Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reise und Abenteuer … 13

Des Freiherrn von Münchhausen
wunderbare Reise und Abenteuer zu Wasser und zu Lande, wie er dieselbe bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegte
Mit 16 Federzeichnungen von Hosemann
Neue Originalausgabe, Dieterich’schen Buchhandlung Göttingen, Berlin, 1840

Des Freiherrn von Münchhausen Seeabenteuer

Fortgesetzte Erzählung des Freiherrn

Der Baron wurde, wie man sich leicht vorstellen kann, bei jeder Gelegenheit gebeten, seinem Versprechen gemäß in der Erzählung seiner ebenso lehrreichen wie unterhaltenden Abenteuer fortzufahren; allein geraume Zeit waren alle Bitten vergebens. Er hatte die sehr löbliche Gewohnheit, nichts gegen seine Laune zu tun, und die noch löblichere, durch nichts von diesem Grundsatz sich abbringen zu lassen. Endlich aber erschien der lang gewünschte Abend, an dem ein heiteres Lächeln, mit dem er die Aufforderungen seiner Freunde anhörte, die sichere Vorbedeutung gab, dass sein Genius ihm gegenwärtig sei und ihre Hoffnungen erfüllen werde.

»Conticuere omnes, intentique ora tenebant«1und Münchhausen begann vom hochbepolsterten Sofa:

Während der letzten Belagerung von Gibraltar segelte ich mit einer Proviant-Flotte unter Lord Rodneys Kommando zu dieser Festung, um meinen alten Freund, den General Elliot, zu besuchen, der durch die ausgezeichnete Verteidigung dieses Platzes sich Lorbeeren erworben hatte, die nie verwelken können. Sobald die erste Hitze der Freude, die immer mit dem Wiedersehen alter Freunde verbunden ist, sich etwas abgekühlt hatte, ging ich in Begleitung des Generals in der Festung umher, um den Zustand der Besatzung und die Anstalten des Feindes kennen zu lernen. Ich hatte aus London ein sehr vortreffliches Spiegelteleskop, das ich von Dollond gekauft hatte, mitgebracht. Mithilfe desselben fand ich, dass der Feind gerade im Begriff war, einen 36-Pfünder zu dem Fleck abzufeuern, auf dem wir standen. Ich sagte dies dem General. Er sah auch durch das Perspektiv und fand meine Mutmaßung richtig.

Auf seine Erlaubnis ließ ich sogleich einen 48-Pfünder von der nächsten Batterie bringen und richtete ihn – denn was Artillerie betrifft, habe ich, ohne mich zu rühmen, meinen Meister noch nicht gefunden – so genau, dass ich meines Zieles vollkommen gewiss war.

Nun beobachtete ich die Feinde auf das Schärfste, bis ich sah, dass sie die Zündrute an das Zündloch ihres Stückes legten. In demselben Augenblick gab ich das Zeichen, dass unsere Kanone gleichfalls abgefeuert werden sollte. Ungefähr auf der Mitte des Weges schlugen die beiden Kugeln mit fürchterlicher Stärke gegeneinander. Die Wirkung davon war erstaunend. Die feindliche Kugel prallte mit solcher Heftigkeit zurück, dass sie nicht nur dem Mann, der sie abgeschossen hatte, rein den Kopf wegnahm, sondern auch noch sechszehn andere Köpfe vom Rumpf schnellte, die ihr auf ihrem Flug zu der afrikanischen Küste im Weg standen. Ehe sie aber zu der Barbarei kam, fuhr sie durch die Hauptmaste von drei Schiffen, die eben in einer Linie hintereinander im Hafen lagen. Dann flog sie noch gegen zweihundert englische Meilen in das Land hinein, schlug zuletzt durch das Dach einer Bauernhütte, brachte ein altes Mütterchen, die mit offenem Mund auf dem Rücken lag und schlief, um die wenigen Zähne, die ihr noch übrig waren, und blieb endlich in der Kehle der armen Frau stecken. Ihr Mann, der bald darauf nach Hause kam, versuchte die Kugel herauszuziehen. Da er dies aber unmöglich fand, so entschloss er sich kurz und stieß sie ihr mit einem Rammer in den Magen hinunter, aus dem sie dann auf dem natürlichen Weg unterwärts abging.

