Schauernovellen 8 – Die neue Griseldis 6
Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 2
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843
Die neue Griseldis
6. Kapitel
Ungeduldsschauer
Unter die verschiedenen Unannehmlichkeiten in der Liebe gehört auch die, wenn man in der Hoffnung auf ein recht erfreuliches Rendezvous stundenlang an einem finsteren, menschenleeren Ort steht und in den grauen Regenhimmel starrt oder auf den Weg hin, woher die kommen soll, welche die Nacht der Ungeduld mit ihren hellen Strahlenaugen erhellen soll.
A demain, hatte Felicie gestern freundlich gerufen, und Felicie hält Wort. Sie ist keine von denen, welche mit der Erwartung eines Mannes spielen, als wären wir bloß da, um Abende lang auf sie zu warten, während es ihnen beliebt, zu Hause zu bleiben oder gar mit einem anderen Nebenbuhler in einer anderen Richtung hin spazieren zu gehen.
Es hat acht Uhr geschlagen und sie ist noch nicht da. Ich fange an, Konjekturen zu machen, wo sie wohl bleiben mag. In der ersten halben Stunde sind diese Konjekturen immer zu Gunsten der Ausbleibenden. Sie wird Abhaltung haben, ihre Uhr geht zu spät und dergleichen mehr, sagt man tröstend zu sich selbst. In der zweiten halben Stunde hören die günstigen Mutmaßungen auf und statt dessen tritt ein heftiges Auf- und Niedergehen, ein starkes hm! hm! und dergleichen mehr ein. In der dritten halben Stunde äußern sich alle mögliche Merkmale der vier Temperamente, wie sie ein Anthropolog in der Physiognomik der Temperamente bei Gelegenheit der Ungeduldsäußerungen geben würde, wenn er sich die Mühe nehmen wollte, auf die Rendezvous der Verliebten einzugehen. Der Choleriker flucht, tobt, droht die Fenster einzuwerfen, nennt seine Geliebte eine M… und rennt davon. Der Melancholiker ringt die Hände, guckt in die Sterne, seine Gedanken sind Untreue, Selbstmord, und wohnt seine Geliebte auf dem Glockenplatz in L., so tritt der Kanonenteich als das nächste Wasser mit allen seinen Schrecken, das heißt mit all seinen im Schlamm versunkenen Kanonen vor seine Seele und er möchte sich neben sie betten aus unendlichem Kummer über der Geliebten langes oder gänzliches Ausbleiben. Der Sanguiniker hält die Mitte zwischen dem Choleriker und Melancholiker; einmal tobt er, wie der Erste und dann fantasiert er wie der Zweite; er hat aber das Gute weder davon noch ins Wasser zu laufen. Der Phlegmatiker endlich, hält es nicht der Mühe wert, länger auf- und niederzugehen, lehnt sich an einen Laternenpfahl und schläft ein. In der vierten halben Stunde zeigt es sich, wer den Kampfplatz behauptet. Der Choleriker ist schon fortgetobt, der Melancholiker geht seufzend nach Hause und liest Youngs Nachtgedanken, der Phlegmatiker schüttelt sich, geht nach Hause, legt sich ins Bett und wundert sich, dass seine Geliebte nicht gekommen war. Was tut der Sanguiniker? Er macht es wie ich; er wartet es ab. Nicht für möglich haltend, dass man ihn täuschen könne, geht er, kommt wieder, bis die Glocke zehn schlägt, denn es gelüstet ihn gar zu sehr, nach einem verliebten Zwiegespräch.
Felicie kam nicht, denn es tönten die Schnarren der Nachtwächter, die Stadtlichter verschwanden und ich musste eilen, um noch durchs Tor zu kommen.
A demain hatte sie gesagt, ohne dass ich sie dazu aufgefordert, hatte es in einem so sanften, milden, freundlichen Ton gesagt, und doch kam sie nicht. O. wie sind die Frauen so seltener Art! Doch sie wird unwohl sein. Dieser Gedanke folterte mich; ich ging unruhig nach Hause.
Nach solcher Täuschung konnte mein Schlaf kein ruhiger sein und ich war froh, als der morgendliche Tag graute, denn der Tag zerstreut uns ja doch immer mehr als die Nacht, in welcher, selbst wenn wir den Schlaf erringen, doch noch unruhige Träume uns martern.
Ich sah aus meinem Fenster hinab in die Petersstraße und sah dem Treiben der Marktleute zu, als eine schwerbepackte, vierspännige Reisechaise vorüberfuhr. Eine Dame sah aus dem Wagen zu den Fenstern herauf, warf mir einen leichten Gruß und einem vor dem Portal stehenden Kellner ein Billett zu. Gott! Das musste sie sein; und wie schön! Aber sie reist fort, hat mich erkannt und verlässt mich mit einem leichten Gruß. Aber das Billett? Ja, das brachte in diesem Augenblick der Kellner. Es ist von ihr; dieselbe Frauenhand, dasselbe Siegel. Aber wie kurz: Nous nous reverrons.
Pardieu, sie ist keine von denen, welche bei dem zweiten Rendezvous hingebend lispeln: on ne vous peut rien refuser.
Soll ich Felicie nachreisen? Aber wohin ist sie? Zu welchem Tor ist sie hinaus? Allein? Mit wem? O, ja! Mit wem? Das zog mir die Brust zusammen; ich fühlte unendliches Wehe! Bei Gott, ich hatte diese Frau geliebt, wie ich in meinem flatterhaften Jugendleben noch nicht geliebt hatte, aber, sie war liebenswürdig und ich liebte sie; ich aber war nicht liebenswürdig und sie liebte mich nicht. Das habe ich oft zu mir sagen müssen.
Ach, die Frauen mit ihren Kälte- und Wärmegraden! Was machen sie nicht alles aus uns? Aus mir haben sie noch nicht viel Gutes gemacht. Wenn ein jüdischer Kaufmann nicht handelt, ein Theologe durchs Examen fällt, ein Jurist removiert wird, ein Mediziner durch unglückliche Kuren die Kunden verliert, wird er, was ich durch die Frauen geworden bin – ein Bücherschreiber. Doch über diesen Punkt lese man Jean Pauls grönländische Prozesse, Artikel über die Schriftstellerei aufmerksam nach. Unter die Ursachen der Schriftstellerei gehören aber auch noch die Leipziger Zimmervermieterinnen, diese jungen Witwen, Feinwäscherinnen usw. mit anständig möblierten Zimmern für solide, ledige Herren, die das teuerste Möbel für die armen Füchse werden, diese vier und fünf Treppen hoch wohnenden stillen Familien, die haben manchen zum Bücherschreiber gemacht, wenn der Alte keinen Wechsel mehr schicken wollte, um die zärtlichen Wirtinnen ins Theater oder Konzert zu führen; haben manchen auch zum Schauspieler gemacht, ins Zuchthaus gebracht und am Ende ins Fäustchen gelacht. O, an eine Madame T. werde ich ewig denken.
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