Schauernovellen 8 – Die neue Griseldis 7
Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 2
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843
Die neue Griseldis
7. Kapitel
Freudiger Schauer
In einer Badestadt der alten europäischen, deutschen Philisterwelt. Ja, in einer Badestadt, meine schönen Leserinnen, fühlte ich den freudigen Schauer des Wiedersehens. Rümpfen Sie nur nicht die Näschen, weil Sie wissen, warum Felicie in eine Badestadt gereist ist. Eine Badestadt ist immer noch besser als …
»Sie müssen reisen«, sagte ein Arzt zu mir, den ich wegen häufigen Morgenschwindel konsultiert hatte.
»Du musst reisen«, sagte ein Freund zu mir, der da merkte, dass ich unglücklich verliebt war.
»Sie müssen reisen«, sagte ein Buchhändler zu mir, »damit Sie Reisenovellen schreiben können. Sie haben Talent dazu.«
Pardi! Talent zu Reisenovellen: Das ist ziehend; das die Reisekosten deckende mutmaßliche Honorar noch ziehender.
»Ich muss reisen«, sagte ich am Ende zu mir selbst, setzte mich in die Postkutsche und reiste.
In der Badestadt R., im Herzogtum A., sah ich sie wieder, Felicie die Hohe, Stolze, Angebetete – aber nicht nach jenem Morgen, wo ich sie Leipzig verlassen gesehen habe – nein nach sechs Monaten, in denen meine Ungeduld sich nicht vermindert, meine Gedanken sich nicht zerstreut, meine närrische Liebe aber sich gesteigert hatte. Ach, könnte ich nur den Leser so hinhalten, wie das Schicksal oder Felicie (im Grunde einerlei, denn die Frauen sind unser Schicksal) mich hingehalten hatte, von der Zeit, wo man den schönen Sommer erwartet, bis zu der Zeit, wo der Winter auf herbstlichem Laue daher rauscht. Da es nun aber nicht möglich ist, eine Novelle zu schreiben, von welcher der Leser das Ende erst nach sechs Monaten liest – warum ist denn das nicht möglich, ruft mir der Redakteur eines Wochenblattes für Stadt und Land zu. Geben Sie sie mir, ich teile sie in 26 Portionen, sodass der Leser die letzte Portion erst in sechs Monaten zu schlucken bekommt.
»Wie viel Honorar?«
»Honorar?«
»Ja, Honorar.«
»Ist Ihnen nicht die Ehre genug von 200 Abonnenten gelesen zu werden?«
»Nein! Nein! ich brauche Geld; die Ehre ist Nebensache.«
»Alsdann muss ich danken.«
Also die letzte Hoffnung, sechs Monate zu erobern, ist hin und ich muss also fortfahren: Sechs Monate waren verflossen: (das kann ich wohl ebenso gut sagen, wie Madame Birch-Pfeiffer zwischen einem ersten und zweiten Akt zwanzig bis dreißig Jahre hinrollen lässt.) Ich fühlte noch das unendliche Weh im Herzen wie an jenem Tag, wo Felicie Leipzig verließ. Ich hatte mich in verschiedenen Gauen Deutschlands herumgetrieben und sie, nach der all mein Sinnen und Trachten gerichtet war, nicht wiedergefunden.
Ach, wie lang ist’s, dass ich walle,
Suchend durch der Erde Flur?
Titan, deine Strahlen alle,
Sandte ich nach der teuren Spur …
So klagte ich oft im Postwagen, und die Mitreisenden sagten dann: »Der arme Mensch ist gemütskrank.«
Einmal reiste ich aber mit einem höchst langweiligen Commis voyageur, was unartige Studenten mit Ellenreiter übersetzen. Um mich seines faden Geschwätzes zu entledigen, stellte ich mich häufig schlafend. Weil aber auch dieses nicht half, fuhr ich plötzlich aus meinem Ecksitz, packte ihn an beiden Schultern und rief mit donnernder Stimme:
Hast du, Zeus, sie mir entrissen?
Hat von ihrem Reiz gerührt
Zu des Orkus schwarzen Flüssen
Pluto sie hinabgeführt?
Das wirkte. Auf der nächsten Station setzte sich dieser junge Mensch ins Cabriolet und eine junge, liebenswürdige Dame nahm neben mir Platz. Ich liierte eine Konversation mit ihr und erfuhr, dass sie zu Verwandten nach Leipzig reise. Sie kam von Frankfurt; ich aus des Thüringer Waldes tiefen Gründen. Im Erbprinzen in Weimar übernachteten wir, soupierten zusammen und am anderen Morgen sah ich mich genötigt, mein unberührt gebliebenes Bett mit der Hand aufzuwühlen. Als die Rechnung kam, hatte das Fräulein ihre Börse verlegt. Hm!, dachte ich und bezahlte. Wir kamen nach Leipzig. Den ersten Tag suchte ich Felicie, den zweiten auch, den dritten lockten mich Freunde in einen der Venus geweihten Tempel. Eine Priesterin desselben kredenzte mir die Schokolade – es war meine Reisegefährtin!
