Abenteuer des Captains Bonneville 37
Washington Irving
Abenteuer des Captains Bonneville
oder: Szenen jenseits der Felsengebirge des fernen Westens
Verlag von J. D. Sauerländer. Frankfurt am Main, 1837
Sechsunddreißigstes Kapitel
Das schwer zu ersteigende Gebirge – Eine Beratung bei einem Pfeifchen – Des Captains Rede – Ein Eis–Schlagbaum – Gefahr eines Fehltrittes – Ankunft am Snake River – Rückkehr zum Portneuf – Zusammentreffen mit ihren Gefährten
Sowie die Reisenden ihren Weg den Immahah hinauf fortsetzten und sich den oberen Gewässern näherten, fanden sie, dass der Schnee an Tiefe zunahm, sodass er zwei Fuß hoch lag. Sie waren abermals genötigt, deshalb einen Pfad für ihre Pferde niederzutreten, und mussten bisweilen auf der Eisdecke des Stromes reisen.
Sie erreichten endlich den Platz, wo sie das Gebirge zu ersteigen gedachten und, nachdem sie sich einen Fußweg gebahnt hatten, fanden sie sich angenehm überrascht, den Schnee vom Wind von dieser Bergseite weggeweht zu sehen, sodass sie den Gipfel mit geringer Schwierigkeit erreichten. Hier lagerten sie sich in der Absicht, sich einen Weg durch das Gebirge zu suchen. Sie wurden aber nach einem kurzen Versuch genötigt, ihr Vorhaben aufzugeben; denn sie fanden den Schnee oft in so hohen Massen aufgeschichtet liegen, dass die Pferde bis über die Köpfe einsanken.
Captain Bonneville nahm nun zwei indianische Scouts und machte sich auf, um die Gegend zu rekognoszieren. Da er eine hohe Bergkuppe wahrnahm, die weit über die anderen hinausragte, so erstieg er sie und entdeckte von dem Gipfel einen fast neun Meilen langen Engpass, der aber so voller Schnee lag, dass es unmöglich schien, in demselben fortzukommen. Er steckte sich nun eine Pfeife an und setzte sich mit den beiden Scouts nieder, um mit ihnen eine Beratung nach indianischer Weise zu halten. In ernstem Nachdenken über ihren Gegenstand saßen sie lange schweigend und rauchend da.
Endlich begannen die Verhandlungen und seine Meinung, womit die beiden Scouts übereinstimmten, war die, dass die Pferde unmöglich durch den Schnee fortkommen könnten. Sie hielten es demnach für ratsamer, dass die Partie ihren Weg zu Fuß fortsetze und sie die Pferde mit zum Dorf zurücknähmen, wo sie gut versorgt werden sollten, bis der Captain sie abholen ließe. Sie bestanden mit allem Ernst auf diesem Vorschlag und erklärten, dass ihr Häuptling sich außerordentlich ereifern und sie streng behandeln würde, wenn eins der Pferde seiner guten Freunde auf dem Weg unter ihrer Begleitung umkäme. Es wäre demnach gut, wenn sie es nicht versuchten.
Captain Bonneville, der ruhig seine Pfeife schmauchte, hörte den Indianern ernst und ruhig zu. Als sie beendet hatten, erwiderte er ihnen, in ihrer eigenen Weise sich auszudrücken.
»Meine Freunde«, sagte er, »ich habe den Pass gesehen und Eure Worte angehört. Ihr habt wenig Herz. Wenn Beschwerlichkeiten und Gefahren auf Eurem Weg liegen, so kehrt ihr um. Das ist nicht der Fall bei meiner Nation. Wenn sich ihnen große Hindernisse entgegenstellen und sie aufzuhalten drohen, dann schwillt ihnen das Herz, und sie treten ihnen entgegen. Sie versuchen die Schwierigkeiten zu überwinden; doch genug für jetzt. Die Nacht rückt heran, darum lasst uns zum Lager zurückkehren.«
Er ging voran und sie folgten ihm schweigend. Als er das Lager erreichte, fand er seine Leute außerordentlich entmutigt. Einer von ihnen hatte die Gegend erkundet und ihnen allen Ernstes versichert, dass der Schnee wenigstens hundert Fuß hoch läge. Der Captain munterte sie auf und goss ihnen durch sein Beispiel neuen Mut ein. Er war jedoch noch immer sehr verlegen, wie er weiterkommen solle. Während der Abenddämmerung trat ein dünner, rieselnder Regen ein.
