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Aus dem Wigwam – Die Expedition der Lenni Lenape

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Vierzig Sagen
Mitgeteilt von Chingorikhoor

Die Expedition der Lenni Lenape

angewaha oder Hartherz war der berühmteste Chef der Lenni Lenape und konnte sich der meisten Skalpe, die auf den Köpfen seiner Feinde gewachsen waren, und der zahlreichsten Pferde, die er den Flachköpfen abgenommen hatte, mit Recht rühmen, denn an Mut und Klugheit hatte er nicht seinesgleichen.

Diesem träumte einst im Monat des grünen Kornes, dass seine Leute die Gebeine ihrer Voreltern ausgegraben und ihre Zelte und alle sonstigen Gerätschaften aufgepackt hätten und zum Land der Sonne abgereist wären. Er sah hohe Berge, welche Feuer sprühten, und andere, auf denen die Schneegeister hausten, und hörte das Hissen der Großen Schlange in unermesslich tiefen Abgründen. Er reiste mit seinem Stamm weiter und kam an einen mächtigen Strom, dessen Ufer von riesigen Kriegern, die in selbstgebauten Erdfestungen lebten, bewohnt war. Vor ihm stand eine Jungfrau, so schön wie ein Baum in der Frühlingsblüte. Ihre Stimme klang süßer als die des Spottvogels. Sie hatte einen Rock aus der zarten Rinde des Maulbeerbaumes an und ihr Haar war mit den schönsten Blumen durchflochten. Sie redete ihn an, dass er gleich beschloss. sie zu seiner Frau zu machen, doch als er sie an sein Herz drücken wollte, nahm sie plötzlich die Gestalt eines Vogels an und flog auf den nächsten Baum.

Danach stieß er den Kriegsruf aus und feuerte seine Leute zum Kampf an. Er war siegreich. Der Feind floh über den Großen Fluss und die schöne Jungfrau wurde sein Frau.

Als er weiterreiste, kam er auf einen hohen Berg, von dem er das herrlichste Land vor sich ausgebreitet sah.

»Wie gefällt dir diese Gegend?«, sprach eine Stimme zu ihm. »die Flüsse sind reichlich mit Fischen gesegnet und die Wälder sind voll der fettesten Tiere. Dies Land soll dein Stamm bis zur Ankunft Mikwons bewohnen!«

Danach erwachte Wangewaha und erzählte den Medizinmännern seinen merkwürdigen Traum. Diese ordneten gleich darauf ein allgemeines Fest an, um den Großen Geist wegen der Deutung zu befragen.

Wakonda erschien denn auch bald und teilte ihnen mit, dass sie die Ge­beine ihrer Väter und alles, was ihnen sonst noch heilig und teuer sei, sammeln und zu dem großen Memahoppa oder Medizinstein, der in der Mitte einer mehrere Sonnen entfernten Prärie stand, ziehen sollten. Dort würden sie einen Mann finden, der ihnen mitteilen würde, was sie weiter zu tun hätten.

Die Lenni Lenape gehorchten ihren Priestern und verließen ihre Heimat.

Als sie eine kurze Zeit auf dem Marsch waren, hörten sie ein verdächtiges Rascheln im Gras und sahen ein merkwürdiges Geschöpf vor sich, dessen weit heraushängende, gabelförmige Zunge keinen Augenblick still stand.

»Zurück!«, schrie es.

»Wer bist du?«, fragte ein Indianer.

»Ich bin der Führer der Klapperschlangen und Wakonda hat mir befohlen, die Lenape zu dem Fischfluss zu geleiten!«

»Wir sind die Lenape!«

»Dann seid ihr die Leute, auf die ich wartete. Aber es scheint mir, als nahtet ihr meinem Stamm mit feindlichen Absichten, und es wird gut sein, euch zuerst ein wenig zur Ader zu lassen, damit ihr etwas zahmer werdet!«

»Lass uns lieber«, antwortete ein Priester, »die Friedenspfeife rauchen.«

Da die Klapperschlange damit einverstanden war, so setzten sie sich im Kreis nieder, rauchten und plauderten.

Danach zogen sie weiter. Der Klapperschlangenhäuptling kroch stets voran und rekognoszierte, ob die Gegend auch sicher sei. Nun fand derselbe einst heraus, dass sich in der Nähe eine Abteilung Indianer befand. Als er dies seinen Schutzbefohlenen mitteilte, trafen sie gleich Anstalten, sie zu überfallen.

»Lasst uns lieber«, sagte er darauf, »Frieden mit ihnen schließen und ihnen den Wampumgürtel bringen!«

Da sich alle zuletzt damit einverstanden erklärten, so wurde der kleine Bär beauftragt, dieses Geschäft zu übernehmen. Derselbe zog seine besten Kleider an, bemalte sich eine Backe, um zu zeigen, dass er auch auf den Krieg gefasst sei, und näherte sich so dem Lager der Fremden.

Als er dort angekommen war, stimmte er ein langes Loblied auf den Mut, den Kriegsruhm der Lenni Lenape, die Schönheit und Liebeswürdigkeit ihrer Jungfrauen an und erklärte ihnen dann, dass er Krieg oder Frieden ganz von ihrem Gutdünken abhängig machen wolle.

Darauf führte man ihn in das Ratszelt und setzte ihm Speise und Trank vor. Nachdem er gegessen hatte, reichte er dem fremden Häuptling die Friedenspfeife. Dieser nahm sie an, legte eine brennende Kohle darauf und hielt sie in die Höhe, um den Segen des Großen Geistes zu erflehen, dann neigte er sie zur Erde, um die bösen Manitus zu versöhnen.

»Unser Stamm«, sagte er, »führt den Namen Mingo und ist ebenfalls auf der Reise zum Land der aufgehenden Sonne. Wir wollen daher mit den Lenape die Friedenspfeife rauchen und das Kriegsbeil tief vergraben. Ihre Feinde sollen auch die unseren sein und der Friede, den wir heute schließen, soll so lange dauern, wie die Sonne scheint und die Ströme fließen!«

Inzwischen waren die vorausgeschickten Kundschafter zurückgekehrt und erzählten nun Wunderdinge von dem fremden Land, dass sie gesehen hatten. Am Ufer des Fischflusses, so lautete ihr Bericht, wohne ein kräftiges Riesengeschlecht, Allegewi genannt, dessen Männer so groß seien, dass ihnen der größte Lenape kaum bis an die Schultern reiche.

Diese Nachricht brachte große Bestürzung unter den Verbündeten hervor. Einige machten den Vorschlag, lieber zu bleiben, wo sie seien, als mit einem so gefährlichen Stamm Krieg anzufangen. Doch der größere Teil sagte, die Allegewi seien doch auch nur Menschen. Ehe sie ihnen feige den Rücken kehrten, wollten sie lieber einem ehrenvollen Tod entgegengehen. Darauf bereiteten sie sich zum Krieg vor und fragten ihre Medizinmänner, ob sie siegen würden.

»Die Lenape werden siegen«, erwiderten sie, »aber sie müssen sich erst in den Besitz der mächtigen Kriegsmedizin setzen, worüber wir euch morgen das Nähere mitteilen werden.«

»Die wilde Katze, so erzählten sie am nächsten Tage, »hatte vor langer Zeit viele unseres Stammes zerrissen, weshalb ihr einige Krieger Schlingen legten und sie fingen. Danach verbrannten sie diese und hoben die Asche auf, welche späterhin in unseren Besitz kam. Dann lockten unsere Väter einst die große Kriegsschlange aus dem Wasser und schlugen ihr eines ihrer Hörner ab, das ebenfalls in unsere Hände kam und mit der Asche der wilden Katze eine glückbringende Kriegsmedizin bildet.«

Ihres Erfolges gewiss, ließen sie also bei den Allegewi anfragen, ob sie sich in ihrer Nähe niederlassen dürften. Jene aber schlugen es ihnen rundweg ab, gaben ihnen aber die Erlaubnis, durch ihr Land zu ziehen, um sich anderswo eine Heimat zu suchen.

