Archive

Allerhand Geister – Cʼest fini! – Teil 1

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Cʼest fini! – Teil 1
Eine Erzählung aus dem Jahre 1773

1.

Es war wohl ein stattliches Haus mit starken Mauern und festem Dach; ein großer, würfelförmiger Bau, an der Rückseite von zwei Türmen flankiert, die ebenso wenig wie die Hauptmasse Verzierungen an sich trugen, wie sie denn auch schwerlich bloß zum Zierrat errichtet worden. Waren doch auch noch einzelne Teile der starken Mauer erhalten, welche vordem das ganze umgeben hatte, und trotz des Rasens, Krautes und Gesträuchs, die ihn nun beinahe ausfüllten, erkannte man selbst den Graben noch, der damals außer der Mauer die Annäherung erschwerte. Nötig war dies alles seiner Zeit auch gewesen, denn das unbeständige Klima machte ein warmes Nest erwünscht, und die wilden Zeiten zu Anfang des Jahrhunderts ließen jeden, der nicht in den festen Städten hauste, ernstlich auf einen Schutz gegen die Überfälle des marodierenden, den festen Scharen folgenden Gesindels bedacht sein.

Solchen Zwecken hatte die Anlage entsprochen. Sie hatte die schlimmen Zeiten überdauert und ragte fest und sicher, trotzig und düster in die Gegenwart hinein.

Schön und heiter aber war sie gar nicht und der Geschmack der Zeit, der nur nach Lust und Zierlichkeit verlangte, schüttelte über das ehrwürdige Haus den Kopf. War es doch weit umher schier der einzige Rest jener raueren und kräftigeren Vergangenheit, der auch dem Zeitgeschmack Widerstand leistete, gleichviel, ob man nur die Kosten eines Neubaus scheute oder ob man, von wirklichem Respekt und rechter Pietät erfüllt, an dem alten nicht rühren mochte. Denn es war immer im Besitz der gleichen Familie geblieben und bildete im Verein mit den dazu gehörenden weiten Feldern, Wiesen und Wäldern ihr wertvollstes Besitztum.

Der derzeitige Baron Mollenthin hatte dasselbe auch nie aus den Augen verloren, obwohl ihn seine Stellung am Hofe und gelegentliche diplomatische Sendungen manche Jahre lang der Heimat fern hielten. Er war nicht nur ein glänzender Kavalier, sondern auch, wie man es damals nannte, ein aufgeklärter Mann, d. h. nicht so kurzsichtig und im Genuss und in Vorurteilen aller Art verloren, wie noch die meisten seiner Standesgenossen. Der Glanz seiner Stellung und die Gnade der allerhöchsten Herrschaften verblendete ihn nicht so weit, dass er, in Hofintrigen groß geworden, sich verborgen hätte, wie schnell ein Umschlag eintreten könnte, und das Gefühl der Unabhängigkeit war in ihm zu groß, als dass er einen solchen Fall für völlig unertragbar erklärt haben sollte.

Er sorgte daher auch beizeiten dafür, dass er es der einst in der Heimat so fände, wie es seinen Gewohnheiten und Ansprüchen, seinen Neigungen und seinem Geschmack entsprach. Er traf, so oft er einmal daheim war, stets neue – und man darf hinzusetzen – verhältnismäßig liberale Anordnungen zur Hebung seiner Güter und zur Verschönerung seiner eigenen Wohnsitze. Er schickte von außen Möbel und Kunstwerke, er schickte Gärtner und Architekten. Die Höhlen seiner Bauern, die seinen Schönheitssinn und angeblich auch seine Humanität schwer verletzt hatten, machten zu Mollenthin den bequemsten und saubersten Häuserchen Platz; die schon von seinem Vater gepflegten Garten- und Parkanlagen beim alten Herrenhaus wurden der gründlichsten Renovation unterworfen, und endlich fing man auch bei dem schweren Haus selber an und kehrte darin das unterste zu oberst.