Es fiel ihm nun ein Mittel ein. Dieses war, zwei leichte Schlitten zu bauen und sie auf die andere Seite des Berges zu ziehen, auf diese Weise einen Weg in dem nassen Schnee zu bahnen, der, wenn er später fröre, hinlänglich hart sein würde, um die Pferde zu tragen. Dieser Plan wurde schnell in Ausführung gebracht. Die Schlitten wurden gebaut und das schwere Gepäck darauf so lange hin und zurück gefahren, bis der Weg gebahnt war, wo sie dann in ihrer ermüdenden Arbeit nachließen.
Die Nacht wurde hell und kalt, und am Morgen war ihr Weg mit einer hinlänglichen Eiskruste bedeckt, die stark genug für ihr Vorhaben war. Sie machten sich nun auf ihre Eisbahn und kamen auf derselben ziemlich gut fort, mit der Ausnahme, dass dann und wann ein Pferd aus der Spur glitt und gleich bis an den Hals in den Schnee sank. Nun hatten sie eine beschwerliche Mühe, denn sie mussten das um sich schlagende Pferd mit Stricken herausziehen. Eins, das unglücklicher war als die Übrigen, musste nach mehrmaligem Zurückstürzen im Schnee zurückgelassen werden.
Dieses vielfältigen Aufenthaltes ungeachtet gelang es ihnen, die übrigen Pferde wohlbehalten auf die andere Seite des Gebirges zu bringen, ehe die Sonne so mächtig geworden war, den Schnee aufzutauen.
Ihre Schwierigkeiten und Gefahren hatten aber hiermit noch nicht ihr Ende erreicht. Sie mussten nun wieder bergab steigen, und die ganze Oberfläche des Schnees war spiegelglatt. Es war daher notwendig, zu warten, bis die Sonne die Eiskruste geschmolzen und ihnen einen festen Tritt im weichen Schnee gesichert hatte. Ein furchtbarer Zufall warnte sie vor der Gefahr, sich weiter zu begeben, ehe die glatte Eisdecke geschmolzen sei. Eine wilde, junge Stute gelangte in ihrem rastlosen Treiben bis an den Rand des Abhangs. Unglücklicherweise glitt sie aus, verlor das Gleichgewicht, stürzte Hals über Kopf die glatte Gebirgsseite, über zweitausend Fuß hoch, hinab und fiel zerschmettert in der Tiefe nieder.
Es war sehr spät am Abend, dass die Partie bis zum äußersten Rand des Schnees gelangte. Hier legten sie große Klötzer unter sich, um sie vor dem Hinabrutschen zu sichern und lagerten über Nacht. Am nächsten Tag gelang es ihnen, ihr sämtliches Gepäck in das Lager zu bringen. Sie packten dann alles ordentlich zusammen und beluden damit ihre Pferde, worauf sie dann abermals schnell und fröhlich aufbrachen und im Verlauf des folgenden Tages in einer Gegend ankamen, wo sie Gras fanden.
Die Scouts der Nez Percé erklärten, dass hier alle Schwierigkeiten ein Ende hätten, dass ihr Weg nun eben und ohne Hindernisse sei und sie fernerhin keiner Scouts bedürften. Sie baten daher um Erlaubnis, nach Hause zurückkehren zu dürfen, was ihnen, nebst vielen Dankesbezeigungen und Geschenken für ihre treuen Dienste, gern gewährt wurde. Sie nahmen von ihren weißen Freunden rauchend einen langen Abschied, worauf sie ihre Pferde bestiegen und nach einem wiederholten, von Segenswünschen begleiteten Lebewohl ihres Weges ritten.
Am folgenden Tage stieg Captain Bonneville völlig das Gebirge hinab und lagerte sich am Ufer des Snake River, wo er acht Zoll hohes Gras im Überfluss fand. In dieser Gegend sah er an den Felsufern des Flusses mehrere Prismoiden aus Basalt, die sich fünfzig bis sechzig Fuß hoch erhoben.
Es fiel mehrere Tage nichts besonders Merkwürdiges vor, während sie sich längs des Snake River hin und über seine Nebenflüsse bewegten. Nachdem sie über den Rifle Creek gekommen waren, nahmen sie an mehreren Zeichen wahr, dass sich weiße Menschen in der Nähe befänden. Captain Bonneville mühte sich sehr zu entdecken, ob solche nicht von seinen eigenen Leuten wären, um sich mit ihnen zu vereinigen. Er erfuhr bald, dass sie der Hunger aus dieser Gegend vertrieben habe und sie zu den Büffelgebieten gezogen wären, wohin er nun seine Weiterreise richtete. Er fand, während er so am Snake River hinzog, mehrere kleine Gruppen der Shoshone, die an den kleineren Strömen von Forellen und anderen Fischen lebten, die sie in dieser Jahreszeit in großer Anzahl in Fischfallen fangen. Der größere Teil des Stammes war jedoch in die Gebirge vorgedrungen, um das Elentier, Rotwild und das Dickhorn zu jagen.