Die Lenape überschritten danach den Mississippi, doch als die letzte Gruppe übersetzte, wurde sie plötzlich von den verräterischen Allegewi überfallen und die meisten davon niedergemacht. Als dies die anderen sahen, hielten sie Kriegsrat und beschlossen, die Feinde am nächsten Tag anzugreifen, möge es kommen, wie es wolle.

In der folgenden Nacht wurde Hartherz durch leise Fußtritte geweckt. Als er sich von seinem Lager erhob, sah er eine schöne, schlanke Jungfrau vor sich, deren Kleid aus der zarten Rinde des Maulbeerbaumes gemacht war.

»Warum«, fragte er sie, »kommst du in das Lager eines feindlichen Stammes?«

»Ich bin hierher gekommen«, entgegnete sie, »um den Anträgen eines jungen Mannes, der meines Vaters Liebling ist, zu entgehen. Ich soll seine Frau werden, aber ich kann keinen Mann lieben, dem beständig das Blut seiner Opfer an den Händen klebt!«

Hartherz, der sich erinnerte, dieselbe Jungfrau früher im Traum gesehen zu haben, versuchte sie zu trösten und schickte sie in den Wigwam seiner Schwester.

Am folgenden Tag fand die blutige Schlacht statt und die Verbündeten gingen kraft ihrer Kriegsmedizin siegreich daraus hervor. Die wenigen Allegewi, welche dem Blutbad entgingen, brachten ihre Frauen und Kinder in ihre Kanus und fuhren den Mississippi hinunter.

»Nun«, fragte der Häuptling der Klapperschlangen, »was wollt ihr mir zur Belohnung geben? Ich bin euch ein treuer Führer gewesen und möchte nicht gern ohne Anerkennung abziehen!«

»Wir wollen dir ein Paar schöne Mokassins geben«, erwiderte Hartherz.

»Sprich mir nicht von Mokassins, wenn du mich nicht böse machen willst. Auch wäre ein Paar nicht hinreichend, denn ich habe viele Füße. Gesetzt, ihr gäbet mir ein Lenapemädchen zur Frau?«

»Was? Dir ein Lenapemädchen zur Frau geben? Das würde eine schöne Art werden!«

»Gewiss. Eine kluge Schlange und ein schönes Mädchen – denn schön wird die Jungfrau sein, die ich mir aussuche – werden schon Sorge tragen, dass sie sich ihrer Kinder nicht zu schämen brauchen. Übrigens bitte ich euch, mir gleich Bescheid zu geben; ich muss machen, dass ich wieder nach Hause komme, denn meine Nation ist lange genug ohne Häuptling gewesen.«

Da sich die Krieger nicht undankbar zeigen wollten und der Klapperschlangenchef auf keinen anderen Vorschlag einging, so riefen sie alle Mädchen zusammen und ließen ihn eins auswählen. Er bezeichnete eine schöne Jungfrau, welche die Blumen erst fünfzehn Mal blühen gesehen hatte, als seine zukünftige Frau und reiste mit ihr am nächsten Tag in seine Heimat ab. Sie hatte zwar keine große Lust, mitzugehen, doch als er ihr sagte, dass sie die Frau eines sehr berühmten Häuptlings würde, tröstete sie sich und trug ihren Bräutigam, wenn er müde wurde, in einem Handkorb weiter.

Die Verbündeten teilten danach das eroberte Land brüderlich unter sich und Hartherz nahm die schlanke Jungfrau aus dem besiegten Stamm zu seiner Frau.

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