Neue Gespenster – 14. Erzählung
Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil
Vierzehnte Erzählung
Der verbuhlte Poltergeist in Eperies
Ich habe bisher Anstand genommen, Ihnen eine Gespenstergeschichte zu erzählen, welche sich hier in Eperies ereignete, weil ich den gemeinen Volkssagen wenig Glauben beimesse, und weil es mir anfangs nicht gelingen wollte, aus den bekannten Fragmenten ein Ganzes, geschweige denn etwas Haltbares zusammen zu sehen. Da ich aber vor einigen Monaten so glücklich war, eine zuverlässige Handschrift zu erhalten, deren Verfasser allen Glauben verdient, weil nicht nur er selbst von anerkannter Rechtschaffenheit war, sondern auch aus reiner Quelle schöpfte; besonders aber, da noch lebende Augenzeugen die schrecklichen Ereignisse jener schauervollen Tage bekräftigen und sogar beschwören, so teile ich Ihnen das Merkwürdigste von diesem Vorgange hier getreu mit:
Herr Daniel Chernely, Bürger und Kaufmann unserer Stadt, reiste 1739 im Monat September m Handelsgeschäften nach Polen und ließ Ehefrau und Kinder zu Hause zurück. Kaum war er fort, so fing ein Poltergeist an, sein Wesen in diesem Haus zu treiben und die Bewohner desselben mit seinen mancherlei Neckereien zu quälen. Der Unordnung und des Schadens, den er anrichtete, war kein Ende. Viele, welche des Spukes Taten lächerlich fanden, sie mehr für Träumerei als Wirklichkeit hielten und der guten Hausmutter nicht glauben wollten, verfügten sich persönlich zu ihr ins Haus, um überzeugt zu werden und ihre Neugierde mit eigenen Sinnen zu befriedigen. Es gesellten sich zu diesen Spähern auch Männer von Talent und Kenntnissen, deren Rat zum Gang der prüfen den Untersuchung man sich bedienen wollte. Aber der Kobold begrüßte sie nicht minder wie die übrigen Gäste mit einem Steinregen, der manche blutige Merkmale zeichnete. Man sah gleichsam beflügelte Steine. Aber woher sie kamen oder wer sie ihnen entgegenwarf, das konnte niemand ergründen.
Selbst die armen Tiere im Haus wurden nicht verschont. Das Gespenst hielt damit eine ordentliche Treibjagd; sie wurden des Nachts so sehr gemartert und beunruhigt, dass man sie schweißtriefend und mit schäumenden Mäulern fand. Alle Gerätschaften warf es zusammen, verkramte die Sachen und gab ihnen ungewöhnliche Lagen.
In einer Nacht, als alles ruhig schlief und im Zimmer nur ein Licht brannte, war beim Erwachen das Licht verschwunden. Nach einigen Tagen fand man dasselbe des Nachts im Gewölbe.
An einem anderen Morgen weckte man die Magd zu ihren häuslichen Verrichtungen. Nach vielem Rufen schlich sie endlich bebend und mit einem blassen Gesicht wie eine Halbtote herbei. Sie sagte aus, das Gespenst habe sie des Nachts auf dem Bett heftig gewürgt und wies zum Beweis Male am Hals vor, die den Bissen von Katzen- und Mäusezähnen ähnlich waren.
Wo es nur immer einen alten abgenutzten Besen im Haus fand, da versetzte es denselben zu einem ungewöhnlichen Orte hin. Einst wurden neun Stück auf einem Haufen gefunden. Es hatte das Ansehen, als habe sich das Gespenst einen seiner würdigen Throns erbauen wollen.
An einem Nachmittag, da Ruhe und Stille herrschte, warf es einen mehr als fünfzig Pfund schweren Stein mit so großer Gewalt auf die zum zweiten Stockwerk führende Treppe, dass sie davon stark beschädigt wurde. Ferner stürmte es mit einem Hagel von Steinen mit einer solchen Heftigkeit auf die Zimmertür, dass die doppelten Schlösser von derselben absprangen.
Auf die eingereichte Vorstellung bei der Obrigkeit wegen dieses Ungetüms und der daraus entstehenden Unordnung im Haus wurden sechs Mann von der Militärwache zur Beobachtung mit Gefangennahme des Geistes abgeschickt. Ein deutscher Soldat darunter, der sich von seinen Kameraden abgesondert hatte, um das Spektakel näher zu betrachten, bekam von einem herbeigeflogenen Stein eine so derbe Kopfwunde, dass das Blut herabströmte.