Das Äußere blieb, wir müssen es wiederholen, ernst, ja ein wenig düster. Aber wenn man hineintrat, war es, als ob sich der Sesamberg auftat. Die großen, kalten, dämmerigen Gemächer waren hell und heiter geworden; die kleinen, unfreundlichen und unheimlichen, kaum benutzbaren Winkel und Zwischenräume zeigten sich als die reizendsten, lauschigsten Kabinette. Überall war das Licht eingezogen, überall eine heitere Pracht. Von den Decken leuchteten üppige Gemälde herunter, umher schlangen sich die Kränze und Girlanden von vergoldetem Stuck, zu reich und zu schwer fast für die Händchen der Amoretten, die sie auseinander spannen mussten. Seide und Damast oder goldgegittertes Tafelwerk verdeckte die Wände; Seide und Damast bauschte vor den Nischen der Fenster und Türen; Seide und Damast glänzte von den weichen Polstern der zierlichen, vergoldeten Möbel. Die schweren Kronleuchter breiteten weit ihre mit Kristallfransen bedeckten Arme aus, die Lampetten funkelten auf euch herab, die Spiegel in ihren Prachtrahmen zeigten euch allerwärts von Neuem euer Bild und mahnten euch, dass ihr hier nur schön und fröhlich sein dürftet. Das war hier, das war dort und allerwärts. Die Vergangenheit war in diesen Räumen nicht daheim und von der Zukunft wussten sie noch weniger. Nur die Gegenwart herrschte mit all ihrer sorglosen Lust, mit all ihrer übermütigen Koketterie, mit all ihrem leidenschaftlichen, unersättlichen Jagen nach Glück und Genuss.

Eine Caprice war es, aber eine reizende – wer konnte es leugnen? Sie hatte ein unsinniges Geld gekostet, aber wer dachte hier daran? Nicht einmal der Baron selber, der, wie Friedrich der Große, die Rechnungen verbrennen ließ, um auch durch diese nicht an das erinnert zu werden, was nur eine Krämerseele hätte in Anschlag bringen können! Und die Caprice erschien umso kapriziöser, als Herr von Mollenthin, der inzwischen wirklich zur rechten Zeit seinen Abschied genommen hatte und zum lebhaften Bedauern der allerhöchsten Herrschaften und des gesamten Hofes in die Heimat zurückgekehrt war, für gewöhnlich in der nahen Stadt lebte und sein Prachthaus ganz fürstlich nur wie ein Lustschloss ansah, das man selber bloß zuweilen auf ein paar Wochen besucht und wo man gelegentlich seinen Freunden und Bekannten ein Sommerfest gibt. Aber, noch einmal – wer dachte daran? Der, Baron war reich genug, um auch solchen Einfällen und Gelüsten nachzugeben, und dazu war das Bewusstsein doch auch ein schönes, dass er etwas hergestellt hatte und besaß, was in solcher Vollendung, in solchem Geschmack und in so prächtiger Schönheit dreißig Meilen in der Runde nicht seinesgleichen fand.

»Es muss wahr sein, mein lieber Baron, Ihr Haus ist reizend, ja es erscheint bei jedem Wiedersehen reizender!«, sagte der Gouverneur, der an der Seite des Hausherrn in den glänzend erleuchteten, funkelnden und blitzenden Saal trat und mit gnädigem Lächeln die zurückweichende, tief sich verneigende Gesellschaft grüßend gegen die Mitte vorschritt. »Ich habe noch im vorigen Jahr das superbe Trianon wiedergesehen, und die Frau Markgräfin erwies mir die Gnade, mich selber durch ihr Bijou, die entzückende Fantaisie, zu führen. Aber Ihr Haus steht nicht zurück, Baron, natürlich in seinen Maßen, meine ich. Sehen Sie, dieser Blick hier aus dem Feenraum in das rosig dämmernde Kabinett dort und hindurch in die blendende Helle eines anderen Saals – einzig, Baron! Sie haben dort, scheint es, einen Hausgarten angelegt? Ein deliziöser Effekt! Ich beneide Sie um den Einfall!«

»Es ist nicht der meine, Exzellenz,« versetzte der Baron mit ruhigem Lächeln. »Meine Eva hat dies angeordnet – ich kann nicht leugnen, dass es sich hübscher macht, als ich erwartet hatte.«

»Ihre kleine Eva! Ah, Baron, ganz Geist und Geschmack des Vaters, ganz Grazie und Schönheit der verklärten Mutter – eine Perle, Baron, selbst für das Haus Mollenthin! Ah, wenn ich mich umsehe, welch eine Fülle von Anmut und Schönheit! Wie glänzende Augen, welch ein strahlendes Lächeln! Wer aber, mein Gott, was für ein entzückendes Köpfchen, Baron! Sehen Sie, sehen Sie – dort! Mit den Perlenschnüren und der einzelnen Rose! Fremdartig, aber entzückend! Und ich kenne diese junge Schönheit nicht!«

