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Ein Ostseepirat Band 1 – Eine neue Überraschung

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman
Erster Band
XV.

Eine neue Überraschung

Clara hatte den Kapitän keineswegs für ein Gespenst gehalten; eher hätten es noch die anderen tun können wie sie.

Wer liebt, hofft, das ist eine bekannte Sache. Aus diesem Grund allein schon hätte Clara an dem Tod Dyks zweifeln können, solange sein Leichnam nicht gefunden oder sein Tod nicht auf andere unumstößliche Weise festgestellt worden war.

Indessen hatte sie noch einen anderen Grund, die Hoffnung, Dyk einst wiederzusehen, nicht ganz schwinden zu lassen, und dieser lag in einer Mitteilung des alten Nehls.

Nehls hatte nämlich ebenso gut wie Sophie die Vorliebe der jungen Dame für schwarze Bänder bemerkt.

Für gewöhnlich zwar nicht berufen, eine Unterhaltung mit den Gliedern der herrschaftlichen Familie zu führen oder sie anreden zu dürfen, hatte der Alte es dennoch einmal gewagt, als sich die Gelegenheit eben bot.

»Es gefällt Ihnen wohl nicht mehr auf unserer lieben Insel, gnädiges Fräulein?«, begann er, »man sieht Sie stets nur betrübt und traurig.«

»O, doch!«, antwortete Clara, »ich wüsste wenigstens nicht, dass ich mir schon dergleichen hätte merken lassen!«

»Das wohl nicht«, fuhr der Lotse fort, »doch Sie zeigen außerdem so viel Schwarz, wie alle Damen auf ganz Rügen zusammen nicht, und das, meine ich, müsste etwas zu bedeuten haben.«

Clara errötete. »Ich muss gestehen, dass ich eine Vorliebe für Schwarz habe«, sagte sie ausweichend.

»Nun, jeder Mensch hat so etwas, woran er besonders hängt«, sagte der alte Mann. »Ich selbst hätte seit einiger Zeit etwas Schwarz anlegen mögen, wenn es wahr wäre, was man unlängst gesprochen hat.«

»Ihr meint wohl die Vorfälle in Stockholm?«, fragte Clara.

»Nein, gnädiges Fräulein!«, sagte der Lotse, »es handelt sich um den Tod eines Mannes, den ich gern hatte.«

Claras Antlitz wurde von Neuem, und zwar noch tiefer, durch ein glühendes Rot überzogen.

»Kapitän Dyk!«, sagte sie fast unwillkürlich.

»Den meine ich«, sagte Nehls, »aber er ist nicht tot!«

»Wie – nicht?«, rief Clara, »was wisst Ihr von dem Kapitän?«

»Eigentlich nichts«, fuhr jener fort, »ich weiß nur, dass er nicht tot sein kann. Ertrunken soll er sein, welche Torheit, ein solcher Mann ertrinkt nicht so leicht!«

Clara hatte nach diesen Worten ihre Überlegung wieder erlangt. Sie hatte sich indessen schon zu sehr verraten und forschte deshalb weiter.

Doch Gewissheit konnte ihr Nehls nicht geben. Er führte zwar seine, und wie er meinte, guten Gründe an, sie zu überzeugen. War es nun hiermit auch nur schwach bestellt, so begann Clara doch, wieder zu hoffen. Diese Hoffnung sollte sie auch nicht betrügen.

Nur war das Erscheinen Dyks zu plötzlich, ohne alle Vorbereitung, namentlich nach einer in Schrecken durchwachten Nacht.

»Es ist dein Retter in Person, Mädchen«, fuhr der Major fort, »erhole dich – Kapitän, wie ich schon sagte, es hieß, Sie wären ertrunken. Sie werden uns das später erklären, wie es gekommen ist.«

»Gewiss!«, sagte Dyk, »ich kann es schon jetzt.«

Dyk erzählte, wie er an Land zu tun gehabt hatte und dort aufgehalten sei. Er habe diese Landung absichtlich ein Geheimnis sein lassen wollen.

»Geht uns auch nichts an!«, meinte der Major.

Clara erholte sich inzwischen wirklich. Sie bat alle um Verzeihung wegen des ihnen verursachten Schreckens. Man entschuldigte gerne. Nur die Mutter warf Clara einen so scharfen Blick zu, dass sie dabei errötete.

