Blutrosen – 11 – Der Tierbändiger und sein Nebenbuhler
Blutrosen
Schauererzählungen
frei nach dem Französischen des Eugène Sue, Alexandre Dumas d. Ä, Honoré Balzac, Victor Hugo und andere
Verlags-Comptoir. Breslau. 1837
Druck von M. Friedländer in Breslau
Zweiter Teil
Der Tierbändiger und sein Nebenbuhler
Zu Ende des vorigen Jahrhunderts lebte in London ein Kornak, ein Bändiger und Wärter wilder Tiere. Er war von Indien mit einem Löwen, einem Königstiger und einem Elefanten nach England gekommen. Mit ihm eine überaus reizende Frau, die er in Indien geheiratet hatte. Er hieß Naib, sie Gusmala.
Sie war noch sehr jung und von außerordentlicher Schönheit. Als elternlose Waise und seine Anverwandte hatte er sie zu sich genommen, und später, da er zu dem bedeutenden Amt eines Kornak am Hof Tippo-Saibs erhoben wurde, geheiratet. Bei der Erstürmung Seringapatnams durch die Engländer fiel auch der Tierzwinger Tippos in ihre Hände und Naib wurde mit der oben angegebenen Gesellschaft nach London gesandt.
Naib hatte nur zwei Leidenschaften, eine unendliche Freundschaft zu Nassor, dem Königstiger, und eine unendliche Liebe zu Gusmala. Wenn Naib seine Gusmala nicht küsste und herzte, war er gewiss bei Nassor im Käfig und schlief oft Stunden lang zwischen den fürchterlichen Tatzen seines Freundes, während der ungeheure Tiger mit seinem majestätischen Gesicht und seinen großen, wild glühenden Augen ihn zu bewachen schien.
In London hatte man Naib eine Wohnung und seinen Tieren einen Zwinger in einem einsamen Garten gegeben, den eine hohe Mauer umschloss. Hier lebte Naib ein paar Jahre selig in Gusmalas Liebe und glücklich in Nassors Freundschaft. Beide Empfindungen waren so sehr mit seinem ganzen Wesen verflochten und verschmolzen, dass ihn in einem dieser Gefühle verletzen, ihn tödlich verwundert hieß. Man kann sich also leicht die kochende Leidenschaft in diesem Gemüt denken, als Naib Argwohn über Gusmalas Treue schöpfte. Mit einer schrecklichen Angst spähte er einige Tage herum, um sich Gewissheit zu verschaffen, und hatte das Unglück, sie zu finden. Er belauschte Gusmala, wie sie am Gartentor in schlechtem Englisch – Naib und sie hatten es in der Landessprache schon so weit gebracht, dass sie sich verständlich machen konnten — einem alten Weib sagte, das ihr Geliebter in der zweiten Nacht um ein Uhr die Mauer erklettern sollte, wo sie seiner im Garten harren würde.
Naib nahm seinen Dolch aus dem Gürtel und wollte sowohl Gusmala als auch das Weib ermorden, aber der Gedanke, dass dann sein Nebenbuhler ungestraft davon komme, hielt ihn zurück. »Nein«, sagte er, »sie ist zu schön, ich liebte sie
zu sehr, sie will ich nicht töten, aber er, der Verführer, soll meiner Rache nicht entgehen.« Hierauf ging er zu Nassor in den Käfig, fiel dem Tiger um den Hals und sagte: »Nassor, ich habe dich erzogen, und dir, seit du klein warst, nichts als Gutes getan. Ich gab dir immer frisches Fleisch, so viel du verlangtest, und habe dich geliebt wie meinen Bruder. Nassor, jetzt kannst du mir alles vergelten, mit einem Sprung ist unsere Rechnung getilgt. Du sollst hungern, bis übermorgen des Nachts um ein Uhr; aber dann sollst du auch eine Mahlzeit haben, wie du noch keine genossen hast. Zartes Fleisch, in das Gusmala selbst sich verliebte, will ich dir vorsetzen und junge Knochen voll Leben und Mark sollst du haben, wenn du deinen Freund rächst, Nassor, und eine Menschengestalt zerreißest, auf der Gusmalas Auge liebend ruhte. Und wenn du ein Gesicht zusammenwürgst, was Gusmala mit Küssen bedeckte, was an ihrem Herzen geruht hat.« Dabei drückte Naib des gewaltigen Tigers Kopf fest an sein Gesicht und der Tiger knurrte freundlich, als habe er Naib wohl begriffen und gebe sein Wort, dass er alles ausführen werde, wie Naib verlangt.