Unsere Kugel tat vortreffliche Dienste. Sie trieb nicht nur die andere auf die eben beschriebene Weise zurück, sondern setzte auch, meiner Absicht gemäß, ihren Weg fort, hob dieselbe Kanone, die gerade gegen uns gebraucht worden war, von der Lafette und warf sie mit solcher Heftigkeit in den Kielraum eines Schiffes, dass sie sogleich den Boden desselben durchschlug. Das Schiff schöpfte Wasser und sank mit tausend spanischen Matrosen und einer beträchtlichen Anzahl Soldaten, die sich auf demselben befanden, unter.

Dies war gewiss eine höchst außerordentliche Tat. Ich verlangte indessen keines Weges, sie ganz auf die Rechnung meines Verdienstes zu setzen. Meiner Klugheit kommt die Ehre der ersten Erfindung zu, aber der Zufall unterstützte sie einigermaßen. Ich fand nämlich nachher, dass unser 48-Pfünder durch ein Versehen auf eine doppelte Portion Pulver gesetzt war, wodurch allein seine unerwartete Wirkung, vorzüglich in Bezug auf die zurückgeworfene feindliche Kugel, begreiflich wird.

General Elliot bot mir für diesen ausnehmenden Dienst eine Offiziersstelle an. Ich lehnte aber alles ab und begnügte mich mit seinem Dank, den er mir denselben Abend an der Tafel in Gegenwart aller Offiziere auf die ehrenvollste Weise abstattete.

Da ich sehr für die Engländer eingenommen bin, weil sie unstreitig ein vorzüglich braves Volk sind, so machte ich mir es zum Gesetz, die Festung nicht zu verlassen, bis ich ihnen noch einen Dienst würde geleistet haben. In ungefähr drei Wochen bot sich mir eine gute Gelegenheit dazu dar. Ich kleidete mich wie ein katholischer Priester, schlich mich um ein Uhr des Morgens aus der Festung weg und kam glücklich durch die Linien der Feinde mitten in ihrem Lager an. Dort ging ich in das Zelt, in welchem der Graf von Artois mit dem Ersten Befehlshaber und verschiedenen anderen Offizieren einen Plan entwarf, die Festung den nächsten Morgen zu stürmen. Meine Verkleidung war mein Schutz. Niemand wies mich zurück, und ich konnte ungestört alles anhören, was vorging. Endlich begaben sie sich zu Bett. Nun fand ich das ganze Lager, selbst die Schildwachen, in dem tiefsten Schlaf begraben. Sogleich fing ich meine Arbeit an, hob alle ihre Kanonen, über dreihundert Stück, von den 48-Pfündern bis zu den 24-Pfündernherunter von den Lafetten, und warf sie drei Meilen weit in die See hinaus. Da ich ganz und gar keine Hilfe hatte, so war dies das schwerste Stück Arbeit, das ich je unternommen hatte, eines etwa ausgenommen, das, wie ich höre, Ihnen neulich in meiner Abwesenheit einer meiner Bekannten zu erzählen für gut fand, da ich nämlich mit dem ungeheuren, von dem Baron von Tott beschriebenen türkischen Geschütz an das gegenseitige Ufer des Meeres schwamm.

Sobald ich damit fertig war, schleppte ich alle Lafetten und Karren in die Mitte des Lagers. Damit das Rasseln der Räder kein Geräusch machen sollte, so trug ich sie paarweise unter den Armen zusammen. Ein herrlicher Haufen war es, wenigstens so hoch wie der Felsen von Gibraltar. Dann schlug ich mit dem abgebrochenen Stück eines eisernen 48-Pfünders an einen Kiesel, der zwanzig Fuß unter der Erde in einer noch von den Arabern gebauten Mauer steckte, Feuer, zündete eine Lunte an und setzte den ganzen Haufen in Brand. Ich vergaß, Ihnen zu sagen, dass ich erst noch obenauf alle Kriegsvorratswagen geworfen hatte.

Was am brennbarsten war, hatte ich klüglich unten hingelegt, und so war nun in einem Augenblick alles eine lichterlohe Flamme. Um allem Verdacht zu entgehen, war ich einer der Ersten, der Lärm machte. Das ganze Lager geriet, wie Sie sich vorstellen können, in das schrecklichste Erstaunen. Der allgemeine Schluss war, dass die Schildwachen bestochen und sieben oder acht Regimenter aus der Festung zu dieser gräulichen Zerstörung ihrer Artillerie gebraucht worden wären.

