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Fort Wayne – Band 1 – Kapitel 6

F. Randolph Jones
Fort Wayne
Eine Erzählung aus Tennessee
Erster Band
Verlag von Christian Ernst Kollmann. Leipzig. 1854

Sechstes Kapitel

Auf seiner schmalen, baum- und strauchlosen Düne stand inzwischen Laroche, die Büchse schussfertig, zwischen den beiden Pferde, die einzige Deckung vor den Geschossen des Feindes, über welche er zu verfügen hatte. Er war sich seiner Lage vollkommen bewusst. Als das Kriegsgeschrei der Cherokee ihm verkündet hatte, dass er entdeckt sei, war es nicht Todesfurcht, welche einen Augenblick seine Seele verdüsterte, sondern der Gedanke, zu fallen, ehe die geheimnisvolle Aufgabe seines Lebens gelöst war, der er sich einst durch heilige Schwüre gewidmet, die vom heimischen Herd in die Wildnis geführt hatte. Ein prüfender Blick auf die schäumende Wassermasse des Tennessee zeigte ihm, dass er nicht imstande sein würde, schwimmend das jenseitige Ufer zu erreichen; noch hoffte er indessen, dass seine Reisegefährte Zeit genug haben würden, ihn zu holen, ehe der Angriff der Indianer erfolgte. Als er sie plötzlich im Wald verschwinden sah, verzog sich sein Mund zu einem bitteren Lächeln. Sich trotzig aufrichtend, fühlte er sich im Vollbesitz seiner Geistes- und Körperkraft, vollkommen gewachsen, der nahende Gefahr kaltblütig und entschlossen die Stirn zu bieten.

Von seinem Standpunkt aus konnte Laroche jede Bewegung des Feindes verfolgen. Nach einer kurzen Beratung hat die am Ausgang der Schlucht versammelten Indianer sich in zwei Gruppen geteilt, deren eine langsam und vorsichtig mit ihren Kanus der Insel zustrebte, während die andere mehr vereinzelt und wie bei einer Treibjagd die Gebüsche durchsuchend, längs des Ufers vordrang. Nur wenige Kriegerblieben im Lager zurück und es däuchte Laroche einen Augenblick, während er scharf hinüber spähte, als sähe er das flatternde Gewand einer europäischen Frau in dem dunklen Haufen der Rothäute.

Mutige und beherzte Gemüter vergessen beim Herannahen eines entscheidenden Kampfes über dem spannenden Interesse der Sache auf vollkommen der eigenen Gefahr, dass ihre Gefühle sich wenig von denen eines unbeteiligten Zuschauers unterscheiden. Dies war mit Laroche der Fall, als er, über die Kruppe des Pferdes hinüberschauend, die Bewegungen der Indianer mit gespannten Blick verfolgte. Die heftige Strömung ließ die Kanus, welche überdies zu stark bemannt waren, nur sehr langsam vorrücken. Da ihre Insassen klugerweise den Schutz der hundert in der Mitte des Flusses zerstreuten Inselchen suchten, so hatte Laroche schon mehr als einmal seine Büchse abgesetzt, weil es ihm an einem sicheren Ziel mangelte. Endlich aber erschien das Vorderste der Kanus etwa hundert Schritt aufwärts. Bedächtig hob Laroche sein Gewehr an die Wange, eine halbe Minute darauf krachte der Schuss und ein gellendes Geheul verkündete, dass der sichere Schütze sein Ziel nicht verfehlt hatte. Das Fahrzeug, dessen Ruderer jählings aufgesprungen waren, trieb im nächsten Augenblick steuerlos mitten im Strom und zerschellte an einer Klippe, deren weißer Zahn nur wenige Zoll über die Oberfläche hervorragte.

Ruhig lud Laroche wieder seine Büchse und spähte nach einem zweiten Fahrzeug, welches. nahe von der ganzen Flottille gefolgt, eben den nördlichen Vorsprung der nächstgelegenen Insel umschiffte.

»Die Sache ernst!«, murmelte er, »ich habe nur noch einen Schuss, höchstens zwei, denn ehe ich wieder lade, ist mir die Satansbrut auf dem Nacken!«

Aber es war nicht die Zeit, an die Zukunft zu denken, wo die Gegenwart ein so furchtbar drohendes Antlitz zeigte. Eben suchte sich Laroche ein neues Ziel und berechnete, wie viele Ruderschläge es bedürfe, um die Indianer an den Strand zu bringen, als das Pferd des Chevaliers, welches dem Feind zunächst stand, sich hoch aufbäumte, in rasenden Sprüngen das kurze Eiland hinabflog und dann zu Tode verwundet stöhnend zusammenbrach. Zugleich hörte es Laroche über seinem Haupt schwirren. Ein Pfeilhagel brauste daher. Als auch der Gaul des Doktors, getroffen oder nur erschreckt, in den Strom hinab setzte, sah er sich schutzlos dem wütenden Angriff der Cherokee ausgesetzt.

»Eine Kugel, und diese soll treffen!«, murmelte er zwischen den fest zusammengepressten Zähnen.  Das vorderste Boot war kaum zwanzig Schritt vom Land entfernt. Schlanke kräftige Gestalten spannten die Bogen und lüfteten die Tomahawks im Gürtel. Hinter ihnen drängte sich die ganze Flotte in emsiger Hast der Insel zu, um das Blut eines Einzigen, eines verlorenen Postens zu vergießen. Laroche drückte ab, dem Schuss folgte das Wehgeschrei wie zuvor, übertönt von dem Wutgeheul derer, die nun alle Vorsicht beiseite setzend in rasender Eile das Ufer zu gewinnen versuchten. Aber noch ein anderes gewaltigeres Echo klang wie der rollende Donner des Himmels vom Lagerplatz der Cherokee herüber – eine voll–, prasselnde Gewehrsalve, jauchzendes Hurra, Ächzen und schreien, der Lärm einer Schlacht, der Kriegsruf der Europäer!

Die Wirkung dieser unerwarteten Katastrophe war gleichmäßig überraschend für alle Teilnehmer an der eben beschriebenen Szene. Laroche, der sich bereits einem grausamem Tod glaubte, ließ mechanisch die Büchse sinken und blickte erstaunt zu der Schlucht hinüber. Die Bemannung der Kanuflotte schien anfangs vom Schrecken völlig gelähmt zu sein. Als sie sich von der Ursache des plötzlichen Ereignisses erzeugt hatte, trat ein Augenblick unbeschreiblicher Verwirrung und Ratlosigkeit ein. Laroche war von Angreifern vergessen, niemand dachte daran, die wenigen Schritte bis zur Insel zurückzulegen. Erst als der halb drohende, halb klagende Kriegsruf, zu welchen der Anführer auf einem der vorderen Boote das Zeichen gab, die Cherokee zur Ergreifung eines Entschlusses mahnte, wurden sie von neuer Tätigkeit belegt. Die Gewalt des Stromes hatte die Fahrzeuge nach allen Seiten zerstreut und aus der Richtung gebracht. Aber wie von einem Willen gelenkt, und verzweifelt bei dem Gedanken, vielleicht von einer überlegenen Streitmacht in einen in einen Hinterhalt gelockt zu sein, strebten die Ruderer umkehrend mit verdoppelter Macht ihrem Lagerplatz zu, auf dem es plötzlich wieder totenstill und einsam geworden war. Während Laroche sich anschickte, den Flüchtlingen noch einige Schüsse nachzusenden, näherte sich auf der Westseite mit raschen Ruderschlägen ein einzelner Kahn, dessen Führer mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit zwischen den Klippen und Stromschnellen hindurchsteuerte, während ein zweites Individuum im Hinterteil des Fahrzeuges mit weit geringerer Kraft und Grazie das Ruder handhabte. Ein halblauter Ruf, mehr der Stimme eines Raubvogels als der eines Menschen ähnlich, zog Laroches Aufmerksamkeit auf die neuen Ankömmlinge, in denen er bald Matti-cho-wuh und den Doktor Littlewood erkannte. Nun erst wurde ihm klar, dass er seine Rettung einem geschickten und kühnen Plan seiner Begleiter verdankte. In demselben Augenblicke, als die Cherokee ihren Lagerplatz wieder erreichten, sprang auch Littlewood an den Strand der Insel.

