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Allerhand Geister – Cʼest fini! – Teil 5

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Cʼest fini! – Teil 4
Eine Erzählung aus dem Jahre 1773

5.

Es war ein trübseliger Ritt durch das graue, die ganze Umgebung verhüllende Nebelmeer gewesen. Herr von Mellenthin war noch immer wie betäubt und keines klaren Gedankens mächtig. Der Baronin Eigenwart ging es kaum besser. In ihrem besten Schlaf gestört, wie sie jammerte, und obendrein auf eine so entsetzliche Weise, war sie unausgesetzt, nach ihrer Behauptung, einer Ohnmacht nahe, und niemand würde in dieser leidenden Erscheinung die glänzende, muntere, kluge und tadellos vornehme Dame des vergangenen Abends wieder erkannt haben. Selbst das Zusammentreffen mit dem verschwundenen, jetzt und hier wieder entdeckten jungen Retter hatte sie nicht recht zu sich selbst gebracht. »Ja, es ist, wie Magdalene mir sagte — Sie sind es wirklich!«, hatte sie im klagenden Ton gerufen, da sie ihn erblickte, war auf ihn zugeschwankt und hatte seine Hand ergriffen.

»O mein Gott, dieses schöne Wiedersehen und solch ein entsetzlicher Augenblick! Aber Ihre Nähe gibt mir Stärke, Sie sind bestimmt hier, um uns zu retten!«

Der Baron schien diese Begrüßung in seiner augenblicklichen traurigen Verfassung kaum bemerkt, geschweige denn verstanden zu haben.

So zogen sie davon, Gustav mit den beiden jungen Damen, welche ernst, aber doch ziemlich mutig dreinschauten, voran; die zwei älteren in der Mitte nebeneinander, Mollenthin fast wortlos, die Baronin unaufhörlich seufzend oder leise jammernd; ein Reitknecht mit einem Packpferd bildete den Schluss. Eva hatte auf des Bruders Mahnung für sich und ihre Gefährtinnen das Nötigste zusammengerafft. Anderes hatte der Kastellan hinzugefügt.

Man war später fortgekommen, als es Gustav wünschte. Der Nebel hatte sich gelichtet. Wäre ein Späher in der Nähe gewesen, so hätte der Zug bei seinem Ritt durch ein Stück der Anlagen und außerhalb der Mauer über den Feldweg nicht unbemerkt bleiben können. Der junge Führer ließ darum auch, trotz der Einwendungen der Baronin, scharf zutraben, bis man den Wald erreichte und sogleich, vom offenen Weg abliegend, auf Steige gelangte, welche allzu verwachsen waren, als dass an ein rasches Weiterkommen zu denken gewesen wäre. Ja, der Pfad wurde alsbald in seiner Art gefährlich, denn das Kraut und selbst Ranken bedeckten ihn dicht. Darunter spannte sich manche starke Wurzel der alten Bäume herüber, und rings war alles aneinander gedrängt, sodass man kaum zu zweit nebeneinander reiten konnte und die Reiter häufig genug die Köpfe neigen mussten, wenn sie nicht von den herabhängenden Zweigen getroffen werden wollten. Der Pfad führte kreuz und quer, bald an einer Blöße entlang, bald wieder in den dichtesten Wald. Der Nebel hing von Neuem grau und grauer überall dazwischen. Aber Gustav machte seinem Führeramt Ehre. Er irrte nicht und stockte nicht. Wer diese Pfade einmal kennen gelernt hatte, fand sich auch später zurecht, denn geändert war hier, zumal neuerdings, nirgends etwas.

»Sie führen uns in den Tod, ich kann nicht weiter«, stöhnte die Baronin und setzte im höchsten Entsetzen jammernd hinzu: »O, mein Jesus, da sind sie!« Die Zügel entglitten ihrer Hand. Das Pferd, vernünftiger als sie, machte Halt.

Aber auch die beiden Mädchen hatten einen leisen Schreckensruf nicht unterdrücken können und ihre Tiere zurückgerissen. Denn vorn, neben dem engen Weg im Busch erschien die Gestalt eines Mannes halb verdeckt durch Laub und Gezweig und unerkennbar im Nebel. Und nun sprang ein Hund an ihm vorüber auf die Gesellschaft zu und schlug an.

Gustav war schon vom Pferd und zwischen den Büschen. Der Hund schien ihn zu erkennen, er umtanzte ihn wedelnd. Ebenso genügten auch wenige gewechselte, für die Übrigen unverständliche Worte, den Fremdling zurückweichen und verschwinden zu lassen. Der junge Mann kam zurück, sein freundlicher Blick beruhigte die Mädchen, und zu der halb ohnmächtigen Baronin sagte er mit ermutigender Munterkeit, es sei nur der Mollenthinsche Förster gewesen, ein treuer Mann, den er nun instruiert habe. »Für uns eine Person von Bedeutung«, setzte er hinzu, »denn es ist unser Proviantmeister. Verlieren Sie den Mut nicht. In einer Viertelstunde können Sie sich ein wenig ausruhen.«

Es währte auch kaum länger. Schon nach der nächsten Biegung des Weges sah man auf einer kleinen Blöße links die undeutlichen Umrisse eines Gehöfts. Erst hier erkannte man, wie dicht der Nebel wieder geworden war. Als man, sich rechts wendend, von Neuem eine kurze Strecke durch den hohen Wald geritten war, gelangte man zu einem kleinen alten Bau, dessen Fenster durch schwere Läden verkleidet waren. Da sprang Gustav wieder ab und half den Damen und seinem Vater aus den Sätteln. Er öffnete die unverschlossene Tür und führte die Gesellschaft durch das Haus, eine Treppe hinauf, in ein paar Zimmer der Rückseite, wo die Läden geöffnet waren und eine spärliche, aber noch ausreichende Einrichtung zu erkennen erlaubten. Die Luft war besser als man sie in solchen Räumen hätte erwarten sollen.

»Es trifft sich gut«, erklärte Gustav, »Wolf sagte mir, dass seine Frau gerade in diesen letzten Tagen die gewöhnliche Frühjahrslüftung besorgt habe.«

Es fand sich ein Ruheplatz für die Baronin und ein anderer für den kaum weniger erschöpften Mollenthin. Die Mädchen nahmen — Eva bereits wieder scherzend — ein drittes Gemach in Beschlag. Gustav ging nach den Pferden zu sehen, für die sich in einem Nebengebäude gleichfalls die nötige Unterkunft fand und mithilfe des Reitknechts das Gepäck ins Haus zu schaffen. Dann durchstreifte er die Umgebung des einsamen Nestes.

Der Großvater des Barons — oder war es noch der Urgroßvater gewesen — hatte vor sechzig, siebzig Jahren in einem Anfall von einsiedlerischer oder — wer kann das so genau wissen — vielleicht auch galanter Laune, das kleine Haus hier im tiefsten Wald erbaut und von Zeit zu Zeit bewohnt. Seine Nachkommen hatten sich, wie das so zu geschehen pflegt, nicht mehr um dasselbe bekümmert und anderen, eigenen Liebhabereien Folge gegeben. Es war noch ein Glück für den alten Bau gewesen, dass man ihn nicht vollständig verfallen, sondern ihm wenigstens von Zeit zu Zeit die notwendigsten Reparaturen angedeihen ließ und den nahe wohnenden Förster mit der Aufsicht betraute. Von den nun lebenden Herrschaften war Gustav allein während seiner uns bekannt gewordenen längeren Anwesenheit zu Mollenthin, hin und wieder hierhergekommen. Man durfte sagen: Er hatte das kleine Nest wieder entdeckt, denn es wusste im Grunde niemand mehr von ihm und niemand hatte für dasselbe noch irgendein Interesse. Es lockte nichts hierher.

Als Gustav endlich ins Haus zurückkehrte, fand er seine Schwester und Magdalene beim Frühstück, für dessen Mitführung der umsichtige Kastellan gleichfalls gesorgt hatte.

»Ah, da ist er ja!«, rief Eva lustig der Freundin zu, welche bei des jungen Mannes Eintritt hoch errötet war. »Siehst du wohl, dass der Zauber noch Macht hat? Wer könnte auch in deine Augen schauen und sich länger frei fühlen?« Ohne auf den erschrockenen Blick Magdalenes zu achten, fuhr sie zu dem Bruder gewendet unverändert fort: »Denn du darfst es wohl erfahren, dass unsere ängstliche Kleine fürchtete, du könntest dich von Neuem ihrem Dank entziehen. Aber ich habe sie belehrt, dass du schon allzu sehr Kavalier seiest, als dass du zwei junge Damen, wie wir, im Stich und ohne die gebührende Anbetung lassen solltest.«

»Aber Eva, was redest du alles!«, stammelte Magdalene.

»Ja, und ich habe ihr auch gesagt, dass ich dein enthusiastisches und schwärmerisches Künstlerherz viel zu gut kenne, um nicht zu wissen, wie bedenklich es mit ihm steht. Schüttle nur deine Locken, Bruder! Ich weiß ganz genau, dass du seit deiner Heldentat hundert und hundert Mal deine rasche Flucht bereut hast, und dass du jetzt …«

Magdalene wandte sich hastig und entfloh.

»Was peinigst du das liebliche Wesen und mich mit solchen Neckereien?«, rief Gustav in fast gereiztem Ton. »Was vertreibst du sie von uns?«

»Von deren Anblick du lebst — von deren Spuren du nicht weichen konntest — o, ich weiß alles!«, redete sie weiter, im lustigen Ton, aber mit durchdringendem Blick. »Du hast sie nie vergessen, und als du sie heute Morgen erkanntest, war es dir, als ob des Himmels schönster Stern dir ins Herz fiel. Leugne es nicht. Ich verstehe es gut, in Blicken, Mienen und Tönen zu lesen!«

Ihre ersten Worte hatten ihn jäh aufblicken und erröten lassen, aber bei den folgenden stand er gesenkten Blicks und ohne Bewegung. Endlich fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und versetzte gedämpft: »Rede nicht so. Es ist alles umsonst.«

Ihr Blick traf ihn noch immer mit der gleichen Schärfe. »Dort, in Italien ein Held, und heute Morgen der Einzige zwischen uns, der seinen Kopf nicht verlor, sondern Energie hatte — und nun so schwach und verzagt?«

»Der Fall ist, glaube ich, ein anderer«, sprach er finster. »Ich kenne meine Aussichten und meine Maße.«

»Kennst du sie wirklich? Wenn nun auch Magdalene …?«

»Eva, was quälst du mich? Was redest du alles?«, rief er mit aufwallender Leidenschaft aus.

Nach einem neuen, noch festeren und noch ernsteren Anschauen sagte sie rasch: »Was ich doch nicht weiter zu erklären brauche? Denk es nur selber aus. Du denkst nicht falsch. Nutze unsere hiesige Einsamkeit und …« Ihre Brauen rückten einmal wieder zusammen und verliehen dem jugendlichen, schönen Gesicht plötzlich einen überraschend finsteren, ja fast harten Ausdruck. »Ich will dir etwas verraten, Gustav; gib Acht! Unser Vater beschäftigt sich, wie ich in diesen Tagen gemerkt habe, ganz ungemein oft und angelegentlich mit Magdalene, mit einer ganz eigenen Aufmerksamkeit, in einem ganz eigenen Ton. Und heute Nacht beim Auskleiden hat ihre Mutter sie gefragt, wie ihr der Baron gefalle? Er bemühe sich um sie, Magdalene, entschieden in einer Weise, dass man fast glauben könne, er verfolge einen bestimmten Plan und ernste Absichten. Sie solle daher sehr vorsichtig in ihrem Benehmen sein. Denn dieser Plan sei ein törichter und völlig aussichtsloser. Verstehst du das?«, schloss das Mädchen mit ernstem Blick und wendete sich von dem völlig Verstummten ab und zur Tür. »Ich — nur allzu gut! Also, mein Freund, denke an sie und dich und sei nicht allzu bescheiden. Deine Aussichten sind gut, sage ich dir.« Sie verließ das Gemach.

Der junge Mann blieb in einer schwer zu beschreibenden Verfassung in dem einsamen Zimmer zurück. Sein Leben ging an ihm vorüber. Der Vater und selbst die Mutter hatten im Strudel der großen Welt von jeher wenig Zeit und Teilnahme für den schönen und sanften, träumerisch stillen, ja verschlossenen Knaben gehabt. Der um einige Jahre ältere Leopold war, wie damals üblich, schon mit vierzehn Jahren Soldat geworden und überhaupt von viel zu lebhafter und auch derber Art, als dass er mit dem Bruder besonders hätte harmonieren sollen. Gustav war stets ein einsames Kind gewesen und wurde durch sein aufstrebendes Talent immer mehr isoliert. Nur die um ein Jahr jüngere Eva blieb ihm nahe, alle anderen traten weiter und weiter von ihm zurück. Der Aufenthalt zu Mollenthin, während der Vater sich von der übrigen Familie auf einer glänzenden Mission begleiten ließ, machte ihn noch einsamer; der Besuch einer Universität änderte wenig, selbst die große Reise berührte ihn kaum. Erst jenes Ereignis in Italien rief ihn aus dem Traum zum Leben und ließ auch den Menschen, neben dem Künstler, zum Gefühl der Kraft und Selbstständigkeit erwachen.

Die Liebe! In den einen sinkt sie heimlich wie ein Sonnenstäubchen hinab; sie keimt leise und grünt auf, sie rankt weiter und erblüht, leise und kaum merklich, bis der Mensch endlich einmal des neuen, gefährlichen Insassen innewird und den Kampf mit ihm beginnt. In den anderen aber fällt sie wie der Blitz, er zündet und die Glut schlägt auf, und alles umher ist eine Flamme.

So war es Gustav geschehen. Der Anblick des jungen Mädchens, das in solchen Schrecken noch die kraftlose Mutter zu stützen vermochte, hatte über ihn entschieden; der Blick voll Bewunderung, Dankbarkeit und Entzücken, der aus dem dunklen Auge dem Retter lohnte, hatte ihn gebannt. Das Glück war da, aber auch die Trauer. Er meinte, seine Aussichten und seine Maße zu kennen. So floh er und wich dennoch nicht von ihren Spuren – der Blick bannte ihn in ihre Nähe für alle Zeit. Und ob er auch scheu sich verbarg, die Töne seiner Geige klangen zu ihr hinüber und sagten ihr von all seinem Schmerz, seinem Glück, seiner Sehnsucht. Und nun die Begegnung am heutigen Morgen und jetzt Evas Worte! Das Glück brach strahlend hervor, nur um im nächsten Augenblick wieder zu erblassen und für immer zu versinken! Rivale des Vaters – sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, der Kopf schwindelte ihm.

Der Vater, der spottend, verächtlich beinahe auf ihn herabschaute, wie auf einen Träumer, einen Schwächling, einen Entarteten! Der Vater, zusammenbrechend vor ihm und sei es auch nur für eine kurze Stunde! Durch ihn geleitet, durch ihn gerettet! Der Vater sein Rivale – es war ein Gedanke, um daran zu erliegen! Die Kraft bäumte sich in des Jünglings Herzen auf, und die Liebe erhob sich zu ihrer ganzen Allgewalt. Durfte er noch aus dem Kampf fliehen – vermochte er es noch? Und dennoch – gab es hier einen Sieg?

Am Fenster lehnend und betäubt von solchen Gedanken und Empfindungen, hatte er nicht beachtet, dass der Nebel lichter geworden war und nur noch in einzelnen fantastischen Gebilden zwischen den Bäumen und Büschen schwebte. Aus der Höhe kam sogar schon ein goldener Schimmer, und nun mit einem Mal brach ein voller Sonnenstrahl hervor und übergoss die verwachsenen Steige und die verwilderten Anlagen des früheren Gartens mit einer Flut von blendendem Licht. Und zugleich, als sei sie selber ein Kind der Sonne und von ihr hinabgesendet auf die Erde, trat dort hinten Magdalenes Gestalt licht aus den Schatten und neigte sich zu einer Blume, welche leuchtend schön sich aus all dem wilden Kraut und Gerank hervorhob.

Gustav erwachte; das Leben und die Kraft kehrten zurück in seine Augen. Er eilte durch das stille Haus und in den Garten und stand nach wenigen Schritten vor dem tief errötenden Mädchen.

»Gestatten Sie meine Begleitung«, sprach er und zwang sich, heiter zu schauen. Auch sein Ton war ein munterer. »Ich möchte einmal auch ruhig und friedlich an Ihrer Seite weilen und nicht stets, wie bisher, nur in den Augenblicken des Schreckens und der Sorge.«

Sie schaute leise zu ihm auf, schüchtern und doch zugleich mit heimlichem Lächeln. »Warum flohen Sie uns und blieben uns doch so nahe?«, sagte sie.

»So nahe?«, wiederholte er, nun gleichfalls errötend. »Haben Sie mich denn bemerkt?«

Sie lächelte von Neuem. »Ihre Geige erzählte mir – uns von Ihnen«, versetzte sie mit niedergeschlagenen Augen.

»Aber Sie wussten doch nicht …«

Da er nicht weiter sprach, erhob sie die Augen zu einem langen, träumerischen Blick. Als sie sie von Neuem gesenkt hatte, wurde ihre Wange noch ein wenig röter und sie sagte, hörbar befangen: »Ich verstehe es nicht, aber, wenn wir diese wunderbaren Töne hörten, mussten wir stets an unseren Retter denken … er stand vor uns … und …« Sie schaute kaum zu ihm auf. »Gestehen Sie es nur, Sie waren es.«

»Ich leugne es nicht«, entgegnete er mit bewegter Stimme. »Unsere Reise war ja die gleiche und führte uns einen Weg.« Den Ton bis fast zum Flüstern dämpfend, fügte er hinzu: »Zu begegnen wagte Ihnen der Träumer und Fantast – so nennt man mich ja, und ich bin es – nicht, aber in Ihre Nähe blieb er gebannt – bis Gotha. Da musste er freilich scheiden.«

Sie stand, die Gestalt von einem leisen Zittern durchdrungen, das Köpfchen gesenkt, ohne einen Laut. Nach einer kleinen Pause wandte sie sich und ging dem Steig zu, auf dem sie vorhin hergekommen war.

Er atmete tief auf und war mit zwei Schritten wieder an ihrer Seite. »O, fliehen nicht Sie jetzt vor mir!«, bat er.

Sie wies ihn nicht zurück. Ohne aufzuschauen, schritt sie weiter, ihre Finger spielten mit der Blume, welche sie gepflückt hatte.

Als sie später – wer misst die Zeit in solchen Stunden – aus den Gebüschen wieder hervorkamen und dem Haus zugingen, war mit beiden eine bemerkenswerte Veränderung vorgegangen. Der Ernst und das Träumen hatten in seinen Zügen, auf seiner Stirn einer gewissen, lebensvollen und frohen Sicherheit und Klarheit Platz gemacht, und wenn seine Augen sie trafen – und sie wichen kaum von ihr, diese Augen – leuchtete es darin wunderbar von Glück und Zärtlichkeit. Auch durch das liebreizende junge Gesicht neben ihm flog von Zeit zu Zeit, unter den Worten, die er ihr zuflüsterte, ein leises, weiches Lächeln, und zuweilen erhob sich der kleine Kopf und ihr Blick begegnete dem seinen voll träumerischer Innigkeit. Aber dann senkten sich auch die Wimpern, wie erschrocken, schon wieder desto tiefer. Ein neues Rot flog über die zarte Wange.

Aus der Tür des Hauses trat der Baron heraus und stand auf den Stufen. Man sah es aus der Ferne, dass er äußerlich seine Haltung wieder gewonnen hatte und sein Auge mit finsterem Blick auf das sich nähernde junge Paar traf. Nun trat er vollends herab und kam ihnen entgegen, kalt die Miene und kalt der Blick. Etwas Herbes klang trotz des scherzhaften Tones durch seine Stimme, als er sagte: »Sie schließen schnell Bekanntschaften, mein teures Kind!«

Sie schaute überrascht auf, und ob auch mit ein wenig zitterndem Tone, versetzte sie lebhaft: »O, Herr Baron, es ist eine alte! Ihr Herr Sohn hat uns in Italien gerettet!«

Sein Blick überflog den schweigend danebenstehenden Gustav. »Ja, zuweilen scheint es, wird der Träumer zum Paladin«, sagte er sarkastisch. »Ich hörte es und erlebte es auch selber heute Morgen. Nur hält der Letztere nicht Stand.« Mit einem neuen, eiskalten Blick auf den Sohn fügte er herb hinzu: »Jetzt zum Beispiel würde der Paladin nicht hier umherlungern, sondern, wie ich voraussetzte, an die Küste geeilt sein, um sich nach einem Schiff umzusehen, das uns aus dieser unerträglichen Lage befreit.«

Gustav neigte leicht das Haupt. In dem kalten Ton, den wir auch von ihm, dem Vater gegenüber, schon am Morgen vernahmen, antwortete er: »Um Verzeihung, mein Herr Vater, es ist heute Morgen hinübergeschickt. Ich erwarte die Rückkehr des Boten spätestens in einer Stunde.«

Herb wie vorhin erwiderte der Baron: »Mit deiner Erlaubnis halte ich es für passender, dass du selber dich dort instruierst. Sei es auch nur, um den Raum in diesem hässlichen Nest nicht durch deine Anwesenheit noch mehr zu beschränken. Müssten wir noch bleiben, so würdest du ohnehin anderwärts dein Quartier suchen müssen.«

»Verzeihen Sie, wenn ich zu widersprechen wage«, versetzte der Sohn kalt, aber respektvoll. »Ich habe alle Nachrichten hierher bestellt und muss sie sowohl in Ihrem als auch in unser aller Interesse daher auch hier erwarten.«

Herr von Mollenthin maß ihn mit einem finsteren Blick vom Kopf bis zu den Füßen! Er schien ein hartes Wort auf den Lippen zu haben. Aber er bezwang sich, und indem er sich zu der bleichen und stummen Magdalena wendete und ihr seinen Arm bot, sagte er: »Kommen Sie, mein Kind. Ihre Mutter wird erwacht sein und Sie erwarten.«

So führte er sie, ohne den Sohn eines Blickes zu würdigen, fort und dem Haus zu.

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