Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reise und Abenteuer … 5
Des Freiherrn von Münchhausen
wunderbare Reise und Abenteuer zu Wasser und zu Lande, wie er dieselbe bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegte
Mit 16 Federzeichnungen von Hosemann
Neue Originalausgabe, Dieterich’schen Buchhandlung Göttingen, Berlin, 1840
Einem Mann, meine Herren, der einen Gaul, wie mein Litauer war, zu reiten vermochte, können Sie auch wohl noch ein anderes Voltigier und Reiterstückchen zutrauen, welches außerdem vielleicht ein wenig fabelhaft klingen möchte. Wir belagerten nämlich, ich weiß nicht mehr welche Stadt, und dem Feldmarschall war ganz erstaunlich viel an genauer Kundschaft gelegen, wie die Sachen in der Festung ständen. Es schien äußerst schwer, ja fast unmöglich, durch alle Vorposten, Wachen und Festungswerke hinein zu gelangen, auch war eben kein tüchtiges Subjekt vorhanden, wodurch man so etwas glücklich auszurichten hätte hoffen können. Vor Mut und Diensteifer fast ein wenig allzu rasch, stellte ich mich neben eine der größten Kanonen, die soeben zu der Festung abgefeuert wurde, und sprang im Hui auf die Kugel, in der Absicht, mich in die Festung hineintragen zu lassen.
Als ich aber halbwegs durch die Luft geritten war, stiegen mir allerlei nicht unerhebliche Bedenklichkeiten zu Kopf. Hm, dachte ich, hinein kommst du nun wohl, allein wie hernach sogleich wieder heraus? Und wie kann es dir in der Festung ergehen? Man wird dich sogleich als einen Spion erkennen und an den nächsten Galgen hängen.
Ein solches Bett der Ehre wollte ich mir denn doch wohl verbitten.
Nach diesen und ähnlichen Betrachtungen entschloss ich mich kurz, nahm die glückliche Gelegenheit wahr, als eine Kanonenkugel aus der Festung einige Schritte weit vor mir vorüber zu unserem Lager flog, sprang von der meinen auf diese hinüber und kam, zwar unverrichteter Sache, jedoch wohlbehalten bei den lieben Unsrigen wieder an.
So leicht und fertig ich im Springen war, so war es auch mein Pferd. Weder Gräben noch Zäune hielten mich jemals ab, überall den geradesten Weg zu reiten. Einst setzte ich darauf hinter einem Hasen her, der querfeldein über die Heerstraße lief. Eine Kutsche mit zwei schönen Damen fuhr diesen Weg gerade zwischen mir und dem Hasen vorbei. Mein Gaul setzte so schnell und ohne Anstoß mitten durch die Kutsche hindurch, wovon die Fenster aufgezogen waren, dass ich kaum Zeit hatte, meinen Hut abzuziehen und die Damen wegen dieser Freiheit untertänigst um Verzeihung zu bitten.
Ein anderes Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, wie ich ihn fand, da ich mitten im Sprung war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größeren Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweiten Mal noch zu kurz und fiel nicht weit vom anderen Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopf, samt des Pferdes, welches ich fest zwischen meine Knie schloss, wieder herausgezogen hätte.
Trotz all meiner Tapferkeit und Klugheit, trotz meiner und meines Pferdes Schnelligkeit, Gewandtheit und Stärke, ging es mir in dem Türkenkrieg doch nicht immer nach Wunsch. Ich hatte sogar das Unglück, durch die Menge übermannt und zum Kriegsgefangenen gemacht zu werden. Ja, was noch schlimmer war, aber doch immer unter den Türken gewöhnlich ist, ich wurde als Sklave verkauft.
