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Abenteuer des Captains Bonneville 45

Washington Irving
Abenteuer des Captains Bonneville
oder: Szenen jenseits der Felsengebirge des fernen Westens
Verlag von J. D. Sauerländer. Frankfurt am Main, 1837

Vierundvierzigstes Kapitel

Schneller Marsch – Eine Staubwolke – Wilde Reiter – Hochleben – Pferderennen und Büchsenschießen – Das Handspiel – Fischzeit – Weise des Fischfanges – Tafelländer – Salmenfischer – Des Captains Besuch in einer indianischen Zelthütte – Das indianische Mädchen – Der Taschenspiegel – Abendessen – Beruhigung eines bösen Gewissens

»Auf und fort!«, ist der erste Gedanke eines indianischen Pelzhändlers bei Anbruch des Tages, wenn ein Nebenbuhler bei der Hand und noch ein weiter Weg zu machen ist. Früh am Morgen befahl Captain Bonneville das halb getrocknete Fleisch auf die Pferde zu packen. Dem Captain Wyeth und seiner Partie die Jagd der zerstreuten Büffeln überlassend, eilte er schnell weg nach Osten, um die Ebenen des Portneuf wieder zu erreichen. Sein Weg war rau und gefährlich, durch vulkanische Hügel, von Klippen und Abgründen unterbrochen, und voller furchtbarer Klüfte, in welchen sich die Felsen wie Mauern auftürmten.

Am zweiten Tag lagerte er jedoch noch einmal in der Ebene. Da es noch früh am Tag war, so begaben sich einige seiner Leute auf die benachbarten Hügel. Indem sie ihre Blicke in der Gegend umherwarfen, nahmen sie eine große Staubwolke wahr, die sich gegen Süden erhob und sich ihnen augenscheinlich näherte. Sie eilten zum Lager zurück und schlugen dort Alarm. Es wurden sogleich Vorbereitungen getroffen, um den Feind zu empfangen, während einige der Leute sich auf Renner warfen, die zur Jagd gehalten wurden, und fortsprengten, um zu rekognoszieren. Sie kehrten in kurzer Zeit zurück und gaben Signal, dass nichts zu befürchten stehe.

Nun hatte sich die Staubwolke so schnell genähert, als ob sie der Wind vor sich her getrieben hätte. Ein Trupp wilder Reiter kam in vollem Galopp, heulend und schreiend wie die Tollhäusler, in das Lager gesprengt. Ihre Kleidung und Ausrüstung, ihre Art zu reiten und ihr rohes Geschrei gab der Partie das Ansehen zum Krieg gerüsteter Wilden. Es erwies sich aber, dass sie hauptsächlich halbblütige und weiße in der Wildnis wildgewordene Menschen waren, die als Biberfänger und Jäger im Dienst der Hudsonʼs Bay-Company standen.

Es ging nun abermals hoch im Lager her. Capitain Bonnevilles Leute begrüßten diese wilden Strichvögel als Menschen ihres Schlages oder vielmehr als die wahren Raubvögel ihrer Gattung. Sie empfingen sie mit der bei Gebirgsjägern üblichen Gastfreundschaft und bewirteten sie an jedem Feuer. Zuerst teilten sie sich gegenseitig ihre Abenteuer und Taten mit. Es mischten sich Ausbrüche des Gelächters in ihre Scherze, dann kam das Herausstreichen ihrer Pferde und Büchsen, wovon jeder Mund überlief. Dies führte zum Wettrennen und Zielschießen; ein Wettreiten und eine Schützenprobe folgte der anderen. Jubel und Zeichen des Beifalls erhoben sich vonseiten der siegenden Partie, dann folgte ein harter Wortwechsel und ein allgemeines Handgemenge stand im Begriff, auszubrechen, als plötzlich die Aufmerksamkeit der Zänker durch eine sonderbare Art von indianischem Gesang oder Chor gefesselt wurde, der wie ein Zauber auf sie zu wirken schien. Ihre Wut war nun zu Ende; es erfolgte eine stille Versöhnung. Die Ideen der ganzen bunten Versammlung von Weißen, Halbblüter und Squaws waren auf einen neuen Gegenstand hingelenkt. Sie bildeten sich alle in Gruppen um die verschiedenen Feuer herum und bereiteten sich auf das unterhaltende Vergnügen der Nez Percés und der anderen Stämme des fernen Westens vor.

