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Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reise und Abenteuer … 4

Des Freiherrn von Münchhausen
wunderbare Reise und Abenteuer zu Wasser und zu Lande, wie er dieselbe bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegte
Mit 16 Federzeichnungen von Hosemann
Neue Originalausgabe, Dieterich’schen Buchhandlung Göttingen, Berlin, 1840

Ein angenehmeres Geschenk hätte mir nun wohl nicht leicht gemacht werden können, besonders da es mir so viel Gutes von einem Feldzug weissagte, in welchem ich mein erstes Probestück als Soldat ablegen wollte. Ein Pferd, so gefügig, so mutig und feurig – Lamm und Bukephalos zugleich – musste mich allzeit an die Pflichten eines braven Soldaten und an die erstaunlichen Taten erinnern, welche der junge Alexander im Felde verrichtet hatte.

Wir zogen, wie es scheint, unter anderen auch in der Absicht zu Felde, um die Ehre der russischen Waffen, welche in dem Feldzug unter Zar Peter am Pruth ein wenig gelitten hatte, wiederherzustellen. Dieses gelang uns auch vollkommen durch verschiedene, zwar mühselige, aber doch rühmliche Feldzüge, unter Anführung des großen Feldherrn, dessen ich vorhin erwähnte.

Die Bescheidenheit verbietet es Subalternen, sich große Taten und Siege zuzuschreiben, wovon der Ruhm gemeiniglich den Anführern, ihrer Alltagsqualitäten ungeachtet, ja wohl gar verkehrt genug, Königen und Königinnen in Rechnung gebracht wird, welche niemals anderes als Musterungspulver rochen, nie außer ihren Lustlagern ein Schlachtfeld, noch außer ihren Wachparaden ein Heer in Schlachtordnung erblickten.

Ich mache also keinen besonderen Anspruch an die Ehre von unseren größeren Affären mit dem Feind. Wir taten insgesamt unsere Schuldigkeit, welches in der Sprache des Patrioten, des Soldaten und kurz des braven Mannes ein sehr viel umfassender Ausdruck, ein Ausdruck von sehr wichtigem Inhalt und Belang ist, obwohl der große Haufen müßiger Kannegießer sich nur einen sehr geringen und ärmlichen Begriff davon machen mag. Da ich indessen ein Corps Husaren unter meinem Kommando hatte, so ging ich auf verschiedene Expeditionen aus, wo das Verhalten meiner eigenen Klugheit und Tapferkeit überlassen war. Den Erfolg hiervon, denke ich denn doch, kann ich mit gutem Fug auf meine eigene und die Rechnung derjenigen braven Gefährten schreiben, die ich zu Sieg und Eroberung führte.

Einst, als wir die Türken in Oczakow hineintrieben, ging es bei der Avantgarde sehr heiß her. Mein feuriger Litauer hätte mich beinahe in des Teufels Küche gebracht. Ich hatte einen entfernten Vorposten und sah den Feind in einer Wolke von Staub gegen mich anrücken, wodurch ich wegen seiner wahren Anzahl und Absicht gänzlich in Ungewissheit blieb. Mich in eine ähnliche Wolke von Staub einzuhüllen, wäre wohl ein Alltagspfiff gewesen, würde mich aber eben so wenig klüger gemacht, als überhaupt der Absicht näher gebracht haben, in der ich vorausgeschickt war. Ich ließ daher meine Flanqueurs zur Linken und Rechten auf beiden Flügeln sich zerstreuen und so viel Staub erregen, als sie nur immer konnten. Ich selbst aber ging gerade auf den Feind los, um ihn näher in Augenschein zu nehmen. Dies gelang mir; denn er stand und focht nur solange, bis die Furcht vor meinen Flanqueurs ihn in Unordnung zurücktrieb. Nun war es Zeit, tapfer über ihn herzufallen. Wir zerstreuten ihn völlig, richteten eine gewaltige Niederlage an und trieben ihn nicht allein in seine Festung zu Loche, sondern auch durch und durch, ganz über und wider unsere blutgierigsten Erwartungen.

Weil nun mein Litauer so außerordentlich schnell war, so war ich der Vorderste beim Nachsetzen, und da ich sah, dass der Feind so hübsch zum gegenseitigen Tor wieder hinaus floh, so hielt ich es für ratsam, auf dem Marktplatz anzuhalten und da zum Rendezvous blasen zu lassen. Ich hielt an, aber stellt Euch, Ihr Herren, mein Erstaunen vor, als ich weder Trompeter noch irgendeine lebendige Seele von meinen Husaren um mich sah. Sprengen sie etwa durch andere Straßen? Oder was ist aus ihnen geworden?, dachte ich.