»Wir müssen gleich ein Abkommen treffen, Kapitän«, sagte dagegen der Major, »ich bin nämlich nicht willens, Sie so schnell wieder fortzulassen. Woher kommen und wohin gehen Sie, lieber Dyk?«

Dyk stutzte einen Moment. »Aus Schweden«, entgegnete er dann langsam, »ich gehe nach Greifswald. Nachdem mir gestern Abend die Stenge gebrochen war, konnte ich den Sturm nicht länger abwettern und musste hier Schutz suchen!«

»Nun, sehen Sie, teurer Kapitän!«, fuhr jener fort, »das ist eine Bestimmung des Schicksals. Zurück können Sie in diesem Jahr doch nicht mehr. Ihr Schiff liegt hier so gut wie auf dem Ryk – also bleiben Sie den Winter bei uns!«

»Lassen Sie uns später darüber sprechen«, sagte der Kapitän nach einer kurzen Pause, »das hängt nicht von mir ab.«

»Nun, wie Sie wollen, doch so leicht kommen Sie nicht davon – Frau, lasse auftragen, was ganz Grieben hergeben kann!«

Während die Frau ging, den Frühstückstisch herrichten zu lassen, zogen sich die Töchter bescheiden zurück. Der Major nahm dagegen den Gast an ein Fenster und fuhr in der alten Weise und Redseligkeit zu sprechen fort. Nach kurzer Zeit bat die Frau, zu Tisch zu kommen.

Die Unterhaltung während des Mahles wurde lebhaft, besonders als noch der Prediger erschien, welcher eigentlich Bestimmungen über die Verteilung der von dem Schiff gelieferten Kleidungsstücke und dergleichen einzuholen gekommen war, aber von dem Major zu Tisch genötigt wurde. Der Gegenstand derselben bildete die Feuersbrunst, ihre vermutliche Entstehungsart, ihre Unterdrückung und so weiter, wobei der Pastor sich reichlich in Danksagungen gegen den Kapitän erging.

»Recht so!«, rief der Major, »fahren Sie nur fort, lieber Huldreich. Damit das Maß voll werde, helfen Sie mir, den Kapitän zu bereden, dass er bei uns überwintere.«

»Das will ich gewiss tun!«, antwortete der Prediger, »oder noch besser, wir wollen die Damen bitten, den Herrn Kapitän umzustimmen. Ich meine, deren Wünsche dürften hierbei am schwersten ins Gewicht fallen!«

»Wahrhaftig!«, rief der Major »daran habe ich noch gar nicht gedacht. Frau, Kinder, ihr sorgt mir, dass der so werte, flüchtige Gast bleibt, wenigstens wiederkehrt, um uns einige Wochen zu schenken!«

Schon bei den Worten des Predigers war Clara errötet. Bei der Rede des Vaters schwand die Röte zwar, doch sie schwieg, während ihre Schwester und Mutter sofort begannen, den Wünschen des Vaters nachzukommen.

Da krachte plötzlich ein Kanonenschuss durch das Tosen des Wetters draußen. Dyk hob langsam den Kopf.

»Was ist das?«, fragte der Major.

»Ich habe vergessen, zu sagen, dass noch ein Schiff in Sicht gekommen ist!«, antwortete der Prediger.

Dyk horchte hoch auf. In demselben Moment fast erschien der Verwalter des Gutes.

»Die Brigg des Herrn Baron Staelswerd!«, meldete derselbe, »hat eben um den Dornbusch gelegt und ist am Entendorn vor Anker gegangen. Ein Boot kommt zu Lande!«

»Da haben wir es!«, rief der Major sichtlich ärgerlich.

»Also der Herr Baron sind wieder da?«, meinte der Prediger ebenso sichtlich erfreut.

Die Damen warfen sich fragende Blicke zu, Clara so bleich wie eine Leiche, während ihr Blick flüchtig das Gesicht des Kapitäns Dyk streifte.

Dieser hatte einen Moment bei der Meldung des Verwalters die in seinen Händen befindliche Gabel und das Messer krampfhaft umfasst, dann jedoch fuhr er kalt und ruhig fort, das vor sich habende Stück Schinken zu zerschneiden.

»So lange habe ich diesen Sturm im Stillen gesegnet!«, meinte der Major, »doch der Wind, welcher uns den feinen Herrn zurückweht, kann kein guter Wind sein … Vielleicht wird er den Winter bleiben.«

Bis auf den Pastor, unangenehm durch das Eintreffen des Grafen berührt, ließ die Tischgesellschaft nun die Unterhaltung bis auf einzelne Bemerkungen über die mutmaßlichen Ursachen der Rückkehr desselben fallen. Nach einer Stunde ungefähr wurde der Graf gemeldet.

»Wird mir sehr angenehm sein!«, antwortete der Major dem meldenden Diener.

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