Stephen King – Später
Horror, Hardcover, Heyne Verlag, München, März 2021, 304 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 9783453273351. Auch als E-Book und Hörbuch erhältlich.
Der junge Jamie Conklin verfügt über eine besondere Fähigkeit: Er kann tote Menschen sehen. Die Verstorbenen erscheinen ihm wie ganz normale Leute, mit denen er auch sprechen kann, die sich aber wenige Stunden oder Tage nach ihrem Tod aufzulösen und zu verschwinden scheinen. Im toten Zustand müssen die Verblichenen zudem immer die Wahrheit sagen, was Jamie nicht immer gut gefällt, denn Ehrlichkeit kann manchmal sehr verletzend sein.
Er wohnt zusammen mit seiner Mutter Tia, die als Literaturagentin tätig ist, in einem schicken Appartement in Manhattan. Sie hat die Agentur ihres an Alzheimer erkrankten Bruders übernommen, dessen Heimunterbringung jede Menge Kosten verursacht. Tia lebt in einer Beziehung mit der Polizistin Liz, die erst nichts von Jamies Gabe weiß. Als die Ein-Frau-Agentur durch die Bankenkrise jede Menge Geld verliert und auch noch der zugkräftigste Autor Regis Thomas stirbt, bevor er seine unglaublich erfolgreiche Historien-Grusel-Schmonzetten-Serie vollenden kann, sieht Tia nur einen Ausweg, um das dringend benötigte Geld für die Vermittlung des Manuskripts zu kommen: Ihr Sohn muss den Geist des Autors zur Story befragen und sie muss den Roman selbst vollenden.
Der Plan gelingt, wobei Liz nun ebenfalls weiß, über welche Fähigkeit Jamie verfügt. Das wird Jamie bald zum Verhängnis. Und nicht nur das: Bei einer Begegnung mit einem Toten, den Jamie aus bestimmten Gründen zu einer Aussage zwingen muss, geschieht etwas mit dem Geist. Er will sich nicht auflösen – und macht Jamie fortan das Leben zur Hölle.
Stephen Kings neuester Roman Später erschien, wie seine Werke Colorado Kid (2005) und Joyland (2013), in den USA beim Verlag Hard Case Crime. Inhaltlich bietet der Roman auf für King sehr knappen 300 Seiten viele bekannte Erzählfacetten, die den Meister des Horrors und des genauen Beobachters amerikanischer Gegenwart ausmachen. Das beginnt beim jungen Protagonisten, der im Laufe der Zeit einen väterlichen, viel älteren Mentor findet und geht über die Beschäftigung mit Literaturthemen (Agenten und Autoren) bis hin zum Finale und dem unbestimmten Bösen, wobei es King hier gelingt, auf eine unerwartete Weise auf einen seiner größten und bekanntesten Romane zu verweisen, ohne dass dieser Kunstgriff erzwungen oder deplatziert daherkommt.
Dass die Prämisse erst einmal wie vom Film The Sixth Sense geklaut wirkt, thematisiert King amüsanterweise selbst früh in dem Roman, entwickelt seine Idee aber konsequent weiter, wobei er jedoch nicht weit vom zu erwartenden Schema abweicht. Zwar braucht Später etwas, um in die Gänge zu kommen, durch die für King starke Limitierung auf 300 Seiten ist er aber auch dazu gezwungen, nicht allzu weitschweifig zu werden – was dem Text spürbar gut tut. Spätestens im toll inszenierten Finale ist King hier wieder so spannend wie zu seinen besten Zeiten. Auch wenn seine Figuren in der Anlage dieses Mal nicht sehr originell sind, so sind sie doch wieder richtig gut charakterisiert und lebensecht dargestellt.
Fazit:
Mit Später gelingt Stephen King in für ihn ungewohnt straffer Form ein pointierter Roman, der sowohl bildstarke als auch psychologische Horror-Elemente beinhaltet. Bonuspunkte gibt es für die Selbstreferenz, Abzüge jedoch für eine kleine, unnötige Wendung im Epilog, die etwas in Ansätzen erklären will, das gar nicht erklärt werden müsste. Zusätzlich tut das kompakte Romanformat um die 300 Seiten, gelegen zwischen langem Epos und Novelle, wie schon bei Joyland Kings Erzählkunst richtig gut.
(sv)
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