In der zweiten Nacht nach zwölf war alles still in dem einsamen Garten. Der Mond schien über die hohe Mauer und erhellte mit sanftem Licht die öden Gänge und Plätze. Als es aber ein Uhr schlug, da ließ sich ein junger Mann auf der Mauer sehen, der eine Leiter nach sich zog und in den Garten an die Mauer stellte. Behände und
fröhlich stieg er herunter und eilte leichten Schrittes durch die Gartenwege, bis er auf einen freien, vom Haus etwas entfernten Platz gelangte. Hier blieb er einige Zeit stehen und schien auf etwas zu warten. Bald erschien auch eine Frauenzimmergestalt an einem offenen Fenster in des Kornaks Wohnung, und gab mit einem weißen Tuch ein Zeichen, worauf der junge Mann glücklich und rasch, als gälte es, einen sichern Schatz zu heben, zum Haus eilte; aber kaum war er einige Schritte gegangen, so scholl ihm ein höllisches Gelächter und ein seelenerschütterndes Knurren aus einem Seitenweg entgegen. Erschüttert blieb der junge Mann stehen und Schrecken lähmte seine Muskeln; nicht weit von ihm hielt der Kornak mit seinem Königstiger, dem er die eine Hand auf den Kopf gelegt hatte.
»Nicht wahr, Herr«, begann der Kornak mit verbissener Wut, » uns habt Ihr gewiss nicht auf Eurem Liebesweg erwartet. Es muss Euch nicht sonderlich angenehm sein, mir und dem Nassor zu begegnen.«
Dabei klopfte er den Kopf des Tigers, der unverwandt den jungen Mann mit wildsprühenden Augen ansah, sich die Weichen mit seinem Schweif schlug und den mächtigen Rücken wie zum Sprunge bog.
»Du bist ungeduldig, Nassor, willst Bekanntschaft machen mit dem Frauenliebling und möchtest ihn herzen mit deinen Tatzen, wie er Gusmala geherzt und geschmeichelt hat mit seiner weichen Hand?«
Der junge Mann war inzwischen wieder zu sich gekommen und der Instinkt der Selbsterhaltung trieb ihn zur Flucht.
»Ho, ho!«, gab lachend der Kornak von sich, »das Wild will dir entwischen, Nassor! Geh, Freund, hol dir dein Nachtessen und räche mich!«
Mit diesen Worten nahm er dem Tiger die Hand vom Kopf In einigen schrecklich anmutigen Sprüngen war die Mordkatze bei ihrem Opfer auf dem großen freien Platz. Ein durchdringender Schrei erscholl aus dem Haus. Es war Gusmala, die nun erst die Gefahr ihres Geliebten und die grauenhafte Szene erblickte. Der Kornak sprang ins Haus und trug die halb ohnmächtige Gusmala ans offene Fenster, von wo aus man den freien Platz ganz überblicken konnte.
Nach der Weise seines Geschlechtes, das nie seine Beute sogleich ergreift, wenn es dieselbe sicher hat, umkreiste der Tiger in raschen Sprüngen den jungen Mann, der mitten auf dem Platz, mit einem kleinen Modedegen in der Hand, stand.
»Schau hierher, Gusmala!«, rief der Kornak, »hierher sollst du schauen! Sieh, wie Nassor ihn umtanzt und enger und enger den Kreis seiner Sprünge um ihn schließt. Beim Gott des Grabes! Das Männchen will sich zur Wehre setzen. Es hat etwas in der Hand, das wie ein Degen aussieht. Sag, Gusmala, wie gefällt dir das? Brav, Nassor, rücke dem holden Jungen etwas näher. Siehe, Gusmala, wie zart Nassor den König deines Herzens umarmt! Deine Seele wird jauchzen, wenn sie ihren Liebling von dem Nassor geherzt sieht. So recht, Nassor, strecke die mächtigen Glieder zum letzten Todessprung! Jetzt, Gusmala, blicke hin oder du siehst die reizende Gestalt deines Geliebten nie wieder, denn Nassor rafft Kraft zum Angriff zusammen.«
Und so war es. In einem fürchterlich großen Sprung stürzte sich der Tiger über den jungen Mann. Ein Geschrei, angstvoll wie das Sterben, wild wie die Verzweiflung, wüst und seelenzerschneidend wie die Vernichtung, durchdrang auf einen Augenblick die lautlose Ruhe der Nacht und dann war alles wieder ruhig.
Nur von Zeit zu Zeit vernahm man das krachende Zermalmen der Knochen und das seelenvergnügte Knurren des Königstigers.
Am anderen Morgen fand man auf dem Platze die blutigen Stücke einer
Männerkleidung, einen krumm gebogenen Modedegen und zwei Stiefel, worin noch die unteren Schenkel eines Menschen steckten. Dies war alles, was Nassor von Gusmalas Liebhaber übrig gelassen hatte.
Gusmala aber fand man in ihrem Gemach mit durchbohrter Brust. Der Kornak war verschwunden und niemals hat man ihn wiedergesehen.
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