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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – Kapitel XIV

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Erstes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XIV. Worin nachgewiesen ist, dass, wenn Porthos mit seinem Verhältnis unzufrieden war, Mousqueton sich mit dem seinen sehr zufrieden fühlte.

Gegen das Schloss zurückkehrend, während Porthos in seinen Baronträumen schwamm, dachte d’Artagnan an das Elend dieser armen menschlichen Natur, welche stets unzufrieden ist mit dem, was sie hat, und das wünscht, was sie nicht hat. An der Stelle von Porthos hätte sich d’Artagnan als den glücklichsten Menschen der Erde betrachten können und damit Porthos glücklich wäre, was fehlte ihm? Fünf Buchstaben vor alle seine Namen zu setzen und eine kleine Krone an seinen Wagen malen lassen zu dürfen.

»Ich werde mein ganzes Leben damit hinbringen, rechts und links zu schauen«, sagte d’Artagnan zu sich selbst, »ohne das Gesicht eines völlig glücklichen Menschen zu sehen.«

Er stellte diese philosophische Betrachtung an, als die Vorsehung ihn Lügen strafen zu wollen schien. In dem Augenblick, wo ihn Porthos verließ, um seinem Koch einige Befehle zu geben, sah er Mousqueton auf sich zukommen. Das Gesicht des braven Burschen, abgesehen das einer leichten Bewegung, welche wie eine Sommerwolke seine Physiognomie mehr überflorte, als verschleierte, schien das eines vollkommen glücklichen Menschen zu sein.

»Das ist es, was ich suchte«, sprach d’Artagnan zu sich selbst, »aber, ach, der arme Bursche weiß nicht, warum ich gekommen bin.«

Mousqueton hielt sich in einiger Entfernung. D’Artagnan setzte sich auf eine Bank und bedeutete ihm durch ein Zeichen, er möge näher kommen.

»Monsieur Lieutenant«, sprach Mousqueton, die Erlaubnis benutzend, »ich habe Euch um eine Gnade zu bitten.«

»Sprich, mein Freund«, sagte d’Artagnan.

»Ich wage es nicht, denn ich fürchte, Ihr könntet denken, das Glück habe mich verdorben.«

»Du bist also glücklich?«

»So glücklich, als man möglicherweise sein kann, und dennoch könntet Ihr mich glücklicher machen.«

»Nun gut, sprich, und wenn es von mir abhängt, so soll es geschehen.«

»Oh! Gnädiger Monsieur, es hängt nur von Euch ab.«

»Lass hören.«

»Die Gnade, um die ich Euch bitte, besteht darin, mich nicht mehr Mousqueton, sondern Mouston zu nennen. Seitdem ich Intendant meines gnädigen Herrn bin, habe ich diesen Namen angenommen, welcher würdiger erscheint und dazu dient, mir Achtung bei meinen Untergebenen zu verschaffen. Ihr wisst, wie notwendig die Subordination bei dem Gesinde ist.«

D’Artagnan lächelte, Porthos verlängerte seinen Namen, Mousqueton verkürzte den seinen.

»Nun, gnädiger Monsieur?«, sprach Mousqueton zitternd.

»Nun gut, ja, mein lieber Mouston«, erwiderte d’Artagnan, »sei unbesorgt, ich werde dein Gesuch nicht vergessen. Und wenn es dir Vergnügen macht, so werde ich dich sogar nicht mehr duzen.«

»Oh!«, rief Mousqueton, rot vor Freude, »wenn Ihr mir eine solche Ehre erweisen würdet, so wäre ich Euch mein ganzes Leben dankbar. Aber das hieße vielleicht zu viel verlangen.«

»Ach«, sagte d’Artagnan in seinem Inneren, »das ist sehr wenig, den unerwarteten Plackereien gegenüber, die ich diesem armen Teufel bringe, der mich so gut empfangen hat.«

»Und der gnädige Monsieur bleibt lange bei uns?«, sprach Mousqueton, dessen Angesicht, zu seiner vollen Heiterkeit zurückgekehrt, wie eine Gichtrose aufblühte.

»Ich reise morgen ab, mein Freund«, antwortete d’Artagnan.