»Ins Boot, Mr. Laroche, rasch ins Boot!«, sagte er im flüsternden Ton, als fürchte er, noch von dem Feind gehört zu werden. »Wahrhaftig, niemals war einem Apoplektikers ein Aderlass nötiger als Euch und uns die größte Schnelligkeit. Sind wir erst drüben, so sollt Ihr eine Geschichte hören, die Euer Herz sicher erfreuen wird.«

Laroche säumte keinen Augenblick, der Aufforderung Folge zu leisten. Kaum war er ins Boot gestiegen, als Matti-cho-wuh es abstieß und mit dem Strom hinabtreiben ließ.

Der kühne, zur Rettung Laroches ersonnene Plan war also vollständig gelungen. Als sich der Chevalier, von seinen drei Gefährten gefolgt, in das Dickicht geworfen hatte, war er kaum einige hundert Schritt in nördlicher Richtung vorgedrungen, so verkündete ihm beim Zurückblicken die Bewegung des Unterholzes am Ufer das Herannahen der sie bedrohenden Streifpartie. Mit der äußersten Vorsicht wendete sich die kleine Schar nun ostwärts und gelangte nach einem mühseligen Klettern über raues Gestein und umgestürzte Baumstämme an den oberen Rand der Schlucht, in welcher der Feind sein Lager aufgeschlagen hatte. Von ihrem Standpunkt aus konnten sie das enge Felstal mit einem Teil des Flusses überblicken. Ihre Erwartung, dass nur wenige in dem Lager zurückgeblieben sein würden, zeigte sich vollkommen bestätigt, denn nur etwa ein Dutzend – und diese fast unbewaffnet – standen, den Booten nachsehend, am Ufer, während zwei schon bejahrte Männer, auf ihre Bogen gelehnt, den Eingang eines leicht von Zweigen erbauten Wigwams bewachten.

»Möchte doch wissen, was sie da in dem Korb versteckt halten?«, sagte Mr. Lennox, »wahrscheinlich ein verdammtes Götzenbild, so eine Art Manitu oder große Medizin.«

Der Chevalier hatte rasch die ganze Szene überblickt. »Jetzt vorwärts!«, rief er, »wir haben nichts zu tun, als eine tüchtige Salve zu geben und ein Geschrei zu erheben, als wären wir unserer einige Hundert. Die Burschen da unten werden in den Fluss springen und die Boote zurückkehren, ehe sie Laroche erreicht haben.«

»Horch, das ist der Knall von Laroches Büchse!«, sagte einer der Georgier, als ein kurzer, dumpfer Knall, dem bald ein zweiter folgte, aus der Richtung des Stromes herüberschallte. »Noch haben sie ihn nicht, und ich denke, wir werden heute noch miteinander zu Abend essen.«

Den Anweisungen des Chevaliers folgend, stürzte nun die Truppe mit lautem Kriegsruf aus dem Dickicht die steilen Ränder der Schlucht herab. Kaum fünfzig Fuß von den erschrockenen Feinden entfernt, feuerten sie ihre Gewehre mit der verderblichsten Wirkung ab. Die am Ufer stehenden Indianer sprangen in demselben Augenblick in das Wasser, welches zwei oder drei tödlich Getroffene mit ihrem Blut röteten. Eine Minute später sahen sich die Angreifer im Besitz des Schlachtfeldes. Die beiden Wächter der erwähnten Hütte ergriffen indessen nicht die Flucht, vielmehr schickten sie sich an, Gegenwehr zu leisten, aber ein kräftiger Schlag mit dem Gewehrkolben, von Lennox eiserner Hand geführt, schleuderte den einen betäubt zu Boden, während der andere, sich duckend, einer Schlange gleich, im Wigwam verschwand.

Der Chevalier, dem natürlich nichts daran gelegen sein konnte, die Rückkehr der Boote oder derjenigen Indianer zu erwarten, welche den Strom hinauf gegangen waren, war im Begriff, den Befehl zum schleunigsten Rückzuge zu geben, als der ängstliche Hilfeschrei einer weiblichen Stimme, welche aus der Hütte schallte, ihn aufs Äußerste überraschte. Diese Stimme war ihm bekannt, sie durchbebte ihn wie ein elektrischer Schlag! Mit einem Sprung war er am Eingang der Hütte, riss mit Riesenkraft die eng verflochtenen Zweige auseinander und bohrte sein Messer tief zwischen die Schultern des Indianers, der im Begriff war, eine weiße Gefangene zu ermorden, die nun besinnungslos von den Armen ihres Retters aufgefangen wurde. Nur eines Blickes bedurfte es, um in der ohnmächtigen Edista zu erkennen. Hoch auf jauchzte sein Herz vor Freude, dass das Schicksal so unerwartet sie in seine Hand gegeben hatte, deren Spur er mit so brennendem Eifer unter Schrecken und Mühen verfolgt hatte. Die drängende Gefahr des Augenblickes, der Tumult des Kampfes und alle Schrecken der Wildnis waren vergessen, als er sich über die zerknickte Gestalt beugte und den Zeichen des wiederkehrenden Lebens lauschte. So geschah es, dass er unwillig emporfuhr, als ihm Lennox die schwere Hand auf die Schulter legte und mit einem bedeutsamen Wink zum Strome hin auf das nahende Verderben hinwies, welches unabwendbar war, wenn auch nur eine Minute länger der Rückzug in den Wald versäumt würde. In der Tat bogen die ersten Boote bereits um den Vorsprung der Schlucht und das wilde Kriegsgeschrei der Cherokee weckte ein hundertfaches Echo in den Bergen.

»Wollt Ihr mit aller Gewalt skalpiert sein«, rief Lennox mit drohender Heftigkeit«, um eines schwächlichen Frauenzimmers wegen, so wartet meinetwegen, bis die Bande am Ufer ist. Unser Weg führt nach Nashville; also gehabt Euch wohl!«

Damit verschwand er rasch, von seinen beiden Gefährten gefolgt, im dichten Gebüsch, welches kaum einen Ausweg aus dem rauen Felskessel zu gestatten schien. Der Chevalier kam, als er sich von seinen Begleitern getrennt sah, gleichfalls zum Bewusstsein seiner gefährlichen Lage. Mehr noch das Verlangen, die Geliebte in Sicherheit zu bringen, als Besorgnis für sich selbst, veranlasste ihn, ungesäumt dem Beispiel der Georgier zu folgen. Noch waren Edistas Augen geschlossen und ihre Arme sanken schlaff herunter, als er sie kräftig und voll beglückten Stolzes emporhob und mit der ersehnten Beute in die Tiefe des Waldes eintauchte. Kaum hatte der dunkle Blätterteppich ihn aufgenommen, als die Indianer das Ufer erreichten und beim Anblick des zerstörten Wigwams und der Leichen ihrer Brüder ein so markerschütterndes Geheul anstimmten, dass selbst der Chevalier sich einer Regung des Entsetzens nicht erwehren konnte und, Edista fester in seine Arme schließend, in atemloser Hast die steile Bergwand emporklomm. Er blickte nicht vor-, nicht rückwärts; er wusste nicht, ob er die gleiche Richtung wie seine Gefährten einschlug. Ein einziger Gedanke erfüllte seine Seele: Edista aus dem Bereich des Schreckens und der Feinde zu führen!

