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Neue Gespenster – 17. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil

Siebzehnte Erzählung

Der Teufel als Leiermann im Totenbusch unweit Havelberg

Unter dem Berg bei Havelberg in der Prignitz sind unter anderen die drei von dem Infanterie-Regiment von Arnim beurlaubten Mousquetiers Friedrich Beyer, Bock und Repschläger einheimisch. Indessen wohnen sie nur im Winter hier und gehen den Sommer über als Floßholz- oder als Schiffsknechte ihrer Nahrung nach.

Im Winter des Jahres 1799 wollten die eben genannten und noch vier andere Mousquetiers bei dem Überhandnehmen der Kälte den ihren ein wenig Raff- und Leseholz suchen. Sie fuhren daher in einer mondhellen Nacht in kleinen Kähnen die Havel und nächst dem die Dosse hinauf und landeten an einer zum Dorf Fehlgast gehörigen Elslake, die, teils wegen ihrer Abgeschiedenheit fast von allen lebendigen Wesen, teils wegen der Unholde, die darin hausen sollen, der Totenbusch genannt wird.

Es fing stark an zu regnen, als sie zur Stunde der Gespenster hier angekommen waren. Sie gingen in das schauerliche Gehölz hinein. Der Mond verbarg sein wohltätiges Licht hinter das Gewölk des fast bezogenen Himmels. Nur dunkel und zweideutig erkannten sie vor sich, gleich spukenden Riesengestalten, das gruppierte Gesträuch und die einzeln zerstreuten, abgestorbenen Baumstämme, deren faules Holz ihnen schreckhaft entgegen schimmerte. Nichts als das Plätschern des Regens auf dem Laub und ein einsames Käuzchen im ausgefaulten Ast einer verkrüppelten Eiche unterbrach die Totenstille. Alles war diesmal geeignet, unseren Abenteurern diesen mitternächtlichen Aufenthalt hier im Totenbusch lästig und unangenehm zu machen. Es regnete zu sehr, als dass sie nun schon an die Erreichung des Zweckes ihres Hierseins hätten denken können. Vielmehr eilten sie tiefer in das Dickicht des Totenbusches hinein, nach einer ihnen wohlbekannten, sehr dicken, hohlen Eiche, worin sie Schutz vor den Regengüssen suchten.

Nachdem sie des Schutzes dieser Eiche innerhalb ihrer geräumigen Höhlung eine Zeitlang genossen und die Wolken sich ein wenig verzogen hatten, waren sie eben im Begriff, das Geschäft des Holzraffens zu beginnen, als plötzlich der Teufel in eigener Person sie daran hinderte. Es war, um auf der Stelle des Todes zu sein, wie dieser Höllenfürst in Riesengröße mit einer Leier unter dem Arm unseren Helden sich in den Weg stellte. Noch dreimal fürchterlicher rauschte in dieser öden Wildnis bei mitternächtlicher Stille die Höllenleier daher.

Vielleicht waren die Teufelsschauer nicht ganz berechtiget, hier auch nur Raff- und Leseholz für ihre Notdurft zu sammeln; mithin fand der böse Feind sie auf unrichtigen Wegen, und dies fiel ihnen zentnerschwer auf das Herz. Ihnen war nicht anders gemütlich, als sollten ihre Seelen von dem scheußlich furchtbaren Leiermann in das Reich der Finsternis – in die Hölle – hinab geleiert werden.

Man kann leicht denken, dass die Geängstigten unter diesen Umständen des Raffholzes gern vergaßen und unwillkürlich Verzicht darauf leisteten.

Ihr einziges Streben ging vielmehr nur dahin, dass sie möglichst bald ihre zurückgelassenen Kähne wieder erreichen konnten, ohne dass ihnen im Totenbusch die Hälse gebrochen würden.

Hierzu war indessen nur wenig Hoffnung, denn so gut die meisten von den sieben Kriegskameraden hier auch jeden Richt- und Seitenweg kannten, so schien der Leiermann sie doch noch viel besser zu kennen. In welcher Richtung sie auch die Flucht ergreifen und entwischen wollten – immer vertrat ihnen der Furchtbare wieder den Weg und ängstigte sie mit den Schreckenstönen seiner Leier.

So mochte er sie wohl schon eine halbe Stunde lang mit Höllenpein gemartert und in der Lake umhergejagt haben, ohne ihnen irgendeinen Schlupfweg zu den Kähnen unversperrt zu lassen, als sie sich endlich genötigt sahen, die von dem Landungsplatze etwas entfernte alte hohle Eiche wieder aufzusuchen, und in derselben unter Zittern, Zagen und Stoßseufzern, die sie Gebet nannten, entweder den Übergang der Gespensterstunde oder ihr letztes Stündlein vereint abzuwarten.

Für diesmal hatte indessen der Teufel beschlossen, Gnade für Recht ergehen zu lassen. Kaum hatten sie die Gegend der Eiche wieder erreicht, so verstummten die Leier und die verfolgenden Fußtritte des pferdefüßigen Riesen. Vielleicht hatte er nun im nahen Fehlgast den seine Macht begrenzenden Glockenschlag eins vernommen.