Herr Drinkwater erwähnt in seiner Geschichte dieser berühmten Belagerung eines großen Verlustes, den die Feinde durch einen im Lager entstandenen Brand erlitten hätten, weiß aber im Geringsten nicht die Ursache desselben anzugeben. Und das konnte er auch nicht, denn ich entdeckte die Sache noch keinem Menschen (obwohl ich allein durch die Arbeit dieser Nacht Gibraltar rettete), selbst dem General Elliot nicht. Der Graf von Artois lief nebst allen seinen Leuten im ersten Schrecken davon. Ohne einmal anzuhalten, liefen sie ungefähr vierzehn Tage in einem fort, bis sie Paris erreichten. Auch machte die Angst, die sich ihrer bei diesem fürchterlichen Brand bemächtigt hatte, dass sie drei Monate nicht imstande waren, die geringste Erfrischung zu genießen, sondern chamäleonmäßig bloß von der Luft lebten.

Etwa zwei Monate, nachdem ich den Belagerten diesen Dienst getan hatte, saß ich eines Morgens mit dem General Elliot beim Frühstück, als auf einmal eine Bombe (denn ich hatte nicht Zeit, ihre Mörser ihren Kanonen nachzuschicken) in das Zimmer flog und auf den Tisch niederfiel. Der General, wie fast jeder getan haben würde, verließ das Zimmer augenblicklich. Ich aber nahm die Bombe, ehe sie sprang, und trug sie auf die Spitze des Felsens. Von hieraus sah ich auf einem Hügel der Seeküste, unweit des feindlichen Lagers, eine ziemliche Menge Leute, konnte aber mit bloßen Augen nicht entdecken, was sie vorhatten. Ich nahm also mein Teleskop zu Hilfe und fand nun, dass zwei von unseren Offizieren, einer ein General und der andere ein Oberster, die noch den vorigen Abend mit mir zugebracht und sich um Mitternacht als Spione in das spanische Lager geschlichen hatten, dem Feind in die Hände gefallen waren und eben gehängt werden sollten.

Die Entfernung war zu groß, als dass ich die Bombe aus freier Hand hätte hinwerfen können.

Glücklicherweise fiel mir bei, dass ich die Schleuder in der Tasche hatte, die David weiland so vorteilhaft gegen den Riesen Goliath gebrauchte. Ich legte meine Bombe hinein und schleuderte sie sogleich mitten in den Kreis. So wie sie niederfiel, sprang sie auch und tötete alle Umstehenden, ausgenommen die beiden englischen Offiziere, die zu ihrem Glück gerade in die Höhe gezogen waren. Ein Stück der Bombe flog indessen gegen den Fuß des Galgens, der dadurch sogleich umfiel. Unsere beiden Freunde fühlten kaum terra firma, als sie sich nach dem Grund dieser unerwarteten Katastrophe umsahen. Da sie fanden, dass Wache, Henker und alles den Einfall gekriegt hatten, zuerst zu sterben, so machten sie sich einander von ihren unbehaglichen Stricken los, liefen zum Seeufer, sprangen in ein spanisches Boot und nötigten die beiden Leute, die darin waren, sie zu einem unserer Schiffe zu rudern.

Wenige Minuten danach, da ich gerade dem General Elliot die Sache erzählte, kamen sie glücklich an. Nach gegenseitigen Erklärungen und Glückwünschen feierten wir diesen merkwürdigen Tag auf die froheste Art von der Welt.

Sie wünschen alle, meine Herren, ich sehe es Ihnen an den Augen an, zu hören, wie ich an einen so großen Schatz, wie die gedachte Schleuder war, gekommen sei. Gut! Die Sache hängt so zusammen. Ich stamme, müssen Sie wissen, von der Frau des Urias ab, mit der David bekanntlich in sehr enger Verbindung lebte. Mit der Zeit aber, wie dies manchmal der Fall ist, wurden Seine Majestät merklich kälter gegen die Gräfin, denn dazu wurde sie im ersten Vierteljahr nach ihres Mannes Tod gemacht. Sie zankten sich einmal über einen sehr wichtigen Punkt, nämlich über den Fleck, wo Noahs Arche gebaut wurde und wo sie nach der Sintflut stehen blieb. Mein Stammvater wollte für einen großen Altertumkundigen gelten, und die Gräfin war Präsidentin einer historischen Sozietät. Dabei hatte er die Schwäche mehrerer großen Herren und fast aller kleinen Leute, er konnte keinen Widerspruch ertragen, und sie hatte den Fehler ihres Geschlechts, sie wollte in allen Dingen Recht behalten; kurz, es erfolgte eine Trennung.