»Baronesse Magdalene Eigenwart, die Tochter meiner teuren alten Freundin.«

Das Lorgnon fiel wie erschrocken vom Auge des Gouverneurs auf die Brust herab. »Mein Gott, Baron, ich klage Sie an! Ihre Zaubereien blenden das Auge und betäuben den Kopf! Kommen Sie, kommen Sie, dass wir dies unverzeihliche Zögern wiedergutmachen! Beiläufig, Baron,« fügte er fortschreitend hinzu, und durch die stolzen Züge des vornehmen Gesichts flog ein fast schalkhaftes Lächeln, »was sagt Exzellenz Eigenwart zu diesem Besuch bei dem alten Freund? Vor zwanzig Jahren – hm!«

»Ah bah! Eigenwart war stets vernünftiger, als die Gesellschaft um uns her, die immer sieht, wo nichts zu sehen, und hört, wo nichts zu hören ist. Er wusste

besser als irgendeiner, dass ich ganz andere Dinge im Kopf hatte, als Liebesaffären, zumal mit seiner Frau, der Busenfreundin der meinen!«

»Wie nüchtern, Baron, oder wie – diskret?«, bemerkte lächelnd die Exzellenz. »Aber freilich, wir sind alle alt geworden und wissen selbst von unseren Jugendträumen nichts mehr!«

Baron Mollenthin schüttelte den Kopf. »Über das Alter kann ich mich nicht beklagen.« meinte er. »Au contraire, ich habe mich niemals jünger gefühlt als jetzt. Aber lassen wir die Vergangenheit, Exzellenz,« brach er ab, da sie inzwischen sich dem Hintergrund des Saals und den Plätzen der älteren Damen genähert hatten. »Die Gegenwart macht noch mehr Ansprüche und noch viel willkommenere – erlauben Sie, Frau Baronin, dass ich Ihnen einen alten Freund zuführe, der vor Ungeduld stirbt, Ihnen nach so langer Zeit einmal wieder die Hand zu küssen.«

Die Dame, welche sich bisher mit ihren Nachbarn unterhalten hatte und auf des Barons Worte sich den Herantretenden zuwendete, schien durch ihre Erscheinung gegen den alten Freund und die lange Zeit Mollenthins zu protestieren, denn es fanden sich weder an ihrer Gestalt noch in den Zügen ihres Gesichts irgendwelche Vorzeichen des herannahenden Alters, und wer sie zum ersten Mal sah und nichts von ihr wusste, konnte nur aus einer gewissen, aber nichts weniger als ungesunden Fülle schließen, dass sie keine junge Frau mehr war. Nun, wo ein gewinnendes Lächeln die beiden Herren begrüßte, erschien das Gesicht sogar noch wirklich jugendlich, ihre blauen Augen glänzten und auch ihre Stimme klang noch, trotz eines nicht ganz verhüllten leisen Spottes, wunderbar frisch und melodisch, als sie, sich an den Hausherrn wendend, sagte: »Ließen Exzellenz sich schwer bereden, Baron?«

»Aber Exzellenz!«, rief der Gouverneur mit wirklicher oder doch vortrefflich gespielter Überraschung aus, »diese Frage …«

»Ist doch wohl eine ganz natürliche, Exzellenz?«, unterbrach sie ihn lächelnd und ihre Augen begegneten fast schalkhaft den seinen. »Ganz ehrlich, meine Herren! Als ich Sie vorhin dort im Saal so eifrig debattieren sah, musste ich wohl fürchten, dass die Begegnung mit der Gattin des Ministers, wenn sie überhaupt stattfände …«

»Aber dieser Verdacht, dieser böse Verdacht!

»Ist er so böse? Ist er so ungerechtfertigt, Exzellenz? Eigenwart hat mir geschrieben, wie tief es ihn betrübt habe, dass Eure Exzellenz im Winter acht volle Tage …«

»Um Gotteswillen, Baronin, erinnern Sie mich nicht an diese qualvollen acht Tage in der Residenz! Ich war wie ein gehetzter Hirsch – Excellenz Eigenwart sollte das wissen! – Habe kaum einen von den Freunden gesehen! Nichts als Geschäfte! Nichts als Konferenzen! Oh! Der Minister ist grausam, mich bei Ihnen zu verdächtigen! Sie müssen es wahrhaftig durch verdoppelte Freundlichkeit wiedergutmachen!«

»Darf ich, Exzellenz? Eigenwart avertierte mich …«

»Um Gotteswillen, bleiben wir doch unter uns, Baronin, und lassen den Herrn Gemahl in der Residenz!« Und indem er ihr von Neuem die Hand hinbot, fügte er mit hörbarer Herzlichkeit hinzu: »Schlagen Sie ein, Baronin, und lassen Sie vor allen Dingen diese furchtbaren Titulaturen zwischen alten Freunden! Darf ich mich nicht mehr dazu rechnen?«

Nach einem langen lächelnden Blick legte sie langsam die schmale Hand in die seine. »Und nun, ohne Scherz, Mansfeld,« sprach sie, während er die Hand an seine Lippen zog, »ich bin wirklich betrübt gewesen, da Eigenwart mir davon schrieb. Und als ich Sie nun hier nicht traf und heute Abend …«

»Ich bitte Sie, Baronin, fangen Sie nicht noch einmal an!«, rief er lebhaft und hielt ihre Hand fest. »Hier, Mollenthin kann mir bezeugen, dass diese Inspektionsreisen mein ganzer Abscheu sind, und dass ich erst heute Nachmittag zurückkehrte und von Ihrer Anwesenheit erfuhr! Und dort eben, im Saal – bestätigen Sie es, Baron! – Raten Sie, Baronin, was uns beschäftigte und aufhielt! Ein Feenkind, das mich an die Stelle bannte! Ihre Magdalene, sagte Mollenthin!«

Frau von Eigenwart lachte ungezwungen. »Der Zauber muss stark gewesen sein!«, sagte sie, »er scheint Sie noch zu beherrschen. Ich sah Sie nie so emphatisch, Mansfeld! Und hier, unser guter Baron, treibt es fast ebenso. Ich weiß nicht, was ihr alle an meiner Kleinen findet! Aber Eure Sehnsucht wird gestillt! Da kommt Magdalene mit Ihrer entzückenden Eva, Mollenthin. Nur, bitte, verdreht der Kleinen den Kopf nicht: Sie weiß und versteht bisher wirklich noch mehr von Puppen als von schönen Worten.«

Das junge Mädchen, welches Arm in Arm mit der Freundin leichten Fußes herankam, war eine noch sehr jugendliche Erscheinung, allein die Worte der Mutter trafen nicht mehr zu. Eine Menschenknospe war sie, voll des leisen Duftes und des träumerischen Reizes dieses schönsten Alters. Aber es bedurfte sicherlich nur eines einzigen Sonnenstrahls, um sie vollends wach zu küssen. Es war mit einem Wort, wie es vorhin der Gouverneur bezeichnet hatte, ein entzückendes Geschöpf, von unendlichem Liebreiz und ganz einziger, durch ihre Unbewusstheit zauberhafter Anmut in jeder Bewegung, jedem Zug, jedem Blick. Schöner mochte die ältere Freundin sein und vielleicht alle Augen zuerst auf sich ziehen; im nächsten Moment aber wandten sich diese Augen sicherlich der Kleinen zu, weniger voll Bewunderung als voll reiner Freude, dass es etwas so Schönes und Gutes auf der Welt gebe.

»Papa«, rief die Ältere voll Lebhaftigkeit, indem sie sich gegen den Gouverneur nur flüchtig verneigte, »ich appelliere an Sie! Leopold plagt Magdalene, dass sie sich kaum vor ihm zu retten weiß!«

»Aber Eva, er scherzt ja nur!«, sagte die Kleine entschuldigend.

Über Mollenthins Stirn flog etwas wie ein plötzlicher Unmut. »Des Herrn Leopold Scherze sind nicht immer im Geschmack der von ihnen Betroffenen,« redete er. »Ich kenne das. Ich werde Sie aber schützen, mein teures Kind!«

»Bitte, Baron, keinen Zank!«, fiel Frau von Eigenwart munter ein. »Wir wollen ja heiter sein und Freunde, nicht wahr, Mansfeld? Komm, mein Kind, und begrüße einen alten Freund deiner Eltern, den Herrn Grafen von Mansfeld, Gouverneur dieser Provinz.«

Der Genannte nahm die Hand des errötenden Mädchens, und wie er es anschaute, wurde seine Miene milde und die stolzen Augen blickten freundlich. »Wie ich sagte, Baronin,« sprach er, zu dieser zurückgewendet, »wunderbar! Und die Nähe erfüllt noch mehr, als die Ferne verhieß.« Er schaute wieder auf das Mädchen. »Sie werden sich meiner nicht mehr erinnern,« redete er fort, »und auch ich erkannte Sie nicht. Ich sah Sie nur als kleines Kind im Salon Ihrer Mutter. Die Eltern unserer jungen Schönen haben es gut,« fügte er launig hinzu, »sie sind Zeugen der holden Entwicklung. Unser einer aber, der später herantritt und das vollendete Wunderwerk vor sich sieht – wie steht es mit dem? – Sie wissen, Baronesse Eva, wie es mir mit Ihnen erging! Sie wollten es nur nicht verstehen, Grausame!«