Ich fing an, daran zu denken, nicht mehr an Felicie zu denken, als ich eines Abends folgendes Gespräch an der Wirtstafel im Hôtel de Bavière hörte.
Ein Einheimischer fragte einen fremden Kaufmann: »Aber mein Gott, wo sind Sie denn so lange geblieben? Die Saison ist längst vorüber.«
»Ja, mein bester Herr N., ich war schon auf der Rückreise, als mir ein begegnender Arzt die eisenhaltige Quelle zu R. ganz insbesondere für meine Unterleibsleiden anpries. Ich machte einen kleinen Abstecher in die genannte Brunnenstadt und fand das Wasser so gut, dass ich getrunken habe, bis gestern.«
»Ist denn der Badeort so nahe?«
»Drei Stationen.«
»Und fanden Sie denn noch Kurgäste vor?«
»Es kommen überhaupt sehr wenig hin, wie an alle derartige Orte, wo Gesundheit oder vielmehr die Erlangung derselben der einzige Zweck des Besuches sein dürfen und können.«
»So waren Sie der letzte und einzige Brunnengast?«
»O nein! Zwei Damen tranken noch mit mir.«
»Zwei Damen? Waren sie hübsch?«
»Die eine sogar schön.«
»Dann ist es auch erklärlich, dass Sie das Wasser gut und heilsam fanden.«
»Sie irren, Bester, die schöne, junge Dame beweinte ihren vor kurzer Zeit gestorbenen Gatten und hoffte jeden Tag, Mutter eines posthumi zu werden.«
»Ah, mon dieu, solche Promontorien der guten Hoffnung mag ich nicht leiden. Wie hieß sie denn?«
»Bewundern oder belachen Sie meine Indifferenz. Ich habe nicht nach ihrem Namen gefragt.«
»Ha, ha! Sie sind der Alte!«
– »Aber bei Gott, es war eine stolze, edle Gestalt, welche die Trauer nur noch interessanter machte.«
Ich brauchte nichts mehr zu hören! Dem Verliebten genügt eine ferne Ahnung eines ungewissen Glückes und überlässt sich der Hoffnung, ohne an eine mögliche Täuschung zu denken. Ich verließ die Tafel, verließ Leipzig und befand mich wenige Stunden nach Anhörung jenes Gespräches auf der Straße nach R. Die Nacht, die Einsamkeit im Wagen fühlte ich nicht, der ich mich jeden Augenblick Felicie näherte.
»Doppeltes Trinkgeld, Schwager!«. rief ich dem Postillon zu und die Gelbjacke fuhr, dass Kies und Funken stoben. Sein Nachfolger auf der nächsten Station tat desgleichen und so fort. Als der Morgen graute und die herbstliche Frühsonne das grüngelbe Laub der Bäume beschien, da glänzten die Häuser des Städtchens R., da glänzten die Badegebäude, da glänzte der Park, wo sie sich vielleicht eben erst erging, mir entgegen. Selbst die Jacke des Postillon glänzte in höherem Gelb, die munteren Bauerngesichter lachten, alles lachte, glänzte – es war eine Jean Paulsche Seligkeit. Und diese hing an einem so dünnen Faden, wenn jene vom Fremden gesehene Dame Felicie nicht war!
»Schnetterrengtengteng!«, schallte das Horn des Postillon. Wir fuhren in die Stadt ein. Die Kleinstädter rissen die Fenster auf und grüßten. Ich grüßte sie alle wieder, die mich für einen leutseligen Inkognitoprinzen hielten, denn ich war glücklich.
»Schnetterrengtengteng!«, tönte das Posthorn noch einmal und der Wagen hielt vor dem Badehotel.
Ich sprang heraus, blickte am Haus hinauf. In der ersten Etage öffnete sich ein Fenster, ein Morgenhäubchen sah heraus, es war nicht Felicie.
Schrecklich! also getäuscht! Zerknirscht folgte ich dem Kellner, der mir nach des Wirtes Weisung in der ersten Etage ein Zimmer Nr. 3 geben sollte.
Ich ging mit ihm über den Saal. Die Tür von Nr. 2 öffnete sich.
Eine zweite Dame im Morgenhäubchen wollte dem Kellner einen Auftrag erteilen und rief: »Gott, ist es möglich! Herr Doktor.«
»Felicie!«, stammelten meine Lippen. Sie trat ins Zimmer zurück, die Tür schlosst sich hinter uns, und ich lag zu den Füßen der Angebeteten.
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