Abenteuer des Captains Bonneville 48
Washington Irving
Abenteuer des Captains Bonneville
oder: Szenen jenseits der Felsengebirge des fernen Westens
Verlag von J. D. Sauerländer. Frankfurt am Main, 1837
Siebenundvierzigstes Kapitel
Mangel im Lager – Verweigerung von Lebensmittel vonseiten der Hudson’s Bay Company – Benehmen der Indianer – Ein hungriger Rückzug – John Day River – Die Blue Mountains – Salmenfang am Snake River – Boten aus dem Crowland – Beaver River Valley – Ungeheure Wanderungen der Büffel – Gefahren der Büffeljagd – Ein verwundeter Indianer – Etiwan – Ein Antilopen-Surround
Die Lebensmittel fingen nun an, sehr rar im Lager zu werden. Captain Bonneville fand es für notwendig, eine neue Gegend aufzusuchen. Indem er von seinen Freunden, den Skynse, Abschied nahm, brach er nach Westen auf und lagerte sich, nachdem er eine niedrige Gebirgskette überstiegen hatte, an den oberen Gewässern des Ottolai.
Da er von hieraus nur noch dreißig Meilen bis zum Fort Wallah, dem Handelsposten der Hudson’s Bay Company, hatte, so schickte er eine kleine Abteilung seiner Leute dorthin ab, um Korn für den Unterhalt seiner Brigade zu kaufen. Die Leute wurden im Fort gut aufgenommen, ihnen aber die Überlassung von Lebensmitteln bestimmt verweigert. Es wurden ihnen jedoch verführerische Anträge gemacht, wenn sie ihre gegenwärtigen Dienste verlassen und in diejenigen der Company treten wollten. Sie ließen sich jedoch nicht verführen.
Als Captain Bonneville seine Boten mit leeren Händen zurückkehren sah, so ordnete er einen augenblicklichen Aufbruch an, da sie von Hunger bedroht waren. Er eilte demnach den Ufern des Ottolai hinab, der in schräger Richtung dem Columbia River zufließt und etwa fünfzig Meilen unter dem Wallah Wallah in denselben fällt. Sein Weg ging durch eine schöne, wellenförmige Talebene, voller Pferde, die den Skynse gehörten, welche sie dort auf die Weide getan hatten.
Als Captain Bonneville den Columbia River erreichte, glaubte er von den Eingeborenen Fische und andere Lebensmittel kaufen zu können. Sie hielten sich aber zu seinem Erstaunen entfernt und versteckten sich selbst, wenn er sich ihnen näherte. Er machte bald die Entdeckung, dass sie unter dem Zwang der Hudson’s Bay Company standen, die ihnen verboten hatte, mit ihm zu handeln oder Gemeinschaft mit ihm zu pflegen. Er zog am Columbia River weiter, es war aber überall dasselbe. Er konnte von den Eingeborenen nicht einen Artikel zum Lebensunterhalt erhalten und war endlich genötigt, ein Paar von seinen Pferden zu schlachten, um seine verhungerten Leute zu erhalten.
Er machte nun einen Halt und hielt Rat, was zu tun sei. Der breite und schöne Columbia River lag vor ihnen, ruhig und glatt wie ein Spiegel, eine kleine Weiterreise brachte sie in seine unteren Regionen zum herrlichen Tal des Wallamut, wo sie Winterquartiere zu nehmen vorhatten.
Unter diesen Umständen aber weiterzugehen, hieße sich dem Verhungern aussetzen. Die Hilfsquellen des Landes waren ihnen durch den Einfluss eines neidischen und mächtigen Monopols abgeschnitten. Wenn sie auch den Wallamut erreichten, so konnten sie doch kaum hoffen, hinlänglichen Lebensunterhalt auf den Winter zu finden. Verweilten sie länger in dem Land, dann lagerte sich der Schnee auf die Gebirge und schnitt ihnen den Rückzug ab. Begaben sie sich jedoch eilig auf den Rückweg, dann konnten sie die Blue Mountains noch bei Zeit erreichen, um Elentiere, Rotwild und das Dickhorn zu finden, und nachdem sie sich mit Vorräten versehen hatten, durch die Gebirge dringen, ehe sie zugeschneit waren.
Diese Erwägungen vermochten den Captain Bonneville, dem Columbia River noch einmal den Rücken zu kehren und zu den Blue Mountains aufzubrechen. Er nahm seinen Weg den John Day River hinauf, der seinen Namen von einem der Jäger der ersten Expedition nach Astoria führte. Da ihm der Hunger auf der Ferse war, so reiste er schnell und erreichte diese Gebirge am 1. Oktober. Er drang durch die vom John Day River gebildete Schlucht in dieselben ein. Es war ein schroffer Engpass und schwierig; allein er und seine Leute waren an schwieriges Klettern dieser Art bereits gewöhnt worden. Glücklicherweise hatten die Regen des Septembers die Feuer ausgelöscht, die sich vorlängst über diese Regionen erstreckt hatten. Die nicht länger in Rauch gehüllten Gebirge zeigten sich dem Auge in all ihrer Größe und Erhabenheit.
Sie wurden in der Erwartung getäuscht, Wild im Überfluss in diesen Gebirgen anzutreffen. Es waren große Banden von Eingeborenen durch selbige gezogen, welche, von ihren Fischexpeditionen zurückkehrend, alles Wild vor sich her getrieben hatten. Es geschah nun nur dann und wann, dass die Jäger etwas von ihrer Jagd mitbringen konnten, um die Partie vor dem Verhungern zu bewahren. Um ihr Unglück zu vermehren, verirrten sie sich und zogen zehn Tage lang in hohen und kahlen Hügeln von Tonerde herum. Nach langer Verlegenheit fanden sie endlich ihren Weg zu den Ufern des Snake River. Indem sie dem Lauf desselben folgten, waren sie sicher, den Ort ihrer Bestimmung zu erreichen.
Es war am 20. Oktober, dass sie noch einmal an diesem berühmten Fluss eintrafen. Die Shoshone, die sie auf ihrer Reise den Fluss hinab in geringer Anzahl angetroffen hatten, lagerten nun an seinen Ufern, um die Menge der Salmen zu benutzen und sich Wintervorräte anzulegen. Es waren überall Gestelle errichtet, auf welchen sie die Fische in ungeheurer Menge trockneten. In dieser Jahreszeit sind die Salmen aber außerordentlich mager und es bedurfte der Würze ihres Hungers, um sie den Reisenden genießbar zu machen.
An einigen Stellen waren die Ufer mit ganzen Schichten toter Salmen bedeckt, die vom Aufsteigen erschöpft oder an den Wasserfällen umgekommen waren und deren Gestank die Luft verpestete.
Erst als sie die Quellen des Portneuf erreichten, befanden sich die Reisenden in einem Land des Überflusses. Hier waren die Büffel in ungeheurer Menge, und hier verweilten sie drei Tag lang, um zu erlegen, zu kochen, zu schmausen und sich durch einen tollen Karneval für lange und hungrige Fasten zu entschädigen. Auch ihre Pferde fanden gute Weideplätz, und pflegten ein wenig der Ruhe nach der harten Prüfung einer beschwerlichen Reise.
Zu dieser Zeit trafen zwei Reiter im Lager ein, die, um Vorräte zu holen, eigens von Monteros Partie abgeschickt worden waren, welche von ihm mit dem Auftrag abgesendet worden war, das Crowland hinauf zu den schwarzen Hügeln zu ziehen und am Arkansas zu überwintern. Sie berichteten, dass alles gut bei der Partie stehe, dass sie aber ihre Sendung nicht ganz hätten erfüllen können und sich noch im Land der Crow befänden, wo sie bleiben wollten, bis sich der Captain im Frühjahr mit ihnen vereinige. Der Captain behielt die Boten bis zum 17. November bei sich, wo er, nachdem er die Versteckgruben am Beaver River erreicht und sich daraus mit den nötigen Bedürfnissen versehen hatte, er sie zu seiner Partie zurückschickte, indem er ihnen zum Sammelplatz gegen Ende des folgenden Monats Juni die Gabeln des Wind River Valley im Crowland anwies.
Er blieb nun mehrere Tage in der Nähe dieser Versteckgruben gelagert. Da er eine kleine Bande Shoshone in seiner Nachbarschaft wahrgenommen hatte, so kaufte er von ihnen Zelte, Pelze und andere Artikel zur bequemen Einrichtung für den Winter. Er verstand sich überdies, mit ihnen den Winter nebeneinander gelagert zuzubringen.
Der vom Captain zum Winteraufenthalt ersehene Platz lag in einiger Entfernung am oberen Teil des Beaver River. Er zögerte so lange wie möglich, sich ihm zu nähern, um die Büffel nicht aus der Gegend zu vertreiben, die er zu seinem Winterunterhalt bedurfte. Er ging darum nur langsam weiter, und bloß wenn Mangel an Wild und Gras ihn seine Lage zu ändern nötigte. Das Wetter war bereits außerordentlich kalt geworden und der Schnee lag ziemlich hoch. Damit die Pferde so viel getrocknetes Fleisch wie möglich mitnehmen konnten, ließ er eine Versteckgrube graben, in die alles Gepäck untergebracht wurde, das entbehrt werden konnte. Nachdem dieses geschehen war, brach die Partie in kleinen Märschen zum Winterquartier auf.