Die der Hausfrau ergebenen Freunde verabsäumten nicht, sie zu trösten. Sie stellten sich zu gewissen Zeiten zahlreich bei ihr ein, hielten Rat miteinander und wollten erfahren, ob sich nicht einige Spuren von der Natur dieses Poltergeistes entdecken ließen. Zum Schluss streuten sie gesiebte Asche auf den Boden an verschiedenen Orten und nahmen den zweiten Tag darauf Merkmale von eingedrückten Bärentatzen und hufeisenähnliche Zeichen wahr.
Einige von denen, die dort Nachtwache hielten, wurden wie vom Alb gedrückt. Andere wurden die Stiege herabgestürzt und noch andere mit Steinen bewillkommt. Merkwürdig war es, dass von den vielen Steinen, welche an die Küchentür – dieses Ziel der meisten Würfe – flogen, das darin befindliche Küchenfenster dennoch verschont und ganz blieb.
Einmal klopfte das Gespenst am lichten Tag an die Tür des Gewölbes, worin Madame Chernely Geschäfte hatte. Sie erschrak heftig, fasste aber doch endlich ein Herz, zu fragen, wer da sei. Allein anstatt eine Antwort zu erhalten, vernahm ihr horchendes Ohr deutlich die Tritte des sich entfernenden Poltergeistes.
Eines Abends erblickte man einen über den Tisch flatternden Vogel mit sehr langen Flügeln, der im Kreis umherflog und zusehends größer wurde. Zuletzt jagte man ihn mit einem Besen aus dem Zimmer. Am anderen Morgen fand man den nämlichen Besen vor der Tür an einen Rechen gehängt.
Einst kroch das Gespenst in den Ofen, machte darin ein wunderliches Getöse und sprang darauf, einem Bären gleich, an die Zimmertür.
Die im Speisegewölbe aufbewahrten Sachen mengte es untereinander, machte das Oberste zum Untersten und umgekehrt, streue das Mehl aus dem Kasten, trug aus allen Winkeln die Kleider mit der abgelegten Wäsche auf einen Ort zusammen und verrammelte die Tür mit Holzwerk.
Die Hausfrau hatte eines Tages viele ermüdende Geschäfte gehabt und eilte früh zu Bett, schlief auch sogleich ein. Das Gespenst unterließ nicht, auch an der schlafenden Mutter seine Tücke zu beweisen; denn es trat bei verschlossener Tür frech an ihr Bett und puderte ihr den Kopf mit Sand, den man am nächsten Morgen dicht gestreut in ihren Haaren fand.
Der Hausmagd erschien es, als ein mit Ketten belasteter Mann, der die Stiege des oberen Stockwerkes herabging und ein fürchterliches Gerassel machte.
Im Inneren des Hauses hörten selbst die Nachbarsleute in ihren Wohnungen ein Pferdegetrappel auf dem Steinpflaster und einige sahen die Feuerfunken davonstieben, da doch kein Pferd im ganzen Haus war.
Zu einer anderen Zeit wurde die Magd, welche das Mittagsessen zu Tisch trug, im Zurückgehen aus dem Zimmer mit einem ziemlich schweren Stein zu Boden geworfen.
An einem anderen Tag gegen Abend hatten viele Menschen sich als Zuschauer vor dem Haus versammelt. Da warf der Geist die unter dem Dach aufbewahrten Schindeln zur großen Verwunderung des Volkshaufens unter demselben umher.
Aber nie war es mutwilliger, wenn die Hausfrau in die Kirche ging, um Gott um endliche Erlösung von diesem Hauskreuz zu bitten. Dann räumte es die Mehlkästen aus und verschüttete das Mehl, goss die Biervorräte aus und selbst über die Betten hin, kehrte im Keller die vollen Krautfässer um, verrammelte die Türen und verkramte die Gänge mit Tischen und Bänken, Kisten und Gerätschaften.
So trieb der Unhold sein sündhaftes Wesen länger als ein volles Jahr, während welcher Zeit man öffentlich Kirchengebete hielt, um den Herrn der Geister zu bewegen, dass er doch einmal dieses große Elend beenden und der gequälten Hausfrau Ruhe verschaffen möchte.
Öfter als einmal stärkte das Gebet die fromme Hausmutter bis zu dem Grad der Herzhaftigkeit, dass sie das Gespenst zur Verwunderung anderer entschlossen und laut fragte, was es denn eigentlich von ihr wolle, warum es ihr Haus beunruhige und warum es nicht in sein höllisches Nest zurückkehre. Aber weder durch Töne noch durch Worte noch auch durch andere Äußerungen erhielt sie je einige Auskunft. Endlich nahm das Unwesen plötzlich ein Ende und im ganzen Haus herrschte wieder Friede und Ruhe.
