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Oberhessisches Sagenbuch Teil 85

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

Die stumpfe Kirche unter Burkhards

Eine halbe Stunde unterhalb Burkhards im Grunde, die Nidder entlang, stehen hart am Wasser die spärlichen Mauerreste einer uralten Kapelle, auf welche von Wingershausen aus ein Fußpfad über die Bach führt, der noch heute der Pfaffenweg heißt. Es ist nun schon lange her, da machten zwei Burkhardser Männer auf einer Wiese bei dieser stumpfen Kirche Heu. Es war um die Mittagszeit und der Schweiß lief ihnen unter dem Wenden vom Gesicht. Indessen sah der eine zwei alte Mönche mit grauen, langen Bärten und in ihrem klösterlich schwarzen Gewand den Pfad daher kommen. Er deutete schweigend seinem Gesellen auf die wunderliche Erscheinung, allein dieser sah anfangs gar nichts. Erst als er ihm über die linke Schulter blickte, nahm auch er die beiden Pfaffen wahr, wie sie mit langsamem, feierlichem Gang, leise singend, zu der stumpfen Kirche fürbass schritten und endlich in den Ruinen plötzlich verschwanden.

Außer dem Leib

In Wetterfeld bei Laubach war ein Pfarrer, der einst mit seiner Frau zu einem längeren Besuch nach Battenberg ins Hinterland verreiste. Ein noch zartes Kind, ein blühendes Knäblein, das sie sehr liebten, ließen sie unter der Obhut einer Schwägerin zurück, die in ihrer Abwesenheit in ihrer Kammer schlief und die Wiege vor dem Bett stehen hatte, um gleich bei der Hand zu sein, wenn das kleine Bürschchen etwas bedürfen sollte.

Etliche Tage danach hatte sich die Mutter desselben zu Bett gelegt und war mit dem Gedanken an ihren fernen Liebling und in Sehnsucht nach ihm fest eingeschlafen. Im Schlaf kam es ihr vor, als wache sie auf und tue sich an. Dann öffnete sich das Fenster des Gemaches. Es wurde ihr zumute, als schwebe sie hinaus, emporgehoben über Häuser und Bäume, über Berge und Täler, Flüsse und Länder, als flöge sie in den Lüften dahin einen weiten, weiten Weg.

Als sie zu sich selbst kam, stand sie zu Wetterfeld vor ihrer wohlbekannten Haustür, und es war Nacht. So trat sie ein, tappte die Treppe hinauf zu ihrer Schlafkammer und drückte zögernd die Klinke auf. Siehe, da brannte auf dem Tischchen vor ihrem Bett ein Nachtlicht und erhellte zur Hälfte den stillen Raum. Die Schwägerin lag regungslos auf den Kissen, die Wiege befand sich vor ihr, mit einem grünen Vorhang oben zugedeckt. Da schritt sie herzu, schlug die Vorhänge der Wiege zurück und sah ihr Kind da liegen, wie einen Engel Gottes, süß und friedlich schlummern.

Ihr Mutterherz kam in Wallung und weil sie dem Kind alles Gute gönnte, sprach sie mit segnend erhobener Hand über seinem Haupt den alten frommen Spruch: »Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde.« Aber in demselben Augenblick, da sie das sagte, gab es neben ihr ein Geräusch. Sie blickte um sich und gewahrte, wie die Schwägerin sich entsetzt mit der Hälfte des Leibes aufrichtete und sie mit weit geöffneten Augen anstierte. Zugleich hörte sie sich schrill beim Namen rufen …

Noch klang der ängstliche Schrei in ihren Ohren nach, als sie zur Besinnung kam und sich in Battenberg fand, wo sie sich unruhig auf ihrem Lager wälzte. Was sie getan, geschaut, gesagt hatte, kam ihr deshalb je länger, je mehr, wie ein absonderlich lebhafter Traum vor. Ihr Herz dachte an nichts anderes, und so schwieg sie von da an.

Allein, was musste sie hören, als sie wieder daheim bei den ihren ankam? Als der erste Sturm der Bewillkommnung vorüber war, fragte die Pfarrfrau die Schwägerin: »Nun, meine Liebe, es ist doch in unserer Abwesenheit alles gut gegangen und nichts Besorgliches vorgefallen?«

»Ach nein«, antwortete die, »außer an dem und dem Tag, zu der und der Stunde der Nachtzeit hast du mich recht erschreckt.«

»Ich?«, entgegnete aufs Höchste gespannt die Pfarrfrau, »wie sollte das sein?«

»Nun, so höre, was ich erlebt habe, ist es Täuschung oder was ist es, ich weiß es nicht. Also, zu jener Zeit lag ich, das Nachtlicht vor dem Bett, schlafend vor der Wiege. Da wurde ich wach. Ich hörte die Haustür auf- und zugehen, dann kam es herauf, Schritt für Schritt. O. ich kannte das wohl, das warst du und niemand anders. Und richtig, über eine Weile ging die Tür der Schlafkammer auf und ich sah dein Gesicht. Es war kein Zweifel, so sahst du aus und so warst du bekleidet, du schautest dich ruhig eine Minute lang um, als suchtest du etwas. Ich aber vermochte mich nicht zu rühren und zu regen, wie Blei lag es auf meinen Gliedern. So tratst du heran zur Wiege, schlugst die Vorhänge zurück und betrachtetest mit innigem Wohlgefallen den ruhig schlafenden Buben. Dann hobst du die Hand über ihn auf, wie dein Mann beim Segnen in der Kirche.«

»Und sagte ich was?«, fragte die von der Erzählung ganz überwältigte Pfarrfrau?

»Ja, du sagtest: ›Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde.‹ Wie ich aber das hörte, konnte ich es nicht aushalten vor Grusel, tat mir alle Gewalt an und rief, mich auf dem Bett erhebend, laut deinen Namen. Auf einmal war alles verschwunden. Mit offenen Augen und offenem Mund lag ich auf dem Bett und sah wohl, dass in der tiefen Dunkelheit rings um mich her das Ganze nur ein Bild meiner erhitzten Einbildungskraft könne gewesen sein. Aber was siehst du mich so eigen bei alledem an? Und warum fragst du so sonderbar?«

Da erzählte mit bebender Seele die Pfarrfrau auch ihr Erlebnis, das traf zu mit dem eben Vernommenen von Wort zu Wort, auf Zeit und Stunde und fehlte auch keine Kleinigkeit, so genau stimmte alles zusammen. So wurden sie inne, dass allerdings, doch außer dem Leib, eine Fahrt durch die Luft müsse stattgefunden haben, und dankten Gott, dass die wunderbare Geschichte doch wenigstens dem Haus nichts Böses verkündet hatte.

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