Fast eine halbe Stunde folgte er rastlos seinen mühsamen Weg, bald zurückgehalten von Schlingpflanzen und Rankengewächsen, bald über knorrige Wurzeln strauchelnd, bald gleitend in dem Rinnsal einer Bergquelle, als er, auf der Höhe des Kammes angelangt, erschöpft und atemlos an den Stamm einer Fichte gelehnt rasten musste. Edista, welche, allmählich zum Bewusstsein zurückkehrend, sich in der Gewalt eines düsteren Traumes glaubte und mit willenloser Hingebung dessen Verschwinden erwartete, hatte bis dahin kaum eine Bewegung gemacht. Als aber der Chevalier sie nun sorgsam in das hohe Gras niederließ und sie in seine vor Ermattung zwar halb geschlossenen, gleichwohl triumphierend leuchtenden Augen blickte, wurde ihr plötzlich die Wirklichkeit klar. Mit einem leisen Schreckensruf emporspringend, folgte sie ihrem ersten Impuls und trat einige Schritte vor ihrem Retter zurück. Ach, dieser erste Impuls war nicht der der Liebe, nicht einmal der Dankbarkeit für den Befreier aus der entsetzlichsten Gefangenschaft! In Edistas Blicken und Mienen malte sich vielmehr ein nicht minderer Schrecken, als der gewesen sein konnte, mit welchem sie sich von der Mordfaust des Indianers bedroht gesehen hatte. Der Chevalier, dem keine Seelenregung des Mädchens verborgen blieb, stieß einen dumpfen Seufzer aus. So verzweiflungsvoll und trauernd war der Ausdruck seines leichenblassen Gesichtes, dass Edista bereute, ihm so schnell und unverhohlen ihre Empfindungen verraten zu haben. Dem zu Tode ermatteten, fast ohnmächtigen Mann gegenüber mühte sie sich gewaltsam, die bitteren und schicksalsschweren Erinnerungen einer jüngst verflossenen Vergangenheit zu bekämpfen. Verwirrt und zögernd trat sie näher und senkte die Augen vor den verzehrenden Blicken ihres Retters.

»Haltet mich nicht für undankbar«, sagte sie, »wenn Eure Gegenwart mich erschreckte, Herr Chevalier de Raucourt. Es ist so viel des Schrecklichen an mir vorübergegangen in den letzten Tagen, dass auch ein stärkeres Gemüt, als das meine, erschüttert worden wäre. Ich verdanke Euch mein Leben, freilich ein armes, elendes Dasein, aber ich darf nicht richten darüber, um Eure Ansprüche zu verkleinern.«

Der Chevalier schüttelte halb schmerzlich, halb unwillig den Kopf. »Ich rechnete nicht auf Dank!«, sagte er, »rechne wenigstens jetzt nicht darauf, denn noch seid Ihr nicht gerettet und kaum darf ich hoffen, durch Eure Zurückführung in das väterliche Haus den Wünschen Eures Herzens Genüge zu leisten.«

Edista schreckte empor. »War dies der Zweck, der Euch meiner Spur durch die Wälder folgen ließ?«, fragte sie hastig, »wäre es möglich, dass Eure unwillkommene Werbung um Edista Beaufort auch die Gattin Richards Morrisʼ noch verfolgte?«

Der Chevalier fuhr auf, als habe er einen heftigen Schlag erhalten. »Es ist also wahr?«, rief er mit erstickter Stimme und fasste rau und unsanft Edistas Arm. »Es ist also wahr, was ich als ein verleumderisches Geschwätz verachtete? Ihr seid die Frau dieses elenden Morris, den ich unter meine Füße treten werde, wenn …«

»Kein Wort weiter!«, unterbrach in Edista den Wütenden und richte sich, ihn zürnend zurückstoßend, in stolzer Würde vor. »Ihr macht es mir leicht, allen Dank zu vergessen und zum Beweis, wie wenig die Gesellschaft eines Unsinnigen schätze, will ich sie augenblicklich mit der der Indianer eintauschen, die dort den Abhang heraufsteigen.«