Erklärung der vorstehenden Spukgeschichte
(Nach Maßgabe der Fingerzeige des gütigen und aufgeklärten Herrn Einsenders des vorstehenden Briefes.)
Ein denkender Freund der schon so lange geängstigten Familie gab derselben endlich ganz im Stillen den Rat, die Dienstmagd, die nicht ohne den Verdacht der Teilnahme und des Mitwissens um das Geheimnis geblieben war, mit einer anderen auszutauschen; vielleicht dass dann ihr und ihrer Freunde und Nachbarn inbrünstiges Gebet erhört werde. Man befolgte diesen Rat, und weg war der Geist. Nie hörte man jemals wieder ein rätselhaftes Poltern in diesem Haus.
Zwar nicht der Herr mit dem Pferdefuß, aber einer seiner Freunde, ein teuflischer und verschmitzter Kerl, hatte Liebesverständnisse mit der verbuhlten Dienstmagd und war klug genug, die Dirne selbst je zuweilen zu necken und anscheinend zu quälen. Zwar erschien er derselben oft, aber furchtbar niemals, vielmehr als ein Willkommener! Ja, sie war auch die Einzige, der es vergönnt war, den Geist von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Eine blutrünstige leichte Verwundung ist auch wohl zu ertragen, wenn man dadurch in den Stand gesetzt wird, sich nicht verdächtig zu machen und nicht des Einverständnisses mit dem Hausteufel beschuldigt zu werden. Auch jenen schweren Stein kann eine schlaue Magd zu so wichtigen Zwecken leicht einmal unvermerkt aus der Schürze fallen lassen.
Und wie wenig gehört dazu, bei dieser Gelegenheit sich auf den Boden zu werfen, als ob der Schrecken und das Schmerzgefühl vom Steinwurf sie dazu brachte, in die Knie zu sinken. Auch hat solch ein Wurf nicht die Kraft, die Knochen, welche er trifft, zu zermalmen oder die Fleischteile zu quetschen, welche das Gewicht des Wurfes und seiner eigentümlichen Schwere empfinden mussten, denn jene traf er nicht und diese empfanden nichts. Das Hinstürzen der sich verstellenden Magd war die ganze Wirkung von dem vorgeblich erhaltenen Wurf; von blauen Flecken hingegen, wie durch den Stein bewirkt, war überall gar nicht die Rede.
Klüger getan war es, wenn der Polterer da, wo er überrascht zu werden fürchten musste, Türen verrammelte und schmale Gänge verstellte.
Klügler, dass er wenigstens einen Teil des Bieres, welches seine durstige Seele einschlürfte, über die Betten hingoss; dass er die Krautfässer mit dem Rest dessen, was sie enthielten, in den Schmutz umkehrte, nachdem er sie halb ausgeleert hatte; dass er das Mehl umherstreute, wovon das meiste wohl aufbewahrt aus dem Mehlkasten in seinen Sack geflossen war.
Oft hatte dem gespenstartigen Gaukler der Kopf, womit er sonst ziemlich folgerecht zu Werke zu gehen pflegte, ganz verlassen. Denn wenn man ihm einen handgreiflichen Fallstrick legte, ihm zum Beispiel mit Vorwissen der Magd Asche auf den Fußboden streute, um die Natur seiner Fußtritte zu erforschen, so band er zwar Hufeisen unter die Füße und ging mit geballten Fäusten auf allen vieren über die Asche hin, nachdem er zuvor eine Art Handschuh angezogen hatte, um so die Spur der behandschuhten Faust der Spur einer Bärentatze wenigstens ähnlich zu machen; aber wenn er, wie im Flug, die Mehlvorräte beraubte und zur Verdeckung seines Diebstahls einen Teil des Mehls auf die Erde streute, vergaß er seine Bärentatzenrolle so sehr, dass er vielmehr die deutlichsten und unverkennbarsten Spuren einer ganz gewöhnlichen Menschenhand in dem Rest des Mehlvorrats zurückließ.