Kein aus der größten Not Erlöster kann froher sein, wie unsere schweißtriefenden Mousquetiers nun waren. Man ging nun ruhig und unbehindert zum Landungsplatz und fuhr mit holzleeren Kähnen nach Havelberg zurück.

Man beschrieb und klagte einander, was man gehört und gesehen habe, und wie gefährlich nahe der Leiermann bald dem einen, bald dem anderen gewesen sei. Der eine wollte ihn in gewöhnlicher Menschengröße, ein anderer in Riesengestalt und wieder andere in der Größe des höchsten Baumes im ganzen Totenbusch gesehen haben. Alle verwünschten die verfluchte Teufelslake, und sechs von ihnen verschworen auf immer alles Holzholen bei Tag und bei Nacht aus diesem Totenbusch.

Mit immer erneutem Schaudern erzählten sie von ihrem Abenteuer den Frauen, Kindern und Nachbarleuten. Insbesondere warnten sie wohl meinend alle diejenigen, welche auch wohl jezuweilen zur Nachtzeit von dorther Raff- und Leseholz zu holen pflegten.

Schon hatten sich die Vernünftigen und Vorurteilslosen, denen die neue Mär zu Ohren gekommen war, mit Vermutungen und Erklärungen aller Art die Köpfe zerbrochen, ohne der Wahrheit auch nur von fernher auf die Spur gekommen zu sein. Nun trat einer der sieben vermeinten Geisterseher – der oben genannte Friedrich Beyer – auf und bewies seinen sechs nächtlichen Gefährten auf das Überzeugendste, dass er allein und kein Teufel der Leiermann gewesen sei.

Der Hirte aus Fehlgast weidete im Sommer des Dorfes Herde jezuweilen im Totenbusch und hatte sich jene geräumige hohle Eiche zu einem Zufluchtsort gegen Wind und Wetter zubereitet. In dem oberen Teil des Baumes pflegte er diejenige Leier zu verbergen, auf welcher er aus Langerweile sich und seiner horchenden Herde oft eins spielte. Beyer allein wusste etwas von dieser Leier und dem geheimen Ort, der sie verbarg. Er suchte, fand sie bald und beschloss nun, namentlich seinem Dienstgefährten Bock – der bei aller Gelegenheit versichert hatte, »dass er sich selbst vor dem Teufel nicht fürchte und sich recht gern einmal mit ihm schlagen möchte« – den obigen Streich zuspielen, um ihn und seinen Heldenmut auf die Probe zu stellen. Als das Wetter in jener Spuknacht etwas erträglicher wurde, wollte jeder an die Arbeit gehen. Nun sonderte sich Beyer, der Letzte im Baum, unvermerkt mit der gefundenen Leier von seinen Gefährten ab. Da er den bruchigen Boden der von vielen Gräben durchschnittenen Elslake besser als alle Übrigen kannte und genau wusste, wo er es wagen konnte, über die Horste hin durch das Dickicht einen Richtweg einzuschlagen und die Gräben zu überspringen, so war er ihnen rasch zuvorgekommen.

Ohne von den Übrigen sogleich vermisst worden zu sein, trat er aus einer Gegend des Bruches her, wo sie unmöglich schon einen der ihren vermuten konnten, ihnen plötzlich in den Weg und leierte, indem er mit verstellter Stimme einen schrecklichen Bass dazu brummte. Man ergriff bebend die Flucht; er musste natürlich vermuten, dass man den Kähnen zueilen würde, und schnitt ihnen, so oft und in so verschiedenen Richtungen sie es auch versuchen mochten, jederzeit glücklich den Weg dahin ab. Die Angst ließ sie nun weniger als vorhin daran denken, ihren Gefährten zu vermissen, zumal da er sich zuletzt nahe bei der hohlen Eiche unbemerkt und ebenfalls als ein Geängstigter wieder an sie anschloss. Er war der Einzige, der den Leiermann in gewöhnlicher Mannesgröße gesehen zu haben behauptete. Alle Übrigen schworen darauf, dass er ein ungeheurer Riese gewesen sei wo nicht gar die Höhe eines Baumes gehabt habe.

»Wie hätte er auch sonst«, meinten sie, »jeden sumpfigen Graben und selbst die grundlosesten Niederungen des Bruches überschreiten wollen!«

So spielt bei Vorurteilen und einem bösen Gewissen, die Einbildungskraft den Wahngläubigen mit!

Beyer freute sich des wohlgelungenen Scherzes und des Sieges, den er über seinen Kriegskameraden Bock davongetragen hatte.

Beiläufig lehrt diese Geschichte, dass mehr wie Großsprecherei, dass namentlich wahre Aufklärung, verbunden mit einem durchaus rechtlichen Lebenswandel, dazu gehört, um es in der Tat und Wahrheit mit jedem Teufel aufnehmen zu können.

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