Sie hatte ihn oft von jener Schleuder als einem sehr großen Schatz sprechen hören und fand für gut, sie, zum Andenken wahrscheinlich, mitzunehmen. Ehe sie aber noch aus seinen Staaten war, wurde die Schleuder vermisst, und nicht weniger als sechs Mann von der Leibwache des Königs setzten ihr nach. Sie bediente sich indessen des mitgenommenen Instruments so gut, dass sie einen ihrer Verfolger, der sich durch seinen Diensteifer vielleicht heben wollte und daher etwas vor den anderen voraus war, gerade auf den Fleck traf, wo Goliath seine tödliche Quetschung erhalten hatte. Als seine Gefährten ihn tot zur Erde stürzen sahen, hielten sie es nach langer weiterer Überlegung für das Beste, diesen neu eingetretenen Umstand fürs Erste gehörigen Orts zu melden. Die Gräfin hielt es für das Beste, mit untergelegten Pferden ihre Reise nach Ägypten fortzusetzen, wo sie sehr angesehene Freunde am Hof hatte.

Ich hätte Ihnen vorher schon sagen sollen, dass sie von mehreren Kindern, die Seine Majestät mit ihr zu zeugen geruht hatten, bei ihrer Entfernung einen Sohn, der ihr Liebling war, mit sich nahm. Da diesem das fruchtbare Ägypten noch einige Geschwister gab, so vermachte sie ihm durch einen besonderen Artikel ihres Testamentes die berühmte Schleuder. Von ihm kam sie meist gerader Linie endlich auf mich.

Einer ihrer Besitzer, mein Ururgroßvater, der vor ungefähr zweihundertfünfzig Jahren lebte, wurde bei einem Besuch, den er in England machte, mit einem Dichter bekannt, der zwar nichts weniger als Plagiarius, aber ein desto größerer Wilddieb war, und Shakespeare hieß.

Dieser Dichter, in dessen Schriften jetzt, zur Wiedervergeltung vielleicht, von Engländern und Deutschen abscheulich gewilddiebt wird, borgte manchmal diese Schleuder und tötete damit so viel von Sir Thomas Lucys Wildbret, dass er mit genauer Not dem Schicksal meiner zwei Freunde zu Gibraltar entging. Der arme Mann wurde ins Gefängnis geworfen. Mein Ältervater bewirkte seine Freiheit auf eine ganz besondere Art.

Die Königin Elisabeth, die damals regierte, wurde, wie Sie wissen, in ihren letzten Jahren ihrer selbst überdrüssig. Ankleiden, Auskleiden, Essen, Trinken und manches andere, was ich nicht zu nennen brauche, machten ihr das Leben zur unerträglichen Last. Mein Ältervater setzte sie in den Stand, all dies nach ihrer Willkür ohne oder durch einen Stellvertreter zu tun. Und was meinen Sie, was er für dieses ganz unvergleichliche Meisterstück magischer Kunst sich ausbat?Shakespeares Freiheit. Weiter konnte ihm die Königin nicht das Geringste aufdringen. Die ehrliche Haut hatte diesen großen Dichter so lieb gewonnen, dass er gern von der Anzahl seiner Tage etwas abgegeben hätte, um das Leben seines Freundes zu verlängern.

Übrigens kann ich Ihnen, meine Herren, versichern, dass die Methode der Königin Elisabeth, gänzlich ohne Nahrung zu leben, so originell sie auch war, bei ihren Untertanen sehr wenig Beifall gefunden hat, am wenigsten bei den Beefeaters2, wie man sie gewöhnlich noch heutigen Tages nennt. Sie überlebte aber auch selbst ihre neue Sitte nicht über achteinhalb Jahre.

Mein Vater, von dem ich diese Schleuder kurz vor meiner Reise nach Gibraltar geerbt habe, erzählte mir folgende merkwürdige Anekdote, die auch seine Freunde öfters von ihm gehört haben, und an deren Wahrheit niemand zweifeln wird, der den ehrlichen Alten gekannt hat.