In diesem Stand der Demütigung war mein Tagewerk sowohl nicht nur hart und sauer, sondern vielmehr seltsam und verdrießlich. Ich musste nämlich des Sultans Bienen alle Morgen auf die Weide treiben, die dort den ganzen Tag lang hüten und dann gegen Abend wieder zurück in ihre Stöcke treiben. Eines Abends vermisste ich eine Biene, wurde aber sogleich gewahr, dass zwei Bären sie angefallen hatten und ihres Honigs wegen zerreißen wollten. Da ich nun nichts anderes Waffenähnliches in Händen hatte, als die silberne Axt, welche das Kennzeichen der Gärtner und Landarbeiter des Sultans ist, so warf ich diese nach den beiden Räubern, bloß in der Absicht, sie damit wegzuscheuchen. Die arme Biene setzte ich auch dadurch in Freiheit; allein durch einen unglücklichen, allzu starken Schwung meines Armes flog die Axt in die Höhe und hörte nicht auf zu steigen, bis sie im Mond niederfiel. Wie sollte ich sie nun wieder kriegen? Mit welcher Leiter auf Erden sie herunterholen?
Da fiel mir ein, dass die türkischen Bohnen sehr schnell und zu einer ganz erstaunlichen Höhe empor wüchsen. Augenblicklich pflanzte ich also eine solche Bohne, welche wirklich emporwuchs und sich an eins von des Mondes Hörnern von selbst anrankte. Nun kletterte ich getrost zum Mond empor, wo ich auch glücklich anlangte. Es war ein mühseliges Stückchen Arbeit, meine silberne Axt an einem Orte wieder zu finden, wo alle andere Dinge gleichfalls wie Silber glänzten. Endlich aber fand ich sie doch auf einem Haufen Spreu und Häckerling.
Nun wollte ich wieder zurückkehren, aber ach, die Sonnenhitze hatte indessen meine Bohne ausgetrocknet, sodass daran schlechterdings nicht wieder hinabzusteigen war. Was war nun zu tun? Ich flocht mir einen Strick von dem Häckerling, so lang ich ihn nur immer machen konnte. Diesen befestigte ich an eins von des Mondes Hörnern und ließ mich daran herunter. Mit der rechten Hand hielt ich mich fest, und in der linken führte ich meine Art. So wie ich nun eine Strecke hinuntergeglitten war, so hieb ich immer das überflüssige Stück über mir ab und knüpfte dasselbe unten wieder an, wodurch ich denn ziemlich weit herunter gelangte. Dieses wiederholte Abhauen und Anknüpfen machte nun freilich den Strick ebenso wenig besser, wie es mich völlig hinab auf des Sultans Landgut brachte.
Ich mochte wohl noch ein paar Meilen weit droben in den Wolken sein, als mein Strick auf einmal zerriss und ich mit solcher Heftigkeit herab zu Gottes Erdboden fiel, dass ich ganz betäubt davon wurde. Durch die Schwere meines von einer solchen Höhe herabfallenden Körpers fiel ich ein Loch, wenigstens neun Klafter tief, in die Erde hinein. Ich erholte mich zwar endlich wieder, wusste aber nun nicht, wie ich wieder herauskommen sollte. Allein was tut nicht die Not! Ich grub mir mit meinen Nägeln, deren Wuchs damals vierzigjährig war, eine Art von Treppe und förderte mich dadurch glücklich zu Tage.
Durch die mühselige Erfahrung klüger gemacht, fing ich es nachher besser an, der Bären, die so gern nach meinen Bienen und den Honigstöcken stiegen, loszuwerden. Ich bestrich die Deichsel eines Ackerwagens mit Honig und legte mich nicht weit davon des Nachts in einen Hinterhalt. Was ich vermutete, das geschah. Ein ungeheurer Bär, herbeigelockt durch den Duft des Honigs, kam an und fing vorn an der Spitze der Stange so begierig an zu lecken, dass er sich die ganze Stange durch Schlund, Magen und Bauch bis hinten wieder hinausleckte. Als er sich nun so artig auf die Stange hinaufgeleckt hatte, lief ich hinzu, steckte vorn durch das Loch der Deichsel einen langen Pflock, verwehrte dadurch dem Nascher den Rückzug und ließ ihn sitzen bis zum nächsten Morgen. Über dieses Stückchen wollte sich der Großsultan, der von ungefähr vorbeispazierte, fast totlachen.
