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Neue Gespenster – 16. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil
Sechzehnte Erzählung

Die Geisterkarosse in Kronstadt

Ich kehrte im Jahre 1794 zufällig einmal spät in der Nacht von der Behausung eines meiner benachbarten Freunde zu Kronstadt in meine Wohnung zurück. Die Gespensterstunde war noch nicht vorüber; allein ich hatte niemals an die Hirngespinste geglaubt, welche ihr etwas Fürchterliches und Grauenerregendes geliehen haben. Unbewogen würde ich daher nicht einmal an den Geisterunfug gedacht haben, wovon ich Zeuge sein sollte. Ohnehin war die Nacht mondhell und Geister lieben auch selbst nicht einmal das Sternenlicht. Die Finsternis ist ihr Reich, ihre Tummelplätze sind dunkle Gruften, einsame Begräbnisplätze, Wüsteneien, in welchen nur Käuzchen hausen, und verwünschte Schlösser. Wie hätte wir also mitten in unserem volkreichen und blühenden Handelsort der haarempörende Gedanke an Gespenster in den Sinn kommen sollen?

Und doch – wurde ich gleichsam mit Haaren dazu gezogen, Geisteräußerungen wahrzunehmen, die mein Erstaunen rege machten. Ich befand mich am Ende des Rosenangergässchens, als ich plötzlich ganz in meiner Nähe einen Wagen rasseln hörte, den meine Augen nirgends entdecken konnten. Von Natur neugierig und ohne Furcht und Grauen, eilte ich ungesäumt einige Schritte in die Nonnengasse hinein, von wo aus das Gerassel in meine Ohren drang.

Ich war, wohin ich laufen musste, um zu entdecken, wer hier in einer Gegend, wo sonst des Fahrens eben nicht viel ist, so spät noch kutschierte. Ich stand, horchte, gaffte und fand all meine Erwartungen getäuscht. Wunderbar!, dachte ich bei mir selbst, hier fuhr doch, wenn anders ich gesunde Ohren habe, eine Kutsche, und nun ist wieder alles still. Hier, wo ich bei dem hellsten Mondenschein die Straßen überschaue, müsste ich doch irgendwo den Wagen erblicken, der vor wenigen

Augenblicken noch ganz in meiner Nähe zu sein schien. Nirgends sehe ich einen Torweg geöffnet, auf den Dächern fährt man nicht mit Wagen. Verschwinden kann er nicht – in der hat wunderlich!

Indem ich so die Gassen hinauf und hinab sah, ohne dadurch den Zauberwagen hierbei zu sehen, erneuerten sich spukhafte Töne, zwar unvernehmlicher und dumpfer als die vorigen, aber unverkennbar rührten sie von dem nämlichen, verschwundenen Fuhrwerk her. Die Töne kamen aus einem zur Franziskanergasse führenden Quergässchen. Ich eilte in dasselbe hinein und hörte wiederum nichts. Ich durchlief dasselbe bis an die Franziskanergasse. Auch hier sah und hörte ich nichts, aber hinter mir, in dem eben erst durchlaufenen Gässchen, begann abermals ein mir unbegreifliches Getöse. Es glich jetzt vernehmlich dem dumpfen Gepolter, wie es ans einem hehren unterirdischen Gewölbe, in welchem arg hausgehalten wird, zu unseren Ohren dringen würde.

Ich dachte eben nicht an eine Wirkung böser Geister; noch weniger fürchtete ich die Erscheinung dieser Unholden, und dennoch war es mir in diesem Augenblick, als ob die Haare unter meiner Nachtmütze diese ein wenig lüfteten. Aber ganz unbeschreiblich war das kalte Grausen, besonders der Kopfhaut, welches dieses unwillkürliche Emporstreben der Haare begleitete. Wer dies nie selbst empfunden hat, der wird sich schwerlich eine klare Vorstellung von diesen Empfindungen zu machen imstande sein.

Aber ungeachtet dieses aufrichtigen Geständnisses dieser meiner Empfindung, die wohl nur in vorgefassten Meinungen begründet zu sein schien und der menschlichen Natur vielleicht allgemein, und von ihr unzertrennbar ist, muss ich zugleich so ruhmredig wie ehrlich versichern, dass ich auch nicht mit dem entferntesten Gedanken daran dachte, die Flucht ergreifen zu wollen. Vielmehr kehrte ich ungesäumt aufs Neue in die spukhafte Gegend des Gässchens zurück. Mein sehnlichster Wunsch war, das Dunkel in dieser Sache aufgeklärt zu sehen. Ich würde es mit dem Teufel selbst aufgenommen haben, wenn davon die Enträtselung des anscheinenden Teufelswerkes abgehangen hätte.

Mein rasches Zurückfliegen zum Ort des Poltergeistes – meine mit jedem Augenblick mehr aufgeregte Sehnsucht nach Wahrheit und

Licht in dieser moralischen Finsternis – mein fester Männersinn und meine Entschlossenheit selbst zum Geisterkampf – all dieses half mir indessen zu nichts. Das Gespenst, mit welchem ich es nun einmal zu tun haben sollte, hatte mich noch obendrein zum Besten gehalten. Es hörte auf zu toben, wenn ich mich in seiner Nähe befand, und begann den Unfug von Neuem, wenn ich wieder meinen Weg gegangen war.

Ich ging indessen nur, um unermüdlich abermals zu stehen, zu forschen und zu horchen. Meine Gedanken und Mutmaßungen erschöpften sich bald und tappten gleichsam in dem ungeheuren, leeren Raum der Möglichkeiten blind umher.

Um nicht müßig und gedankenlos auf der Straße zu stehen, würdigte ich sogar den bekannten wilden Jäger der Ehre, zu überlegen, ob er sich vielleicht einmal vom holzreichen, steilen Berg, an dessen Fuß unser Kronstadt liegt, in die Stadt hinab verirrt und jene Gaukelei der Ohren über mir verursacht haben könnte.

Aus diesem Traum wurde ich indessen plötzlich durch das abermalige Rasseln der spukenden Karosse aufgeschreckt. Sie fuhr mir ganz in der Nähe rasch vorüber. Ich hörte sie nicht nur, ich erblickte sie diesmal auch. Es schien ein Einspänner zu sein; so hörbar das höllische Fuhrwerk auch dahinrasselte, so war es doch nur sehr klein gestaltet.

Pfeilschnell flog ich hinter dasselbe her und erreichte es glücklich in der Gegend, an der Ecke des Gässchens, wo vormals ein Radbrunnen stand. Das ganze schwer beladene Fuhrwerk wollte samt seiner bewegenden Kraft, die weder einen noch vier Pferdehufe hatte, in ein Eckhaus hineinschlüpfen.

»In aller Welt, Herr Nachbar!«, so redete ich den Nachtgeist an, »ist Er es doch!«

Er: »Jawohl, bin ich es! Hat Er daran gezweifelt?«

Ich: »Gezweifelt? Freilich! Wer glaubt um Mitternacht, Ihn in den Karren gespannt zu finden?«

Er: »Ja nun! Am Tage schämt mancher sich der Karre; Arbeitsamkeit und Sparsamkeit ist nur des Nachts nicht Schande.«

Ich: »Wie meint er das?«

Er: »So, wie die Worte lauten. Ich habe meine Wohnung verändert und bin hier in das zweite Haus, vom Radbrunnen angerechnet, eingezogen. Um den Fuhrlohn zu sparen, karre ich selbst mir den Holzvorrat aus der verlassenen Wohnung hierher.«

Ich: »Aber warum denn gerade zur Mitternacht?«

Er: »Um nicht zu Mittag von Leuten, welche Lohnfuhren besser als ich bezahlen können, vorschnell ein zu guter Wirt gescholten zu werden.«

Ich: »So, so! Nun, arbeite Er sich nicht zu müde, Herr Nachbar, und schlaf Er dann wohl.«

Der Nachbar, der auch mir eine gute Nacht wünschte, war ein Knopfstrickermeister, dessen Namen ich nicht nennen mag, weil ich nicht weiß, ob dieser arbeitsame und fleißige Mann es gern sieht. Ohnehin tut auch sein Name nichts zur Sache.

Die Karre, deren er sich zum Fortschaffen des Holzes bediente, war bei der Kürze des Weges von der alten Wohnung zur neuen sehr schwer beladen und hatte ein mit Eisen beschlagenes Rad. Daher das Rasseln auf dem Steindamm, das ohnehin bei mitternächtlicher Stille doppelt geräuschvoll durch die Straßen ertönte. Auch muss ich noch bemerken, dass das dumpfe Gepolter durch das Auf- und Abladen des Holzes in Gemächern des Erdgeschosses veranlasst wurde und dass der Umziehende mit dem Holzwerfen pausierte, wenn er Leute auf der Straße gehen hörte, um durch seine mitternächtliche Beschäftigung kein Aufsehen zu erregen.

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