»Ah, gnädiger Monsieur«, sagte Mousqueton »Ihr seid also nur gekommen, um uns Kummer zu machen?«

»Ich befürchte es«, sprach d’Artagnan so leise, dass Mousqueton, der sich mit einer Verbeugung zurückzog, es nicht hören konnte.

Ein Gewissensbiss regte sich im Inneren von d’Artagnan, obwohl sein Herz sich bedeutend verhärtet hatte. Er bedauerte es nicht, Porthos auf eine Bahn zu versetzen, wo sein Leben und sein Vermögen gefährdet werden sollten, denn Porthos wagte all dies freiwillig für einen Barontitel, den er seit fünfzehn Jahren zu erlangen trachtete. Aber Mousqueton, der nichts wünschte, als Mouston genannt zu werden, war es nicht grausam, diesen seinem kostbaren Leben, der Hülle und Fülle zu entziehen? Dieser Gedanke beschäftigte ihn, als Porthos wieder erschien.

»Zu Tisch!«, sprach Porthos.

»Wie, zu Tisch?«, fragte d’Artagnan. »Wie viel Uhr ist es denn?«

»Ei, mein Lieber, es ist ein Uhr vorüber.«

»Euer Wohnort ist ein wahres Paradies, Porthos, man vergisst die Zeit. Ich folge Euch, aber ich habe keinen Hunger.«

»Kommt, wenn man nicht immer essen kann, so kann man doch wenigstens immer trinken. Das ist eine von den Maximen des armen Athos, deren Richtigkeit ich anerkannt habe, seitdem ich mich langweile.«

D’Artagnan, den seine gascognische Natur stets ziemlich nüchtern gelassen hatte, schien nicht ebenso sehr, wie sein Freund, von der Wahrheit des Axioms von Athos überzeugt. Nichtsdestoweniger tat er, was er konnte, um sich auf der Höhe seines Wirtes zu erhalten. Während er indessen Porthos beim Essen zuschaute und nach Kräften trank, kam d’Artagnan wieder der Gedanke an Mousqueton, und zwar umso stärker, als Mousqueton, ohne selbst bei Tisch zu servieren, was unter seiner neuen Stellung gewesen wäre, von Zeit zu Zeit an der Tür erschien und seine Dankbarkeit gegen d’Artagnan durch das Alter und das Gewächs der Weine, die er auftragen ließ, kundgab.

Bei dem Dessert, als Porthos auf ein Zeichen von d’Artagnan seine Lakaien weggeschickt hatte und sich die zwei Freunde allein befanden, sagte d’Artagnan:

»Porthos, wer wird Euch bei Euren Feldzügen begleiten?«

Porthos antwortete natürlich: »Mouston, wie es mir scheint.«

Das war ein Schlag für d’Artagnan. Er sah bereits das wohlwollende Lächeln des Intendanten sich in eine Grimasse des Schmerzes verwandeln.

»Doch, mein Freund«, versetzte d’Artagnan, »Mouston scheint mir nicht mehr in der ersten Jugend zu stehen. Überdies ist er sehr dick geworden und hat vielleicht die Gewohnheit des selbsttätigen Dienstes verloren.«

»Ich weiß es«, erwiderte Porthos; »aber ich bin an ihn gewöhnt, und überdies würde er mich nicht gerne verlassen. Er liebt mich zu sehr.«

O blinde Eitelkeit!, dachte d’Artagnan.

»Und dann«, sprach Porthos, »habt Ihr nicht immer noch denselben Lakaien in Eurem Dienst, den guten, den braven, den gescheitert … Wie nanntet Ihr ihn doch?«

»Planchet. Ja, ich habe ihn wiedergefunden. Aber er ist nicht mehr Lakai.«

»Was ist er denn?«

»Mit seinen sechzehnhundert Livres, Ihr wisst, die sechszehnhundert Livres, die er bei der Belagerung von La Rochelle durch die Überbringung eines Briefes an Lord Winter gewonnen hat, hat er einen kleinen Laden in der Rue des Lombards eröffnet und ist Zuckerbäcker.«

»Ah, er ist Zuckerbäcker in der Rue des Lombards? Aber wie kommt es, dass er Euch folgt?«

»Er hat einige Streiche gemacht«, erwiderte d’Artagnan, »und befürchtet deshalb, beunruhigt zu werden.«