Am 12. Mai erreichte Captain Bonneville den Portneuf, in dessen Nähe er das Winterlager seiner Gesellschaft am vorhergehenden Weihnachtsfest verlassen hatte. Er hatte damals gehofft, Anfang März wieder zurück zu sein, allein die Umstände hatten ihn über zwei Monate länger aufgehalten und das Winterlager musste schon lange vorher aufgebrochen sein.
An den Ufern des Portneuf hielt er an und schickte Kundschafter einige Meilen hinauf, um das alte Lager aufzusuchen und sich nach Anzeichen der Partie umzusehen oder ihren gegenwärtigen Aufenthalt zu erkunden, wenn sie wirklich den Platz verlassen haben sollten. Sie kehrten zurück, ohne imstande gewesen zu sein, etwas in Erfahrung zu bringen.
Da sie nun kaum noch im Besitz von Lebensmitteln waren, so fanden sie es für nötig, einen kurzen Jagdausflug nach Büffeln zu unternehmen. Sie machten deshalb Versteckgruben auf einer Insel im Fluss, in welche sie ihr Gepäck unterbrachten, und brachen dann zu ihrer Jagdpartie auf. Sie waren so glücklich, ein paar schöne Ochsen zu töten, die sie in Stücke zerlegten und sich vornahmen, mit diesem Vorrat von Lebensmitteln auf das Äußerste hauszuhalten, damit sie nicht wieder genötigt würden, sich in offene und gefährliche Jagdgründe zu wagen.
Als sie am 18. Mai zu ihrer Insel zurückkehrten, fanden sie, dass Wölfe an den Versteckgruben gewesen waren, den Inhalt herausgekratzt und ihn nach allen Richtungen hin umhergestreut hatten. Sie machten nun Gruben, welche sicherer waren, legten in dieselbe ihr schwerstes Gepäck nieder und zogen den Snake River wieder hinab, bis sie sich oberhalb der amerikanischen Wasserfälle lagerten.
Hier schritten sie dazu, sich zu befestigen, in der Absicht, ihren Pferden Zeit zu lassen, sich wieder auf guter Weide zu erholen, bis es Zeit sein werde, zu dem verabredeten jährlichen Sammelplatz im Beaver River Valley aufzubrechen.
Am 1. Juni erblickten sie vier Männer auf der anderen Seite des Flusses, dem Lager gegenüber. Nachdem sie ihre Aufmerksamkeit durch einige Büchsenschüsse auf sich gezogen hatten, nahmen sie zu ihrer Freude wahr, dass es einige ihrer Leute waren.
Von diesen erfuhr Capitain Bonneville, dass die ganze Partie, die er im vorhergehenden Monat Dezember verlassen hatte, am Blackfoot River, einem Nebenarm des Snake River, nicht sehr weit über dem Portneuf lagere. Hierher begaben sie sich in aller möglichen Eile, und in kurzer Zeit hatte er das Vergnügen, sich wieder von seinen Leuten umgeben zu sehen, die sich herzlich über seine Rückkehr freuten; denn seine lange verzögerte Abwesenheit hatte sie fürchten lassen, dass er und seine drei Gefährten von einem feindlichen Stamm umgebracht worden seien.
Sie hatten während seiner Abwesenheit viel gelitten. Sie waren, vom Hunger gequält, beinahe umgekommen und genötigt gewesen, sich zu den Versteckgruben am Salmon River zu begeben. Hier hatten sie Banden der Blackfeet angetroffen und schätzten sich glücklich, dass sie sich aus dieser gefährlichen Gegend wieder hatten zurückziehen können, ohne einen Verlust zu erleiden.
Es verstand sich von selbst, dass Captain Bonneville, nachdem sie sich vereinigt hatten, seinen Leuten ein Fest gab. Zwei Tage wurden demnach zu Festlichkeiten und zu Belustigungen verwendet, so weit ihre Mittel reichten und ihre Lage solches erlaubte. Was an Leckerbissen fehlte, das ersetzte der gute Wille. Die freien Trapper zeichneten sich besonders bei dieser Gelegenheit aus, und die Saturnalien wurden mit einer echten Festtagslaune, beim wohlschmeckenden Wildbret der Wildnis gefeiert.
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