Mit diesen Worten wendete Edista dem Chevalier den Rücken und schlug die Richtung zu einer kaum zweihundert Schritte entfernten Bergspalte ein, welche, unleugbar ein altes, nun versiegtes Flussbett, sich in schmalen Windungen bis auf die Sohle des Tales hinunter erstreckte. Auf diesem mit weißen Steinen besäten, dicht von verworrenem Buschwerk umsäumten Pfad stiegt eine zahlreiche Schar Indianer aufwärts. Mit raschem, kundigem Blick hatte der Chevalier nur zu bald bemerkt, dass auf allen Punkten der Bergwand einzelne Trupps des Feindes in paralleler Richtung sich gegen ihn in Bewegung setzten. De Raucourt hatte schon früher Gelegenheiten, als er im väterlichen Haus ihre Neigung zu gewinnen suchte, Edistas entschlossenen und festen Charakter genügsam kennen gelernt, um ihre nicht eine sofortige Ausführung ihres verzweifelt Entschlusses zutrauen zu dürfen. Überdies hatte die übergroße Gemütsbewegung, der Sturm so mannigfacher Leidenschaften Eindrücke innerhalb der jüngst vergangenen Stunden ihn in einen Zustand apathischer Betäubung versetzt, welche gewöhnlich – selbst bei den härtesten Naturen – nach der Überreizung physischer oder geistiger Kräfte einzutreten pflegt. Auch war es nun nicht an der Zeit, Betrachtungen anzustellen und den Empfindungen des Schmerzes, getäuschter Hoffnungen und gekränkten Stolzes in Klagen und Vorwürfen Luft zu machen. Sein einziger Gedanke, der Zielpunkt, der gleichsam wie ein leuchtendes Fanal durch das Dunkel schien, welches Herz und Gemüt ihm umhüllte, war Edistas Rettung um jeden Preis, und nie vielleicht fühlte sich der Chevalier vor sich selbst so gehoben, als in diesem Augenblick, wo die Stimme der Selbstsucht in ihm schwieg und die stolze Verachtung einer schwachen Frau ihn zwar demütigte, aber nicht erbitterte, sondern zum kühnen Handeln, zu edelmütiger Aufopferung anfeuerte.

»Vergebt mir, Edista!«, sagte er mit einem leisen Beben der Stimme, »Ihr würdet mich weniger hart beurteilen, wenn Ihr eine Ahnung meines Seelenzustandes hättet. Aber genug davon – ich werde schweigen und dulden. Wohin soll ich Euch führen?«

Edista blickte den Chevalier eine Minute lang forschend an. Es schien in der Tat, als habe sie in dem Herzen desselben wie in einem offenen Buch gelesen. Ihm versöhnend die Hand reichend, sagte sie: »Wohlan denn, suchen wir den Weg nach Fort Wayne. Wo auch mein Gatte umherirrt, um mich zu suchen, dort werde ich Nachricht von ihm oder die Mittel finden, seiner Spur zu folgen.«

Es wurde kein Wort weiter gewechselt; immer näher rückten die Indianerhaufen. Wie von neuer Jugendkraft belebt, stürzte sich der Chevalier in die Waldnacht, von Edista gefolgt. Eine schmale und steile Senke trennte die beiden Wanderer von einem noch höheren Bergkamm, der die letzte Stufe des Hochgebirges bildete; denn als sie denselben im hastigen Lauf erreicht hatten, schweiften ihre Blicke über ein unabsehbares, sich wellenförmig bis an die blauen Grenzen des Horizonts abstufendes Land; ein unermesslicher grüner Blätterteppich, hier und da von lichten Savannen und blitzenden Gewässern durchzogen.

Auf einem zirkelrunden Grasplatz, fast zu den Füßen des Chevaliers, erschien ein einzelner Mann, im hastigen Lauf aus dem Dickicht stürzen. Von der anderen Seite näherten sich langsamer und vorsichtig mehrere Bewaffnete, die mit Aufmerksamkeit der von lebhaften Gestikulationen begleiteten Rede des anderen zu horchen schienen.

»Da ist Laroche!«, rief der Chevalier, »und dort die Georgier. Aber der Doktor? Ich sehe ihn nicht. Folgt mir, Edista, bald befindet Ihr Euch unter dem Schutz kräftiger Arme und treuer Herzen, die Euch sicher nach Fort Wayne bringen werden und wäre jeder Baum dieses Waldes ein lauernder Feind.«

Damit stiegen sie die Berglehne hinab und sahen sich eine halbe Stunde später von Lennox und den Georgiern, von Laroche und dem Hiwassee begrüßt.

Doktor Littlewood aber fehlte im Kreise der Getreuen!

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