»Nun wohl, wenn man Euch einst gesagt hätte, mein Lieber, Planchet würde eines Tages Rochefort retten, und Ihr würdet ihn deshalb verbergen?«

»So hätte ich es nicht geglaubt. Aber was wollt Ihr? Die Ereignisse ändern die Menschen.«

»Nichts ist wahrer«, sagte Porthos. »Aber was sich nicht ändert oder was sich vielmehr nur ändert, um besser zu werden, das ist der Wein. Kostet einmal diesen. Es ist ein spanisches Gewächs, welches unser Freund Athos sehr achtete, es ist Xeres.«

In diesem Augenblick kam der Intendant, um seinen Herrn über den Küchenzettel des anderen Tages und auch über die beabsichtigte Jagdpartie zu befragen.

»Sage mir, Mouston«, sprach Porthos, »meine Waffen sind in gutem Stand?«

D’Artagnan fing an, auf dem Tisch zu trommeln, um seine Verlegenheit zu verbergen.

»Was für Waffen, gnädiger Monsieur?«, fragte Mouston.

»Meine Kriegswaffen.«

»Ja, gnädiger Monsieur, Ich glaube wenigstens.«

»Du wirst dich morgen überzeugen und sie putzen lassen, wenn es notwendig ist.«

»Welches von meinen Pferden ist der beste Renner?«

»Vulcan.«

»Welches ist am bestes für Strapazen?«

»Bayard.«

»Welches Pferd liebst du für deine Person?«

»Ich liebe Rustand, gnädiger Monsieur. Es ist ein gutes Tier, mit dem ich mich am besten verständige.«

»Es ist kräftig, nicht wahr?«

»Normanne mit Mecklenburger gekreuzt. Er würde Tag und Nacht gehen.«

»So ist es gut. Du lässt die drei Tiere gehörig stärken, putzt meine Waffen oder lässt sie putzen, dann Pistolen für dich und ein Jagdmesser.«

»Wir reisen also, gnädiger Monsieur?«, sprach Mousqueton, bereits sehr unruhig.

D’Artagnan, welcher bisher nur unzusammenhängende Dinge getrommelt hatte, schlug einen Marsch.

»Noch etwas Besseres, Mouston«, antwortete Porthos.

»Wir machen eine Expedition, gnädiger Monsieur?«, sprach der Intendant, dessen Rosen sich in Lilien zu verwandeln anfingen.

»Wir treten wieder in den Dienst, Mouston«, erwiderte Porthos, indem er seinem Schnurrbart die martialische Biegung zu geben versuchte, die er verloren hatte.

Diese Worte waren kaum ausgesprochen, als Mousqueton von einem Zittern befallen wurde, das seine dicken, geaderten Backen schüttelte. Er schaute d’Artagnan mit einer unbeschreiblichen Miene zarten Vorwurfs an, die der Offizier nicht ertragen konnte, ohne sich gerührt zu fühlen.

Dann wankte er und sprach mit einer beinahe erstickten Stimme: »Dienst, Dienst bei der Armee des Königs?«

»Ja oder Nein. Wir ziehen ins Feld, suchen allerlei Abenteuer und fangen das Leben von ehemals wieder an.«

Dieses Wort fiel wie ein Blitzstreich auf Mousqueton, es war dieses furchtbare Ehemals, was das Letzte so angenehm machte.

»Oh, mein Gott! Was höre ich?«, sprach Mousqueton, mit einem immer mehr flehenden Blick an die Adresse von d’Artagnan gerichtet.

»Was wollt Ihr, mein armer Mouston?«, sprach d’Artagnan. »Das Schicksal …«

Trotz der Vorsicht von d’Artagnan, ihn nicht zu duzen und seinem Namen das von ihm gewünschte Maß zu geben, empfing Mousqueton nichtsdestoweniger den Schlag, und dieser Schlag war so furchtbar, dass er ganz niedergeschmettert hinausging, wobei er die Tür zu schließen vergaß.

»Dieser gute Mousqueton! Er kennt sich nicht vor Freude!«, sagte Porthos mit dem Ton, dessen sich Don Quichote wohl bediente, als er Sancho Pansa aufforderte, seinen Esel zu einem letzten Feldzug zu satteln.