»Ist das noch nötig, Excellenz – das Verstehen, meine ich?«, versetzte die junge Dame scherzend und ließ den Elfenbeinfächer auf- und zuschlagen, während ihre dunklen Augen schalkhaft vom Gouverneur zu Magdalene hinüberflogen. »Hüten Sie sich vor der neuen Gefahr! Aber da kommt Leopold mit eingelegter Lanze! Exzellenz, schützen Sie uns!«

Der junge Offizier, der in der geschmackvollen Uniform der gelben Dragoner herbei eilte, das Gesicht glühend, das Auge blitzend, das leicht gepuderte Haar schon ein wenig gelockert durch die Wärme des Raumes und die Aufregung des Tanzes, schien in der Tat ganz in der Laune zu sein, den früheren Scherz hatte Magdalene es genannt, auch hier fortzusetzen.

»Sieh da,« rief er, »die schüchterne Taube flüchtete sich unter mütterlichen und väterlichen Schutz! Aber – ah, Exzellenz,« brach er ab, als ob er erst jetzt den Gouverneur bemerke, »ich ersterbe in Ehrfurcht! Euer Exzellenz werden in meinem Streit mit dieser jungen Dame …«

»Nicht so keck, junger Herr!«, unterbrach ihn der Gouverneur mit einem Lächeln, das jedoch nicht ganz scherzhaft war. Er erhob auch den Finger zum leichten Drohen. »Leutnant, Sie verdienen Strafe, statt Gunst! Was hat man mir heute Nachmittag gleich wieder alles erzählt – o, o! Und nun sollte ich Sie protegieren? Die Damen werden entscheiden,« fügte er, sich zu diesen wendend, hinzu, »aber nicht die schüchterne Taube, sondern die mutige Schwester. Wie war es, Baronesse Eva? Ganz offen, bitte ich; der wilde Herr verdient eine Strafe.«

»Ganz meine Ansicht, Exzellenz!« erwiderte Eva mit einer graziösen Verneigung. »Der Ungestüm, mit dem der Herr Leutnant von dieser Dame einen Tanz verlangte …«

»Die Wahrheit, Fräulein Schwester!«, rief der Offizier, der seine augenblickliche Betroffenheit über des Gouverneurs Worte überwunden hatte. »Magdalene hatte den ganzen Abend nur Körbe für mich …«

»Warum kamst du immer zu spät?«

»Und auch jetzt war sie versagt, ohne doch den Namen nennen zu wollen!«

»O, Herr Baron, ich sagte Ihnen, dass ich den Namen nicht nennen dürfe!«, wandte Magdalene schüchtern ein.

»Was ich doch nicht glauben soll? Ein jemand gilt nicht!«

»Weshalb du denn auch drohtest, den jemand nicht anzuerkennen, ihn vielmehr nötigenfalls davonzujagen!«, warf Eva lebhaft dazwischen.

»Dazu bin ich völlig berechtigt, nicht wahr, Exzellenz? Geheimräte gibt es, aber nicht geheime Tänzer! Also, Magdalene, der Tanz fängt an! Bitte, Ihre Hand!«

Aber diese Hand, welche zitterte, wurde plötzlich vom Vater des Ungestümen ergriffen. »Seien Sie unbesorgt, mein teures Kind,« sprach Mollenthin und fuhr mit auffälliger Trockenheit fort: »der Herr Leutnant ist nicht ganz so fürchterlich, wie er uns erscheinen möchte. Sehen Sie, er respektiert ganz artig den Jemand, der zufällig sein Vater ist. Haben Sie Dank, liebes Kind, dass Sie diese kleine Szene möglich machten – sie gilt Ihnen, Baronin, die Sie sich und mich für zu alt erklärten, um noch an Ballfreuden teilzunehmen. Hier, Ihre Tochter zeigt Ihnen, dass sie mich noch jung genug, selbst für ihre eigene schöne Jugend findet. Wir sind quitt, Baronin!«

Die Gruppe löste sich auf. Mollenthin führte seine schüchterne Tänzerin in die Kolonne; Eva folgte einem herantretenden Herrn. Der Leutnant, aus seiner ersten Verdutztheit auffahrend, machte hinter dem fortschreitenden Vater eine nicht gerade ehrerbietige Gebärde, murmelte etwas von jungväterlichen Einfällen und sprang davon. Frau von Eigenwart blieb mit dem Gouverneur allein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert