Archive

Oliver Hilmes – Das Verschwinden des Dr. Mühe

Oliver Hilmes – Das Verschwinden des Dr. Mühe

Im Berlin des Jahres 1932 klopft bereits der Nationalsozialismus sehr deutlich an die Tür, als der praktische Arzt Doktor Erich Mühe am späten Abend seine Wohnung verlässt und dann spurlos verschwindet.

Kriminalkommissar Ernst Keller und sein Assistent Schneider versuchen, zu klären, was an diesen Abend mit Doktor Mühe geschehen ist und befragen eine Reihe von Leuten aus seinem privaten Umfeld, aber auch andere Personen, die bezüglich seines Verschwindens Beobachtungen gemacht haben.

Die Spur des Arztes verliert sich am Sacrower See in der Nähe von Potsdam, der die beste Wasserqualität in und um Berlin aufweist und deshalb gerne als Badesee genutzt wird.

Doktor Mühe hatte sich kurz zuvor ein Auto, eine teure Limousine von Adler, gekauft, das von Paul Labenz, dem Inhaber des Lokals Waldfrieden an diesem See und seiner Frau Eleonore in der Nacht vom 13. Auf den 14. Juni 1932 und bis zum nächsten Tag in der Nähe des Lokals gesehen wird.

Am 15. Juni ist die Limousine verschwunden, ohne dass das Ehepaar Motorgeräusche gehört hat. Paul Labenz hatte zuvor noch einen blauen Lederkoffer, ein paar einzelne Kleidungsstücke und den Zündschlüssel aus dem verlassenen Wagen geholt und kann sich nicht erklären, wie man mit dem Auto fortfahren konnte, ohne den Schlüssel zu besitzen. Er vermutet, dass das Verschwinden des Doktors mit dem Selbstmord zu tun hat, den ein anderer junger Arzt aus Liebeskummer vor kurzer Zeit im Sacrower Forst beging.

Nachdem Ernst Keller noch die Ehefrau des Wirtes befragt hat, spricht er mit Charlotte Mühe, der Ehefrau von Doktor Mühe, die der Ansicht ist, ihr Mann sei zum nächtlichen Baden zum Sacrower See gefahren und dort ertrunken.

Sie schildert Keller und Schneider, wie der Tag vor dem Verschwinden ihres Mannes verlief und kommt zu dem Schluss, es sei ein ganz gewöhnlicher Tag im Leben des Arztes gewesen, und er habe auch überhaupt nicht unruhig oder nervös gewirkt, bevor er verschwunden sei.

Sie erklärt den Beamten zudem, dass es nicht ungewöhnlich war, dass Doktor Mühe den Wagen nahm und zum Sacrower See hinausfuhr. Der Motor seines neuen Autos bleibe nämlich bis zu einer Fahrstrecke von 6000 km gedrosselt. Nach Zurücklegung dieser Strecke werde in der Werkstatt die Plombe entfernt, und er könne den Wagen dann voll ausfahren. Deshalb nutze ihr Mann jede sich bietende Gelegenheiten für eine Spritztour.

Frau Mühe teilt Keller noch mit, sie habe nach dem Verschwinden ihres Mannes Hugo Rasch gerufen, ihren Gesangslehrer, der ein guter Freund der Familie sei, einen Mann, der Keller noch weiter beschäftigen wird.

Zum Zweitschlüssel der Adler-Limousine erklärt sie, er habe sich in einer ihrer Handtaschen befunden, die sie vor etwa vier Wochen verloren habe. Ernst Keller glaubt ihr zwar kein Wort, kann aber auch nicht das Gegenteil beweisen.

Eine knifflige Ermittlung nimmt ihren Lauf.

Die Kriminalgeschichte Das Verschwinden des Dr. Mühe beruht auf einer wahren Begebenheit. Der Autor konnte zahlreiche Ereignisse anhand historischer Dokumente aus dem Berliner Landesarchiv rekonstruieren, musste aber auch andere Aspekte seiner Geschichte erfinden, um sie bis zum Ende erzählen zu können.

Dabei liefert Oliver Hilmes ein Stück Zeitgeschichte aus dem Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg und in den Anfangsjahren der Nazis bis zu den Nachkriegsjahren, in denen die Stadt aufgeteilt wurde und in Trümmern lag.

Es verwundert daher nicht, dass Hilmes vor allem über Vernehmungen diverser Personen, die zum Verschwinden des Doktors etwas zu sagen haben könnten, durch den Kriminalkommissar Keller und seinen Assistenten Schneider, berichtet. Der Autor verfährt dabei so geschickt, dass all diese Personen psychologisch durchleuchtet werden, sodass sich ein sehr differenziertes Bild aller Menschen ergibt, die mit diesen Fall zu tun haben.

Auch die Person des Arztes, um dessen Verschwinden es geht, wird im Lauf der Geschichte sehr genau beschrieben, und aus den Aussagen anderer über ihn lässt sich die Vermutung ableiten, dass er ein kriminelles Doppelleben führte.

Aufgrund der Zeit, in welcher die Geschichte spielt, ist es selbstverständlich, dass die Berliner Polizei noch nicht die Technik besaß, die den Beamten heute zur Verfügung stehen würden und dass die Kripo-Beamten im Fall des Dr. Mühe vor allem versuchen, mit Vernehmungen von Zeugen zum Ziel zu gelangen.

In den Jahren der Naziherrschaft und kurz danach zeigen sich im Kreis der Verdächtigen, die dazu Parteimitglieder sind, einige Seilschaften, die die Untersuchungen Kellers behindern. So wird ihm zum Beispiel die weitere Befragung eines Nazis von einem anderen Nazi, der nun sein Chef ist, verboten, aber da er eh nicht sehr gut vorankommt, spielt dieser Faktor eher eine untergeordnete Rolle.

Fazit:
Der Autor berichtet in seinem historischen Krimi aus der Zeit der 30er Jahre über eine wahre Begebenheit. Er schreibt dabei so raffiniert, dass sämtliche Personen, deren Befragungen vermutlich in den Akten des Berliner Landesarchiv dokumentiert sind, psychologisch sehr authentisch dargestellt sind und sich so eine sehr interessante Erzählung ergibt.

Ich kann diesen Krimi jedem Leser empfehlen, der Interesse an den 30er Jahren, an Berlin und an sehr differenzierten Menschen hat und noch dazu spannende Geschichten mag.

Der Autor:

Oliver Hilmes wurde 1971 in Viersen geboren. Er wurde nach einem Studium in Marburg, an der Pariser Sorbonne und in Potsdam in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet seit 2002 als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker.

Er schrieb Bücher über interessante Frauen wie Alma Mahler-Werfel und Cosima Wagner, die sich sehr gut verkauften. Außerdem schrieb er Biografien über Franz Liszt und König Ludwig II. Fast alle seine Bücher schafften es in die Bestsellerliste des Spiegels.

Ein weiterer Bestseller wurde sein Buch Berlin 1936. 16. Tage im August, das in verschiedene Sprachen übersetzt wurde.

Hilmes lebt in Berlin.

Quellen:
• Oliver Hilmes, Das Verschwinden des Dr.Mühe, Penguin Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München, 2020.
• de.wikipedia.org
www.penguinrandomhouse.de

Bilder:
• Cover des Romans. Mit freundlicher Genehmigung des Penguin Verlags in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
• Foto des Autors. Copyright: Maximilian Lautenschläger. Ebenfalls mit freundlicher Genehmigung des Penguin Verlags in der Verlagsgruppe Random House GmbH.

(ww)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert