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Hexengeschichten – Furia infernalis – Kapitel 7

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Furia infernalis
Kapitel 7

Das grauenhafte dunkle Wesen, welches unter dem alten Schrank tief in einem Winkel am Boden des Schrankes gesessen hatte, durch die Stube geglitten war, am Pfosten des Bettes hinauf und über die Kopfkissen, berührte nun mit leisem Tasten das Haupthaar Basiyls.

Ob dieses Wesen Augen hat, um zu sehen, ob es fühlt? Wer kann das sagen. Seine Stelle aber, die es sucht, findet es; es verschwindet ganz im vollen Haar des Schläfers, ohne die Haare mehr zu bewegen, als ein Federchen sie bewegen würde.

Nun sitzt es über der Stelle, wo über dem Stirnbein, Kreuznaht und Pfeilnaht der Hirnschale sich berühren. Aus seinem Körper dringt ein Stachel, spitz und fein, wie eine Nähnadel von englischem Stahl, hart wie Diamant. Es setzt die Spitze dieses Stachels auf die bezeichnete Stelle.

»Da sie mir den Sohn zu Tode gegeißelt hatten, da schwor ich ihnen Rache bei Muhamed und allen bösen Engeln des Abgrundes«, flüsterte Mataphka dem Theophiliy Nikodemonow zu. »Ich entwich, obwohl ich krank und nicht ganz bei mir war, aus dem Schloss, ging dem Wald zu und verlobte mich mit Freuden der Hölle, unter der Bedingung, dass sie mir ein Pfand der Rache an diesen unmenschlichen Peinigern geben. Ich entzündete ein Feuer, streute Kräuter hinein, sprach die Formeln, die meine Mutter mich am See Kom in der nogaischen Steppe sprechen gelehrt hatte und erflehte den heimlichen Wurm, der, wie die Sage geht, kein Geschöpf Gottes ist, welches Ding lebt ohne Nahrung, ohne Paarung und welches tausend Jahre alt wird, wenn es in hundert Jahren nur einmal ein Tröpflein Menschenhirn in seinen Stachel zieht. Da kam es aus der Luft herunter, ich fing es, fing es und trug es her zur Rache in dieses Haus, und hier in dieses Zimmer, darin der Teufel schlief, der meinen Sohn, wie ich nicht anders wusste, und er nicht anders wollte, erschlagen hatte – die Höllenfurie war es!«

In demselben Augenblick, als Mataphka diese letzten Worte sprach, stieß die Höllenfurie ihren Stachel tief in das Gehirn Basiyls. Es gellte ein überlauter entsetzlicher Todesschrei aus dessen Zimmer.

»Ungeheuer! Tochter der Hölle!«, schrie Theophil von eiskaltem Entsetzen übergossen und gab der Alten einen so fürchterlichen Stoß, dass sie rücklings überschlug und ihr Schädel hart auf den Estrich des Ganges schmetterte, und stürzte durch sein Zimmer in das Zimmer Basiyls.

Nikolay war aufgetaumelt, hatte den Armleuchter in der Hand, stand entsetzt, schlaftrunken und ratlos da. Basiyl hatte beide Hände eisenfest auf sein Haupt gedrückt, sein ganzer Körper warf sich in Todeszuckungen auf dem Lager um und um, aber die fest auf das Haupt gedrückten Hände ließ er nicht los – und noch ein Mark durchschütternder gellender Schrei, der durch das ganze Schloss drang, dann ein kurzer letzter Seufzer, und Basiyl war tot.

Den alten Gutsherrn weckte des einzigen Sohnes letzter Todesschrei aus dem friedlichen Schlummer, auch Agaphonika hörte diesen Schrei. Die entsetzliche Verwirrung, der grenzenloseste Jammer füllte bald das Schloss.

Der alte Gutsherr wollte in seinem ungeheuren Vaterschmerz den ungehorsamen Haushofmeister erschießen. Agaphonika aber sprach ernst: »Denk an Nikolay, Vater, dessen Tod dich reute, weil er unschuldig war. Die vermeinte Blutschuld hat Gott von deinem Haupt genommen; jener, der dort an deines Sohnes Bett in Tränen zerfließend kniet, ist Nikolay. Lade keine neue Schuld auf dich! Des Bruders Wille zwang Theophiliy Nikodemonow!«

Als der Arzt den Leichnam Basiyls besichtigte, gelang es ihm nur mit Mühe, die wie mit Schrauben auf den Schädel fest haftenden Hände zu lösen. Unter ihnen lag, zerquetscht und breitgedrückt, scheußlich, scheußlich, scheußlich anzusehen, die Höllenfurie – ein Geschöpf, eine Mischung von Tarantel, Skorpion und Stachelpfeilkrebs (Xiphonura). Der Arzt tat es in Spiritus.

Polycarpow Simeonowitsch versank in dumpfes Brüten, sein Geist umdunkelte sich, er lebte nicht lange mehr. Der Letzte seines Stammes, folgte er dem einzigen Sohne bald nach in die Gruft der Kalugin.

Mataphka hatte sich während der allgemeinen Verwirrung vom schweren Stoß und Fall aufgerafft, aber sie war und blieb verschwunden. Niemand sah sie wieder – zum Wald war sie hin, wo sie die Höllenfurie gewann.

Agaphonika bestellte nach ihres Vaters Tod den alten Haushofmeister Theophiliy Nikodemonow zum Verwalter ihres Hauses und Gutes, über welches sie verfügte, verband Nikolay mit Barynka und stattete dieses Paar reichlich aus, gab allen ihren Leibeigenen die Freiheit nebst angemessenen Ländereien ihres Gutes und rüstete zu einer großen Reise.

Als sie all ihren weinenden Dienern und Dienerinnen Lebewohl gesagt hatte, stieg sie in den Reisewagen. Als Gregor Constantinow, der alte Leibkutscher fragte, wohin er die Rosse lenken solle, sprach sie tonlos: »Nur immer die Straße nach Kiew.«

Dort nahm Agaphonika Polycarpovna in einem der zahlreichen Klöster den Nonnenschleier.

Das Schloss ging in andere Hände über. Die Sage, dass die Höllenfurie darin gehaust habe, wurde bald zu der, dass sie noch darin wohne. Diese Hausgemeinschaft mochte niemand teilen – daher wurde der Bau verlassen und verfiel endlich ganz – nun ist fast jede Spur davon verschwunden.

Aber im naturhistorischen Museum zu Krementschuk zeigt man noch das unbekannte, unbeschriebene, unbestimmte Tier in Spiritus, wagt jedoch nicht, es beim wahren Namen zu nennen.

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