»Ich hielt mich«, sagte er, »bei meinen Reisen geraume Zeit in England auf und ging einstens an dem Ufer der See unweit Harwich spazieren. Plötzlich kam ein grimmiges Seepferd in äußerster Wut auf mich los. Ich hatte nichts als die Schleuder bei mir, mit der ich dem Tier so geschickt zwei Kieselsteine gegen den Kopf warf, dass ich mit jedem ein Auge des Ungeheuers einschlug. Darauf stieg ich auf seinen Rücken und trieb es in die See, denn in demselben Augenblick, in dem es sein Gesicht verlor, verlor es auch seine Wildheit und wurde so zahm wie möglich. Meine Schleuder legte ich ihm statt des Zaumes in den Mund und ritt es nun mit der größten Leichtigkeit durch den Ozean hin. In weniger als drei Stunden kamen wir beide an dem entgegengesetzten Ufer an, welches doch immer eine Strecke von ungefähr dreißig Seemeilen ist. Zu Helvoetsluys verkaufte ich es für siebenhundert Dukaten an den Wirt zu den drei Kelchen, der es als ein äußerst seltenes Tier gelten ließ und sich schönes Geld damit machte. Nun findet man eine Abbildung davon im Büsson. So sonderbar die Art meiner Reise war«, fuhr mein Vater fort, »so waren doch die Bemerkungen und Entdeckungen, die ich auf derselben machte, noch viel außerordentlicher. Das Tier, auf dessen Rücken ich saß, schwamm nicht, sondern lief mit unglaublicher Geschwindigkeit auf dem Grund des Meeres weg und trieb Millionen von Fischen vor sich her, von denen viele ganz verschieden von den gewöhnlichen waren. Einige hatten den Kopf in der Mitte des Leibes, andere an der Spitze des Schwanzes. Einige saßen in einem großen Kreis beisammen und sangen unaussprechlich schöne Chöre; andere bauten aus bloßem Wasser die prächtigsten durchsichtigen Gebäude auf, die mit kolossalen Säulen umgeben waren, in welchen eine Materie, die ich für nichts anderes als für das reinste Feuer halten konnte, in den angenehmsten Farben und in den reizendsten wellenförmigen Bewegungen hin und wieder lief. Verschiedene Zimmer dieser Gebäudewaren auf eine sehr sinnreiche und bequeme Art zur Begattung der Fische eingerichtet; in anderen wurde der zarte Laich gepflegt und gewartet. Eine Reihe weitläufiger Säle war zur Erziehung der jungen Fische bestimmt. Das Äußere der Methode, die hier beobachtet wurde – denn das Innere derselben verstand ich natürlicherweise ebenso wenig wie den Gesang der Vögel oder die Dialoge der Heuschrecken – hatte so auffallende Ähnlichkeit mit dem, was ich in meinem Alter in den sogenannten Philanthropien und dergleichen Anstalten eingeführt fand, dass ich ganz gewiss bin, einer ihrer angeblichen Erfinder hat eine der meinen ähnliche Reise gemacht und seine Ideen mehr aus dem Wasser geholt, als aus der Luft gegriffen. Übrigens sehen Sie aus dem Wenigen, was ich Ihnen gesagt habe, dass noch manches ungenutzt, noch manche Spekulation übrig ist. Doch ich fahre in meiner Erzählung fort.

Ich kam unter anderen über eine ungeheure Gebirgskette hin, die wenigstens so hoch war wie die Alpen. An der Seite der Felsen war eine Menge großer Bäume von mannigfaltiger Art. Auf diesen wuchsen Hummer, Krebse, Austern, Kammaustern, Muscheln, Seeschnecken usw., von denen bisweilen ein einziges Stück eine Ladung für einen Frachtwagen war, und an der kleinsten hätte ein Lastträger zu schleppen gehabt. Alles, was von der Art an die Ufer geworfen und auf unseren Märkten verkauft wird, ist elendes Zeug, das das Wasser von den Ästen abschlägt, ungefähr so wie das kleine schlechte Obst, das der Wind von den Bäumen herunterweht.

Die Hummer-Bäume schienen am vollsten zu sein; die Krebs- und Auster-Bäume aber waren die größten. Die kleinen Seeschnecken wachsen auf einer Art von Sträuchern, die immer am Fuß der Auster-Bäume stehen und sich fast sowie der Efeu an der Eiche an ihnen hinaufwinden.

