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Aus dem Wigwam – Unkatahe

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Noch vierzig Sagen
Mitgeteilt vom Navajohäuptling El Zol

Unkatahe

hah-co-pee war ein alter Häuptling, der aber, da er drei Frauen hatte, nie recht zur Ruhe kam. Die Älteste war runzlig, hager und hässlich, und es lag ihm so wenig an ihr wie an dem dürren Reis, das sie abbrach und ins Feuer warf. Sie zankte den ganzen Tag mit jedermann, der ihr in die Quere kam, denn dies war die einzige Weise, wie sie sich noch bemerklich machen konnte. Die Glanztage seiner zweiten Frau waren auch schon vorbei. Sie flocht zwar ihr Haar noch immer kunstgerecht und behing sich immer noch mit allerlei Schmucksachen wie ein junges Mädchen, aber der alte Gemahl wollte doch nichts mehr von ihr wissen, denn er hatte sein ganzes Herz seiner jüngsten Frau, die er mit wertvollen Geschenken ihren Eltern abgekauft hatte, zugewandt.

Ihr Schicksal war aber trotz alledem kein glückliches. Sie hasste ihren Gemahl ebenso sehr, wie jener sie liebte. Keine Geschenke konnten sie mit ihrem jetzigen Leben versöhnen. Die beiden anderen Weiber taten alles Mögliche, ihr das Leben recht sauer zu machen, wobei sie auch von ihren Kindern noch Kräften unterstützt wurden. Sie hatte den Mut nicht, den Misshandlungen entgegenzutreten, denn der Verlust ihres Geliebten hatte ihr Herz gebrochen.

Jener junge Mann aber hatte sich die Sache nicht zu sehr zu Gemüte genommen. Er hatte sich weder erhängt noch ersäuft, war auch nicht fort in die Fremde gezogen, sondern war ruhig im Dorf geblieben und seiner gewohnten Beschäftigung nachgegangen, als ob gar nichts vorgefallen wäre.

Einstmals, als der alte Shah-co-pee auf der Jagd war, trafen sich die beiden Geliebten. Als sie sich vergewissert hatten, dass sie niemand beobachtete, verließen sie Hand in Hand das Dorf auf Nimmerwiedersehen. Wie nun der Häuptling nach Hause kam und sein geliebtes Frauchen nicht antraf, fragte er seine zurückgebliebenen Frauen nach ihr, aber diese konnten ihm keine Auskunft geben. Bald hörte er jedoch, dass auch der junge Rotstein verschwunden sei. Er ging hin, schnitt den dicksten Stock ab, den er handhaben konnte, und prügelte in seinem Ärger seine alten Frauen dermaßen durch, dass sie wie tot liegen blieben.

Doch seine Wut dauerte nicht lange. Bald rauchte er wieder ruhig und gelassen seine Pfeife und die Squaws erholten sich auch wieder.

»Es hat mir doch schon lange geahnt«, sagte er eines Tages zu einem neben ihm sitzenden Freund, »dass mich bald ein großes Unglück heimsuchen würde. Ich habe nämlich kürzlich Unkatahe, den großen Fisch, mit seinen langen Hörnern gesehnt, und dies bedeutet nie etwas Gutes.«

»Ich sah einstens«, erwiderte jener, »wie Unkatahe bei den Minnehaha-Fällen unter das Eis kroch und es in große Stücke brach, die danach an das Ufer getrieben wurden und alle Bäume mit sich rissen. Zu der Nähe von Fort Snelling stand ein Haus, in dem ein weißer Mann mit seiner Frau wohnte. Die Frau hörte den Lärm, aber ehe ihr Gemahl erwachte und ihr folgte, war sein Haus von der Flut eingerissen und er ertrank. Nicht weit davon war ein Indianerlager, in dem sich ein krankes Mädchen befand. Demselben hatten sie eine Hütte neben den Fluss gemacht; aber ehe sie ihr zu Hilfe eilen konnten, hatte die Flut ihr Häuschen fortgetrieben. Ihr Vater sprang ihr nach ins Wasser und rief: »Dies hat Unkatahe getan. Er hat meine kranke Tochter zu sich hinabgezogen und ich hoffe, er macht es mit mir ebenso!«

»Die Macht Unkatahes ist groß!«, rief Schah-co-pee aus. In der Bewunderung dieses Ungetüms vergaß er sein ganzes Unglück.

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