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Der Hexer GK 579

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer
Das Haus am Ende der Zeit

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 16. Oktober 1984, 64 Seiten, 1,60 DM, Titelbild: Dave Pether
Erschienen als Gespenster-Krimi Nr. 579

Von außen hatte das Haus nur groß und finster ausgesehen; vielleicht ein ganz kleines bisschen düster, wie es die Art alter, einsam stehender Herrenhäuser nun einmal ist; mit einer Spur von Bedrohung und dem leichten Hauch des Unheimlichen, der von seinen von den Jahrzehnten geschwärzten Mauern ausging. Aber trotz allem nicht mehr als eben ein Haus, das seit einem Menschenalter vergessen und seit zweien verlassen hier mitten im Wald stand. Das war das Äußere gewesen. Innen war es unheimlich. Unheimlich und – gefährlich …

Leseprobe

Jenny vermochte das Gefühl nicht in Worte zu kleiden. Sie waren stehengeblieben, nachdem Charles das morsche Türschloss erbrochen und einen Flügel des gewaltigen Portals mit der Schulter aufgedrückt hatte. Ein schmaler Streifen grauer flackernder Helligkeit sickerte hinter ihnen in die Halle, vielleicht das erste Mal seit Jahren, dass Licht die ewige Nacht hier drinnen erhellte, und durch das dumpfe, rasche Hämmern ihres eigenen Herzens glaubte Jenny das Huschen kleiner krallenbewehrter Pfoten zu hören. Ratten, dachte sie entsetzt. Natürlich. Das Haus mochte von Menschen verlassen sein, aber die Ratten und Spinnen hatten es erobert und zu ihrem Domizil gemacht. Sie hasste Ratten.

Aber das war nicht alles. Irgendetwas Seltsames, körperlos Drohendes nistete in dem alten Gemäuer, etwas, das sie weder hören noch sehen oder riechen, dafür aber umso deutlicher spüren konnte.

»Lass … lass uns wieder gehen, Charles«, sagte sie stockend. »Ich … ich fürchte mich.« Sie flüsterte, als hätte sie Angst, mit dem Klang ihrer Stimme die Geister dieses Hauses aufzuwecken, aber ihre Worte füllten die hohe, in undurchdringliche Schwärze getauchte Halle trotzdem mit kichernden Echos aus. Ein rascher, unangenehmer Schauer huschte auf eisigen Spinnenfüßen über ihren Rücken.

Charles schüttelte stumm den Kopf, berührte sie flüchtig am Arm und versuchte zu lächeln. »Unsinn«, sagte er. »Es gibt hier nichts, wovor du Angst zu haben brauchtest. Das Haus steht seit fast fünfzig Jahren leer. Als Kind habe ich oft hier gespielt. Wir haben es als Versteck benutzt, aber das ist lange her.«

Jenny schauderte. Ohne dass sie sagen konnte, warum, verstärkten Charles’ Worte ihre Furcht noch. Ihr Herz schlug schneller. Speichel sammelte sich unter ihrer Zunge. Sie hatte das Gefühl, dass ihr gleich übel werden würde. Ihre Handflächen wurden feucht.

»Ich will nicht hierbleiben«, sagte sie noch einmal. »Bitte, Charles!«

Charles seufzte. Sein Blick glitt zurück durch die Tür und heftete sich für einen Augenblick auf den nahen Waldrand, der rasch im dunkler werdenden Grau der Dämmerung versank. »Wir können nicht weiter«, sagte er nach einer Weile. Seine Stimme hörte sich gleichzeitig entschlossen wie bedauernd an. »Sie suchen garantiert die Hauptstraße ab, und ich gebe dir Brief und Siegel, dass sie jedes Gasthaus im Umkreis von fünfzig Meilen kontrollieren werden.« Er lächelte. »Wir können nicht draußen im Wald übernachten, das weißt du genau. Und es ist nur für eine Nacht.« Er schüttelte den Kopf, atmete hörbar ein und sah sich suchend um. »Irgendwo hier muss es eine Kerze geben«, murmelte er. »Früher lagen Dutzende davon hier herum.«

»Charles, ich …«

»Bitte, Jenny«, unterbrach sie Charles. »Morgen Abend um diese Zeit sind wir Mann und Frau, und keine Macht der Welt kann uns noch trennen. Aber solange wir noch nicht offiziell verheiratet sind, müssen wir vorsichtig sein.« Er trat auf sie zu, legte die Hände auf ihre Schultern und küsste sie flüchtig auf die Stirn. »Du weißt doch genau, was geschieht, wenn deine Eltern uns erwischen, Schatz«, flüsterte er.

Jenny nickte zögernd. Natürlich wusste sie es. Dass sie es wusste, war ja gerade der Grund, aus dem sie sich entschlossen hatten, wie eine moderne Ausgabe von Romeo und Julia miteinander durchzubrennen und in Gretna Green zu heiraten. Sie war erst achtzehn, und sie wusste, dass ihre Eltern alles in ihrer Macht Stehende tun würden, sie von Charles fernzuhalten. Sie hatten mehr als einmal damit gedroht, sie in ein Internat auf dem Kontinent zu schicken, wenn sie sich weiter mit Charles traf. Und ihr Vater war kein Mensch, der leere Drohungen ausstieß.

Sicher, Charles hatte recht, mit jedem Wort. Und trotzdem bedauerte sie ihren Entschluss fast, seit sie dieses unheimliche Haus betreten hatten.

Charles löste sich behutsam von ihr, drehte sich herum und ging mit vorsichtigen Schritten tiefer in das Haus hinein. Jenny blieb neben der Tür stehen, achtsam darauf bedacht, den winzigen Bereich von Helligkeit hinter dem Eingang nicht zu verlassen. Charles hantierte eine Weile im Dunkeln herum, fluchte gedämpft und kam – nach Sekunden, die ihr wie Ewigkeiten erschienen – zurück. Seine Kleider waren verdreckt und staubig, und auf seiner linken Wange glänzte ein dünner, blutiger Kratzer. Aber er trug eine Kerze in der Hand. Mit einem triumphierenden Grinsen ließ er sich neben Jenny in die Hocke sinken, stellte die Kerze zu Boden und kramte eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche. Nach wenigen Augenblicken schlug ein gelbes, flackerndes Flämmchen aus dem Docht und trieb die Dunkelheit um ein paar Schritte zurück.

Charles richtete sich auf, gab Jenny die Kerze und schob die Tür wieder zu. Das schwere, annähernd drei Meter hohe Türblatt bewegte sich nur widerwillig. Es war verzogen und verquollen, und Charles keuchte vor Anstrengung, als es ihm endlich gelungen war, die Tür wieder zu schließen. Mit einem dumpfen, unheimlich widerhallenden Laut rastete das Schloss ein.

»Gehen wir nach oben«, schlug Charles vor. »Es gibt ein paar Zimmer, die noch ganz in Ordnung sind. Komm.« Er nahm Jenny die Kerze wieder ab, machte eine aufmunternde Kopfbewegung und ging auf die breite Freitreppe zu, die sich im hinteren Teil der Halle erhob.

Jenny folgte ihm mit klopfendem Herzen. Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie im schwachen Schein der Kerze erstaunlich weit sehen. Die Halle war gefüllt von zerbrochenen Möbelstücken, Staub und Unrat, der sich im Laufe der Jahrzehnte hier gesammelt hatte. Überall hingen Spinnweben wie graue Vorhänge, und von der Decke fielen graue Staubfäden bis fast zum Boden herab. Auf den Treppenstufen lag Rattenkot, und aus einem finsteren Winkel schlug ihnen leichter Verwesungsgeruch entgegen. Dieses Haus ist kein Haus, dachte Jenny schaudernd, sondern ein Grab.

Hintereinander gingen sie die Treppe hinauf. Charles schritt schnell aus, und Jenny musste sich sputen, um mit ihm Schritt zu halten und nicht zurückzufallen. Sie erreichten das obere Ende der Treppe und traten auf eine breite, auf einer Seite offene Galerie hinaus, von der zahllose Türen abzweigten. Jenny glaubte Geräusche zu hören, das Wispern und Flüstern von Stimmen, das Schlurfen schwerer Schritte, Atmen, ein leises, unglaublich böses Lachen …

Für einen Moment stieg Panik in ihr hoch, aber sie drängte sie zurück und ballte die Fäuste, so fest, dass sich ihre Fingernägel schmerzhaft in ihre Handflächen gruben.

»Charles«, flüsterte sie. »Ich will hier raus.«

Charles blieb stehen, drehte sich langsam zu ihr herum und sah sie an. Sein Gesicht war ernst, und Jenny glaubte das leise Flackern von Angst in seinen Augen zu erkennen.

»Ich will weg«, sagte sie noch einmal und etwas lauter als zuvor. »Bitte, Charles. Lieber übernachte ich im Wald als in diesem Haus.«

Das Wispern und Flüstern wurde lauter. Jemand lachte, ganz leise und voller boshafter Vorfreude. Charles’ Mundwinkel zuckten. Die Kerze in seiner Hand begann zu zittern, und die Flamme warf zuckende Lichtreflexe und huschende Schatten auf die Wände.

Schatten, die sich auf sie zubewegten, sie einzukreisen begannen …

»Bitte«, sagte sie noch einmal. »Ich … ich bleibe nicht hier.«

Charles nickte. Die Bewegung wirkte abgehackt, und auf seiner Stirn glänzte plötzlich Schweiß, obwohl es hier drinnen eher zu kalt war. Und plötzlich begriff Jenny, dass er es auch hörte. Die Stimmen und Schritte waren keine Einbildung.

»Du … hast recht«, sagte er gepresst. »Vielleicht finden wir eine andere Stelle, an der wir übernachten …«

Er sprach den Satz nicht zu Ende. Die wispernden Stimmen verstummten. Das Lachen hörte auf, und die Schatten zogen sich zurück, hörten auf, hierhin und dorthin zu huschen, sondern bildeten einen massigen, undurchdringlichen Kreis rings um sie herum. Plötzlich war es still, unheimlich still.

Aber nur für einen Augenblick. Ein helles, wimmerndes Geräusch durchdrang die Stille, ein Laut, als würde eine Tür in uralten Angeln bewegt …

Jenny fuhr mit einer abrupten Bewegung herum. Ihre Augen weiteten sich entsetzt, als sie sah, wie die Türen hinter ihr eine nach der anderen aufgingen.

Im ersten Moment sah sie nichts; nichts außer schwarzen Schatten und körperlosen finsteren Dingen, die sich dahinter zu verbergen schienen. Dann kamen sie näher; lautlos, schleichend und unaufhaltsam.

Erst, als Jenny sah, was da mit lautlosen Bewegungen auf die Galerie hinausglitt, begann sie zu schreien …

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