Auch bemerkte ich eine sehr sonderbare Wirkung eines untergegangenen Schiffes. Dies war, wie mir schien, gegen die Spitze eines Felsens, die nur drei Klafter unter der Oberfläche des Wassers war, gestoßen und beim Sinken umgeschlagen. Dadurch stürzte es auf einen großen Hummer-Baumund stieß verschiedene Hummer ab, die auf einen darunter stehenden Krebs-Baum fielen. Weil die Sache nun wahrscheinlich im Frühjahr geschah und die Hummer noch ganz jung waren, so vereinigten sie sich mit den Krebsen und brachten eine neue Frucht hervor, die mit beiden Ähnlichkeit hat. Ich versuchte der Seltenheit wegen ein Stück davon mitzunehmen, aber teils war es mir zu beschwerlich, teils wollte mein Pegasus nicht gern stillhalten, auch hatte ich schon über die Hälfte meines Weges zurückgelegt und war gerade in einem Tal wenigstens fünfhundert Klafter unter der Meeresfläche, wo ich den Mangel an Luft allmählich etwas unbequem fand. Übrigens war meine Lage auch in anderen Rücksichten nicht die angenehmste. Ich begegnete von Zeit zu Zeit großen Fischen, die, so viel ich aus ihren offenen Rachen annehmen konnte, eben nicht abgeneigt waren, uns beide zu verschlingen. Nun war meine arme Rosinante blind und es beruhte einzig auf meiner vorsichtigen Führung, dass ich den menschenfeindlichen Absichten dieser hungrigen Herren entging. Ich galoppierte also weidlich zu und versuchte so bald wie möglich wieder trocknes Land zu gewinnen.

Als ich nun dem holländischen Ufer nahe war und das Wasser über meinem Kopf keine zwanzig Klafter mehr hoch sein mochte, so kam es mir vor, als läge eine menschliche Gestalt in weiblicher Kleidung vor mir auf dem Sand. Ich glaubte einige Zeichen des Lebens an ihr zu bemerken. Als ich näher kam, sah ich auch wirklich, dass sie ihre Hand bewegte. Ich fasste diese an und brachte die Person als eine anscheinende Leiche mit mir an das Ufer. Ob man nun gleich damals in der Kunst, Tote zu erwecken, noch nicht so weit gekommen war, dass man, so wie in unseren Tagen in jeder Dorfschenke eine Anweisung vorfand, Ertrunkene wieder aus dem Reich der Schatten zurückzurufen, so gelang es doch den klugen und unermüdlichen Bemühungen eines dortigen Apothekers, den kleinen Funken des Lebens, den er in dieser Frau noch übrig fand, wieder anzufachen. Sie war die teure Hälfte eines Mannes, der ein nach Helvoetsluys gehöriges Schiff kommandierte und kurz vorher aus dem Hafen ausgelaufen war. Unglücklicherweise hatte er in der Eile eine andere Person anstatt seiner Frau mitgenommen. Dies wurde ihr sogleich von einer der wachsamen Schutzgöttinnen des häuslichen Friedens hinterbracht. Weil sie fest überzeugt war, dass die Rechte des Ehebettes zu Wasser so gültig wären wie zu Lande, so fuhr sie ihm wütend von Eifersucht in einem offenen Boot nach und suchte, sobald sie auf das Oberdeck seines Schiffes gekommen war, nach einer kurzen unübersetzbaren Anrede ihre Gerechtsame auf eine so triftige Art zu beweisen, dass ihr lieber Getreuer es für ratsam fand, ein paar Schritte zurückzutun. Die traurige Folge davon war, dass ihre knöcherne Rechte den Eindruck, der den Ohren ihres Mannes zugedacht war, auf die Wellen machte. Da diese noch nachgebender waren als er, so fand sie erst auf dem Grund der See den Widerstand, den sie suchte.

Hier brachte mich nun mein Unstern mit ihr zusammen, um ein glückliches Paar auf Erden mehr zu machen. Ich kann mir leicht vorstellen, was für Segenswünsche mir ihr Herr Gemahl nachgeschickt hat, als er bei seiner Rückkehr fand, dass sein zärtliches Weibchen, durch mich gerettet, seiner harre. Indessen so schlimm auch immer der Streich sein mag, den ich dem armen Teufel gespielt habe, so war mein Herz doch außer aller Schuld. Der Beweggrund meiner Handlung war reine klare Menschenliebe, obwohl, wie ich nicht leugnen kann, die Folgen davon für ihn schrecklich sein mussten.«