Indessen konnten sie, meiner Meinung nach, unmöglich fern sein und mussten mich bald einholen. In dieser Erwartung ritt ich meinen atemlosen Litauer zu einem Brunnen auf dem Marktplatz und ließ ihn trinken. Er soff unmäßig mit einem Heißdurst, der gar nicht zu löschen war. Allein das ging natürlich zu, denn als ich mich nach meinen Leuten umsah, was meint Ihr wohl, Ihr Herren, was ich da erblickte? Das ganze Hinterteil des armen Tieres, Kreuz und Lenden waren fort und wie rein abgeschnitten. So lief denn hinten das Wasser ebenso wieder heraus, wie es von vorn hineingekommen war, ohne dass es dem Gaul zugutekam oder ihn erfrischte.

Wie das zugegangen sein mochte, blieb mir ein völliges Rätsel, bis endlich mein Reitknecht von einer ganz entgegengesetzten Seite angejagt kam und unter einem Strom von treuherzigen Glückwünschen und kräftigen Flüchen mir Folgendes zu vernehmen gab. Als ich pèle méle mit dem fliehenden Feind hineingedrungen wäre, hätte man plötzlich das Schutzgatter fallen lassen, und dadurch wäre das Hinterteil meines Pferdes rein abgeschlagen worden. Erst hätte besagtes Hinterteil unter den Feinden, die ganz blind und taub gegen das Tor angestürzt wären, durch beständiges Ausschlagen die fürchterlichste Verheerung angerichtet, und dann wäre er siegreich nach einer nahe gelegenen Weide hingewandert, wo ich ihn wahrscheinlich noch finden würde. Ich drehte sogleich um, und in einem unbegreiflich schnellen Galopp brachte mich die Hälfte meines Pferdes, die mir noch übrig war, zu der Weide hin. Zu meiner großen Freude fand ich hier die andere Hälfte gegenwärtig, und zu meiner noch größeren Verwunderung sah ich, dass sich dieselbe mit einer Beschäftigung amüsierte, die so gut gewählt war, dass bisher noch kein maitre des plaisirs mit allem Scharfsinn imstande war, eine angemessenere Unterhaltung eines kopflosen Subjekts ausfindig zu machen. Mit einem Wort, das Hinterteil meines Wunderpferdes hatte in den wenigen Augenblicken schon sehr vertraute Bekanntschaft mit den Stuten gemacht, die auf der Weide umherliefen, und schien bei den Vergnügungen seines Harems alles ausgestandene Ungemach zu vergessen.

Hierbei kam nun der Kopf so wenig in Betracht, dass selbst die Fohlen, die dieser Erholung ihr Dasein zu verdanken hatten, unbrauchbare Missgeburten waren, denen alles das fehlte, was bei ihrem Vater, als er sie zeugte, vermisst wurde.

Da ich so unwidersprechliche Beweise hatte, dass in beiden Hälften meines Pferdes Leben sei, so ließ ich sogleich unseren Kurschmied rufen. Dieser heftete, ohne sich lange zu besinnen, beide Teile mit jungen Lorbeersprösslingen, die gerade bei der Hand waren, zusammen. Die Wunde heilte glücklich zu, und es begab sich etwas, das nur einem so ruhmvollen Pferde begegnen konnte. Nämlich die Sprossen schlugen Wurzeln in seinem Leib, wuchsen empor und wölbten eine Laube über mir, sodass ich danach manchen ehrlichen Ritt im Schatten meiner sowohl wie meines Rosses Lorbeeren tun konnte.

Einer anderen kleinen Ungelegenheit von dieser Affäre will ich nun beiläufig erwähnen. Ich hatte so heftig, so lange, so unermüdlich auf den Feind losgedroschen, dass mein Arm dadurch endlich in eine unwillkürliche Bewegung des Hauens geraten war, als der Feind schon längst über alle Berge war. Um mich nun nicht selbst oder meine Leute, die mir zu nahe kamen, für nichts und wieder nichts zu prügeln, sah ich mich genötigt, meinen Arm an die acht Tage lang ebenso gut in der Binde zu tragen, als ob er mir halb abgehauen gewesen wäre.

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