In diesem Winter waren sie jedoch nicht Hunger zu leiden verdammt. Da die Völkerschaften am Snake River die Büffel vor dem Eintritt des tiefen Schnees gejagt hatten, so kamen sie nun in ungeheuren Herden über das Gebirge und bildeten dunkle Massen an seinen Seiten, von welchen ihr dumpfes Gebrüll gleich dem fernen Donner sich sammelnder Wetterwolken erschallte. Die Wolke brach und sie strömten gleich einer donnernden Flut in das Tal hinab. Nach Captain Bonneville ist es unmöglich, eine Idee von der Wirkung beizubringen, die der Anblick so zahlloser, gedrängter Herden von solcher Größe und Mut hervorbringen, die alle, wie von einem Wirbelwind ergriffen, weiter eilen. Wegen der langen Entbehrungen, welche die Reisenden erduldet hatten, verfolgten sie ihre gegenwärtige Jagd mit ungewöhnlichem Eifer. Einer der zur Partie gehörigen Indianer, der ohne Büchse, Bogen und Pfeile zu Pferde unter eine Herde Büffel kam, stieß einer schönen Kuh, die dicht an ihm vorbei lief, mit solcher Geschicklichkeit ein Messer in die Seite, dass er sie zu Boden brachte. Es war eine kühne Tat, der Hunger hatte ihn aber beinahe zur Verzweiflung getrieben.
Die Büffelochsen haben bisweilen ein sehr zähes Leben und müssen an besonderen Stellen verwundet werden. Eine Kugel die ihre zottige Stirn trifft, bringt keine andere Wirkung bei ihnen hervor, als dass sie den Kopf schütteln und noch erboster werden, wohingegen eine Kugel, welche die Stirn einer Kuh trifft, tödlich ist. Es kamen während dieser großen Büffelschlacht Fälle vor, wo sich die Ochsen, nachdem sie tödlich verwundet worden, wütend wehrten. Captain Wyeth sah ebenfalls Beispiele dieser Art, während er bei Indianern im Lager war. Bei einem großen Büffeljagen verfolgte ein Indianer den Ochsen so dicht, dass das Tier sich plötzlich nach ihm umkehrte. Sein Pferd stutzte oder tat vielmehr einen Satz zurück und warf ihn ab. Ehe er aufstehen konnte, stürzte der Ochse wütend auf ihn los und durchbohrte ihm die Brust, sodass er durch die Öffnung atmete. Er wurde in das Lager zurück gebracht und seine Wunde verbunden.
Da er nicht mit dem Leben davon zu kommen glaubte, so berief er seine Freunde um sich und machte sein Testament mündlich. Es war eine Art von Totengesang, und am Schluss eines jeden Satzes antwortete seine Umgebung einstimmig. Die Annäherung des Todes schien ihm keineswegs Furcht einzuflößen.
»Meine Meinung ist«, fügt Captain Wyeth hinzu, »dass die Indianer getroster sterben als die weißen Menschen, vielleicht weil sie weniger Furcht vor der Zukunft haben.«
Man kann dem Büffel sehr nahe kommen, wenn sich ihm der Jäger gegen den Wind nähert. Sie haben aber einen scharfen Geruch und fliehen erschrocken vor einer sich von der Windseite nähernden Partie, wären sie auch zwei Meilen weit entfernt.
Die großen Herden, die in das Beaver River Valley hinabgeströmt waren, fanden sich darin vom Schnee eingeschlossen und blieben den Winter über in der Nähe des Lagers. Sie lieferten den Biberfängern und ihren indianischen Freunden einen beständigen Karneval, sodass Schießen und Essen die Hauptbeschäftigung des Tages zu sein schien. Es ist zum Erstaunen, welcher Ladungen Fleisch es bedarf, um dem Appetit eines Jägerlagers Genüge zu leisten.
Es fanden sich bald auch die Raben und Wölfe ein, um an den guten Bissen teilzunehmen. Diese beständigen Begleiter der Jäger häuften sich, wie der Winter vorschritt, zu großen Herden an. Erstere mochten völlig aus dem Blick sein, sowie sich aber ein Flintenschuss hören ließ, sah man sie in der Luft schweben und niemand wusste, wo sie herkamen, indessen man die Wölfe, die auf die Entfernung der Jäger lauerten, um über die Gerippe herzufallen, von der Spitze der Hügel mit gierigen Blicken herabschauen sah.
Außer den Büffeln befanden sich noch andere vom Schnee darin festgehaltene Nachbarn im Tal, deren Gegenwart nicht so vorteilhaft zu werden sprach. Dieses war eine Horde der Etiwan, die weiter oben am Fluss lagerten. Es ist ein armer Stamm von Menschen, die etwa zwischen die Shoshone und Bannock gereiht werden mögen, ob sie gleich kühner und kriegerischer als Letztere sind. Sie besitzen nur wenige Büchsen und sind gewöhnlich mit Pfeil und Bogen bewaffnet.
Da diese Horde und die Shoshone Todfeinde zusammen waren, wegen alter Beschwerden, und keine Partie in Furcht vor der anderen stand, so waren blutige Vorfälle zu befürchten. Captain Bonneville unternahm es daher, Frieden zwischen ihnen zu stiften und schickte zu dem Häuptling der Etiwan, um ihn zu einer freundschaftlichen Rauchpartie einzuladen, in der Absicht, eine Versöhnung zustande zu bringen. Seine Einladung wurde stolz abgelehnt, worauf er sich persönlich zu ihnen begab. Es gelang ihm, eine Einstellung der Feindseligkeiten zu bewirken, bis die Häuptlinge der beiden Stämme in einem Rat zusammenkommen könnten.
Die Braven der beiden, aufeinander eifersüchtigen Stämme gaben unwillig ihre Zustimmung zu dieser Übereinkunft. Sie nahmen ihren Platz bisweilen auf den Gipfeln der Hügel, von welchen sie ihre Feinde unten im Tal Büffel jagen sehen konnten, und ärgerten sich, dass ihnen die Hände gebunden waren, sich mit ihnen zu schlagen.
Es gelang dem würdigen Captain jedoch, seine Absichten durchzusetzen. Die Häuptlinge kamen zusammen, die Friedenspfeife wurde geraucht, das Beil vergraben und der Friede förmlich proklamiert.
Die beiden Lager vereinigten sich hierauf und hielten geselligen Umgang miteinander. Es fielen jedoch bisweilen Privatzänkereien bei der Jagd, über die Teilung des Wildes vor und Schläge wurden bisweilen über einen getöteten Büffel ausgeteilt. Die Häuptlinge nahmen aber von diesen individuellen Zwistigkeiten keine Notiz.
Eines Tages brachten die Kundschafter, die auf den Anhöhen gewesen waren, die Nachricht, dass sich mehrere große Herden Antilopen in einem kleinen Tal in nicht großer Entfernung sehen ließen. Dies brachte eine Aufregung bei den Indianern hervor, denn beide Stämme befanden sich in einem sehr zerrissenen Zustand und waren der Hemden äußerst bedürftig, die man von den Fellen der Antilopen macht. Man beschloss ein Surround anzustellen, wie man die Art, diese Tiere zu jagen, gewöhnlich nennt.
Es nahm nun alles eine geheimtuerische, feierlich wichtige Miene an. Die Häuptlinge bereiteten sich ihre Medizin oder Zauber, ein jeder nach seiner eigenen Weise oder auf ihre vermeinten Orakel vor, was gewöhnlich durch eine Mischung gewisser Kräuter geschieht, oder sie zogen die Eingeweide von Tieren zu Rat, die sie geopfert hatten, und leiteten hieraus günstige Vorbedeutungen zu ihrem Vorhaben ab.
Nachdem sie lange geraucht und Rat gehalten hatten, wurde am Ende verkündigt, dass wer einen Prügel schwingen könne, Mann, Frau oder Kind, sich zu einem Surround bereitzuhalten habe. Wenn alle beisammen waren, zogen sie in einem Zug durcheinander an den nächsten Punkt des besagten Tales und blieben dort stehen.
Es fand nun ein abermaliges Rauchen und Überlegen, von welchem die Indianer so große Freunde sind, zwischen den Häuptlingen statt. Es wurden nun den Reitern Befehle gegeben, einen Umkreis von sieben Meilen zu machen und die Herde auf diese Weise zu umzingeln. So wie dies geschehen war, sprengten alle Berittenen gleichzeitig in größter Eile davon, wobei sie aus vollem Hals jauchzten und schrien.
In kurzer Zeit kamen die Antilopen, die in ihren verborgenen Gehegen aufgeschreckt worden waren, von allen Seiten in das Tal gesprengt. Die Reiter zogen nun allmählich ihren Kreis enger und brachten sie immer näher und näher zu dem Fleck hin, wo der oberste Häuptling, umgeben von den Ältesten, Männern und Frauen saß, um die Jagd zu beaufsichtigen. Die Antilopen, von Ermüdung und Furcht fast erschöpft und durch das beständige Geschrei verwirrt, machten keinen Versuch, den Kreis der Jäger zu durchbrechen, sondern liefen rund in kleinen Kreisen herum, bis Männer, Frauen und Kinder sie mit Knitteln tot schlugen.
Solcher Art ist jene Gattung der Antilopenjagd, die man mit dem technischen Ausdruck eines Surrounds (Umkreisen) bezeichnet.
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