Nicht lange darauf machten die Russen mit den Türken Frieden und ich wurde nebst anderen Kriegsgefangenen wieder nach St. Petersburg aus geliefert. Ich nahm aber nun meinen Abschied und verließ Russland um die Zeit der großen Revolution vor etwa vierzig Jahren, da der Kaiser in der Wiege, nebst seiner Mutter und ihrem Vatter, dem Herzog von Braunschweig, dem Feldmarschall von Münnich und vielen andern nach Sibirien geschickt wurde. Es herrschte damals über ganz Europa ein so außerordentlich strenger Winter, dass die Sonne eine Art von Frostschaden erlitten haben muss, woran sie seit der ganzen Zeit her bis auf den heutigen Tag gesiecht hat.
Ich empfand daher auf der Rückreise in mein Vaterland weit größeres Ungemach, als ich auf meiner Hinreise nach Russland erfahren hatte.
Ich musste, weil mein Litauer in der Türkei geblieben war, mit der Post reisen. Als es sich nun fügte, dass wir an einen engen hohlen Weg zwischen hohen Dornhecken kamen, so erinnerte ich den Postillion, mit seinem Horn ein Zeichen zu geben, damit wir uns in diesem engen Pass nicht etwa gegen ein anderes entgegenkommendes Fuhrwerk festfahren könnten. Mein Kerl setzte an und blies aus Leibeskräften in das Horn, aber alle seine Bemühungen waren umsonst. Nicht ein einziger Ton kam heraus, welches uns ganz unerklärlich, ja in der Tat für ein rechtes Unglück zu achten war, indem bald eine andere uns entgegenkommende Kutsche auf uns stieß, vor welcher nun schlechterdings nicht vorbeizukommen war.
Nichtsdestoweniger sprang ich aus meinem Wagen und spannte zuvörderst die Pferde aus. Hierauf nahm ich den Wagen, nebst den vier Rädern und allen Packereien auf meine Schultern und sprang damit über Ufer und Hecke, ungefähr neun Fuß hoch, welches, in Rücksicht auf die Schwere der Kutsche eben keine Kleinigkeit war, auf das Feld hinüber. Durch einen anderen Rücksprung gelangte ich, die fremde Kutsche vorüber, wieder in den Weg. Darauf eilte ich zurück zu unseren Pferden, nahm unter jeden Arm eins und holte sie auf die vorige Art, nämlich durch einen zweimaligen Sprung hinüber und herüber, gleichfalls herbei, ließ wieder anspanne, und gelangte glücklich am Ende der Station zur Herberge.
Noch hätte ich anführen sollen, dass eins von den Pferden, welches sehr mutig und nicht über vier Jahr alt war, ziemlichen Unfug machen wollte, denn als ich meinen zweiten Sprung über die Hecke tat, so verriet es durch sein Schnauben und Trampeln ein großes Missbehagen an dieser heftigen Bewegung. Dies verwehrte ich ihm aber gar bald, indem ich seine Hinterbeine in meine Rocktasche steckte. In der Herberge erholten wir uns wieder von unserm Abenteuer. Der Postillon hängte sein Horn an einen Nagel beim Küchenfeuer und ich setzte mich ihm gegenüber.
Nun hört, Ihr Herren, was geschah! Auf einmal ging es Tereng! Tereng! Teng! Teng!
Wir machten große Augen und fanden nun auf einmal die Ursache aus, warum der Postillion sein Horn nicht hatte blasen können. Die Töne waren in dem Horn festgefroren und kamen nun, so wie sie nach und nach aufhauten, hell und klar zu nicht geringer Ehre des Fuhrmannes heraus, denn die ehrliche Haut unterhielt uns nun eine ziemliche Zeit lang mit der herrlichsten Modulation, ohne den Mund an das Horn zu bringen. Da hörten wir den preußischen Marsch Ohne Lieb und ohne Wein, Als ich auf meiner Bleiche, Gestern Abend war Vetter Michel da nebst noch vielen anderen Stückchen, auch sogar das Abendlied Nun ruhen alle Wälder. Mit diesem Letzten endete dann dieser Auftauspaß sowie ich hiermit meine russische Reisegeschichte.
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