Und so weit, meine Herren, geht die Erzählung meines Vaters, an die ich durch die berühmte Schleuder erinnert wurde, die leider, nachdem sie sich so lange bei meiner Familie erhalten und ihr viele wichtige Dienste geleistet hatte, in dem Rachen des Seepferdes ihren Rest gekriegt zu haben scheint. Wenigstens habe ich den einzigen Gebrauch davon gemacht, den ich Ihnen erzählt habe, dass ich den Spaniern eine ihrer Bomben ungeöffnet wieder zurückschickte und dadurch meine zwei Freunde vom Galgen rettete. Bei dieser edlen Anwendung wurde meine Schleuder, die vorher schon etwas mürbe war, vollends aufgeopfert. Der größte Teil davon flog mit der Bombe weg, und das übrige kleine Stückchen, das mir in der Hand blieb, liegt nun in unserem Familienarchiv, wo es nebst mehreren wichtigen Altertümern zum ewigen Andenken aufbewahrt wird.

Bald darauf verließ ich Gibraltar wieder und kehrte nach England zurück. Dort begegnete mir einer der sonderbarsten Streiche meines ganzen Lebens.

Ich musste nach Wapping hinuntergehen, um verschiedene Sachen einschiffen zu sehen, die ich einigen meiner Freunde in Hamburg schicken wollte. Als ich damit fertig war, nahm ich meinen Rückweg über den Tower Wharf. Es war Mittag; ich war schrecklich müde. Die Sonne wurde mir so lästig, dass ich in eine von den Kanonen hineinkroch, um dort ein bisschen auszuruhen. Kaum war ich darin, so fiel ich auch sogleich in den tiefsten Schlaf. Nun war es gerade der vierte Juni3. Um ein Uhr wurden alle Kanonen zum Andenken dieses Tages abgefeuert. Sie waren am Morgen geladen, und da niemand mich hier vermuten konnte, so wurde ich über die Häuser an der entgegengesetzten Seite des Flusses weg in den Hof eines Pächters zwischen Bermondfey und Deptford geschossen. Hier fiel ich auf einen großen Heuhaufen nieder und blieb – wie aus der großen Betäubung leicht begreiflich wird – ohne aufzuwachen liegen.

Ungefähr nach drei Monaten wurde das Heu so erschrecklich teuer, dass der Pächter einen guten Schnitt zu machen dachte, wenn er nun seinen Vorrat losschlüge. Der Haufen, auf dem ich lag, war der größte auf dem Hof und hielt wenigstens fünfhundert Fuder. Mit ihm wurde also bei dem Aufladen der Anfang gemacht. Durch das Lärmen der Leute, die ihre Leitern angelegt hatten und auf den Haufen hinaufsteigen wollten, wachte ich auf. Noch halb im Schlaf und ohne zu wissen, wo ich war, wollte ich weglaufen und stürzte hinunter auf den Eigentümer des Heus. Ich selbst litt durch diesen Fall nicht den geringsten Schaden, der Pächter aber einen desto größeren; er blieb tot unter mir liegen, denn ich hatte unschuldigerweise ihm das Genick gebrochen. Zu meiner großen Beruhigung hörte ich nachher, dass der Kerl ein abscheulicher Händler war, der immer mit den Früchten seiner Ländereien so lange zurückhielt, bis erst bittere Teuerung einriss und er mit übermäßigem Profit sie verkaufen konnte, sodass also ein gewaltsamer Tod für ihn gerechte Strafe und für das Publikum wahre Wohltat war.

Wie sehr ich aber erstaunte, als ich wieder völlig zu mir selbst kam und nach langem Besinnen meine gegenwärtigen Gedanken an die anknüpfte, mit denen ich vor drei Monaten eingeschlafen war, und wie groß die Verwunderung meiner Freunde in London war, als ich nach vielen vergeblichen Nachforschungen auf einmal wieder erschien, das können Sie, meine Herren, sich leicht vorstellen.

Nun lassen Sie uns erst ein Gläschen trinken und dann erzähle ich Ihnen noch ein paar meiner Seeabenteuer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Show 3 footnotes

  1. Alle schwiegen und lauschten mit unverwendeten Blicken.
  2. Rindfleischesser. Ein Name, der nicht selten von solchen, die gerne Rindfleisch essen und aus ökonomischen Gründen nicht dürfen, der Königlichen Garde gegeben wird.
  3. Der Geburtstag des regierenden Königs

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert