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Ein Ostseepirat Band 1 – Maria Arvedson

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman
Erster Band
XXI.

Maria Arvedson

Im alten Ritterhaus zu Stockholm ging es bereits seit einigen Tagen lebhaft, man kann wohl sagen, skandalös zu, denn die Partei der Mützen verlangte nach Beendigung der Sache der Königin energische Kriegführung, mit Aufwendung aller zu Gebote stehenden Mittel gegen Preußen, wogegen die Partei der Hüte protestierte.

Das Volk von Stockholm, seit der Braheschen Verschwörung noch immer bedeutend aufgeregt, nahm lebhaften Anteil an den gepflogenen Verhandlungen und belagerte deshalb stets in bedeutender Masse das Ritterhaus, um sofort von den gefassten Beschlüssen Kenntnis zu erhalten.

Im Allgemeinen war jedoch die Menge dem Krieg abgeneigt und es war nicht selten, dass die sogenannten Patrioten von derselben bei ihrem Erscheinen verhöhnt wurden.

Diese Zeichen durften als gefahrdrohend betrachtet werden. Es war deshalb auch für beständig ein Teil der Polizei der Hauptstadt anwesend und mit ihnen ihr damaliger Chef, der Polizeidirektor Lagerbjelke.

Der Direktor war ein ganzer Mann in feiner Art; er diente nun der oben schwimmenden Partei und diente später der anderen, wie dem König Gustav III. gegen jene noch besser.

Zur Erleichterung der Geschäfte hatte er im Ritterhaus selbst ein Büro etabliert und teilte die Zeit seiner Anwesenheit im Haus zwischen Verrichtung der laufenden Geschäfte und der Beobachtung des Reichsrats und Senats.

Er war eben an seinem Pult beschäftigt, als ein untergeordneter Diener hastig und fast atemlos eintrat, um sich ihm sofort zu nähern.

»Wieder verloren!«, sagte der Manu keuchend, ohne die Erlaubnis zum Sprechen abzuwarten, »ich glaube, der Mensch muss hexen können!«

Lagerbjelke hatte die einem Polizeidirektor so nötige Eigenschaft der Kaltblütigkeit im höchsten Grade. Er nahm die Spitze der in seiner Hand befindlichen Feder zwischen die Zähne und sah den Mann durchdringend an.

»Hexen, nein!«, antwortete er langsam, »er scheint nur schlauer zu sein als mein bester Spion. Und das beweist, dass alle nichts taugen; ja, es ist ein Elend!«

»Herr Direktor!«, begann der gescholtene Mensch kleinlaut.

»Still!«, befahl sein Vorgesetzter. »Bestelle mir die Arvedson zu zwölf Uhr in meine Wohnung.«

Der Mann ging und der Direktor arbeitete bis zu der angedeuteten Zeit ruhig weiter, dann verließ er das Büro, um sich in seine nicht allzu ferne Wohnung zu begeben.

Er war noch nicht lange dort gewesen, als die von ihm bestellte Person gemeldet wurde. Lagerbjelke befahl, sie einzulassen.

Gleich darauf erschien Maria Arvedson, damals noch eine junge Person, später Schwedens berühmte Phytia, deren Ruf fast noch den der französischen Lenormand übertraf.

Die Arvedson war ein großes, schlankes Frauenzimmer, nicht schön und nicht hässlich, aber mit dem unverkennbaren Ausdruck einer gewissen Schwärmerei im Auge und in den Zügen.

Ihre Kleidung bestand in einem einfachen schwarzen Überrock, einem Tuch und einer kleinen, dunkelfarbigen Kappe.

Bis vor Kurzem war Marie der Gegenstand des Spottes gewesen, man verlachte ihre Vorhersagungen und verachtete sie selbst.

Doch seit wenigen Monaten hatte sich dies geändert. Es war bekannt geworden, dass sie die Geliebte des mitverurteilten und hingerichteten Unteroffiziers Paul Puke gewesen war, und dies machte sie interessant . Man behauptete sogar, dass sie die Katastrophe der Braheschen Verschwörung vorhergesagt habe, und dies gab ihr Wichtigkeit.

Endlich hatte auch Puke sie zur Erbin seines, für einen Mann seines Standes ziemlich bedeutenden Vermögens gemacht und somit gewissermaßen reich geworden, hatte das übrigens verwaiste Mädchen auch an Ansehen gewonnen.

Lagerbjelke war der Mann, diese Umstände zu benutzen, um auf den Aberglauben der Mitmenschen zu spekulieren. Er hatte die Wahrsagerin durchschaut. Ob er nun selbst an ihre richtige Voraussagungsgabe glaubte oder nicht, er gab ihr unter der Bedingung, ihm zu dienen, die Erlaubnis, ihr Wesen zu treiben.

Ja, es ist wohl möglich, dass grade er zur Erlangung  ihres bedeutenden Rufes, natürlich in seinem Interesse, beigetragen hat. Bemerkt muss noch werden, dass sie Gustav III. den Tod durch die Hand eines Meuchelmörders vorausgesagt haben soll.