Die zwei Freunde, die nun allein waren, fingen an, von der Zukunft zu sprechen und Luftschlösser zu bauen. Der gute Wein von Mousqueton ließ d’Artagnan eine glänzende Perspektive von Quadrupeln und Pistolen, Porthos das blaue Band und den Herzogsmantel erschauen. Es ist nicht zu verbergen, dass sie auf dem Tisch schliefen, als man kam und sie aufforderte, zu Bett zu gehen.

Doch am anderen Morgen wurde Mousqueton einigermaßen von d’Artagnan getröstet, der ihm mitteilte, der Krieg würde wahrscheinlich im Herzen von Paris und im Bereich des Schlosses du Vallon, welches unweit von Corbeille lag, von Bracieux, welches bei Melun, und von Pierrefonds, welchen zwischen Compiègne und Villers-Cotterets war, geführt werden.

Aber er scheint mir, dass ehemals …«, sprach Mousqueton schüchtern.

»Oh«, sagte d’Artagnan, »man führt den Krieg nicht mehr auf die Weise, wie ehemals. Gegenwärtig sind es diplomatische Angelegenheiten, fragt nur Planchet!«

Mousqueton zog Erkundigungen bei seinem alten Freund ein, welcher in jeder Beziehung das, was d’Artagnan gesagt hatte, bestätigte. »Nur«, fügte er bei, »laufen in diesem Krieg die Gefangenen Gefahr, gehenkt zu werden.«

»Pest!«, sprach Mousqueton, »ich glaube, die Belagerung von La Rochelle wäre mir lieber.«

Porthos, nachdem er seinen Gast ein Reh hatte erlegen lassen, nachdem er ihn von seinen Waldungen auf seinen Berg, von seinem Berg an seine Teiche geführt, nachdem er ihn seine Windhunde, seine Meute, Gredinet, kurz alles, was er besaß, gezeigt und ihm darauf weitere verschwenderische Mahle gegeben hatte, forderte von d’Artagnan, der ihn nun verlassen musste, um seinen Weg fortzusetzen, bestimmte Instruktionen.

»So hört, mein Freund«, erwiderte der Bote, »ich brauche vier Tage von hier nach Blois, einen Tag bleibe ich dort, drei bis vier Tage brauche ich zur Rückkehr nach Paris. Reist also in einer Woche mit Eurer Equipage ab;, nehmt Euer Absteigquartier in der Rue Tiquetonne im Gasthof Zur Rehziege und erwartet dort meine Rückkehr.

»Abgemacht«, sprach Porthos.

»Ich mache eine Reise ohne Hoffnung zu Athos«, sagte d’Artagnan, »aber, obwohl ich ihn für unfähig geworden halte, so muss man doch gewisse Rücksichten gegen seine Freunde beobachten.«

»Wenn ich mit Euch ginge«, versetzte Porthos, »es würde mich vielleicht zerstreuen.«

»Es ist möglich«, antwortete d’Artagnan, »und mich auch, aber Ihr hattet keine Zeit mehr, um Eure Vorbereitungen zu treffen.«

»Das ist wahr. Geht also und guten Mut. Ich, was mich betrifft, bin voll Eifer.«

»Vortrefflich!«, sprach d’Artagnan.

Sie trennten sich auf der Grenze des Gebietes von Pierrefonds, bis an welche Porthos seinen Freund begleitete.

»Wenigstens«, sprach d’Artagnan, den Weg nach Villers-Cotterets einschlagend, »wenigstens werde ich nicht allein sein. Dieser Teufel von einem Porthos besitzt noch tüchtige Kräfte. Kommt Athos hinzu, so sind mir zu dritt und können über Aramis, diesen kleinen Glücksjäger, spotten.«

In Villers-Cotterets schrieb er an den Kardinal.

Monseigneur, ich kann Eurer Eminenz bereits einen anbieten, und dieser eine ist zwanzig Mann wert. Ich reise nach Blois ab, der Graf de la Fère wohnt in der Nähe dieser Stadt im Schloss Bragelonne.«

Und hiernach schlug er, sich mit Planchet beratend, der ihm während seiner langen Reise sehr zur Zerstreuung diente, den Weg nach Blois ein.

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