatt’.

An einem Freitag es geschah,
Dass die Geschicht kam an den Tag;
Der Bauer war im Wirtshaus
Und blieb darin, bis am Abend spat,
Die Bäurin in den Keller trat.

Der von seiner Poesie erfüllte Pfarrer nahm gar nicht wahr, dass der arme Lurz käsebleich wurde, dass die Knie ihm schlotterten und wankten, dass eine unsägliche Angst ihn erfasste. Jener fuhr mit erhobener Stimme im Lesen fort:

Ihr Knecht, der saß an dem Tisch,
Und hat ein Buch, darin er liest,
Hat an nichts Böses gedacht!

Nun stürzte Lurz zu des Pfarrers Füßen nieder und rief flehend: »Barmherzigkeit, Herr Pfarrer! Haben Sie Erbarmen mit mir! Bringen Sie mich nicht in Ihr Gedicht – nur mich nicht!«

»Und warum nicht?«, fragte erstaunt und ungern die Vorlesung seiner für unübertrefflich gehaltenen Dichtung unterbrochen sehend der Pfarrer aus.

»Es bringt mich um! Es macht mich toll! Ich tue mir ein Leides an!«, winselte Lurz.

»Geh, du bist ein Tropf!«, zürnte Ehren Meiser. »Da habe ich einmal recht die edlen Verse meiner Poeterei vor eine dreckige Sau geworfen! Sollte so ein Lump wie du nicht Gott dem Herrn danken, wenn seiner in Ehren durch einen begabten Poeten in einem Carmen gedacht wird? Marsch, hebe dich von meiner Schwelle, du dummer Eiergückel, du Teufelsbüchler, du Teufelskrötenkerl, der du bist!« Dabei riss der zornige Pfarrer die Tür seines Museums auf und schob den Lurz hinaus.

Fast vernichtet ging der Lurz vom Pfarrhof.

Der Pfarrer aber beruhigte sein aufgeregtes Gemüt und las sich mit hoher innerer Befriedigung sein Gedicht weiter vor:

Hat an nichts Böses gedacht.
Die Bäurin säumte sich nicht lang,
Nahm eine Spießgert in die Hand.

Sie hebte auf ein’n alten Korb,
Darunter saß eine große Krott,
Die tät sich blähen auf.
Bäurin haut mit der Spießgerten drein,
All Hieb ließ sie fall’n ein Ei.

Und las und schrieb dann noch lange.

Einige Wochen nach der am 2. Februar 1718 zu Köln stattgehabten gräuelvollen Hexenhinrichtung wimmelte wieder viel Volk auf dem Eier-, Butter- und Gemüsemarkt. Es waren aber keine Eierweiber von Kesselbrunn auf selbigem Markt. Es durften sich solche allda nicht mehr sehen lassen, denn als die Geschichte von der schwarzen Krottengluckse ruchbar geworden war, überkam die Menschen ein mächtiger Ekel und Abscheu vor Eiern. Viele von denen, welche von der Grethe Strumpf, der Hexenkönigin, Eier gekauft und gegessen, starben hin wie die Mücken, als welches gar schrecklich war.

Wohl aber war jene Bänkelsängerfamilie wieder auf dem Markt. Sie hatte an ihrer Stange ein nagelneues Bild, sang und verkaufte ein nagelneues Lied, gedruckt in diesem Jahr. Auf dem Bild war die ganze Geschichte von der schwarzen Gückelhenne dargestellt.

Diese Leute waren im besten Singen, Leiern und ausdeutendem Zeigen ihrer Bildleinwand.

Das klang erbaulich, viele Hunderte drängten um jene Sänger und lauschten mit offenem Mund dem Gesang und den kreischenden Misstönen des verstimmten Leierkastens oder Orgeleins.

All Hieb ließ sie fall’n ein Ei.

Die Bäurin wusste davon nicht
Dass ihr der Knecht heimlich zusicht,
Hat nirgends an gedacht,
Und treibt es also fort.
Dreihundert Eier sie bekam,
Sogleich an diesem Ort.

Alle Hörer fürchteten sich, nur eine Hörerin, die sich wider Willen in den Kreis zufällig gedrängt sah, hörte und weinte.

Der Knecht nahm solches wohl in Acht,
Hat auch gleich bei ihm selber gedacht,
Er wollt’s probieren auch,
Und tät darzu schweigen still,
Gab wohl in Acht, wo die Krott legt’ hin.

Des Morgens d’ran war es Samstag,
Der Bauer und Bäuerin fuhr’n gen Markt,
Der Knecht bliebe daheim;
Er schlich auch in den Keller h’naus,
Die Kunst wollt’ probieren auch.

Ein Mann mit irren Zügen, in zerlumpten Kleidern, mit struppigem Bart und in der einen Hand einen langen Knüttel tragend, drängte im Volkskreis, schob und wurde geschoben, immer näher dem Bild und dem alten Bänkelsänger, der fleißig mit seiner Gerte auf das Bild schlug, auch die schwarze scheußliche Kröte, die eierlegend dargestellt war, auf den Knecht, der vor ihr stand, die Spießgerte in der Hand.

Und weiter leierten Leierkasten und Lied:

Er hebt auch auf den alten Korb,
Darunter saß die alte Krott,
Bläht sich schrecklich auf.
Knecht stipft mit der Spießruten drein;
Die Kunst tät probatum sein.

Immer näher trat jener Mann; seine Glieder zitterten, seine rote Faust umkrallte fester den Knüttel, seine Blicke ruhten starr und irr auf dem Bild.

Der Knecht, der dacht’ in seinem Mut,
Der Handel ist für mich auch gut;
Ich kann manchmal ein Geld
Aus Eiern lösen in der Stadt,
Dass ich etwas zu zehren hab’.

Wieder ein Schlag der langen Gerte auf das Bild des Knechts und rasch noch ein Schlag des Knüttels in der Hand jenes wahnsinnig in den Kreis und gegen das Bild vorspringenden Mannes, dass die bemalte Leinwand alsbald mitten voneinander riss, und ein zweiter Schlag auf den Schädel des Sängers, der ihn niederwarf, und ein dritter Schlag auf den Leierkasten, der diesen zertrümmerte, alles im Nu, wie zuckende Blitze, Geheul des Weibes und des Mädchens, und des Wütenden heißer gellende Stimme: »Zum Teufel mit euch! Ihr sollt mich nicht abkonterfeien! Ihr sollt nicht singen von mir – von mir, ich, ich bin der Knecht, der Knecht der Sünde, der Knecht der Hölle! Fahrt alle zur Hölle!«

Schon war der Störer öffentlicher Ruhe gepackt von nervigen Fäusten, schon war nach Wache gerufen. Lurz wehrte sich wie ein Rasender. Er war es, er war ein Rasender – eine Schar Funken rasselte heran, führte Lurz zur Wache, fesselte ihn, brachte ihn, wohin er gehörte, in das Tollhaus.

Die über das Bild und über das Lied geweint, die über Lurz weinte, die weinend sich aus dem Getümmel schlich, war Barlies, die frühere Magd auf dem Strumpfenhof, nun in der Stadt im Dienst – und wo? Beim Scharfrichter, der ihrer ehemaligen Herrin das glühende Ross erhitzt hatte.

Lurz starb im Tollhaus, wo er sich in entsetzlichen Fantasien, die ihn mit den Scharen der Gerichteten quälten, zu Tode raste.

Pastor Meisers Gedicht, das die Bänkelsänger auf den Märkten sangen, hatte dreiunddreißig Strophen.

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