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Hexengeschichten – Die Hexenkönigin – Kapitel 1

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Die Hexenkönigin
Kapitel 1

An einem Freitagabend saß nach getaner Arbeit Lurz, der Knecht des Bauern Friedrich Strumpf, im Dorf Kesselbrunn bei Köln am Rhein, in der Wohnstube und las in einem Gebetbuch, wie er des Öfteren zu tun pflegte, denn der Lurz war ein treuer und fleißiger, aber dabei sehr stiller und in sich gekehrter Mensch, der dem Wirtshausgehen ganz abhold war und seine Feierstunden meist dazu verwendete, in der Bibel oder in Andachtsbüchern zu lesen. Die Magd Barlies war noch in der Küche oder im Kuhstall beschäftigt, der junge Sohn des Hauses, ein Knabe von elf Jahren, Andres geheißen, dehnte sich schläfrig auf der Ofenbank, und der Herr des Hauses, Friedrich Strumpf, war nicht daheim, der saß im Wirtshaus bei den Karten- und Schnapsbrüdern.

Die Hausfrau hatte im Oberstock des Hauses geschaltet und gewaltet, kam nun mit Geräusch herab in die Stube und fuhr den Knaben scheltend an: »Na, was räkelst du dich noch herum? Geh ins Bett, wenn du müde bist!« Und zum Knecht gewendet, sagte sie: »Schon fertig, Lurz? Alles besorgt, dass schon Licht angebrannt werden muss, wenn die Hühner schlafen gehen, um nur geschwind die Nase in die Bücher zu stecken! Ich möchte nicht immer so sitzen und lesen und mich versimulieren!«

»Die Hühner zu Bett, Frau Grethe Strumpf – das Huhn – wollt Ihr sagen, Eure schwarze Glucke«, entgegnete ruhig der Knecht.

»Was geht Ihn die Glucke an? Es ist so eine Redensart!«, versetzte die Frau kurz angebunden.

»Und in solchen Büchern möchtet Ihr nicht lesen, Frau Grethe Strumpf!«, fuhr jener betonend fort und tippte auf sein Andachtsbuch.

»Ja solchen so wenig wie im Eulenspiegel, wie Er einer ist!«, fiel die rasche heftige Antwort der Herrin des Strumpfen-Hofes. »Man hat schon mehr Beispiele, dass die eifrigen Schriftenleser übergeschnappt sind und ins Narrenhaus gekommen sind.«

»Was hat man nicht alles für Beispiele, Frau Grethe Strumpf?«, gegenredete der Knecht. »Und wovon hat man nicht alles Beispiele? Zum Beispiel, Frau Grethe Strumpf, dass die Hühner um Neujahr Eier legen!«

»Was soll das nun wieder heißen?«, fragte die Frau. »Soll das nicht heißen, dass man sich um ungelegte Eier bekümmert?«

Der Eintritt der Magd unterbrach diesen Zwist, diese war nun auch mit ihrer häuslichen Arbeit fertig geworden und trat mit dem Spinnrad in die Stube.

»Gut, dass du kommst, Barlies!«, wandte sich Frau Strumpf an das Mädchen. »Leuchte den Andres hinauf ins Bett, danach kannst du, wenn du Lust hast, in die Nachbarschaft spinnen gehen, ich habe noch zu tun, alle meine Hände voll, denn morgen ist Markttag in Köln.«

»Eier-Markttag, Frau Grethe Strumpf!«, wiederholte beziehungsreich der Knecht.

»Lurz, mach Er mich nicht ganz böse, halb bin ich es schon!«, fuhr die Frau den Knecht an, als sie ihrem Knaben gute Nacht gesagt und die Magd mit diesem und einer entzündeten Lampe sich entfernt hatte. »Was soll es, was will – was hat Er mit seinem Huhn und seinen Eiern, und warum wiederholt Er beständig sein Frau Grethe Strumpf so höhnisch? Das sag Er mir, das will ich wissen!«

»Mit meinem Huhn, mit meinen Eiern, was ich damit habe, Frau Grethe Strumpf?«, fragte mit seiner beständigen Ruhe der Knecht Lorenz, abgekürzt Lurz geheißen. »Habe ich ein Huhn? Habe ich Eier, Frau Grethe Strumpf?«

»Dass Er die Kränk kriegt mit seinen Redensarten!«, eiferte die nun völlig zornig werdende Frau. » Für Ihn bin ich Frau Strumpf, nichts weiter …«

»Nichts weiter?«, unterbrach mit Ironie der Knecht, aber sie überhörte es und fuhr zu eifern fort.

»Er hat kein Recht, mich bei meinem Vornamen zu nennen, Er hat kein Recht, mir so naseweis zu begegnen, aus dem Haus soll Er mir! Das fehlte mir noch, dass ich mich von meinen Dienstboten meistern und verhöhnen ließe!«

Der Knecht Lorenz schwieg. Er senkte seine Blicke auf das Buch nieder und begegnete einer Bibelstelle, welche er halblaut, wie für sich las: »Ich wollte lieber bei Löwen und Drachen wohnen, denn bei einem bösen Weib.«

» Wohn er doch noch lieber beim Teufel!«, schrie Frau Strumpf.

»Ich glaube, bei dem wohne ich schon, oder Er bei uns, Frau Grethe Strumpf!«, war Lurzs Antwort.

»Ha! Das Wort soll Ihn gereuen! Soll Ihn gereuen, soll Ihn gereuen!«, drohte mit furchtbarer Heftigkeit fast heulend die Bäuerin. Dann entwich sie aus der Stube und schlug die Tür hinter sich schmetternd zu. Lange hörte Lurz sie draußen rumoren und belfern.

Nun kam die Magd wieder herunter, nahm ihr Spinnrad und ging aus dem Haus.

»Ei ei, hm, hm!«, machte Lurz und schüttelte bedenklich den Kopf. »Wenn es wahr wäre, wenn es doch wahr wäre, was die Nachbarn einander zuraunen, was durchs Dorf flüstert, was ich unlängst auch drüben in den Nachbardörfern hörte, was die Leute munkeln und nicht laut sagen wollen, dass die Bäuerin auf dem Strumpfen-Hof eine He…  Gott sei bei uns! Dass es nicht mit rechten Dingen zugehe, wie sie jeden und jeden Markttag einen Korb voll Eier nach Köln bringt, zu Zeiten, wo die Hühner anderer Leute nicht legen, und dass sie ein Teufelshuhn haben müsse. Denn dass unsere anderen gewöhnlichen Hühner jetzt nicht legen, das steht fest – es kann nur die kohlpechschwarze Glucke sein, die immer gluckt, als ob sie Junge hätte, und hat doch keine. Na warte, dem Ding wollen wir bald auf die Spur kommen!«

Lurz horchte hinaus; es war still geworden. War Frau Strumpf vielleicht hinauf in die Oberstube? Da hätte der Lurz sie hinaufgehen hören. War sie in der Küche? Oder wo sonst?

Lurz entzündete die Lampe in seiner bereitstehenden Stalllaterne und ging hinaus zu den Ställen, um noch einmal nach dem Vieh zu sehen, ob es richtig angebunden und ihm nichts mangle. Es war alles in Ordnung, die Rosse und die Wiederkäuer hatten sich gemächlich auf die frische Streu gelegt und pflegten der Ruhe. In einem der geräumigen Ställe war das große Hühnerhaus, vom Hof aus dem Geflügel durch eine Hühnerleiter zugänglich. Lurz überzeugte sich, dass das Türlein verschlossen war, damit nicht Fuchs noch Marter noch Iltis hineindringe. Dann trat er vom Stall aus in das Haus selbst ein und leuchtete hinein. Da saßen in langen Reihen auf ihren Stangen die Hühner und Hähne schlafend, ruhig beieinander, die Köpfchen unter die Flügel gesteckt. Eins und das andere wachte auf und scheute vor dem Lichtschein. Lurz übersah die Zahl – ein Huhn fehlte – die schwarze Glucke. Und wieder schüttelte der fromme Knecht bedenklich das Haupt.

Er ging nun zum Wohnhaus über den Hof zurück. Im Borbeigehen gewahrte er durch eine Klunse in dem vom Winter her noch verstopften Kellerloch einen Lichtschimmer. Die Bäuerin war also im Keller. Was tat Frau Strumpf noch im Keller? Die Milch war beschickt – das war die Sache der Magd. Abgerahmt wurde erst am Morgen. Bier heraufzuholen, war kein Anlass, denn Frau Strumpf trank keins, Lurz bekam keins und der Bauer saß im Wirtshaus und kam meist ohnehin mit zu viel Getränk im Kopf und Leib spät genug nach Hause.

Was hatte Frau Grethe Strumpf nun noch im Keller zu tun?

Lurz stellte seine Laterne zur Seite und schlich sich leise an die Klunse, durch die er hinunter sehen konnte. Und da sah er Frau Grethe Strumpf stehen.

Frau Grethe Strumpf stand vor einem alten Korb, der über etwas gestülpt war, und hatte neben sich einen neuen Korb, den sie kurz zuvor mit Häckerling gefüllt hatte. In der rechten Hand hielt sie eine Gerte.

Nun stülpte sie den alten Korb um und schüttete über die Hälfte des Häckerlings aus dem neuen Korb in den alten.

Unter dem alten Korb saß etwas – es war schwarz – es war die schwarze Glucke.

Nun gab Frau Stumpf der schwarzen Glucke mit der Gerte einen sanften Schlag. Es drang der Schall davon vernehmlich herauf und klang, als ob man leise mit einem dünnen Rütchen auf einen gepolsterten Stuhl schlägt.

Da gluckste die Glucke, schwoll auf, blähte sich und eiskaltes Entsetzen überrieselte den Knecht.

Das war kein Huhn, eine scheußliche Kröte war es, ja groß wie ein Huhn.

Und die Kröte legte ein Ei, so groß und so weiß wie ein Hühnerei. Frau Strumpf nahm das Ei und legte es in den Korb mit Häckerling, dann tüpfte sie wieder das grause Huhn mit der Gerte und abermals fiel ein Ei.

So ging es fort. Als eine Lage Eier so dicht beisammen war, dass keins mehr dazwischen ging, schüttete Frau Strumpf eine Lage Häckerling darüber und begann von Neuem ihre Kunst und Arbeit.

Der Knecht blieb weiter lugend stehen; es war ganz still und einsam. Der Strumpfen-Hof lag ohnehin ein wenig abseits vom Dorf. Die Nacht war sehr dunkel. Lurz zählte die Eier, welche der seltsame Vogel da unten legte, und zählte dreihundert. Dabei überlief ihn Schauer auf Schauer. Doch hielt er es aus.

Als das dritte Hundert voll war, stülpte Frau Strumpf den alten Korb wieder über das schwarze Ungetüm, deckte die obersten Eier vollends mit Häckerling und band den Eierkorb mit einem Tuch zu.

Mittlerweile schlich sich Lurz in das Haus, in die Stube, löschte sein Laternenlicht, saß und las, als Frau Strumpf wieder in die Wohnstube trat.

»Immer noch so fleißig überm Studieren und Beten?«, höhnte die Frau. »Ich erlebe es, dass der Lurz noch ein Pfarrer wird.«

»Ihr seid ja auch noch allzeit fleißig auf h’rum!«, gegenredete Lurz. »Ich erlebe es Frau Strumpf, dass Frau Strumpf …«

Lurz gab sich mit der Hand einen Patsch auf den Mund und schwieg.

»Nun, was erlebt Er? Heraus mit der Sprache, ich will es wissen!«, eiferte die Frau.

»Gedanken sind zollfrei, Frau Strumpf!«, entgegnete Lurz, »Schweigen und Denken kann niemand kränken! Es hat sich eh einer verredet als verschwiegen. Ich will schlafen gehen; nach getaner Arbeit ist gut feiern, absonderlich wenn die Arbeit gut war. Gute Nacht, Frau Strumpf, wo möglich – gute Nacht!«

»Auch so viel, auch so gute Nacht!«, brummte kurz die Bäuerin und blieb allein in der Stube.

»Der Kerl hat was – er weiß was – er hat sich schon verredet – ich bin nicht so dumm! Merke ich, dass er zu viel weiß, so muss er sterben!«, war nach Lurzs Weggang das Selbstgespräch der Strumpfen- Hof-Bäuerin. Sie murmelte darauf noch viel Unverständliches durch die Zähne.

Nun kam etwas unsicheren Schrittes und Trittes der Bauer Friedrich Strumpf aus dem Wirtshaus nach Hause. Frau Grethe verschloss das Haus und das Ehepaar suchte die Ruhe.

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