Gemeine Soldaten waren wohl nicht geeignet, den Trug zu entdecken; weder sie noch die Nachbarn noch auch selbst die sogenannten talent- und kenntnisvollen Männer fanden Beruf, ihre Köpfe preiszugeben und sich auf mehr einzulassen als auf Bewunderung der spukhaften Steinwürfe, der Funken, welche im Finsteren beim Stampfen mit den untergebundenen Hufeisen auf den gepflasterten Flur hervorsprangen und der übrigen gaukelhaften Erbärmlichkeit. Wenn einmal ein einzelner Beherzter, ein gefährlicher Forscher da war, so nahm der Geist einen günstigen Augenblick wahr und verwies seinen Gegner durch einen geschickten Steinwurf nach dem Kopf desselben zur Ruhe.
Übrigens musste es im Einverständnis mit der Magd, etwas sehr Leichtes sein, zu bewerkstelligen, dass ein brennendes Licht, während die Wachhabenden eingeschlafen waren, über die Seite gebracht wurde und beim Wiedererwachen jener Schläfer gleichsam verschwunden war. Es bedurfte nichts weiter, als dass die anwesende Magd, die hinterher vorgab, ebenfalls geschlafen zu haben, das Licht samt dem Leuchter auf ein erhaltenes Zeichen von der Gegenwart des Polterers demselben aus der unbemerkt geöffneten Stubentür hinausreichte.
Wie es aber zuging, dass diejenigen, welche des Spukes wegen im Haus waren und eigentlich wachen sollten, bei dem Entschlummern von dem berüchtigten Alb gedrückt wurden, darüber findet man den Aufschluss in der Titelvignette dieses fünften Teils meiner Gespenster. Was mag wohl der gute Alb, diese Schöpfung der Einbildungskraft, dafür können, dass sich das Blut zum Herzen presst und beunruhigende Träume veranlasst, wenn der Körper schlafend eine unnatürliche Lage hat?
Bei jenem obwaltenden Einverständnis zwischen dem Betrüger und der Magd ist auch nichts natürlicher als die Art und Weise, wie der Gaukler, der so vielen Staub in die Augen warf, der schlafenden Hausfrau auch Sand in die Haare streute. Das Schlafgemach, worin sie lag, war freilich verschlossen, aber einer der Fensterflügel war innen nicht richtig befestigt, sondern konnte von außen geöffnet werden. Hier war es, wo der Hausteufel eindrang, und auf eben diesem Weg war er im Begriff, leise wieder davonzuschleichen, als Madame Chernely – nach ihrer eigenen und der Urkunde Aussage – von dem unwillkürlich dabei verursachten Geräusch sowie von dem Sand, der ihr aus den Haaren über das Gesicht rann, erwachte.
Unbegreiflich stark wirkt das Vorurteil, wenn es einmal unserer Vernunft sich bemächtigt hat. Die Dame des Hauses sah und hörte den Betrüger durch den Fensterflügel fliehen; dennoch erwähnte sie dieses Umstandes beim Wiedererzählen dieses Ereignisses nur so ganz beiläufig, als nicht zur Sache gehörig, und, als wäre es nicht der Schlüssel zum ganzen Geheimnis. Oder wie in aller Welt bedarf ein Geist eines geöffneten Fensterflügels, um in einem übrigens verschlossenen Zimmer herumgaukeln zu können? Bringt es nicht die Natur körperloser Geister mit sich, durch die Schlüssellöcher und Türritzen zu denen einzudringen, welchen sie sich anschaulich machen wollen?
Eben dieser Macht des die Familie nun einmal beherrschenden Gespensterwahnes war es endlich auch allein zuzuschreiben, dass man während des Spukjahres alles missverstand, alles missdeutete und selbst das Natürlichste als etwas Übernatürliches im Zusammenhang mit jenem Poltergeiste sich dachte. Wenn zum Beispiel jemand an die Tür klopft, um eingelassen zu werden, und weil man ihm weder ein Herein! zuruft noch auch die Tür ihm öffnet, deutlich hörbar wieder weggeht, so ist dieser Klopfende nach der Deutung des Vorurteils ein spukender Geist! Oder wenn an einem Sommerabend bei aufstehenden Fenstern eine Fledermaus in das erleuchtete Zimmer sich zu den furchtsamen Anwesenden hin verirrt und auf dem nämlichen Weg aus dem Zimmer wieder hinausgejagt wird, so glaubt die Einfalt, in diesem langflügeligen Nachtwesen ein höllisches Wesen aus dem Haus vertrieben zu haben.
Können Menschen, mit Vernunft begabt, bei Deutung der alltäglichsten Dinge kindischer zu Werke gehen, wie hier geschah? Kann der gröbste Betrüger und Gespenstergaukler durch die Betrogenen auffallender begünstigt werden, wie der Chernelysche Plagegeist in Eperies begünstigt wurde?
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