Der Chorgesang, der bezaubernd auf sie gewirkt hatte, war wirklich eine Art von wilder Begleitung zu dem indianischen Lieblingsspiel, das Handspiel genannt. Dieses Spiel wird von zwei Partien gespielt, die in zwei sich gegenüberstehenden Reihen vor einem brennenden Feuer aufgezogen sind. Es gleicht einigermaßen dem alten Spiel, wo ein Ring oder ein Knopf von Hand zu Hand geht, und die Hand entdeckt werden muss, die ihn hält. In gegenwärtigem Spiel ist der zu verbergende Gegenstand oder Cache, wie er von den Biberfängern genannt wird, ein kleiner Holzspan oder sonst etwas Unbedeutendes, das man in der geschlossenen Hand verbergen kann. Dieser geht bei der Partie in der Hand hin und zurück, während die Partie außer der Hand errät, wo er verborgen ist. Um den Spaß um vieles zu erhöhen und die Ratenden zu verwirren, werden eine Anzahl von trockenen Pfählen vor jeder Reihe hingelegt, auf welche die Partie in der Hand wütend mit kurzen Stäben und den Takt zu den bereits erwähnten Chorgesängen schlägt, der immer lauter und wütender wird, wie sie das Spiel weiter fortsetzten.

Da große Wetten auf dasselbe gesetzt werden, so ist die Ereiferung der Spielenden dabei außerordentlich. Beide Teile brechen dabei wechselweise in einen förmlichen Chorgesang aus, schlagen, heulen und bringen sich in eine solche Rage, dass ihnen der Schweiß, selbst in einer kalten Winternacht, den nackten Schultern herabrinnt. Wie das Spiel weiter fortgesetzt wird, werden die Wetten verdoppelt und verdreifacht, ihre innere Aufregung steigert sich fast zur Tollheit. Die Spieler setzten oft alle ihre zeitliche Habe an einen Pfifferling und wo er steckt. Diese Spiele dauerten die ganze Nacht durch. Jedes Feuer beleuchtete eine Gruppe, die einem Haufen Tollhäusler ähnlich sahen, welche ihre rasenden Orgien feiern. Dies würde den ganzen folgenden Tag fortgedauert haben, wenn Captain Bonneville nicht sein Ansehen ins Mittel gelegt und zur gewöhnlichen Stunde seine Marschordre erteilt hätte.

Seinen Weg den Snake River hinab nehmend, kehrten seine Jäger regelmäßig am Abend beladen mit wilden Gänsen zurück, die kaum fliegen konnten und leicht in großer Anzahl gefangen wurden.

Es war nun die Zeit des jährlichen Fischfestes, womit die Indianer dieser Gegend die erste Erscheinung von Salmen in diesem Fluss feiern. Diese Fische werden in großer Anzahl an den zahlreichen Wasserfällen von ungefähr vier Fuß Höhe gefangen. Die Indianer besetzen zu beiden Seiten das seichte Wasser unten und stechen sie, wenn sie hinauf wollen. An breiteren Teilen des Flusses stellen sie ebenfalls eine Art spanischer Reiter oder Wände mit Weiden durchflochtenen Latten auf. Hiermit bildeten sie einen Winkel, in welchem eine kleine Öffnung gelassen wird, damit der Salm durchkommen kann. Um diese Öffnung stellen sich die Indianer auf kleinen Holzflößen auf und bedienen sich ihrer Fischgabeln mit großer Geschicklichkeit.

Die in dieser Region so gewöhnlichen Tafelländer haben einen nicht sehr tiefen Sandboden und sind mit Salbei, oder besser gesagt, mit Wurmsamenkraut überwachsen. Unter diesen befindet sich eine ebene Felslage, hier oder dort in furchtbare Spalten zerrissen. Die ganze Ebene erhebt sich, wie sie sich dem Fluss nähert, und endet in hohe und zackige Felsen, über welche hinauszukommen schwierig ist. An manchen Orten sind sie so steil, dass es tagelang unmöglich ist, an den Rand des Wassers zu gelangen, um die Pferde zu tränken. Dies nötigt die Reisen bisweilen, die Nähe des Flusses zu verlassen und einen weiten Umweg durch das Innere zu nehmen.

Der Monat Juli war nun weit vorgerückt und die Partie litt außerordentlich durch das schwüle Wetter und den Staub der Reise. Die Fliegen und Schnaken wurden den Pferden außerordentlich lästig, besonders wenn sie sich an dem Rand des Flusses hinhielten, wo er zwischen niederen Sandufern läuft. Wenn sich die Rei senden am Nachmittag lagerten, so begaben sich die Pferde an die Sandufer und blieben dort, ohne einen Versuch zu weiden, bis zur Kühle des Abends. Was die Reisenden anbelangt, so badeten sie in der klaren und kühlen Flut, um den Staub der Wege abzuwaschen und sich nach der Tageshitze zu erfrischen. Die Nächte waren kühl und angenehm.

An einem der Plätze, auf welchem sie einige Zeit lagerten, war der Fluss beinahe fünfhundert Yard breit und mit grasreichen Inseln besät, welche Haine von Weiden- und Baumwollholzbäumen schmückten. Hier waren die Indianer in großer Anzahl versammelt und hatten die Kanäle zwischen den Inseln gesperrt, um die Salmen mit desto größere Leichtigkeit stechen zu können. Sie waren von einer furchtsamen Menschengattung und an den Anblick weißer Menschen nicht gewöhnt.

Captain Bonneville trat in eine der Hütten und fand deren Bewohner damit beschäftigt, einen schönen Salmen zuzubereiten. Sie taten ihn in einen Topf, füllten ihn mit kaltem Wasser und hingen ihn über das Feuer. So wie das Wasser zu kochen anfängt, hält man den Fisch für gehörig abgesotten.

Sich ohne Umstände niederlassend, zündete der Captain seine Pfeife in der Absicht an, sich zu der Mahlzeit einzuladen. Der Eigentümer der Hütte schien seine Zudringlichkeit nicht übel aufzunehmen.

Während er sich mit ihm unterhielt, fühlte der Captain, dass sich etwas hinter ihm bewegte. Als er sich umdrehte und einige Felle und ein altes Büffelkleid wegschob, erblickte er ein junges, etwa vierzehn Jahre altes Mädchen, das darunter gekauert saß, ihm mit ihren großen schwarzen Augen ins Gesicht sah und ihn in stummem Erstaunen und Schrecken anzustarren fortfuhr. Der Captain mühte sich, ihre Furcht zu verscheuchen, und versuchte zu wiederholten Malen, ihr ein farbiges Band, das er aus seiner Tasche zog, um den Hals zu knüpfen. Sie fuhr bei jedem Versuch zurück, indem sie einen, einem Gebrumme ähnlichen Ton von sich gab. Auch konnten alle Schmeicheleien des Captains die Schüchternheit der kleinen, wilden Schönen nicht überwinden, obwohl er ein freundlich und wohlwollend aussehender und etwas galanter Mann war. Seine Aufmerksamkeit war nun auf die Eltern gerichtet, denen er eine Ahle und ein wenig Tabak zum Geschenk machte. Nachdem er sich hierdurch ihr Wohlwollen erworben hatte, fuhr er zu rauchen fort und auf den Salmen Acht zu geben. Während er so in der Nähe der Türschwelle saß, kam ein kleiner Knabe der Familie an die Tür. Als er aber den fremden Gast erblickte, fing er an, vor Schrecken zu schreien und lief weg, um sich hinter langem Stroh hinter der Hütte zu verbergen.

Da der Captain ihre Furchtsamkeit gänzlich zu verscheuchen und mit den einfachen Bewohnern der Hütte einen Handel zu eröffnen wünschte, so zog derselbe nun jene, in den Augen der Wilden so große Lockspeise, einen Taschenspiegel, hervor. Sein Anblick war unwiderstehlich. Nachdem sie ihn eine Zeitlang mit Staunen und Bewunderung betrachtet hatten, brachten sie ein Bisamrattenfell hervor und boten es zum Tausch an. Der Captain schüttelte den Kopf, er kaufte aber das Fell für zwei Knöpfe – überflüssiges Spielzeug, da der ehrenwerte Besitzer der Hütte weder Rock noch Hosen hatte, an welche er sie hätte annähen können.

Der Spiegel blieb aber immer noch der große Gegenstand ihrer Wünsche, vorzüglich in den Augen der Hausfrau, die einen Topf mit getrocknetem Mehl und eine Schnur Biskuitwurzeln hervorholte. Sie erhielt hiergegen eine Kleinigkeit, konnte damit aber nicht den Spiegel erkaufen.

Da der Salm nunmehr gar gekocht war, so versammelten sie sich alle zu einer herzlichen Abendmahlzeit.

Es wurde dem Captain eine große Portion von der alten Frau auf frischem Gras vorgelegt, das statt des Tellers diente. Er hatte noch nie einen Salmen gekostet, der so ganz nach seinem Appetit war.

Nach dem Abendessen zündete der Captain seine Pfeife wieder an und reichte sie seinem Wirt, der den Dampf einzog und so unablässig durch die Nase blies, dass sein Kopf nach einer kleinen Weile Zeichen von Verwirrung und Schwindel von sich gab. Da er hinlänglich von den wohlwollenden und geselligen Eigenschaften des Captains überzeugt war, so wurde er leutselig und mitteilender und ließ endlich einige Worte vom Eintausch von Pferden gegen Biberfelle fallen.

Der Captain bot ihm hierauf sein an der Tür angebundenes Pferd an. Der Kauf war bald geschlossen, worauf der Indianer einen Haufen von Büschen wegräumte, unter welchen seine Schätze verborgen lagen, und die übereingekommene Anzahl von Biberfellen hervorzog.

Da bald hierauf einige Leute des Captains kamen, so ließ er sich ein anderes Pferd satteln, das er bestieg und wegritt, nachdem er vorher einige kleine Geschenke unter die Bewohner verteilt hatte.

Während seines ganzen Besuches hatte das kleine Mädchen seine großen, schwarzen Augen starr und fast ohne zu blinzeln, auf ihn gerichtet gehalten und jede seiner Bewegungen mit Furcht und Staunen beobachtet. Als er wegritt, sah sie ihm bewegungslos wie eine Statue, nach. Jedoch über seine Bekanntschaft erfreut, bestieg ihr Vater sein neu erkauftes Pferd und folgte dem Zug des Captains, von dem er während seines Aufenthaltes in der Nachbarschaf, ein treuer und nützlicher Anhänger blieb.

Die Furchtsamkeit eines beunruhigten Gewissens zeigte sich in dem Benehmen von einem der Leute des Captains, der bei der Expedition nach Kalifornien gewesen war. Er hatte während ihres Umgangs mit den harmlosen Leuten dieses Ortes Angst und Unruhe gezeigt. Während seine Kameraden offenherzig und vergnügt mit den Eingeborenen verkehrten, ging er mit unruhigem, arglosem Blick umher, jedes gemalte Gesicht oder Gestalt forschend anblickend, und fuhr oft vor dem sanftmütigen, harmlosesten Wilden zurück, der sich ihm plötzlich näherte und der ihn ehrerbietig als ein höheres Wesen ansah. Dennoch war dies ein sonst sehr verwegener Bursche, der sowohl keine Gefahr scheute noch vor einem Gefecht erbleichte.

Endlich bat er den Captain Bonneville um Erlaubnis, sich diesen Menschen etwas entfernt aufhalten zu dürfen. Ihre auffallende Ähnlichkeit mit den Menschen an dem Ogden, sagte er, ließ ihn immer fürchten, dass ihn welche bei dieser Expedition gesehen hätten und vielleicht eine Gelegenheit suchten, sich zu rächen. Selbst nach diesem pflegte er, solange sie sich in dieser Gegend aufhielten, sich wegzuschleichen, und beiseite zu halten, wenn sich Eingeborene näherten.

»So sind«, bemerkt Captain Bonneville, »die Eindrücke des Schuldbewusstseins, selbst auf den herumstreifenden Trapper der Wildnis, der sonst wenig weiter zu fürchten hat als die Bisse seines eigenen schuldigen Gewissens.«

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