Kathleen Weise – Der vierte Mond
Kathleen Weise
Der vierte Mond
Science-Fiction, Paperback, Heyne Verlag, München, März 2021, 448 Seiten, 14,99 Euro, ISBN: 9783453320826.
Im Jahr 2104 ist die Menschheit weit in das heimische Sonnensystem vorgedrungen und erforscht die Planeten und Monde. Nicht aus reinem Wissensdrang, versteht sich: Wirtschaftliche Interessen stehen dabei im Vordergrund. Das Schürfen von Rohstoffen auf Asteroiden und Monden ist ein einträgliches Geschäft. Und es ist gefährlich. Die Weltraumarbeiter, die den Schoß, wie sie das All nennen, betreten, sind in steter Gefahr. Sie gelten als besonderer Schlag Menschen: Sie bleiben gerne unter sich und ziehen häufig in mehreren Generationen hinaus ins All – auch wenn es häufig damit endet, dass man Körperteile verliert oder anderweitig körperlich und seelisch gebrochen zur Erde zurückkehrt.
Am äußerten Rand des bisherigen Vordringens liegt der Jupiter mit seinen zahlreichen Monden. Eine Forschungsmission hat eine Station auf dem Mond Kallisto errichtet. Nach einem Abstecher nach Europa und dem Mitbringen von verschiedenen Proben bricht unter Teilen der Crew ein mysteriöses Fieber aus. Einige Menschen sterben daran, andere fliehen wie von Sinnen aus der Station und gelten als verschollen. Eine Ersatz- und Rettungscrew soll aufklären, was passiert ist. Mit dabei: Eine Mutter einer Verschollenen, die sich nicht mit dem vermeintlichen Tod ihres Kindes abfinden will.
Und auch auf der Erde tut sich einiges: Ein Ex-Weltraumarbeiter, der seine Verbindungen nutzt, um geschmuggelte Waren aus dem All an potenzielle Kunden weiterzuverkaufen, muss erfahren, dass einige seiner Klienten aus unerfindlichen Gründen sterben – und steht plötzlich auf der Abschussliste seiner dubiosen Partner. Und auch die Firma hinter der Kallisto-Mission hat alle Hände voll zu tun, Schadensbegrenzung zu betreiben – und in dem familiengeführten Unternehmen Mehrheiten für das weitere Vorgehen zu finden.
Die Autorin Kathleen Weise hat mit DER VIERTE MOND ihren ersten Science-Fiction-Roman geschrieben – und ihr erstes Werk, das sich vornehmlich nicht an Jugendliche, sondern an ein All-Age-Publikum richtet. Die Ankündigung las sich schon einmal viel versprechend: Spannung, Wissenschaft, Abenteuer lauten die Stichworte auf der Rückseite des Paperbacks. Es soll um eine schicksalshafte Entdeckung im Jupitersystem gehen, eine Bergungsmission soll die Rest-Crew auf Kallisto retten. Das ist allerdings nur einer von drei großen Erzählsträngen des Romans – und er macht leider nur einen Bruchteil aus.
Was die Zusammenfassung und Ankündigung verschweigt, ist, dass es bis etwa zur Seite 300 von 448 größtenteils um die Streitigkeiten innerhalb der Führungsriege der belgischen Weltraumbergbau-Firma geht und um eine Beschreibung des Lebens von ehemaligen Space-Workern auf einer extra für sie angefertigten Wohninsel vor Französisch-Guyana. Während die innerbetrieblichen Querelen in rudimentären Ansätzen an die Ränkespiele von Konzernen in der LUNA-Trilogie von Ian McDonald erinnern und vielleicht besser im Bereich Wirtschaftsthriller anzusiedeln sind, schildert Weise im Teil des Weltraumwaren-Dealers eine interessante Sozialstudie zwischen futuristischem Arbeiterghetto und ewiger Ferienanlage, hinter dessen Fassade Drogenkonsum, Kriminalität und Depressionen lauern.
Weise verbindet diese Handlungsstränge später über das Personal locker miteinander. Im abschließenden Drittel des Romans geht es dann auch tatsächlich um die Rettungsmission und die geheimnisvollen Vorgänge auf Kallisto. Was rief das Fieber hervor und was geschah mit den Astronautinnen und Astronauten, die auf dem Mond verschollen sind? Schon früh im Buch wird in einem anderen Handlungsstrang angedeutet, was wohl dahinter steckt. Die Überraschung gelingt Weise aber am Ende dennoch, wenn es darum geht, welche Auswirkungen das alles auf die Menschen auf dem Jupitermond hat.
Anhand dieser Zusammenfassung mag bereits deutlich werden, dass DER VIERTE MOND eine etwas fragile Gesamtkonstruktion besitzt. Der Roman, der insgesamt richtig in der Science-Fiction verortet ist, kann sich bei seinen drei Haupthandlungsstränge leider überhaupt nicht entscheiden, welcher der wichtigste sein soll. Das führt dazu, dass die Ränkespiele bei der Bergbaufirma im ersten Drittel unheimlich wichtig für den Fortgang der Story wirken – und dann etwas nach zwei Dritteln des Texts mit einer halben Seite zum Abschluss gebracht werden, ohne dass das Ergebnis eine wesentliche Rolle für den Roman spielt. Die Passagen auf der Arbeiter-Insel lesen sich richtig gut – ein tolles Szenario wird hier entworfen, aber auch hier verläuft dieses Story-Element irgendwann im Nichts, bleibt für den Rest des Romans beinahe ohne Konsequenzen.
Der Autorin gelingt es bei diesen Handlungsfäden, interessante und differenzierte Figuren zu entwerfen. Leider bläht sie das Personal aber damit derart unnötig auf, dass ein Personenregister dringend nötig ist. Das gibt es am Ende des Buchs – aber wer vorne direkt zu lesen anfängt und nicht zum Ende blättert, entdeckt dieses erst, wenn er sich schon durch den Figurenwust durchgekämpft hat. Der freundlicherweise vorhandene Hinweis wird auf der Impressumsseite versteckt und schnell überlesen.
Fazit:
DER VIERTE MOND erzählt eine durchaus interessante Geschichte. Sie ist nur leider in weiten Teilen nicht die, die ich aufgrund der Ankündigung und des Klappentexts erwartet und erhofft hatte – und eigentlich auch nicht die, die ich lesen wollte. Denn die Unterteilung in die verschiedenen Erzählstränge macht in der präsentierten Weise eine dringend notwendige Gewichtung, welche die wichtigste ist, nahezu unmöglich. Sich in der Außendarstellung auf die gerade einmal ein Drittel des Manuskripts ausmachende Kallisto-Handlung zu beschränken, stellt sich als äußerst schwierig dar.
Meine Erwartungen an das Buch wurden damit völlig untergraben. Und das ist einfach auch den an sich gelungenen Handlungsfäden gegenüber ungerecht: Der Firmenthriller-Part erweist sich aus meiner Sicht zwar als überflüssig. Der Arbeiterinsel-Part wäre jedoch ein wunderbarer, eigenständiger Roman geworden – und die eigentliche Geschichte des Vierten Mondes hätte – mit noch ein wenig mehr Mond-Handlung und erzählerischer Konsequenz – als gradliniges Rettungsmission-Weltraumabenteuer ebenfalls ohne die anderen Handlungsfäden ganz wunderbar funktioniert. Die angebotene Melange daraus wirkt am Ende leider etwas überambitioniert und funktioniert in dieser Mischung nur bedingt. Jedoch: Gelesen habe ich den Roman abseits der gravierenden strukturellen Schwäche erstaunlicherweise trotzdem gern.
(sv)
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