Lagerbjelke trat ihr, als sie die Tür geschlossen hatte, sofort entgegen.

»Nun, Marie!«, sagte er, »du hast dich lange nicht sehen lassen. Deine Zeit scheint sehr beansprucht zu werden, doch du darfst deine Freunde nicht vergessen. Hast du ein Verzeichnis der Personen mitgebracht, die in der letzten Zeit deinen Ruf erproben wollten?«

Marie Arvedson nahm, ohne ein Wort zu sagen, ein Papier aus ihrem Kleid und reichte es dem Beamten hin, der es mit sichtbarem Interesse überflog.

Doch bald machte derselbe ein verdrießliches Gesicht.

»Er ist nicht darunter!«, murmelte er. »Hast du nicht von einem Fremden namens Dyk gehört?«

»Nein!«, antwortete die Arvedson, »ich kenne so wenig den Namen, noch habe ich ihn in Person gesehen!«

»Nun, Marie!«, fuhr der Direktor fort, »ich muss wissen, wer der Mann eigentlich ist, was er treibt oder beabsichtigt. Vorgeblich ist er ein Schiffskapitän, dessen Fahrzeug irgendwo außerhalb liegt, doch ich glaube dies nicht. Kannst du mir nähere Auskunft über den Mann geben?«

»Sobald ich ihn sehe, ja!«, antwortete Marie bestimmt.

Lagerbjelke schellte. Derselbe Mann, welcher ihm erst die erwähnte Meldung gemacht hatte, trat ein.

»Zeigt der Arvedson den Menschen!«, sagte er kurz und gab zugleich durch einen Wink mit der Hand zu erkennen, dass beide verabschiedet waren.

Die Aufgabe des Polizeibeamten mochte ihm wohl nicht besonders behagen, denn er brummte, während er auf der Straße neben der Arvedson herging, die er in ein Gasthaus auf dem Blasiiholm führte.

Beide mussten indessen lange warten. Es wurde fast Abend., ehe der Observierte zurückkehrte, um durch das Gastzimmer, wo er sich einen Schlüssel von der Wand nahm, in ein anderes zu gehen.

Marie Arvedson schien bei seinem Anblick zu erschrecken, doch fasste sie sich bald und sah lange vor sich zu Boden.

»Lasst uns gehen!«, sagte sie endlich, und beide begaben sich wieder zu dem Direktor.

Lagerbjelke war bereits ungeduldig geworden und trat den Leuten deshalb mit heftigen Schritten entgegen.

»Nun!?«, rief er, zugleich befehlend und fragend.

»Der Mann ist ein Seefahrer!«, sagte die Arvedson kurz und bestimmt, »aber er ist kein Handelskapital, sondern etwas Schlimmeres, und täuscht mich nicht alles, so ist er der berüchtigte Jacobson!«

»Unsinn!«, rief der Polizeidirektor, sichtlich enttäuscht nach verschiedenen Papieren suchend. »Jacobson ist hier ganz anders beschrieben. Doch was kann der Mensch wollen?«

»So weit geht meine Kunst für diesmal nicht, es bestimmt zu sagen«, antwortete die Arvedson, »doch meine ich, es leicht zu erraten. Kann ich gehen?«

,,Ja!«

Marie entfernte sich. Im Grunde genommen schien Lagerbjelke so klug wie vorher zu sein.

»Ihre Kunst ist wirklich nichts!«, murmelte er, »doch dass der Mensch stets zur selben Zeit denselben Weg nimmt, ist auffällig. Ich muss ihn weiter beobachten lassen!«

Lagerbjelke wollte eben seine Arbeit wieder aufnehmen, als ein anderer seiner Leute erschien. Der Direktor blickte auf.

»Der Schiffskapitän, welcher Ihre Aufmerksamkeit erregt hat«, meldete derselbe, »ist fast eine Stunde in der Kanzlei des Ritterhauses gewesen, nachdem sich alle Beamten bis auf einen entfernt hatten. Ich habe den Letzteren nach Entfernung jenes Mannes sofort festgenommen und dabei dieses Geld und diese Papiere gefunden.«

Lagerbjelke griff nach den mit übergebenen Papieren und fuhr mit einem heftigen Ruck empor. Sofort sprang er zur Klingel und läutete fast Sturm. Eine Anzahl seiner Beamten erschien.

»Folgt mir!«, rief er und eilte, seinen Hut aufsetzend, hinaus. Er schlug die Richtung zum Blasiiholm ein, umstellte das Haus und ging hinein.

Der sofort festgenommene Wirt wurde examiniert, konnte indessen nur angeben, was bereits bekannt war. Außerdem erklärte er, der Fremde habe vor Kurzem sein Haus wieder verlassen. Man musste sich deshalb begnügen, seine Sachen mit Beschlag zu belegen und seine Rückkehr abzuwarten.

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